European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00008.16T.0616.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas W***** des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB (1./) und des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er in K***** seiner am 15. Jänner 2015 geborenen, somit unmündigen Tochter Emily‑Joleen T*****, die seiner Fürsorge und Obhut unterstand, körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er sie mit beiden Händen unter ihren Achseln packte, ihren Brustkorb quetschte und das Kleinkind mit großer Heftigkeit schüttelte, und zwar
1./ am 12. März 2015, wobei die Tat infolge einer mit Atemstillstand verbundenen Hirnschwellung (unmittelbar darauf [US 6 f]) den Tod des Säuglings zur Folge hatte;
2./ etwa zehn Tage zuvor, wobei er weiters das linke Bein des Säuglings verdrehte bzw an diesem zerrte, wodurch dieser im Urteil näher beschriebene Verletzungen im Bereich des Großhirns, Serienrippenfrakturen und eine Fraktur im Bereich des linken Schienbeins erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Geltendmachung behaupteter Nichtigkeit aus Z 3 (iVm § 252 Abs 1 StPO) infolge Vorkommens der polizeilichen Angaben von sich der Aussage entschlagenden Zeuginnen durch Verlesung des schriftlichen Sachverständigengutachtens Dris. Franz S***** (ON 57) in der Hauptverhandlung, zumal „der bloße Verweis im Hauptverhandlungsprotokoll, wonach sämtliche gutachterliche Äußerungen, welche sich auf die Angaben dieser Personen beziehen, von der Verlesung ausgenommen werden, nicht ausreichend ist, um mit nachvollziehbarer Genauigkeit feststellen zu können, welche Teile des Gutachtens sich nun auf die Aussagen dieser Zeuginnen beziehen und welche nicht“, scheitert schon daran, dass der Vortrag des Akteninhalts in der vorgenommenen Form im Einverständnis mit den Parteien gemäß § 252 Abs 2a StPO erfolgte (ON 87 S 8).
Im Übrigen vermag die Verlesung von in einem Sachverständigenbefund enthaltenen Zeugenangaben keinesfalls einen – aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO beachtlichen – Verstoß gegen die Bestimmungen des § 252 Abs 1 StPO zu bewirken, weil die genannte Gesetzesstelle diesbezüglich auf die Verlesung amtlicher Schriftstücke abstellt (RIS‑Justiz RS0120787; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 28 f).
Der Einwand, das Erstgericht habe es auch unterlassen, im Rahmen der Gutachtenserörterung in der Hauptverhandlung den Sachverständigen zu befragen, ob die „Wegnahme“ der von diesen Zeuginnen getätigten Aussagen im Gutachten einen Einfluss auf das Ergebnis des Sachverständigen hätte, scheitert schon an entsprechender Antragstellung (RIS‑Justiz RS0099400).
Als Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) moniert die Mängelrüge, das Erstgericht habe die vom mündlich erstatteten Gutachten Dris. Franz S***** abweichenden Ausführungen in seiner schriftlichen Expertise, wonach er dem Angeklagten zwar attestiere, er wisse, dass das Schütteln eines Kindes grundsätzlich nicht gestattet sei, jedoch aufgrund seiner geistigen Minderbegabung möglicherweise die Grenze des Schüttelns nicht richtig abschätzen habe können, sodass es ihm nicht bewusst gewesen sei, mit welchen Folgen aufgrund der Intensität des Schüttelns zu rechnen wäre (vgl ON 26 S 37), mit Stillschweigen übergangen. Das Erstgericht war jedoch schon deshalb nicht zu einer eigenständigen Erörterung dieser Überlegung des Sachverständigen verhalten, weil er in der Hauptverhandlung seine Ausführungen dahin präzisierte, dass der Angeklagte gewusst habe, was beim Schütteln eines Kindes passiere und wie weit man gehen könne, sowie durchaus intellektuell in der Lage gewesen sei, bewusst zu handeln und die absehbaren Folgen zu übersehen (ON 87 S 3 f).
Der behauptete Widerspruch zwischen der Urteilsannahme, Melanie T***** habe begonnen, das Kind zu beatmen (US 7 oben), und der bloßen Wiedergabe der von ihr im Rettungswagen getätigten Äußerung, der Angeklagte habe dann Reanimationsmaßnahmen durchgeführt (US 7 unten), liegt nicht vor und betrifft überdies ebensowenig eine entscheidende oder erhebliche Tatsache (zu den Begriffen: Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 399 ff und 409 ff) wie die von der Rüge relevierten Angaben der genannten Zeugin zu ihrer Schlafintensität.
Zu der von der
Generalprokuratur angeregten amtswegigen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) Aufhebung des Schuldspruchs sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, der Angeklagte sei sich (jeweils) „des Umstandes bewusst (gewesen), dem Säugling durch seine Gewalteinwirkung körperliche und seelische Qualen zuzufügen“ (US 5, 9; vgl auch US 20), sowohl die Wissensseite als auch die für die Annahme von Eventualvorsatz weiters erforderliche Wollenskomponente (RIS‑Justiz RS0088986; Reindl‑Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 3 und 37 ff) um die tatsächlichen Umstände, die als Qualen im dargestellten Sinne zu beurteilen wären (vgl Jerabek in WK2 StGB § 92 Rz 19), hinreichend deutlich zum Ausdruck brachten. Denn gerade von diesem Bewusstsein war auch das dem Beschwerdeführer bekannte Alter des Opfers umfasst (US 5, 9, 20), sodass die Tatrichter damit offenkundig insgesamt von einem die Wollenskomponente inkludierenden Wissen im Sinne des § 5 Abs 3 StGB (RIS‑Justiz RS0088835 [T4]) ausgingen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19).
Unabhängig vom Vorliegen tatbestandlicher Handlungseinheit setzte der Nichtigkeitswerber die zum Tod des Kindes führende wiederholte Tathandlung während dessen aus seinem Zugriff etwa zehn Tage vor dem 12. März 2015 resultierenden und noch andauernden Leidenszustands (vgl US 5 f, 18), sodass auch zu Urteilsfaktum 1./ trotz unmittelbaren Todeseintritts die Tatbestandsmäßigkeit zu Recht bejaht wurde.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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