European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00077.15D.0524.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.259,64 EUR (darin 209,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten von Mai 1992 bis 30. 6. 2012 als Flugkapitän beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis waren der „Kollektivvertrag für das Bord-Personal der Austrian Airlines und Lauda-Air“ (KV-Bord) samt Garantieerklärung, der mit 31. 3. 2015 befristete Zusatz-KV „Einsparungspaket“ sowie der Zusatz-KV 2 „KV-Alt“ anzuwenden.
Am 15. 2. 2012 kündigte der zuständige Fachverband der Wirtschaftskammer Österreich als Vertragspartner des KV-Bord auf Arbeitgeberseite ein Schreiben an die Gewerkschaft vida als Vertreterin auf Arbeitnehmerseite den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air (…) sowie alle Zusatzkollektivverträge, Anhänge und Zusatzprotokolle „zum nächst möglichen Termin“. Die Gewerkschaft vida erklärte daraufhin am 20. 3. 2012, sie fasse das Kündigungsschreiben als Angebot des Kollektivvertragspartners auf, den Zusatz-KV „Einsparungspaket“ vor Ablauf seiner Befristung sofort zu beenden, und nehme dieses Angebot an.
Das Dienstverhältnis des Klägers endete unstrittig durch gemäß § 3 Abs 5 AVRAG privilegierte Dienstnehmerkündigung. Die Beklagte bezahlte dem Kläger die Abfertigung (alt) auf Basis jenes reduzierten Gehalts, das sich aus den Bestimmungen des Zusatz-KV „Einsparungspaket“ aufgrund eines Gehaltsverzichts des fliegenden Personals ergeben hatte.
Gegenstand der Klage ist der Anspruch auf die Differenz zu jenem Abfertigungsbetrag, der sich ohne Berücksichtigung der kollektivvertraglichen Entgeltreduktion ergeben würde. Der Kläger vertritt den Standpunkt, der Zusatz-KV „Einsparungspaket“ (in der Folge nur: Zusatz-KV) wahre in seinem Punkt 4. bei „objektiv betriebsbedingter Kündigung“ den Anspruch auf Abfertigung nach der ungekürzten Bemessungsgrundlage. In eventu stützte er seinen Anspruch darauf, dass die Geltung des Zusatz-KV am 20. 3. 2012 einvernehmlich von den Kollektivvertragsparteien beendet worden und der Gehaltsverzicht daher nicht mehr wirksam gewesen sei.
Die Beklagte bestritt ein vorzeitiges Außerkrafttreten des Zusatz-KV. Die Selbstkündigung des Klägers sei dessen subjektive Entscheidung gewesen und keiner „objektiv betriebsbedingten Dienstgeberkündigung“ im Sinne des Zusatz-KV gleichzuhalten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme eines unbekämpft abgewiesenen Zinsenmehrbegehrens) statt. Es kam zu dem Ergebnis, dass der Zusatz-KV „Einsparungspaket“ von den Kollektivvertragsparteien im festgestellten Korrespondenzwege einvernehmlich vorzeitig beendet worden sei. Davon abgesehen wäre eine privilegierte Dienstnehmerkündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG wegen Betriebsübergangs unter den Begriff einer „objektiv betriebsbedingten Kündigung“ im Sinne des Punkt 4. des Zusatz-KV einzuordnen.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge.
Es widersprach zwar der Auffassung des Erstgerichts, dass es zu einer vorzeitigen Aufhebung des Zusatz-KV „Einsparungspaket“ durch Konsens der Kollektivvertragsparteien gekommen sei, billigte aber dessen Rechtsausführungen über die Auslegung des Punkt 4. des Zusatz-KV. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung von über den Anlassfall hinausreichender Bedeutung sei.
Die Revision der beklagten Partei strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn an. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig. Zwar steht der Zusatz-KV „Einsparungspaket“ (nunmehr schon wegen Fristablaufs) nicht mehr in Kraft, es ist aber nicht ausgeschlossen, dass vom Anlassfall abgesehen noch Ansprüche anderer ehemaliger Dienstnehmer der Beklagten strittig sind, für deren Beurteilung seine Auslegung von Bedeutung ist. Auch zum Verständnis des § 3 Abs 5 AVRAG erscheint im gegebenen Zusammenhang im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsfortentwicklung eine Klarstellung geboten.
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
1. Nach § 3 Abs 5 AVRAG kann ein Arbeitnehmer, wenn durch den nach Betriebsübergang anzuwendenden Kollektivvertrag oder die nach Betriebsübergang anzuwendenden Betriebsvereinbarungen Arbeitsbedingungen wesentlich verschlechtert werden, innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, ab dem er die Verschlechterung erkannte oder erkennen musste, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen oder der kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine lösen. Dem Arbeitnehmer „ stehen die zum Zeitpunkt einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung “ zu.
Welche Ansprüche dem Kläger bei einer Arbeitgeberkündigung gebührt hätten, ist aufgrund der geltenden gesetzlichen, kollektiv- und einzelvertraglichen Bestimmungen zu prüfen (vgl auch EUGH C-396/07 , Juuri Rz 25, 26). Das vorliegende Verfahren beschränkt sich auf die Frage, welche Abfertigung dem Kläger bei (fiktiver) Arbeitgeberkündigung gebührt hätte.
2. Bemessungsgrundlage für die Abfertigung nach § 23 Abs 1 AngG ist das für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührende Entgelt. In dieser Höhe wurde der Anspruch des Klägers auch unstrittig von der Beklagten erfüllt.
Der Anspruch des Klägers auf Anwendung einer höheren Bemessungsgrundlage kann sich daher ausschließlich auf den Punkt 4. des Zusatz-KV stützen, der lautet: „ Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter Dienstgeberkündigungen sowie Zahlungen aus Dienstjubiläen erfolgen von jener Bemessungsgrundlage, die gegolten hätte, wenn kein Einsparungspaket vereinbart worden wäre .“
Die in erster Instanz strittige, vom Berufungsgericht aber mit zutreffender Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO) bejahte Geltung des Zusatz-KV bei Beendigung des klägerischen Dienstverhältnisses wird von der Revision nicht in Frage gestellt.
3. Entscheidend ist im vorliegenden Fall daher die Auslegung des im Punkt 4. Zusatz-KV gebrauchten Begriffs der „objektiv betriebsbedingten“ Dienstgeberkündigung.
Die Vorinstanzen haben diesen Begriff dahin verstanden, dass die Gründe einer solchen Kündigung ganz allgemein der betrieblichen Sphäre zuzurechnen sind, im Gegensatz zu einer „personenbedingten“ Kündigung, deren Gründe in der Sphäre des Arbeitnehmers, insbesondere seinen persönlichen Eigenschaften oder Verhaltensweisen, liegen.
4. Die Revision führt demgegenüber aus, der Begriff der „betriebsbedingten Kündigung“ im Sinne des Zusatz-KV sei als „allgemeiner Fachausdruck“ zu verstehen, wenngleich er aus dem Bereich der arbeitsverfassungsrechtlichen Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG entlehnt erscheine. Tatsächlich meine der Zusatz-KV mit „objektiv betriebsbedingten“ Kündigungen ausschließlich solche, die wegen eines beabsichtigten Stellenabbaus ausgesprochen würden. Dieser Fall liege nicht vor, da die Beklagte an der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers überhaupt kein Interesse gehabt habe.
Diese Argumente der Revisionswerberin können im Ergebnis aber nicht überzeugen.
5. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten. Bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten ist daher, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS-Justiz RS0008828).
Die von der Beklagten angestrebte Einschränkung der Geltung des Punkt 4. Abs 3 Zusatz‑KV auf Fälle eines Personalabbaus hätte zur Konsequenz, dass solche Kündigungen gegenüber anderen – ebenfalls nicht in der Person des Arbeitnehmers begründeten – Dienstgeber-kündigungen (zB Austauschkündigungen, Änderungs-kündigungen) bezüglich der Beendigungsansprüche privilegiert wären. Welchen rechtfertigenden Zweck eine solche unterschiedliche Behandlung verfolgen könnte, lässt sich nicht erschließen.
Überhaupt kann den Kollektivvertragsparteien nicht zugesonnen werden, dass sie mit dem im Zusatz-KV vereinbarten temporären Gehaltsverzicht langjähriger Mitarbeiter gleichzeitig deren Kündigung für den Dienstgeber infolge geringerer Abfertigungslast finanziell attraktiver machen wollten. Die Regelung des Punkt 4. Abs 3 Zusatz-KV sollte offenkundig diese unerwünschte Konsequenz verhindern.
6. Der Wortsinn der strittigen Formulierung enthält keinen Anhaltspunkt für die von der Beklagten angestrebte einschränkende Interpretation, und zwar gerade dann nicht, wenn der Begriff „betriebsbedingt“ im Sinne der Revisionswerberin als „allgemeiner“ verstanden werden soll. Bei einem offenen Begriffsverständnis könnten – wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist – alle vorstellbaren Gründe für die Kündigung eines Dienstverhältnisses entweder unter „betriebsbedingte“ oder „personenbedingte“ eingeordnet werden.
7. Nach dem arbeitsverfassungsrechtlichen Begriffsverständnis bezieht sich eine „objektiv betriebsbedingte“ Kündigung auf betriebsbezogene Umstände oder Vorgänge, die nichts mit der Person des Gekündigten zu tun haben ( Karl , Sozial ungerechtfertigte Kündigung 122; Wolligger in ZellKomm² § 105 ArbVG Rz 213). Es handelt sich allgemein um wirtschaftliche, technische oder organisatorische Belange, die auch keine Notlage voraussetzen, sondern der freien unternehmerischen Entscheidung des Dienstgebers überlassen sind, wie rentabilitätserhöhende Rationalisierungsmaßnahmen, Betriebseinschränkungen oder Betriebsstilllegungen ( Wolligger aaO Rz 214 mwN; 8 ObA 1/02h).
Unter dieses allgemeine Begriffsschema fällt aber auch ein durch Unternehmensfusion herbeigeführter Betriebsübergang. Dass diesem in der Anfechtungspraxis tatsächlich keine Rolle zukommen kann, weil eine wegen Betriebsübergangs ausgesprochene Kündigung nicht anfechtbar, sondern unwirksam wäre, steht der ausschließlich zur Auslegung des Kollektivvertrags erforderlichen, abstrakten Einordnung als „objektiv betriebsbedingt“ nicht entgegen.
8. Persönliche Kündigungsmotive des Klägers sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Soweit die Beklagte seine Kündigung deswegen als „in der Person bedingt“ ansehen möchte, weil nur er selbst das Dienstverhältnis beenden habe wollen, vermengt sie den Entschluss des Klägers zur Ausübung des Gestaltungsrechts mit den für diese Entscheidung maßgeblichen Gründen.
9. Zusammenfassend ist für die Höhe des Abfertigungsanspruchs nach § 3 Abs 5 AVRAG zu ermitteln, was gelten würde, wenn die Beklagte den Kläger wegen des bevorstehenden Betriebsübergangs gekündigt hätte.
Eine derartige Kündigung wäre ungeachtet des Art 4 Abs 1 der BetriebsübergangsRL nicht unmöglich, weil das Kündigungsverbot nur relativ wirkt (ua Binder , AVRAG² § 3 Rz 93 mwN). Lässt der Arbeitnehmer eine an sich unwirksame Kündigung gegen sich gelten, dann folgen daraus Beendigungsansprüche, die nach Gesetz und Kollektivvertrag zu bestimmen sind.
Eine iSd § 3 Abs 5 AVRAG privilegierte Dienstnehmerkündigung beruht als wirtschaftliche, technische bzw organisatorische Maßnahme auf „objektiv betriebsbedingten“ Gründen iSd Punkt 4. Abs 3 Zusatz-KV, sodass für den Abfertigungsanspruch des Klägers jene höhere Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist, die ohne den im „Einsparungspaket“ vereinbarten befristeten Gehaltsverzicht gegolten hätte.
Die Revision ist daher nicht berechtigt.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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