European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114666
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Allgemeine (weitere) Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung (nach § 382b EO) blieb auch nach dem Gewaltschutzgesetz das dringende Wohnbedürfnis des Antragstellers. Eine Abwägung, ob das Wohnbedürfnis des Antragstellers oder des Antragsgegners dringender ist, hat nicht stattzufinden (7 Ob 6/13b).
2. Ob das dringende Wohnbedürfnis gemäß § 382b EO nach den im vorliegenden Einzelfall festgestellten Umständen zu bejahen ist oder nicht, ist keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042789 [T1]). Einzelfallbezogene Fragen sind nur dann einem Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof zugänglich, wenn die Vorinstanzen bei ihrer Beantwortung einer groben Fehlbeurteilung erlegen sind. Dies ist hier nicht der Fall:
3. Das Wohnbedürfnis ist grundsätzlich so lange „dringend“, solange nicht der Antragsgegner das Gegenteil darlegt. Die Rechtsprechung geht daher davon aus, dass die Behauptungs‑ und Bescheinigungslast dafür, dass die Ehewohnung nicht der Befriedigung eines „dringenden“ Wohnbedürfnisses eines Ehegatten dient, den Antragsgegner trifft, er hat den Ausnahmefall der anderweitigen Deckung des Wohnbedürfnisses seines Ehegatten zu beweisen (7 Ob 6/13b mwN).
Ein dringendes Wohnbedürfnis ist im Allgemeinen nur dann nicht gegeben, wenn eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht. Der Antragsteller müsste in eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts ausweichen können (RIS‑Justiz RS0006012 [T4]). Im Tatsächlichen darf aber die Qualität einer dem Antragsteller zumutbaren Ersatzwohnung sein angemessenes Wohnbedürfnis nicht erheblich unterschreiten (7 Ob 6/13b). Auch gesundheitliche Gründe des Ehegatten können bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses eine Rolle spielen (7 Ob 760/80). In der Entscheidung 3 Ob 235/09v, auf die bereits das Rekursgericht verwies, nahm der Oberste Gerichtshof dahin Stellung, dass dem dortigen Kläger, der seinen Lebensmittelpunkt in Wien hatte, eine Übersiedlung nach St. Aegyd, selbst unter der Annahme, dass er seine berufliche Tätigkeit auch von dort aus ausüben könnte, wegen der Entfernung zu Wien nicht zugemutet werden könne, weshalb das Vorliegen einer tatsächlich gleichwertigen Wohnmöglichkeit verneint wurde.
Die gefährdete Partei leidet an Lymphdrüsen‑, Schilddrüsen‑ und Brustkrebs, weiters an Diabetes und an systemischem Lupus Erythematodis (Autoimmunerkrankung, bei welcher sich körpereigene Abwehrmechanismen, die eigentlich vor Infektionen und Krebs schützen sollen, gegen das eigene, gesunde Gewebe richten). Sie absolviert ihre medizinischen Krebsbehandlungen im AKH L*, weiteres ist sie bei ihrem dort ansässigen Hausarzt in Behandlung. Aufgrund ihrer chronischen, teils schweren Erkrankungen benötigt sie eine regelmäßige medizinische Betreuung. Es ist unbedingt empfehlenswert, diese Behandlung bei ihren vertrauten Ärzten, welche den Krankheitsverlauf und ihre psychische Situation bestens kennen und einschätzen können, weiter durchzuführen. Die Entfernung zwischen der Ehewohnung und dem von der gefährdeten Partei geerbten Haus beträgt 138 km. Die Entfernung von der Ehewohnung in das AKH L* beträgt 54 km, die Entfernung vom geerbten Haus zum AKH L* 176 km.
Ausgehend von diesem Sachverhalt und vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung erachtete das Rekursgericht, dass der gefährdeten Partei ein Umzug in das geerbte Haus nicht zuzumuten sei und dieses daher nicht die Qualität einer zumutbaren Ersatzwohnung aufweise. Der schwer kranken gefährdeten Partei, deren regelmäßige medizinische Betreuung im AKH L* sowie durch ihren Hausarzt erforderlich sei, sei es nicht zuzumuten, in das 138 km entfernte geerbte Haus zu übersiedeln. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der Judikatur.
4. Soweit der Gegner der gefährdeten Partei argumentiert, dass trotz der größeren Entfernung des geerbten Hauses, dessen verkehrstechnische Infrastruktur günstiger sei, weil von dort aus das AKH L* jedenfalls schneller erreicht werden könne als von der Ehewohnung aus, übersieht er, dass er entsprechende Behauptungen im erstgerichtlichen Verfahren nicht aufstellte.
5. Die Ausführungen des Gegners der gefährdeten Partei, die gefährdete Partei sei bereit, gegen eine Ausgleichszahlung auf die Ehewohnung zu verzichten, geht gleichfalls ins Leere, hat doch eine allfällige Ausgleichszahlung, die in der Regel erst der zukünftigen Beschaffung einer Ersatzwohnung dient (vgl RIS‑Justiz RS0047461), keinen Einfluss auf das zum jetzigen Zeitpunkt zu beurteilende Wohnbedürfnis.
6. Da sich die Beurteilung des Rekursgerichts, das von der gefährdeten Partei geerbte Haus stelle keine gleichwertige Wohnmöglichkeit dar, als nicht korrekturbedürftig erweist, kommt dem Umstand, dass die gefährdete Partei das geerbte Haus ihren Kindern schenkte, keine Bedeutung zu.
7. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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