OGH 20Os6/16g

OGH20Os6/16g20.9.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 20. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Haslinger und Dr. Grassner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Krenn, LL.M. (WU), als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 18. Jänner 2016, AZ D 17/15 (DV 30/15), TZ 24, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Lughofer, LL.M., und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

Danach hat er in rechtsfreundlicher Vertretung des Mag. Ronald L***** mit Schreiben vom 24. März 2015 gegenüber der T***** AG die Geltendmachung einer Forderung von 13.952,90 Euro sA für Marketing‑ und Dienstleistungen unter Setzung einer Zahlungsfrist bis 27. März 2015 mit der Ankündigung verbunden, für den Fall, dass sein Mandant (Mag. Roland L*****) weiterhin von T***** AG über deren Zahlungsbereitschaft getäuscht und die Forderung nicht fristgerecht bezahlt werde, Betrugsanzeige zu erstatten, dies entgegen der sich aus § 2 RL‑BA 1977 und § 9 RAO ergebenden Verpflichtung, Ansprüche weder in unangemessener Härte zu verfolgen noch sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel anzukündigen oder anzuwenden.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde hierfür eine Geldbuße in Höhe von 3.500 Euro verhängt und dabei erschwerend die Ankündigung einer Strafanzeige (statt etwa einer Zivilklage) mit größerem Beunruhigungspotential, als mildernd die disziplinäre Unbescholtenheit und die „wahrheitsgemäße Verantwortung“ des Disziplinar-beschuldigten gewertet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a, lit b; Z 11 StPO), Schuld und Strafe. Der Kammeranwalt ist der Berufung in seiner Gegenäußerung entgegengetreten.

Die mit dem Einwand fehlender inländischer Disziplinargerichtsbarkeit begründete Rechtsrüge (Z 9 lit a) verkennt grundlegend, dass das inkriminierte Schreiben durch einen österreichischen Rechtsanwalt versendet wurde. Das begründet jedenfalls die Kognition der (ober‑)österreichischen Standesgerichtsbarkeit (Lehner in Engelhaft et at, AO9 DSt § 20 Rz 2). Es geht nämlich bei der disziplinären Beurteilung des fallgegenständlichen Briefes keineswegs um das Recht auf freie Berufsausübung bei einer grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit, konkret die Benachteiligung aufgrund Agierens in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es ist nicht ersichtlich, warum die disziplinäre Verantwortlichkeit davon abhängen soll, ob sich der Adressat der Drohung im Ausland oder im Inland befindet. Dies ergibt sich auch aus der in Art XIV RL‑BA 1977, nunmehr in § 58 RL‑BA 2015 normierten Verbindlichkeit der Richtlinien für alle in Österreich niedergelassenen Rechtsanwälte, mit der in Abs 2 der zweitgenannten Bestimmung normierten Ergänzung, wonach diese im Fall deren grenzüberschreitender Tätigkeit im Sinne von Punkt 1.5. der Berufsregeln der europäischen Rechtsanwälte (CCBE) zusätzlich auch diesen Berufsregeln unterstehen. Bei Kollision der insoweit kumulativ geltenden Normen hat sich der Rechtsanwalt an die strengere der beiden Regeln zu halten und kann sich nicht auf günstigere Regelungen in den Berufsregeln der europäischen Rechtsanwälte oder des Staats, in welchem er tätig ist, oder umgekehrt seines Heimatstaats, berufen (Engelhart in Engelhart et al RAO9, RL‑BA 1977 Art XIV Rz 4; AnwBl 2010/8241). Zu tragen kommen bei einer grenzüberschreitenden Tätigkeit auch unmittelbare Auswirkungen auf Ehre und Ansehen des Standes der österreichischen Rechtsanwaltschaft gemäß den Grundprinzipien der Berufsausübung in § 1 RL‑BA 2015, dessen Schutz die Standesregeln bezwecken. Damit verfehlen die Ausführungen der Berufung zum in der Schweiz geltenden Berufsrecht ihr Ziel.

Die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a) versagt ebenfalls. Der festgestellten Tatsachengrundlage zufolge wurden dem Disziplinarbeschuldigten vor seinem an die Anspruchsgegnerin gerichteten Schreiben vom 24. März 2015 diverse Informationen seines Klienten im Wesentlichen über dessen Geschäftsbeziehung mit der Anspruchsgegnerin, so das erfolgte Erbringen von Designerleistungen, die offene Bezahlung der im Februar (!) 2015 in Rechnung gestellten Honorare, ebenso der Bestand von Auffassungsunterschieden über die Basis der Honorierung, nicht aber irgendwelche Informationen eines von der Anspruchsgegnerin gesetzten, den strafrechtlichen Tatbestand eines Betrugs erfüllenden Verhaltens (was jedenfalls Täuschung vor Leistungserbringung vorausgesetzt hätte), mitgeteilt (ES 5). Trotzdem schrieb der Disziplinarbeschuldigte: „Sollte mein Mandant weiterhin von ihnen über ihre Zahlungsbereitschaft getäuscht werden und das Geld nicht fristgerecht auf meinem Konto eingehen, so wird mein Mandant noch vor Ostern Betrugsanzeige bei den Strafbehörden erstatten“ (ES 6). Der vorgelegte Schriftverkehr aus dem Frühjahr 2016 vermag für den Informationsstand im März 2015 nichts auszutragen.

Die Drohung mit einer Strafanzeige ist disziplinarrechtlich besehen nur dann zulässig, wenn ein Rechtsanwalt nach sorgfältiger Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass das Verhalten des Gegners strafgesetzwidrig ist und ein durchsetzbarer Anspruch vorliegt (vgl 20 Os 7/14a; RIS‑Justiz RS0056214; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 9 RAO Rz 15, § 2 RL‑BA Rz 2). Da dem Disziplinarbeschuldigten den Konstatierungen zufolge keine einen konkreten Betrugsverdacht rechtfertigender Information vorlag und er dennoch in seinem Schreiben eine Betrugsanzeige für den Fall der nicht binnen drei (!) Tagen erfolgenden Erfüllung des allein zivilrechtlich begründeten Zahlungsverlangens unter Bezug auf rund eineinhalb Monate offene Rechnungen ankündigte, hat er den disziplinären Verstoß einer Anwendung unzulässiger Druckmittel gemäß § 2 RL‑BA 1977 zu verantworten. Mangels zum Zeitpunkt des Schreibens gegebener strafrechtlicher Indikation liegt die Unzulässigkeit der Vertretungshandlung im Fehlen jeder Sachbezogenheit zum angedrohten Vorgehen für die allein zivilrechtliche Forderungsbetreibung.

Den Überlegungen des Berufungswerbers zu den unterschiedlichen Formulierungen der RL‑BA 1977 und der RL‑BA 2015 genügt der Hinweis auf die Übergangsbestimmung des § 59 Abs 3 RL‑BA 2015 (Anordnung der Weitergeltung der früheren Rechtslage für bis 31. Dezember 2015 verwirklichte Sachverhalte). Im Übrigen änderte die Neuformulierung in § 17 RL‑BA 2015 mit der Umschreibung des Mangels am Vorliegen einer Mittel‑Zweck‑Relation als nicht sachbezogene Maßnahme gegenüber dem Terminus des sachlich nicht gerechtfertigten Druckmittels in § 2 RL‑BA 1977 nichts am Beurteilungsmaßstab.

Mit der weiteren Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Feststellung einer Strafbarkeit des Verhaltens der Antragsgegnerin nach dem Schweizer UWG infolge unbefugter Verwertung fremder Leistungen wird die Rechtsrüge nicht prozessordnungsgemäß erhoben, da sie die Urteilstatsache der Androhung einer Betrugsanzeige für den Fall des Verzugs mit der Bezahlung der Rechnungen – ohne Verknüpfung mit einer gesondert erfolgten Unterlassungsaufforderung – (ES 6) vernachlässigt.

Die der Sache nach als Rechtsrüge (Z 9 lit b) zu behandelnde Forderung der Strafberufung auf Anwendung des § 3 DSt scheitert schon deshalb, weil sie einmal mehr die prozessförmige Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810) vermissen lässt, indem behauptet wird, das inkriminierte Schreiben sei sachbezogen gewesen.

Diesen Wertungen zufolge geht auch die Sanktionsrüge (Z 11 2. Fall) fehl, weil das standesrechtliche Verbot von Vertretungshandlungen mit unangemessener Härte oder mittels sachlich nicht gerechtfertigter Maßnahmen in unterschiedlicher Intensität verletzt werden kann, und das Doppelverwertungsverbot fallbezogen der Berücksichtigung der konkreten Ausformung des verpönten Handelns bei der Strafbemessung als erschwerend somit nicht entgegensteht.

Die Berufung wegen Nichtigkeit hatte daher erfolglos zu bleiben.

Die Schuldberufung mit der Begründung einer nach Abschluss des Beweisverfahrens des Disziplinarrats (erst) am 8. Februar 2016 (!) erfolgten Erstattung einer Strafanzeige gegen die Anspruchsgegnerin verschlägt mangels jedweder Relevanz dieser „Deckungshandlung“ für die disziplinarrechtliche Beurteilung eines fast ein Jahr früher verfassten Schreibens.

Der Disziplinarrat hat die erhobenen Beweise zur Informationslage des Disziplinarbeschuldigten bei Abfassung und Absendung des inkriminierten Briefes einer denkrichtigen und lebensnahen Würdigung unterzogen und mit schlüssiger Begründung – der sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen der Prüfung der Verfahrensergebnisse anschließt (vgl Ratz, WK‑StPO § 467 Rz 2) – hinreichend dargelegt, wie er zu den den Schuldspruch tragenden Konstatierungen gelangte, wobei er sich in der Urteilsannahme des Nichtvorliegens objektiver Anhaltspunkte für einen Betrugsverdacht neben der Anzeige der Anspruchsgegnerin und der Korrespondenz zwischen den Streitteilen vor allem auch auf die Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten selbst stützen konnte.

Der Schuldberufung war somit der Erfolg zu versagen.

Soweit die Strafberufung disziplinäres Verhalten abstreitet, hält sie prozessordnungswidrig nicht am Schuldspruch fest (§ 295 Abs 1 StPO). Hält man sich vor Augen, dass die Androhung einer Anzeige wegen Betrugs im Gegenstand als reine Imponiergeste – somit einem Rechtsanwalt gesteigert vorwerfbar – erfolgte, zwei Disziplinarvergehen vorliegen und das Zugestehen nicht abstreitbarer Tatsachen nicht mildernd wirkt, erweist sich die in erster Instanz geschöpfte Sanktion als nicht korrekturbedürftig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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