OGH 8Ob63/15w

OGH8Ob63/15w19.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Dr. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Unterhaltssache der Minderjährigen 1. L*, geboren am *, 2. D*, geboren am *, beide wohnhaft bei ihrer Mutter S*, beide vertreten durch ihre Mutter, diese vertreten durch Dr. Eveline Landmann, Rechtsanwältin in Kirchbichl, über den Revisionsrekurs des Vaters Mag. C*, vertreten durch Dr. Anton Keuschnigg, Rechtsanwalt in Kitzbühel, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 20. März 2015, GZ 52 R 117/14h‑65, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 12. November 2014, GZ 5 PU 130/10s‑60, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E113707

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit Vergleich vom 14. Februar 2011 verpflichtete sich der Vater ab 1. Jänner 2011 (unter anderem) zur Unterhaltsleistung von je 417 EUR für die beiden Kinder sowie zur Übernahme der Hälfte der Kosten für Sportpässe, Musikunterricht und Ballettunterricht. Der Vater ist Gesellschafter einer OG, in der er gemeinsam mit einem Partner eine Werbeagentur betreibt.

Im September 2013 beantragte der Vater, den Unterhalt für diese beiden Kinder auf 320 EUR bzw 366 EUR herabzusetzen und die Verpflichtung zur Zahlung der Hälfte der anfallenden Kosten für Sport, Musik und Ballett zu streichen. Sein Einkommen habe sich seit Abschluss des Vergleichs wesentlich verschlechtert. Er sei gezwungen, für die Unterhaltszahlungen höhere Privatentnahmen vorzunehmen, die nicht durch vorhandenes Vermögen gedeckt seien. Das gefährde den Weiterbestand des Unternehmens.

Die Kinder widersprachen dem Herabsetzungsantrag und beantragten ihrerseits (letztlich), den Unterhalt ab 1. April 2012 auf jeweils 560 EUR und ab 1. Jänner 2013 auf jeweils 590 EUR zu erhöhen. Ihr Unterhaltsbedarf habe sich durch das Alter und insbesondere auch wegen der Unterbringung eines der beiden in einem Internat erhöht. Das Einkommen des Vaters habe sich nicht verringert.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater zu Unterhaltsleistungen für beide Kinder in unterschiedlicher Höhe für Zeiträume in der Vergangenheit, sowie ab 1. Oktober 2014 zur Zahlung von monatlich je 550 EUR für jedes Kind; die Mehrbegehren der Kinder sowie die Anträge des Vaters auf Unterhaltsherabsetzung und Streichung seiner Verpflichtung zur Übernahme der Hälfte der Kosten für Sportpässe, Musik- und Ballettunterricht der Kinder wies es ab. Für das Einkommen selbständig Erwerbstätiger sei der tatsächlich verbleibende Reingewinn maßgeblich. Wenn die Privatentnahmen ‑ wie hier ‑ den Reingewinn übersteigen, seien diese an Stelle des Betriebsergebnisses heranzuziehen. Die Privatentnahmen des Vaters während der letzten drei Wirtschaftsjahre hätten sich in nahezu der gleichen Höhe bewegt. Ein im Jahr 2011 erfolgter Einmalerlag sei zu den Privatentnahmen hinzuzurechnen. Von einer Einkommensverschlechterung des Vaters könne bei diesen Ergebnissen nicht ausgegangen werden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und hob den Beschluss des Erstgerichts auf. Die im Vergleich vom 14. Februar 2011 geregelte Übernahme der halben Kosten für sportliche und kulturelle Bedürfnisse der Kinder durch den Vater sei eine Vereinbarung „über eine Art Sonderbedarf“. Bei der Frage, ob dieser vom Unterhaltspflichtigen zu decken sei, komme es nicht nur auf die Intention der Eltern bei Vertragsabschluss und die damalige Unterhaltsbemessungsgrundlage an, sondern wesentlich auch darauf, ob dem Vater bei seinem derzeitigen Einkommen die Leistung solcher Beiträge zusätzlich zum Unterhalt noch zumutbar sei. Eine Verpflichtung zur Leistung von (gesetzlich nicht vorgesehenem) Sonderunterhalt zusätzlich zum laufenden Unterhalt sehe die Rechtsprechung nur in anerkannten Sonderbedarfsfällen vor, zu denen aber die hier in Rede stehenden Kosten nicht gehörten. Derartige Ausgaben seien im Allgemeinen vom Regelunterhalt zu decken. Da derzeit noch nicht feststehe, ob es zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gekommen sei, sei die Rechtssache dazu noch nicht entscheidungsreif.

Nach der Rechtsprechung seien Privatentnahmen des Unterhaltspflichtigen, die den Reingewinn übersteigen, als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen. Nach der Entscheidung 2 Ob 115/11t gelte dies aber nur, solange den Privatentnahmen ein Vermögen gegenüber stehe. Sei das nicht (mehr) der Fall, sei ein die Berücksichtigung der Entnahmen bei der Unterhaltsfestsetzung rechtfertigender Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht (mehr) möglich. Zur Frage, ob die Privatentnahmen des Vaters von Vermögen gedeckt gewesen seien, fehlten Feststellungen, was zur Rückverweisung der Sache an das Erstgericht führen müsse.

Die Privateinlage des Vaters von 25.000 EUR im Jahr 2011 sei neutral zu bewerten; sie habe zur Folge, dass im Jahr 2011 die Privatentnahmen nicht höher seien als der Nettogewinn, weshalb für dieses Jahr der Nettogewinn für die Unterhaltsbemessung maßgebend sei. Aus den Privatentnahmen 2014 habe der Vater auch Einkommensteuervorauszahlungen und Sozialversicherungsbeiträge leisten müssen, deren Höhe jedoch nicht fest stehe, obwohl sie Abzugsposten von der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellten.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob Privatentnahmen auch dann Unterhaltsbemessungsgrundlage seien, wenn diesen kein Vermögen mehr gegenüber stehe, unterschiedlich sei. Außerdem sei das Problem der „vorgezogenen Gewinnausschüttungen“ im Fall einer vermögenslosen Personengesellschaft anhand der bisher vorhandenen Rechtsprechung nicht sachgerecht lösbar, weil der Unterhaltsberechtigte bei späterem Ausgleich in den Folgeperioden durch geringere Gewinnausschüttung letztlich einen doppelten Abzug erleide.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, der auf die Abweisung der Unterhaltserhöhungsbegehren der Kinder und eine (näher konkretisierte) Herabsetzung der monatlich zu leistenden Unterhaltsbeiträge abzielt.

Die Kinder beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel des Vaters keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht von einer Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ab.

1. Nach herrschender Ansicht sind bei einem selbständig erwerbstätigen Unterhaltsschuldner die Privatentnahmen als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen, sofern diese höher sind als der sonst für die Berechnung maßgebende Reingewinn (RIS-Justiz RS0047382; vgl auch RS0117850; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 8; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 140 Rz 150 mwN). Der Unterhaltspflichtige muss letztlich die Unterhaltsberechtigten an seinem aufrecht erhaltenen Lebensstandard teilhaben lassen (RIS-Justiz RS0047382, RS0011596).

Die Begründung für diese Hinzurechnung der Privatentnahmen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage wird von der Judikatur darin gesehen, dass in diesen Privatentnahmen ein Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unterhaltspflichtigen liegt, die ebenso wie die Verwertung von sonstigem Vermögen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen seinen Unterhaltsberechtigten zugutekommen soll. Aus dem Gedanken des Eingriffs in die Vermögenssubstanz und der Flüssigmachung dieses Vermögens für den Lebensbedarf folgt, dass eine Hinzurechnung zur Unterhaltsbemessungsgrundlage grundsätzlich nur dann erfolgen kann, wenn tatsächlich Vermögen vorhanden ist, das „flüssig“ gemacht werden kann. In der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 2 Ob 115/11t wurde daraus der Schluss gezogen, dass Privatentnahmen eines selbständig Erwerbstätigen aus seinem Unternehmen, die durch eine Erhöhung der Bankverbindlichkeiten des Unternehmens finanziert werden, nur solange einen (zugunsten des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigenden) Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unternehmens (im Sinn einer Heranziehung des Unternehmensvermögens zur Lebensführung) darstellen können, als der Erhöhung der Bankverbindlichkeiten ein Vermögen gegenüber steht. Ist dies nicht (mehr) der Fall, ist die Situation gleich wie jene des (vermögenslosen) unselbständig Erwerbstätigen, der seinen Lebensunterhalt durch Überziehung seines Girokontos oder Aufnahme eines Privatkredits finanziert. In beiden Fällen ist mangels gegenüberstehenden Vermögens ein Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht (mehr) möglich. Dieser Auffassung ist der Oberste Gerichtshof in 3 Ob 16/15x gefolgt.

Die zuletzt wiedergegebene, vom Rekursgericht zur Begründung seines Zulassungsausspruchs herangezogene Präzisierung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Privatentnahmen (die hier allenfalls zu Gunsten des Vaters ausschlagen würde) stellt der Revisionsrekurswerber nicht in Frage. Er wendet sich mit dem weit überwiegenden Teil seiner Ausführungen gegen jegliche Berücksichtigung von Privatentnahmen, womit er sich allerdings im strikten Gegensatz zur herrschenden Rechtsprechung befindet. Argumente, die die Richtigkeit dieser Rechtsprechung in Frage stellen könnten, zeigt er nicht auf. Dass er ohne jegliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen dieser Rechtsprechung von einer nicht zu rechtfertigenden Benachteiligung des Unterhaltsschuldners spricht, ist dazu ebenso wenig geeignet, wie die auf einem offenkundigen Irrtum beruhende Gleichsetzung von Privatentnahmen und vorgezogenen Gewinnausschüttungen. Dass ‑ im Jahresdurchschnitt betrachtet ‑ die Privatentnahmen nur geringfügig höher seien als der Reingewinn, stellt die Rechtfertigung ihrer Berücksichtigung ebenso wenig in Frage.

2. Dass das Rekursgericht die vom Vater im Jahr 2011 geleistete Privateinlage im Sinne der Neutralisierung der in diesem Jahr erfolgten Privatentnahmen berücksichtigt, ist unter den gegebenen Umständen vertretbar. Umstände, die eine andere Sichtweise erfordern könnten, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen.

3. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Vaters von „Sonderunterhalt“ wird im Rekurs nicht bekämpft. Der Auffassung des Rekursgerichts, dass sich das Verfahren aufgrund dieser Rechtslage auch in diesem Zusammenhang als ergänzungsbedürftig erweist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS‑Justiz RS0042179).

4. Das Rechtsmittel des Vaters wirft daher weder die vom Rekursgericht im Zulassungsausspruch angeführten noch andere Rechtsfragen auf, die die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen könnten. Es war daher zurückzuweisen.

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