OGH 26Os11/15k

OGH26Os11/15k16.3.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 16. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Hausmann sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 8. Oktober 2014, AZ D 244/13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Kammeranwalt-Stellvertreters Dr. Reif‑Breitwieser und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt Mag. ***** des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung schuldig erkannt.

Demnach hat er der Aufforderung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 25. Juni 2013, über den Stand eines bestimmten beim Handelsgericht Wien geführten Verfahrens gemäß § 22 RL‑BA zu berichten, trotz Urgenz vom 8. August 2013 keine Folge geleistet.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten (vgl RIS‑Justiz RS0128656).

Nach den wesentlichen, nicht bekämpften, Feststellungen des Disziplinarrats übernahm Mag. ***** im Mai 2013 für eine Mandantin die Vertretung auf der Aktivseite in einem gegen eine Rechtsanwaltsgesellschaft schon anhängigen Verfahren vor dem Handelsgericht Wien. Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 ersuchte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien, der schon aufgrund einer von einem früheren Klagevertreter erstatteten Meldung gemäß § 22 RL‑BA 1977 von diesem Verfahren Kenntnis hatte, den Beschuldigten, binnen 14 Tagen einen Bericht über den Stand des Verfahrens zu erstatten. Da dieser nicht antwortete, ersuchte der Ausschuss ihn mit Schreiben vom 8. August 2013, zugestellt am 19. August 2013, neuerlich um Bericht über den Stand des Verfahrens, und zwar binnen acht Tagen. Mit diesem Schreiben wurde der Beschuldigte auch daran erinnert, dass der Rechtsanwalt gemäß § 23 RL‑BA 1977 und § 28 der Geschäftsordnung die ihm von der Rechtsanwaltskammer erteilten Aufträge zu befolgen hat. Er wurde mit diesem Schreiben weiters darauf hingewiesen, dass der Akt bei Nichteinhaltung der Frist wegen Nichterstattung der Äußerung dem Kammeranwalt zur weiteren Veranlassung abgetreten wird. Dessen ungeachtet erstattete der Beschuldigte weder einen Bericht über den Stand des Verfahrens noch eine sonstige Stellungnahme.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung verfehlt ihr Ziel.

1. Die Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO) nimmt auf Z 1 und 2 des § 260 Abs 1 StPO Bezug, lässt jedoch offen, an welchem Defizit das Referat der entscheidenden Tatsachen im Spruch der angefochtenen Entscheidung (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO, § 77 Abs 3 DSt; vgl Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 6 ff) leiden soll und weshalb aus dem Spruch das dem Beschuldigten angelastete Disziplinarvergehen ‑ vgl § 1 Abs 1 erster Fall DSt ‑ nicht zu erkennen sei (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO). Mit § 260 Abs 1 Z 4 StPO wiederum spricht sie keine nichtigkeitsbewehrte Vorschrift an.

2. Die Rechtsrüge (der Sache nach Z 9 lit a) verfehlt mangels des für die Ausführung materiell‑rechtlicher Nichtigkeitsgründe gesetzlich gebotenen Festhaltens am festgestellten Sachverhalt die Ausrichtung am Verfahrensrecht (vgl RIS‑Justiz RS0099810). Denn entgegen dem Berufungsvorbringen wurde der Beschuldigte nicht zu einem das zivilgerichtliche Verfahren inhaltlich betreffenden, sondern bloß zu einem Bericht „über den Stand des Verfahrens gemäß § 22 RL‑BA 1977“ (ES 2 f) aufgefordert, wonach der Rechtsanwalt dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen hat, wenn er eine Vertretung gegen ein anderes Mitglied einer Rechtsanwaltskammer übernimmt, und über das Ergebnis der Vertretung zu berichten hat.

Nachträgliches Vorbringen von Nichtigkeitsgründen entspricht nicht der Verfahrensordnung, weshalb auf die vom Beschuldigten noch eingebrachte „Äußerung“ nicht mehr einzugehen war.

Anzumerken bleibt: Der Beschuldigte hat es dem festgestellten Sachverhalt zufolge unterlassen, dem Ausschuss mitzuteilen, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Schon durch die bloße Mitteilung der (dem Berufungsvorbringen zufolge) am 27. Juni 2013 erfolgten Beendigung des Vollmachtsverhältnisses hätte der Beschuldigte übrigens der Berichtspflicht gemäß § 22 RL‑BA 1977 entsprochen. Er übersieht zudem, dass er nicht nur der (von ihm aus eigener Initiative wahrzunehmenden) Berichtspflicht nach § 22 RL‑BA 1977 unterlag, sondern dass er auch nach § 23 RL‑BA 1977 verpflichtet war, Weisungen und Aufträge der Rechtsanwaltskammer zu befolgen. Eine Nichtbeachtung derartiger ‑ gerechtfertigter ‑ Weisungen und Aufträge (wie der vorliegenden Aufforderungen vom 25. Juni 2013 und vom 8. August 2013) stellt nach ständiger Rechtsprechung eine Berufspflichtenverletzung dar (zB 26 Os 8/14t, 26 Os 2/14k).

Diese Verpflichtungen bestehen übrigens auch nach den RL‑BA 2015 weiter: In § 25 RL‑BA 2015 wurde die Regelung des § 22 RL‑BA 1977 dahin ergänzt, dass die Übernahme der Vertretung „unter kurzer Darlegung des Sachverhaltes“ anzuzeigen ist. Auch § 26 RL‑BA 2015 enthält weiterhin die schon in § 23 RL‑BA 1977 enthalten gewesene Verpflichtung des Rechtsanwalts, die ihm von der Rechtsanwaltskammer erteilten Aufträge zu befolgen.

Gemäß § 23 Abs 2 RAO hat die Rechtsanwaltskammer für die Überwachung der Pflichten ihrer Mitglieder zu sorgen. Gerade die Verständigung nach § 22 RL‑BA 1977 verschafft der Rechtsanwaltskammer die erforderliche Kenntnis davon, dass ein Rechtsanwalt möglicherweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist und die Aufsichtspflicht wahrgenommen werden muss (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 22 RL‑BA 1977 Rz 1). Handelt es sich um eine Klage wegen größerer Verbindlichkeiten, kann dies die Notwendigkeit einer Kanzleinachschau in Ausübung des Überwachungsrechts gemäß § 23 Abs 2 RAO mit sich bringen (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 22 RL‑BA 1977 Rz 2).

Entgegen dem Berufungsstandpunkt, dass „die Pflicht und das Recht zur Verschwiegenheit absolut gelten und jedes marginale Detail der Klientenbeziehung umfassen, insbesondere den Umstand, wie und in welchem Stadium ein Verfahren gediehen ist“, bestehen Verschwiegenheitspflicht und -recht nicht absolut, sondern nur hinsichtlich jener Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse der Partei gelegen ist (§ 9 Abs 2 erster Satz RAO). Die besonderen Regelungen in §§ 22 f RL‑BA 1977 dienen einer wirkungsvollen Ausübung der standesbehördlichen Überwachungs- und Aufsichtspflichten (16 Bkd 6/11), welche bei generalisierender Betrachtung jedem Mandanten eines Rechtsanwalts zu Gute kommt und daher jedenfalls in dessen Interesse gelegen ist, womit ein Geheimhaltungsinteresse an den entsprechenden von § 22 RL‑BA 1977 angesprochenen (auf die bezeichneten Standeszwecke strikt eingeschränkten) prozessualen Tatsachen von vornherein nicht gegeben ist.

Neben gesetzlichen Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht ergeben sich Ausnahmen in jenen Fällen, in denen Parteieninteressen nicht (mehr) betroffen sind oder eine Interessenabwägung den Ausschlag zu Gunsten eines höherwertigen Rechtsgutes eine Durchbrechung rechtfertigt (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 9 RAO Rz 35). Eine solche Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht ist zu Gunsten der Durchsetzung des Überwachungsrechts gemäß § 23 Abs 2 RAO gerechtfertigt.

Die Nichterfüllung von Aufträgen oder Weisungen des Ausschusses kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die anwaltliche Verschwiegenheit dem entgegenstehe, da die Funktionäre der Rechtsanwaltskammer selbst einer solchen Verschwiegenheit bei Ausübung ihrer Funktion unterliegen (§ 25 der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss 2010; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 23 RL‑BA 1977 Rz 7).

3. Der Disziplinarrat hat über den Beschuldigten eine Geldbuße von 1.000 Euro verhängt. Zu einer Reduktion (vgl § 49 DSt aE) dieser milden Sanktion sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst.

4. Der Berufung war demnach in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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