OGH 12Os10/16m

OGH12Os10/16m16.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Janisch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael Bu***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB in der Fassung vor BGBl I 2015/112 und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten Burak B***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Dogan Y*****, Eyüp A***** und Burak B***** sowie über die Berufungen des Angeklagten Diyar M***** und der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten Pascal P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 18. März 2015, GZ 7 Hv 123/14s‑409, sowie über die Beschwerden der Angeklagten Eyüp A*****, Burak B***** und Dogan Y***** gegen den unter einem verkündeten Beschluss gemäß §§ 50, 52 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00010.16M.0616.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Dogan Y*****, Eyüp A***** und Burak B***** werden ebenso zurückgewiesen wie die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld der Angeklagten Eyüp A***** und Burak B*****.

Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Dogan Y*****, Eyüp A*****, Burak B***** und Diyar M***** und der Staatsanwaltschaft gegen den Ausspruch über die Strafe sowie über die Beschwerden der Angeklagten Eyüp A*****, Burak B***** und Dogan Y***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Dogan Y*****, Eyüp A***** und Burak B***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Freisprüche sowie Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurden

Dogan Y***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB aF (A./1./a./ und b./ und 2./) und des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (A./10./) sowie der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (D./2./), der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (G./1./) und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (H./1./),

Eyüp A***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB aF, (A./2./ sowie 5./a./ und b./), des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A./3./) und des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (A./7./) sowie der Vergehen des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 3 StGB (B./), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB aF (E./2./) und des Diebstahls nach § 127 StGB (F./1./) und

Burak B***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A./3./) und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB aF (A./5./a./ und b./) sowie der Vergehen des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 3 StGB (B./) und des Diebstahls nach § 127 StGB (F./1./)

schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich der Antrag auf Wiedereinsetzung des Angeklagten Burak B***** und dessen auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, die bloß angemeldete Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Dogan Y***** und Eyüp A***** sowie Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld der Angeklagten Burak B***** und Eyüp A*****.

Zum Wiedereinsetzungsantrag sowie zur Nichtigkeitsbeschwerde (und zur Berufung wegen Schuld) des Angeklagten Burak B***** :

Am 23. März 2015 meldete dessen Verteidiger Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (wegen der Aussprüche über die Strafe, die Schuld und die privatrechtlichen Ansprüche) an (ON 415), worauf ihm am 14. August 2015 eine Urteilsausfertigung im elektronischen Rechtsverkehr zugestellt wurde (ON 1 S 122).

Vor Ablauf der vierwöchigen Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel am 11. September 2015 stellte der Verteidiger am 9. September 2015 einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel „um die angemessene Zeit, somit bis zum 16. Oktober 2015“ (ON 448).

Mit Beschluss vom 10. September 2015 (ON 450) bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Graz zwar eine Fristverlängerung „um zwei Wochen,bezeichnete jedoch – entgegen der aus § 285 Abs 2 StPO resultierenden Verpflichtung und ohne darzulegen, aufgrund welcher Überlegungen sich ein solcher Endtermin ergab – ausdrücklich den 28. September 2015 als letzten Tag der Frist. In der Beschlussbegründung führte es dazu – soweit hier von Interesse – aus, dass „eine Fristerstreckung um zwei Wochen gerechtfertigt“ ist, weil „gesamt betrachtet doch ein ganz außergewöhnlicher Umfang des Verfahrens vorliegt“. Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger am 14. September 2015 zugestellt.

Der Fortlauf der bereits laufenden – beschlussmäßig um zwei Wochen verlängerten – Frist war daher nach § 285 Abs 3 dritter Satz StPO von der Antragstellung am 9. September 2015 bis zur Bekanntmachung des Beschlusses am 14. September 2015 gehemmt (RIS‑Justiz RS0127192), sodass die Frist zur Ausführung des Rechtsmittels am 1. Oktober 2015 endete.

Am 13. Oktober 2015 (ON 466) beantragte der Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel und führte diese zugleich aus.

Er brachte dazu – zusammengefasst – vor, dass das Fristversäumnis am 29. September 2015 (im Schriftsatz auch irrig: 29. August 2015) deshalb bekannt geworden sei, weil „bei Durchblättern des Akts im Zuge der Fertigstellung der Nichtigkeitsbeschwerde in Zusammenschau mit dem im Akt befindlichen Beschluss vom 9. Oktober 2015“(ersichtlich gemeint: 10. September 2015) „aufgefallen ist, dass die Fristerfassung nicht stimmen kann, da das Gericht das Ende der Frist mit 28. Oktober 2015“(ersichtlich gemeint: 28. September 2015) „festgesetzt hat“. Der zuständigen Kanzleimitarbeiterin sei bei der Fristeintragung nämlich insoweit ein Fehler unterlaufen, als diese die Frist in den Fristenbüchern falsch erfasst habe, sodass die Frist beim zuständigen Juristen „am eigentlich letzten Tag der Frist (28. Oktober 2015[ersichtlich gemeint: 28. September 2015]) als Frist 101“ (die Kennzeichnung „Frist 101“ bedeute die Eintragung einer „Vorfrist“ einen Tag vor dem tatsächlichen Fristablauf) aufgeschienen sei. Da das Rechtsmittel zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig fertig gestellt gewesen sei, habe Mag. Matthias S***** die Frist auf den nächsten, vermeintlich letzten Tag der Frist übertragen lassen, zumal er – aufgrund der unrichtigen Eintragung – davon ausgegangen sei, dass die tatsächliche Frist am 29. Oktober 2015 (ersichtlich gemeint: 29. September 2015) endet. Da die Frist am Schriftstück selbst richtig erfasst gewesen und nur unrichtig in das digitale Fristenbuch übernommen worden sei, sei dieser Irrtum für den „überprüfenden Juristen“ nicht ersichtlich gewesen.

Der Wiedereinsetzungsantrag erweist sich als unberechtigt.

Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Angeklagten zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Die Strafprozessordnung macht also keinen Unterschied, ob ein zu Fristversäumnis führendes Versehen dem Angeklagten oder seinem Verteidiger, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterworfen ist, unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0101272 [insbes T8, 10]).

Im vorliegenden Fall hätte der Verteidiger spätestens am 29. September 2015, als ihm laut eigenem Vorbringen das – wie dargestellt zu diesem Zeitpunkt von ihm irrtümlich angenommene – Fristversäumnis bewusst wurde, den tatsächlichen Fristenlauf insbesondere durch Studium des Beschlusses vom 10. September 2015 unter Einbeziehung der in § 285 Abs 3 dritter Satz StPO unmissverständlich normierten Fortlaufshemmung (vgl dazu auch Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 16) einer fundierten Prüfung unterziehen müssen. Dabei hätte er feststellen können (und müssen), dass die Rechtsmittelausführungsfrist tatsächlich noch gar nicht abgelaufen war (vgl 12 Os 46/11y [zur Konstellation einer Fristverlängerung um einen Zeitraum bei gleichzeitiger Bezeichnung eines Endtermins]).

Von einem Versehen minderen Grades kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Denn mangelnde Rechtskenntnis des Verteidigers (hier der Bestimmung des § 285 Abs 3 dritter Satz StPO) als iSd § 364 Abs 1 Z 1 StPO „unvorhersehbarer“ oder „unabwendbarer“ Umstand beruht – angesichts der bei der Beurteilung des Grades der Sorgfaltswidrigkeit heranzuziehenden Maßfigur des gewissenhaften Rechtsanwalts – grundsätzlich auf grober Fahrlässigkeit und bietet daher keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund (RIS‑Justiz RS0101173; Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 27).

Bloß ausnahmsweise könnte dies jedoch der Fall sein, wenn die zu Fristversäumnis führende unrichtige Rechtsansicht durch einen Fehler des Gerichts veranlasst wurde (RIS‑Justiz RS0098989, RS0101415; Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 30, 33). Dann ist der Wegfall des Hindernisses erst zu jenem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem der Irrtum entweder tatsächlich erkannt wurde oder – ungeachtet des Gerichtsfehlers – bei pflichtgemäßer Sorgfalt für den Verteidiger erkennbar gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0101415 [T3 = 11 Os 135/14h mwN, RZ 2015/18, 188]). Das war im vorliegenden Fall der 29. September 2015, an dem dem Verteidiger bei – in seinem Wiedereinsetzungsantrag zugestandener – Durchsicht des Akts, insbesondere der Einsichtnahme in den Fristverlängerungsbeschluss im Zuge der Fertigstellung des Rechtsmittels hätte auffallen müssen, dass die Rechtsmittelfrist – ungeachtet der Fristverlängerung um zwei Wochen unter nicht näher determinierter Festsetzung eines Endtermins am 28. September 2015 – noch gar nicht abgelaufen war.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher abzuweisen.

Im Hinblick darauf war die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde als verspätet (§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO) ebenso als unzulässig zurückzuweisen wie die (rechtzeitig) angemeldete, im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld (§§ 280, 283 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0098904).

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten käme jedoch auch inhaltlich keine Berechtigung zu:

Soweit für deren Vorbringen von Relevanz, hat Burak B***** in G*****

A./ teils unter Verwendung einer Waffe nachstehenden Personen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung weggenommen

...

3./ am 7. April 2014 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Said Sö*****, Eyüp A*****, Serhat T***** und Diyar M*****, indem sie Thomas Se***** den Weg abschnitten und umringten, ihm Faustschläge und Tritte gegen Gesicht und Körper versetzten, von ihm Geld forderten und sodann dessen iPod samt Kopfhörer im Wert von ca 180 Euro wegnahmen;

...

5./ am 11. April 2014 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Said Sö*****, Eyüp A*****, Serhat T***** und Diyar M*****

a./ Daniel F***** Bargeld im Wert von 15 Euro, indem Said Sö***** ihn festhielt und Eyüp A***** ihn mit einem Messer und mit den Worten „Gib mir Geld, sonst schlitze ich dich auf!“ bedrohte;

b./ Constantin Z***** Gegenstände in unbekanntem Wert, indem einer der Täter ihn festhielt, Eyüp A***** ihn ebenso mit einem Messer bedrohte und Diyar M***** ihn nach Wertgegenständen durchsuchte, wobei es jedoch beim Versuch blieb, weil Z***** keine wertvollen Gegenstände bzw Bargeld bei sich hatte.

Die Rüge richtet sich zwar (nominell) gegen die Schuldsprüche A./3./ sowie 5./a./ und b./, doch blieb sie in Ansehung der Schuldsprüche A./5./a./ und b./ mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen unausgeführt (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO), weshalb sie insoweit von vornherein einer meritorischen Erledigung nicht zugänglich wäre.

Zum Schuldspruch A./3./ behauptet die – eine Unterstellung der Tat unter § 286 Abs 1 StGB anstrebende – Subsumtionsrüge (Z 10) zunächst, das Erstgericht habe keine „Feststellungen“ dafür angeführt, dass der Vorsatz „bereits derart weit gefasst war, sich an einer Raubhandlung zu beteiligen“ (dSn Z 5 vierter Fall). Dieses Vorbringen ignoriert die entsprechende Konstatierungen enthaltenden Beweiswerterwägungen der Tatrichter (US 28 bis 30), sodass die Rüge – als nicht an der Gesamtheit der Urteilsannahmen Maß nehmend – nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt wäre (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 394).

Auch die Behauptung, das Erstgericht habe zur subjektiven Tatseite „überhaupt keine Feststellungen“ getroffen, ohne darzulegen, welche konkreten Feststellungen vermisst werden, ist – insbesondere mit Blick auf US 27 – schlicht nicht nachvollziehbar.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dogan Y***** :

Dieser hat zwar rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet (ON 417), deren (schriftliche) Ausführung jedoch unterlassen, ohne dieses Rechtsmittel ausdrücklich zurückzuziehen (ON 446). Mangels – auch bei der Anmeldung unterbliebener – deutlicher und bestimmter Bezeichnung eines in § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO angegebenen Nichtigkeitsgrundes war daher die Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde (und zur Berufung wegen Schuld) des Angeklagten Eyüp A***** :

Auch die Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten war gemäß § 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO zurückzuweisen, hat er diese doch – ebenfalls ohne Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen – zwar rechtzeitig (wenn auch unter der verfehlten Bezeichnung „Berufung wegen Nichtigkeit“) angemeldet (ON 412), deren (schriftliche) Ausführung jedoch – ohne dieses Rechtsmittel ausdrücklich zurückzuziehen (vgl ON 451 S 7 [“a./ Berufung wegen Nichtigkeit: Dieser Berufungsgrund wird fallen gelassen.“]) – unterlassen.

Ebenso war mit seiner (rechtzeitig) angemeldeten und auch ausgeführten, im kollegialgerichtlichen Verfahren allerdings nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld zu verfahren.

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie der (implizierten) Beschwerden (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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