OGH 14Os34/16f

OGH14Os34/16f14.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Ing. Roland P***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112 über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ing. Roland P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. November 2015, GZ 073 Hv 168/14f‑60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00034.16F.0914.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu Punkt I/1, in der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit demgemäß auch im Strafausspruch sowie weiters im Verfallserkenntnis, und im – mit dem von der Aufhebung betroffenen Schuldspruchteilen korrespondierenden – Ausspruch über die Ansprüche der Privatbeteiligten S***** AG Österreich im Ausmaß von 7.107 Euro aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner

gegen den Strafausspruch und gegen den von der Aufhebung betroffenen Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Berufung wird der Angeklagte Ing. Roland P***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Entscheidung über die Berufung gegen das darüber hinausgehende Adhäsionserkenntnis obliegt dem Oberlandesgericht Wien.

Dem Angeklagten Ing. Roland P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – Ing. Roland P***** des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112 schuldig erkannt.

 

Danach hat er in W***** die ihm in seiner Eigenschaft als Referent der Verbesserungsvorschlags-kommission gemäß der Betriebsvereinbarung BV 18 von seinem Arbeitgeber, der S***** AG Österreich, durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, „nämlich über die Berechtigung und Höhe der Prämien für Verbesserungsvorschläge zu entscheiden und anschließend entsprechende Auszahlungsaufträge an die Personalverrechnung weiterzuleiten, und so Prämienzahlungen der S***** AG Österreich zu veranlassen und über deren Vermögen zu verfügen“, wissentlich missbraucht und dem genannten Unternehmen dadurch einen Vermögensnachteil in Höhe von 13.283 Euro zugefügt, „indem er in den Unterlagen, auf deren Grundlage die Auszahlung der Prämien für Verbesserungsvorschläge erfolgte, Nachgenannte als Berechtigte eintrug und damit dokumentierte, dass sämtliche Voraussetzungen für die Leistung von Prämien in der jeweiligen angeführten Höhe erfüllt sind, obwohl diese Voraussetzungen nicht vorlagen, und dadurch die unrechtmäßige Anweisung der jeweiligen Beträge an diese bewirkte“, und zwar an

(I) sich selbst,

1) indem er von November 2009 bis Mai 2010 (a bis f) und von Juli 2011 bis Februar 2012 (g bis l) in sechzehn, im Urteil detailliert angeführten Fällen seinen Namen auf den Auszahlungstabellen als – weiterer – Prämienbegünstigter mit Beträgen in Höhe von insgesamt 7.107 Euro anführte und dadurch die für die berechtigten Prämienbezieher festgesetzte Prämie zusätzlich an sich zur Auszahlung brachte, wobei er in einem Fall zudem „die Summe der hinsichtlich der weiteren Prämienbezieher grundsätzlich berechtigten Gesamtprämie (von 545 Euro auf 605 Euro) erhöhte, wodurch die berechtigten Prämienbezieher und er selbst die erhöhten Prämien erhielten“ (1/g),

2) indem er sich von Jänner 2010 bis März 2010 in drei, im Urteil detailliert angeführten Fällen „die Prämien hinsichtlich Verbesserungsvorschlägen von bereits ausgeschiedenen Mitarbeitern“ in Höhe von insgesamt 2.075 Euro „anweisen ließ“, wobei er in einem Fall zusätzlich die im Gutachten festgestellte Prämie von 35 Euro auf 75 Euro erhöhte und diese auch erhielt;

(II) sich selbst und andere Mitarbeiter, indem er in jeweils einem Fall

1) im April 2010 „die Summe der grundsätzlich berechtigten Prämie von 4.057 Euro auf 5.800 Euro erhöhte“ (Schaden 1.743 Euro),

2) im Februar 2011 „die grundsätzlich berechtigte Gesamtprämie nicht auf die Einreicher aufteilte, sondern mehrfach zur Auszahlung brachte“ (Schaden 350 Euro),

(III) im November 2011 drei im Urteil namentlich genannte Einreicher von Verbesserungsvorschlägen, „indem er die berechtigte Gesamtprämie nicht auf diese aufteilte, sondern mehrfach zur Auszahlung brachte“ (Schaden 2.008 Euro).

Der dagegen aus den Gründen der Z 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) macht der Sache nach zu sämtlichen Schuldspruchsfakten Rechtsfehler mangels Feststellungen zu einer dem Angeklagten eingeräumten Befugnis, über das Vermögen der S***** AG Österreich (direkt) zu verfügen, sowie zur missbräuchlichen Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder einer sonstigen Rechtshandlung geltend.

Nach den insoweit wesentlichen – von der Beschwerde nur unvollständig zitierten – Urteilsannahmen (US 7 bis 29) wurden in der S***** AG Österreich gemäß einer Betriebsvereinbarung (BV 18) zur Förderung von Mitarbeiterinitiativen (3i-Richtlinie) Verbesserungsvorschläge von Dienstnehmern des Unternehmens durch Prämienzahlungen honoriert. Abgesehen von sogenannten „Direktvorschlägen“, die unmittelbar bei der jeweiligen „Führungskraft“ eingereicht und von dieser bis zu einer Prämienhöhe von 175 Euro selbständig bewertet werden konnten, erfolgte die Bewertung, Prämierung und Verabschiedung von Verbesserungsvorschlägen durch die hiefür eingerichtete VV‑Kommission auf Basis eines (oder – bei Einwänden – mehrerer) Gutachten(s) der fachlich zuständigen Stellen. Der VV‑Kommission gehörten in der Regel der VV‑Referent, ein von der Bereichs-/Werksleitung eingesetzter Mitarbeiter mit der erforderlichen fachlichen Eignung sowie zwei Vertreter des Betriebsrats an. Ihre entsprechenden Beschlüsse sollten in einem Protokoll festgehalten werden, welches vom VV‑Referenten und einem Kommissionsmitglied des Betriebsrats zu unterfertigen war. Wirksamkeit erlangten die Beschlüsse durch die Unterschrift der Bereichs-/Werksleitung oder einer von ihr damit beauftragten Stelle. Die Auszahlung der Prämien erfolgte durch die Personalverrechnung aufgrund einer vom VV‑Referenten übermittelten Tabelle.

Der Angeklagte war am Standort L***** zum VV‑Referenten bestellt und als solcher Mitglied der VV‑Kommission. Zu seinen Aufgaben als VV‑Referent gehörte die Entgegennahme, Dokumentation und Bearbeitung der Verbesserungsvorschläge, deren Zuleitung an die fachlich zuständigen Stellen zur Begutachtung und zur Entscheidung über die Durchführung, (bei Bedarf) die Einberufung der VV‑Kommission, die Leitung von deren Sitzungen und allgemein die ordnungsgemäße Abwicklung der Verbesserungsvorschläge. Er war außerdem befugt, die Auszahlung der (durch Entscheidung der Führungskraft über Direktvorschläge oder durch wirksamen Beschluss der VV‑Kommission) zuerkannten Prämien durch Übermittlung damit korrespondierender Auszahlungstabellen an die Personalverrechnung zu veranlassen, wobei eine inhaltliche Überprüfung der Tabellen nicht mehr stattfand.

Tatsächlich wurden am Standort L***** keine Sitzungen der VV‑Kommission abgehalten. Dennoch fertigte der Angeklagte „Sitzungsprotokolle“ an, die jeweils von den VV‑Kommissionsmitgliedern des Betriebsrats und dem von der Bereichs-/Werksleitung beauftragten Josef F***** unterfertigt wurden. Die Mitglieder des Betriebsrats brachten dem Angeklagten volles Vertrauen entgegen und überprüften die ihnen vorgelegten Unterlagen nicht. Ob Josef F*****, der in der Zwischenzeit verstorben ist, eine inhaltliche Prüfung vornahm, konnte nicht festgestellt werden.

In Ausnützung des unzureichenden Kontrollwesens missbrauchte der Angeklagte ab November 2009 die ihm solcherart eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der S***** AG Österreich zu verfügen, indem er einerseits als Mitglied der VV‑Kommission in sechs Fällen auf Basis von ihm eigenmächtig veränderter Gutachten und Sitzungsprotokolle überhöhte Prämien festsetzte (II/1, II/2, III) oder sich selbst statt der tatsächlichen Einreicher der Verbesserungsvorschläge als hiefür Verantwortlicher (I/2/c) und Prämienbegünstigter (I/2/a und b) einsetzte und im Anschluss die Zustimmung der weiteren Mitglieder der VV‑Kommission und des von der Bereichs‑/Werksleitung beauftragten Mitarbeiters solcherart durch Täuschung erwirkte (US 57).

In den weiteren – vom Schuldspruch zu Punkt I/1 umfassten – Fällen bestand der Befugnismissbrauch nach den Feststellungen zusammengefasst darin, dass der Beschwerdeführer die Auszahlungstabellen nicht den Entscheidungen der VV‑Kommission oder (im Fall von Direktvorschlägen) der jeweiligen Führungskraft (I/1/e/eb, h) entsprechend erstellte, sondern sich darin selbst als (zusätzlichen) Prämienbegünstigten anführte und durch Übermittlung der Tabellen an die Personalverrechnung die Auszahlung von Prämien in Höhe von 7.107 Euro an sich selbst veranlasste, obwohl er wusste, dass diesen Zahlungen „kein ordnungsgemäßer Beschluss der VV‑Kommission“ zugrunde lag. In einem dieser Fälle lag der Auszahlungstabelle weder ein Verbesserungsvorschlag, noch ein Beschluss des zuständigen Gremiums oder Mitarbeiters zugrunde (I/1/j), in einem weiteren hatte er zuvor auch das zugrunde liegende Gutachten eigenmächtig dahingehend verändert, dass er die Prämie von 545 Euro auf 605 Euro erhöhte, welche ihm (ohne zugrundeliegenden Beschluss der Kommission) auch ausbezahlt wurde (I/1/g). Er hielt es dabei jeweils ernstlich für möglich und fand sich damit ab, der S***** AG Österreich einen Vermögensschaden in der festgestellten Höhe zuzufügen (US 29).

Soweit die Rechtsrüge in Bezug auf den Faktenkomplex I/2, II und III behauptet, dem Angeklagten wäre eine Befugnis, über das Vermögen der S***** AG Österreich (direkt) zu verfügen, gar nicht eingeräumt worden, geht sie nicht von den zitierten Feststellungen aus, denen unmissverständlich eine (Mit‑)Entscheidungsbefugnis des Angeklagten hinsichtlich der Zuerkennung von Prämien (sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach) als Mitglied der hiezu eingerichteten VV‑Kommission zu entnehmen ist. Weshalb das Erfordernis der Zustimmung eines weiteren (auch übergeordneten) Entscheidungsträgers Einfluss auf die Eigenschaft eines Machthabers als Befugnisträger haben sollte, erklärt die Rüge nicht (vgl dazu Kirchbacher/Presslauer in WK² StGB § 153 Rz 18; Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 153 Rz 64; RIS‑Justiz RS0094442 [va T5]). Dass die „Ausführungen des Erstgerichts zur Mitentscheidungsbefugnis schon deshalb nicht anwendbar“ seien, weil die VV‑Kommission „ja überhaupt kein kollektivvertretungsberechtigtes Organ der S***** AG Österreich ist“, wird gleichfalls nicht auf Basis des zitierten Urteilssachverhalts und ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz bloß behauptet.

Unter Hinweis auf die Urteilsannahmen, nach denen der Beschwerdeführer eine Selbstkündigung unterfertigte und sich – bevor die Behörde von seinem Verschulden erfahren hatte – gegenüber der Geschädigten zur Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Beträge verpflichtete (US 28 f), reklamiert die Rechtsrüge (Z 9 lit b) den Strafaufhebungsgrund der

tätigen Reue, ohne aber die Festsetzung eines Endtermins für die vollständige Schadensgutmachung zu behaupten oder einen entsprechenden Feststellungsmangel geltend zu machen. Aus welchem Grund hier

tätige Reue entgegen dem Wortlaut des § 167 Abs 2 Z 2 StGB („binnen einer bestimmten Zeit“) ohne Vereinbarung einer nach objektiven oder objektivierbaren Kriterien feststellbaren Frist für die gänzliche Schadensgutmachung vorliegen sollte, legt sie nicht dar und verfehlt solcherart ein weiteres Mal die gebotene Orientierung am Gesetz.

Inwiefern ein mit der Selbstkündigung verbundener Verzicht auf eine (der Höhe nach übrigens nicht bekannte) Abfertigung als Schadensgutmachung anzusehen sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.

Insoweit (demnach in Bezug auf die Schuldsprüche zu den Punkten I/2, II und III) war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Im Recht ist die Rechtsrüge (Z 9 lit a) jedoch hinsichtlich der verbleibenden Schuldsprüche zu Punkt I/1.

Sie zeigt nämlich insoweit zutreffend auf, dass die Tathandlung der Untreue in einer missbräuchlichen Vornahme (oder Unterlassung) eines Rechtsgeschäfts oder einer sonstigen Rechtshandlung liegt. Die dem Täter eingeräumte Befugnis muss wenigstens ein Minimum rechtlicher Verfügungs- oder Verpflichtungsmacht über fremdes Vermögen enthalten. Ermächtigungen zu bloß faktischen Tätigkeiten scheiden daher aus (Kirchbacher/Presslauer in WK² StGB § 153 Rz 20; RIS‑Justiz RS0094733).

Eine solche missbräuchliche Handlung kann zwar auch darin bestehen, eine ungerechtfertigte Zahlungsanweisung zu erteilen. Dazu bedarf es aber zumindest der (allenfalls mit anderen gemeinsam zustehenden) Rechtsmacht, die Zahlstelle des den Täter bevollmächtigenden Unternehmens zur Überweisung von Geldern zu verpflichten (13 Os 154/04).

Die fallbezogen inkriminierte Übermittlung einer Auszahlungsanordnung hinsichtlich von der VV‑Kommission (oder einer Führungskraft) für bestimmte Begünstigte festgesetzter Prämien an das zur Auszahlung befugte Organ (hier: die Personalverrechnung) vermag aber noch keinen solchen eigenen Befugnismissbrauch zu begründen. Dass dem Angeklagten nämlich insoweit eine – der Entscheidung des zuständigen Gremiums oder Mitarbeiters und der Auszahlung zwischengeschaltete – eigene Entscheidungsbefugnis zukam, lässt sich den Urteilsannahmen nicht entnehmen.

Zu einem allenfalls – durch Täuschung der Mitarbeiter der Personalverrechnung – verwirklichten Betrug, insbesonders zur entsprechenden subjektiven Tatseite, wurden gleichfalls keine Feststellungen getroffen.

Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen

macht die Aufhebung des Urteils in den Schuldsprüchen zu Punkt I/1 und in der Subsumtionseinheit, demzufolge auch im Strafausspruch sowie in den – mit den von der Kassation betroffenen Schuldspruchsteilen korrespondierenden – Aussprüchen über die Ansprüche der Privatbeteiligten und den Verfall im Ausmaß von jeweils 7.107 Euro bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) erforderlich.

Zudem

überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde, dass dem Urteil auch im nicht von der Kassation umfassten Teil des Verfallserkenntnisses nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 11 erster Fall) anhaftet.

Diese war von Amts wegen aufzugreifen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil sich die

Berufung dieses Angeklagten bloß gegen den Strafausspruch und den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche richtet und dem

Oberlandesgericht zufolge Beschränkung auf die der

Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung nicht möglich ist (RIS‑Justiz RS0119220 [T9]):

Zunächst unterliegen auch vermögensrechtliche Anordnungen dem Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB). Dieser ist bei Realkonkurrenz (auch bei Subsumtionseinheiten nach § 29 StGB) für jede Tat gesondert vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0119545 [insbesondere T7, T10]). Das Erstgericht hat 13.283 Euro „gemäß § 20 Abs 1 und 3 StGB“ für verfallen erklärt. Verfall in der Fassung des strafrechtlichen Kompetenzpakets (kurz: sKp [BGBl I 2010/108]) gibt es erst seit dem 1. Jänner 2011. Für den Zeitraum davor sah das Gesetz als vergleichbare vermögensrechtliche Maßnahme die Abschöpfung der – nach dem Nettoprinzip zu ermittelnden – (unrechtmäßigen) Bereicherung vor. Diese hatte zudem nach § 20a Abs 2 Z 3 StGB (idF BGBl I 2004/136) zu unterbleiben, wenn sie das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschwert oder ihn unbillig hart getroffen hätte. Nach § 20a Abs 1 StGB aF war die Abschöpfung darüber hinaus jedenfalls ausgeschlossen, wenn der Bereicherte – wie im vorliegenden Fall, wenn auch nicht rechtskräftig (vgl dazu Fuchs/Tipold in WK² StGB § 20a aF Rz 14) – zeitgleich zur Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche aus der Tat verurteilt wurde, womit sich das frühere Recht für den Angeklagten in seiner Gesamtwirkung als günstiger erweist.

Da das Erstgericht den (ungünstigeren) Verfall auch für Vermögenswerte aus vor dem 1. Jänner 2011 begangenen, mit Strafe bedrohten Handlungen anordnete (soweit hier noch wesentlich: zu den Schuldsprüchen I/2 und, II/1 [sowie zusätzlich zu den von der Aufhebung umfassten Schuldsprüchen I/a bis f]), ist dieser Ausspruch schon aus diesem Grund nichtig (Z 11 erster Fall [vgl 17 Os 43/14y, EvBl 2015/78, 521]).

Zudem hat der Angeklagte durch die dem Schuldspruch zu Punkt II/1 zugrunde liegende Tat nach den Feststellungen zwar teilweise selbst Vermögensvorteile erlangt, überwiegend aber Dritte (unrechtmäßig) bereichert (US 25), womit auch eine Abschöpfung insoweit nur bei diesen Dritten in Betracht gekommen wäre (§ 20 Abs 4 StGB aF; vgl auch § 20a Abs 1 und Abs 2 Z 3 StGB aF).

Auch die nach dem 1. Jänner 2011 begangenen – nicht von der Aufhebung umfassten – Taten erfolgten nach den Urteilsannahmen zum Teil (II/2) oder zur Gänze (III) zum finanziellen Vorteil Dritter (US 26 ff). Zwar beschränkt das Gesetz den Verfall nicht auf Vermögenswerte des Täters. Ist aber der letztlich zu ersetzende Vermögenswert anderen Personen zugekommen, sind vielmehr (nur) diese (als Haftungsbeteiligte; § 64 StPO) vom Verfallsersatz bedroht (Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 444 Rz 23; §§ 408, 409a StPO). Vorliegend wurde der Angeklagte undifferenziert zur Zahlung eines Geldbetrags in Höhe der Gesamtsumme der zu Unrecht (nur zum Teil an ihn) ausbezahlten Prämien verurteilt, womit sich auch dieser Ausspruch als verfehlt erweist. Im Übrigen sieht § 20a Abs 1 StGB idgF einen Ausschluss des Verfalls nach § 20 Abs 3 StGB gegenüber einem Dritten vor, soweit dieser die Vermögenswerte in Unkenntnis (vgl dazu Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 7 ff) der mit Strafe bedrohten Handlung erworben hat. Darüber hinaus können Hauptverhandlung und Urteilsverkündigung nur dann in Abwesenheit des Haftungsbeteiligten (§ 64 StPO) vorgenommen werden, wenn dieser ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen wurde (§ 444 Abs 1 StPO), was vorliegend nach dem Akteninhalt gleichfalls nicht erfolgt ist.

Demzufolge war auch der verbleibende Teil des Verfallserkenntnisses bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§ 285e StPO) und die Sache insgesamt im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu verweisen. Eine (abweisende) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst hatte auch hinsichtlich der (teilweise) in Betracht kommenden Abschöpfung der Bereicherung schon aufgrund der fehlenden Rechtskraft des Adhäsionserkenntnisses (vgl erneut Fuchs/Tipold in WK² StGB § 20a aF Rz 14) noch nicht einzutreten (§ 285e StPO).

Mit seiner

gegen den Strafausspruch und gegen den von der Aufhebung betroffenen Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Berufung wird der Angeklagte Ing. Roland P***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Über die darüber hinausgehende Berufung gegen den nicht von der Aufhebung betroffenen Teil des Adhäsionserkenntnisses wird sodann das Oberlandesgericht zu entscheiden haben.

Die Kostenersatzpflicht, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht ( Lendl , WK-StPO § 390 Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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