OGH 17Os2/16x

OGH17Os2/16x6.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Juni 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ernst H***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ernst H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 27. November 2015, GZ 37 Hv 89/15f‑20, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch, demgemäß auch im Strafausspruch und im Kostenausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Ernst H***** wird mit seinen Rechtsmitteln auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ‑ soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ‑ Ernst H***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im November 2012 in K***** als zur Prüfung von Fahrtschreibern, digitalen Kontrollgeräten und Geschwindigkeitsbegrenzern Ermächtigter (§ 24 Abs 4, 5 und 7 sowie § 24a Abs 5 KFG), mithin als Beamter (im strafrechtlichen Sinn), mit dem Vorsatz, dadurch „den Staat in seinem Recht auf ordnungsgemäße Prüfung von Fahrtschreiber(n), digitalen Kontrollgeräten und Geschwindigkeitsbegrenzern gemäß §§ 24 Abs 4, 24a Abs 5 KFG 1967 zu schädigen“, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er für einen ‑ im angefochtenen Urteil näher bezeichneten ‑ Lkw einen Prüfnachweis gemäß „§§ 24, 24a KFG 1967“ (vgl § 11 Abs 4, § 13 Abs 3 und Anlage 7 der Prüf- und Begutachtungsstellenverordnung [PBStV]) ohne dafür vorgesehene Messung mit einer Gerätekonstante von 11.900 (statt des bei der letzten Prüfung ermittelten Wertes von 10.650) ausstellte.

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten Ernst H***** aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass diesem Schuldspruch ein vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachter Rechtsfehler (Z 9 lit a) zu dessen Nachteil anhaftet, der von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Aufgrund des maßgeblichen Urteilssachverhalts (US 4 ff) sei der Beschwerdeführer zur Tatzeit im Sinn der §§ 24 Abs 5 und 24a Abs 5 KFG zur Prüfung von Fahrtschreibern, digitalen Kontrollgeräten und Geschwindigkeitsbegrenzern befugt gewesen. Am 20. September 2012 habe er das im gegenständlichen Lkw eingebaute Kontrollgerät geprüft und eine Gerätekonstante (vgl § 11 Abs 3 Z 2.1.1 PBStV) von 10.650 ermittelt. Auf Basis dieses Wertes werde die im Geschwindigkeitsbegrenzer (§ 24a KFG) einzustellende, zulässige Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h errechnet. Eine Erhöhung der Gerätekonstante erlaube eine höhere, tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit, während in der Aufzeichnung des Tachometers und des Kontrollgeräts nur eine Geschwindigkeit von 90 km/h aufscheine.

Nach dieser Prüfung durch den Beschwerdeführer habe eine (nicht festgestellte) Person unter Zuhilfenahme seiner ‑ gegen Missbrauch nicht ausreichend gesicherten (vgl § 24 Abs 9 KFG) ‑ Werkstattkarte das Messgerät manipuliert und die Gerätekonstante in mehreren Schritten auf einen Wert von 11.900 erhöht. Dem Beschwerdeführer sei dieser Wert am 22. November 2012 aufgefallen. Dennoch habe er ‑ seine Befugnis zur Ausstellung von Prüfnachweisen wissentlich missbrauchend ‑ diesen nachträglich geänderten Wert der Gerätekonstante in das ursprünglich erstellte Gutachten eingetragen, ohne eine neuerliche Prüfung vorzunehmen. Er habe dabei mit dem Vorsatz gehandelt, „den Staat in seinem Recht auf ordnungsgemäße Prüfung von Fahrtschreibern, digitalen Kontrollgeräten und Geschwindigkeitsbegrenzern gemäß §(§) 24 Abs 4, 24a Abs 5 KFG 1967 bzw. entsprechende Prüfnachweise derartiger Kontrollgeräte nur nach tatsächlicher Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen auf der Basis ordnungsgemäß festgestellter Daten auszustellen“, zu schädigen.

Nach ständiger Rechtsprechung reicht es für die Erfüllung des Tatbestands des § 302 Abs 1 StGB nicht aus, wenn sich der Schädigungsvorsatz des Beamten bloß auf das diesem gegenüber bestehende Recht des Staates auf Einhaltung jener Vorschriften bezieht, deren Verletzung das Tatbestandsmerkmal des Missbrauchs der Befugnis begründet (RIS‑Justiz RS0096270 [T10, T12, T14]). Kommt nicht ohnehin ein anderes (subjektives oder öffentliches) Recht in Betracht, setzt Missbrauch der Amtsgewalt voraus, dass der Täter die Vereitelung eines bestimmten (Schutz‑)Zwecks, den die von ihm (wissentlich) verletzte Vorschrift verfolgt, in seinen Schädigungsvorsatz aufnimmt (RIS-Justiz RS0096141 [insbesondere T14 und T15]; 17 Os 7/13b [17 Os 10/13v]).

Dass sich der Schädigungsvorsatz des Beschwerdeführers auf die Verletzung eines solchen ‑ im Sinn des § 302 Abs 1 StGB beachtlichen ‑ Rechtes oder die Vereitelung eines bestimmten Schutzzwecks bezog, hat das Erstgericht mit der zuvor wiedergegebenen Formulierung nicht zum Ausdruck gebracht, vielmehr bloß wissentlichen Fehlgebrauch der Vorschriften über die Durchführung derartiger Prüfungen und die Ausstellung von Prüfnachweisen festgestellt.

Der aufgezeigte Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Urteils im Ernst H***** betreffenden Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht.

Darauf war Ernst H***** mit seinen Rechtsmitteln zu verweisen.

Im weiteren Verfahren wird das Erstgericht ‑ in Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Verantwortung des Ernst H***** (vgl etwa ON 19 S 4 und 6) ‑ insbesondere zu klären haben, ob sich dessen Vorsatz auf Vereitelung eines bestimmten Schutzzwecks von ihm (wissentlich) verletzter Vorschriften bezog. Fahrtschreiber und Kontrollgeräte dokumentieren die Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten, Geschwindigkeitsbegrenzer verhindern Überschreitungen von nach Fahrzeugklassen festgelegten Höchstgeschwindigkeiten (§ 98 KFG iVm § 58 Kraftfahrzeug-Durchführungsverordnung [KDV]) durch Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge (vgl § 24 Abs 2 und § 24a Abs 1 und 2 KFG). Durch die Einhaltung dieser Höchstgeschwindigkeiten sowie von Lenk- und Ruhezeiten sollen ‑ (neben Zielsetzungen im Bereich des Wettbewerbsrechts und des Arbeitsrechts) hier von Bedeutung ‑ die Sicherheit im Straßenverkehr und der Umweltschutz verbessert werden (vgl etwa die Punkte 1, 14, 17 und 26 der Erwägungen der VO [EU] 561/2006, ABl L 2006/102, 1 sowie die Erwägungen zur RL [EG] 85/2002, ABl L 2002/327, 8). Diese im Interesse der Allgemeinheit (der übrigen Verkehrsteilnehmer) gelegenen Schutzzwecke sowie der Anspruch des Staates, die Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten sowie von ziffernmäßig festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten zu kontrollieren und Verstöße als Verwaltungsübertretungen zu sanktionieren (§ 102 Abs 11a sowie § 134 Abs 1, 1a, 1b, 3 und 3a KFG), können einen tauglichen Bezugspunkt des tatbestandlichen Schädigungsvorsatzes bilden. Im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt werden dazu (mängelfrei begründete) Feststellungen zu treffen sein.

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