OGH 26Os8/14t

OGH26Os8/14t11.12.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Broesigke und Dr. Wlaka sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwältin in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 20. März 2013, AZ D 222/12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0260OS00008.14T.1211.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien aufgehoben.

Es liegt Grund zur Disziplinarbehandlung der Beschuldigten Dr. ***** in mündlicher Verhandlung wegen des Vorwurfs vor, sie habe bei Abwicklung der von ihr übernommenen Treuhandschaft betreffend den Kaufvertrag N***** vom 21. Juli 2008 über die Eigentumswohnung W 10 im Haus EZ ***** im Rahmen des elektronischen Anwaltlichen Treuhandbuchs die Aufforderung der RAK Wien/eATHB vom 12. Juli 2012 zu AZ eATHB *****, die Historisch‑Setzung zu veranlassen, Einzahlungsbeleg und Kontoauszüge vorzulegen und die Kontoschließung nachzuweisen, trotz Urgenzen vom 22. August, 12. September und 1. Oktober 2012 nicht befolgt und auch sonst nicht reagiert.

Zur Durchführung des weiteren Verfahrens werden die Akten dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Einstellungsbeschluss sprach der Disziplinarrat aus, es bestehe kein Grund zur Disziplinarbehandlung der Beschuldigten hinsichtlich des oben genannten Vorwurfs.

Der Disziplinarrat begründete die Einstellung damit, dass die Treuhandschaft im Juli 2008 übernommen wurde, weshalb ihrer Abwicklung „das eATHB‑Statut 2000“ (und nicht das aktuelle „Statut 2010“) zugrundegelegen sei. Aufgrund des eATHB‑Statuts 2000 habe keine Verpflichtung zur Vorlage der Kontoauszüge, Zahlungsbelege und Kontoschließungs‑Nachweise bestanden sodass demjenigen, der einer entsprechenden Aufforderung des Treuhandbuchs nicht nachgekommen sei, kein disziplinäres Verhalten angelastet werden könne.

Rechtliche Beurteilung

In der dagegen erhobene Beschwerde führt der Kammeranwalt im Wesentlichen aus, „dass zufolge der Ermächtigungsbestimmung des § 37 RAO zum Zeitpunkt der Abwicklung des gegenständlichen Kaufvertrags und der damit im Zusammenhang übernommenen Treuhandschaft die RL‑BA 1977 in der Fassung 1. Jänner 1978 in Kraft“ gewesen wären; demgemäß wären „auch die in § 9b der RL‑BA 1977 angeführten Erfordernisse und Bedingungen“ von der Beschuldigten zu beachten gewesen. Überdies stelle es eine disziplinäre Verfehlung dar, dass sie „den konkreten Aufträgen und Anfragen der Rechtsanwaltskammer/eATHB in Entsprechung des § 23 RL‑BA weder nachgekommen“ sei noch sich hiezu in geeigneter Form geäußert“ habe. Die Beschwerde ist berechtigt.

Zwar ist die vom Kammeranwalt ins Treffen geführte Bestimmung des § 9b RL‑BA 1977 ‑ ebenso wie § 37 Abs 1 Z 2b RAO ‑ mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Dezember 2008, G 15/08‑12, V 304, 305/08/12, mit Wirkung vom 31. Dezember 2009 aufgehoben worden (BGBl II 2009/13 sowie BGBl I 2009/1), weshalb daraus im Anlassfall ‑ bei einem Tatzeitraum zwischen 12. Juli 2012 und 1. Oktober 2012 keine Verpflichtungen erwachsen konnten. Doch ist aus disziplinärer Sicht wesentlich, dass Rechtsanwälte, wie die Beschwerde zutreffend moniert, gemäß § 23 RL‑BA 77 (auf welche Bestimmung die Beschuldigte im Schreiben vom 27. September 2012 auch ausdrücklich hingewiesen wurde [Einstellungsbeschluss S 3]) die ihnen von der Rechtsanwaltskammer erteilten Aufträge zu befolgen und ihrer gegenüber der Kammer bestehenden Pflichten zu erfüllen haben. Eine Nichtbeachtung derartiger ‑ gerechtfertigter ‑ Weisungen und Aufträge der Rechtsanwaltskammer stellt nach ständiger Rechtsprechung ein Vergehen des Rechtsanwalt gegen seine Berufspflichten dar (RIS‑Justiz RS0112874, RS0055017).

Die Rechtmäßigkeit der konkreten Aufträge ergibt sich insbesondere aus § 10a RAO, der gemäß Art 11 § 1 BRÄG 2010, BGBl I 2009/141, mit 1. Jänner 2010 in Kraft getreten ist und dessen Anwendung sich ‑ lege non distinguente ‑ nicht auf erst nach Ablauf des 31. Dezember 2009 übernommene Treuhandschaften beschränkt. Danach ist der Rechtsanwalt allgemein verpflichtet, der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer bei Beendigung der Treuhandschaft Meldung zu erstatten (Abs 4 zweiter Satz leg cit) und ihr „eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Abwicklung der von ihm übernommenen Treuhandschaften ... durch entsprechende Auskünfte und durch Einsichtnahme in alle die von ihm übernommenen Treuhandschaften betreffenden Unterlagen ... zu ermöglichen“ (Abs 5 erster Satz leg cit). Die Einhaltung dieser Pflichten des Rechtsanwalts ist von der Rechtsanwaltskammer auch zu überprüfen (§ 23 Abs 4 erster Satz RAO).

Der Beschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur Folge zu geben und gemäß § 89 Abs 2b zweiter Satz StPO (§ 77 Abs 3 DSt; vgl Fabrizy, StPO12 § 89 Rz 3) in der Sache zu entscheiden (§ 28 Abs 2 DSt).

Stichworte