OGH 2Ob115/11t

OGH2Ob115/11t29.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Außerstreitsache des 1. L***** K*****, geboren ***** und des 2. mj E***** K*****, geboren am *****, beide *****, beide vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters A***** K*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß ua Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 27. April 2011, GZ 23 R 427/10g-34, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 10. September 2010, GZ 3 Pu 209/09t-22, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts, die im Bezug auf die in Rechtskraft erwachsenen Teile unberührt bleibt, wird im Umfang des Zuspruchs für 2010 und der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung für 2010 bestätigt. Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben; die Sache wird auch insoweit an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Bezug auf den Erstantragsteller bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Antragsteller sind die Söhne des Antragsgegners und begehren Unterhalt für den Zeitraum ab 1. 1. 2007. Der Vater war als Steuerberater ursprünglich unselbständig und seit Oktober 2009 selbständig tätig. Darüber hinaus erzielte er im gesamten Zeitraum auch Einkünfte aus der Vermietung eines Wohnhauses.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Leistung zeitlich gestaffelter Unterhaltsbeträge für den gesamten Zeitraum.

Das Rekursgericht wies nach Beweisergänzung das Unterhaltsbegehren für den Zeitraum bis 30. 11. 2008 ab. Die Söhne lebten erst seit Anfang 2008 nicht mehr in Haushaltsgemeinschaft mit dem Vater, für den Zeitraum davor sei eine Unterhaltsverletzung nicht feststellbar. Ab 1. 12. 2008 verpflichtete es den Vater zu zeitlich gestaffelten Unterhaltsleistungen hinsichtlich beider Söhne, wobei bereits erbrachte Zahlungen angerechnet und jeweils Teilerhöhungsbegehren abgewiesen wurden. Es stellte dazu für das Jahr 2008 ein durchschnittliches Monatseinkommen von 3.710 EUR und „durchschnittliche monatliche Entnahmen“ von 4.481 EUR und für das Jahr 2009 ein monatliches Durchschnittseinkommen von 2.700 EUR und „durchschnittliche monatliche Entnahmen“ von 4.809 EUR, jeweils netto, fest. Für das Jahr 2010 dagegen lasse sich noch keine verlässliche endgültige Unterhaltsbemessung durchführen, sondern lediglich eine vorläufige. Basierend auf einem monatlichen durchschnittlichen Einkommen von 2.800 EUR, das auch der Vater zugestehe, errechne sich nach der Prozentsatzmethode ein Anspruch von 560 EUR bzw 500 EUR für die Antragsteller. Hinsichtlich der Differenzbeträge zu den begehrten Unterhaltsbeträgen von 800 EUR bzw 720 EUR sei die Entscheidung aufzuheben und die Vorlage entsprechender Unterlagen und die Ergänzung eines Sachverständigengutachtens über das Einkommen des Vaters im Geschäftsjahr 2010 notwendig, um eine abschließende Bemessungsgrundlage ermitteln zu können.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu. Die Frage der Berücksichtigung von Privatentnahmen für die Bemessungsgrundlage sei von grundsätzlicher Bedeutung. Finanziere ein ausschließlich unselbständig Beschäftigter Aufwendungen, die sein Einkommen überstiegen, durch Kreditaufnahme, sei dies nach der Rechtsprechung nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Dagegen würden beim selbständig Erwerbstätigen kreditfinanzierte Verbesserungen der Lebensumstände bei der Unterhaltsbemessung berücksichtigt (im Gutachten würden „Bankkontenveränderungen“ angeführt). Darin liege eine potentielle Ungleichbehandlung, zu der die Rechtsprechung noch nicht ausreichend Stellung bezogen habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Abänderungsantrag, seine Unterhaltsverpflichtung ab 1. 12. 2008 mit 550 EUR bzw 400 EUR monatlich festzusetzen und das Mehrbegehren abzuweisen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsteller begehren die Zurückweisung des Revisionsrekurses, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt im Sinne des Aufhebungsantrags.

1. Bemessungsgrundlage für die Unterhaltsverpflichtung ist nach einhelliger Auffassung die Summe aller tatsächlichen in Geld oder geldwerten Leistungen erzielten Einkünfte, über die der Unterhaltspflichtige verfügen kann. Das ist bei unselbständig Erwerbstätigen das Nettoeinkommen, also das Bruttogehalt einschließlich Überstundenentlohnung und Sonderzahlungen vermindert um Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge (2 Ob 224/08t). Beim selbständig Erwerbstätigen ist dagegen nicht der steuerliche Reingewinn maßgebend, sondern der tatsächlich verbleibende (6 Ob 119/98p). Insgesamt ist das Gesamteinkommen des Unterhaltspflichtigen nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben vom Einkommen und die sich daraus ergebende tatsächliche wirtschaftliche Lage entscheidend, somit die Summe der dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel (5 Ob 254/05x).

2. Die Judikatur, wonach ein Unterhaltsverpflichteter, der die Kosten seiner Lebensführung teilweise auch aus der Substanz seines Vermögens deckt, den unterhaltsberechtigten Ehepartner an diesem „Lebenszuschnitt“ angemessen teilhaben lassen muss, differenziert nicht danach, ob der Unterhaltspflichtige selbständig oder unselbständig erwerbstätig ist (2 Ob 246/09d). Bezieht der Unterhaltspflichtige sein Einkommen teilweise aus Einkünften aus selbständiger und teilweise aus unselbständiger Tätigkeit und erhöht er das aus dem Reingewinn seines Unternehmens resultierende Einkommen durch Privatentnahmen, liegt darin eine Gestaltung der Lebensverhältnisse, an der auch seine Unterhaltspflichten zu messen sind. Auch diese Privatentnahmen sind daher bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen (1 Ob 257/09i). Ein solches Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse stellt eine privatautonome Gestaltung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen dar, an denen auch die angemessenen Bedürfnisse seiner Kinder zu messen sind (RIS-Justiz RS0047382; RS0117850).

3. Welche Umstände den Unternehmer veranlasst haben höhere Privatentnahmen zu tätigen, ist - entgegen dem Rechtsmittelvorbringen - nach der Judikatur nur insoweit relevant, als es um die Frage der Art ihrer Verwendung geht. Werden Privatentnahmen der privaten Lebensführung zugeführt, sind sie der Unterhaltsbemessung zugrundezulegen. Soweit sie dagegen der Sicherung und Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Unterhaltspflichtigen dienen oder sonstige betriebliche Aufwendungen darstellen, vermindern sie wie sonstige Betriebsausgaben die Unterhaltsbemessungsgrundlage (6 Ob 119/98p; Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 89a E 1).

4. Greift der Unterhaltspflichtige also sein Vermögen an, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken, ist insoweit auch das Vermögen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Aus der Überziehung eines Girokontos oder aus einem Privatkredit „lukrierte“ Einnahmen eines Unselbstständigen sind aber nicht mit Privatentnahmen eines selbständig Erwerbstätigen gleichzusetzen, mit denen der Stamm des Vermögens (nämlich die Unternehmenssubstanz) angegriffen wird (2 Ob 224/08t). Beträge aus einer solchen Kontoüberziehung bzw einem Privatkredit sind daher grundsätzlich ebenso wenig in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, wie die spätere Rückführung dieser Beträge eine die Unterhaltsbemessungsgrundlage verringernde Abzugspost darstellt.

5. In 6 Ob 119/98p wurde zum Einkommen selbständig Erwerbstätiger dargelegt, dass Privatentnahmen, die höher sind als der Reingewinn, einen Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unterhaltsschuldners darstellen. Ein Unterhaltspflichtiger, der aus dem verlustbringenden Unternehmen Privatentnahmen zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards tätige, müsse auf dieser Grundlage auch die Unterhaltsberechtigten an seinen Lebensverhältnissen teilhaben lassen. Es sei dabei kein Unterschied zu machen, ob der Unterhaltsschuldner die den Reingewinn des Unternehmens übersteigenden Privatentnahmen aus Reserven oder Rückstellungen finanziere oder durch eine Erhöhung der Bankschulden. Auch in diesem Fall seien die Privatentnahmen der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen.

Dem ist nicht uneingeschränkt zu folgen.

6. Die Begründung für die Hinzurechnung von Privatentnahmen aus einem Unternehmen des selbständig tätigen Unterhaltspflichtigen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage wird - wie schon gesagt - von der Judikatur darin gesehen, dass darin ein Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unterhaltspflichtigen liegt, die ebenso wie die Verwertung von sonstigem Vermögen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen seinen Unterhaltsberechtigten zugutekommen soll. Unabhängig davon, ob der Unterhaltspflichtige sein Einkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit bezieht, soll den Unterhaltsberechtigten daher ein Anteil an jenem Einkommen zur Verfügung gestellt werden, dessen sich der Unterhaltspflichtige bedienen kann. Basierend auf diesem Gedanken kann es aber keinen Unterschied machen, ob der Eingriff in die Vermögenssubstanz beim selbständig oder unselbständig Tätigen erfolgt.

Aus dem Gedanken des Eingriffs in die Vermögenssubstanz und der Flüssigmachung dieses Vermögens für den Lebensbedarf folgt weiters, dass eine Hinzurechnung zur Unterhaltsbemessungsgrundlage grundsätzlich nur dann erfolgen kann, wenn tatsächlich Vermögen vorhanden ist, das „flüssig“ gemacht werden kann, nicht aber dann, wenn die Erhöhung der liquiden Mittel für die Bestreitung des Lebensbedarfs durch das Eingehen von Schulden finanziert wird.

Auch Privatentnahmen eines selbständig Erwerbstätigen aus seinem Unternehmen, die durch eine Erhöhung der Bankverbindlichkeiten des Unternehmens finanziert werden, sind nur solange ein Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unternehmens, als der Erhöhung der Bankverbindlichkeiten ein Vermögen gegenübersteht. Ist dies nicht (mehr) der Fall, ist die Situation gleich wie jene des (vermögenslosen) unselbständig Erwerbstätigen, der seinen Lebensunterhalt durch Überziehung seines Girokontos oder Aufnahme eines Privatkredits finanziert. In beiden Fällen ist mangels gegenüberstehenden Vermögens ein Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht (mehr) möglich.

Umgekehrt wird auch beim unselbständig Erwerbstätigen, der über Vermögen verfügt, aber statt dieses anzugreifen einen Privatkredit aufnimmt, in unterhaltsrechtlicher Sicht ein Eingriff in seine Vermögenssubstanz vorliegen und daher ein derartiger Mittelzufluss der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen sein.

Soweit also im vorliegenden Fall die das durchschnittliche Einkommen übersteigenden „Privatentnahmen“ durch vorhandenes Vermögen gedeckt waren und daher in Summe gesehen zu einer Verringerung dieses Vermögens führten, werden sie im fortgesetzten Verfahren der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen sein, soweit dies nicht der Fall sein sollte, dagegen nicht. Die Behauptungs- und Beweislast dafür trifft den Unterhaltspflichtigen.

Zwar ist der Vater nach den Feststellungen erst seit Oktober 2009 selbstständig erwerbstätig, das Rekursgericht hat aber dennoch auch für den Zeitraum davor „Privatentnahmen“ festgestellt, was noch einer Klärung bedarf.

7. Um die Parteien mit der dargelegten Rechtsansicht nicht zu überraschen, war die Entscheidung des Rekursgerichts für den Zeitraum von Dezember 2008 bis Ende 2009 im Umfang der Bekämpfung durch den Vater (somit im Zuspruch von mehr als 550 EUR für L***** und mehr als 400 EUR für E***** und daraus resultierend auch im Ausspruch über die Restunterhaltsverpflichtungen hinsichtlich beider Söhne bis 30. 4. 2011) zur Erörterung mit den Parteien aufzuheben.

Da die Klärung der „Qualität“ der Privatentnahmen auch ab 2010 entscheidungsrelevant im Sinne der obigen Ausführungen ist, der Vater aber in seinem Rekurs eine Bemessungsgrundlage von 2.800 EUR monatlich zugestanden hat, auf der die Unterhaltsbemessung des Rekursgerichts basiert, war die Entscheidung für 2010 sowohl im Zuspruch als auch im aufhebenden Teil zu bestätigen.

8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 Abs 1 sowie § 101 Abs 2 AußStrG e contrario.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte