OGH 4Ob3/16v

OGH4Ob3/16v27.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** S*****, Inhaber des Unternehmens *****, vertreten durch Mag. Axel Seebacher, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei G***** H*****, vertreten durch Dr. Günter Medweschek Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt, wegen Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und 2.594,65 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. November 2013, GZ 5 R 80/13v‑21, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. März 2013, GZ 25 Cg 71/12y‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt :

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00003.16V.0127.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Begehren,

- der Beklagte sei schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, im nicht von seiner Gewerbeberechtigung umfassten Kehrgebiet VI nach der Verordnung des Landeshauptmanns von Kärnten vom 12. 7. 2011, LGBl 66/2011, sohin im Gebiet der Gemeinden Albeck, Glanegg, Gnesau, Himmelberg, Reichenau, St. Urban, Steindorf am Ossiacher See, Steuerberg, Liebenfels und der Stadtgemeinden Feldkirchen in Kärnten und St. Veit an der Glan, seine gewerbliche Tätigkeit als Rauchfangkehrer auszuüben, sofern nicht Gefahr in Verzug oder/und ein Auftrag gemäß § 122 Abs 2 GewO 1994 vorliege (Fälle des § 123 Abs 2 GewO 1994) oder der Beklagte bereits vor dem 27. 7. 2011 beauftragt gewesen sei, ein Kehrobjekt im Kehrgebiet VI zu betreuen;

- der Beklagte sei schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Kunden im nicht von seiner Gewerbeberechtigung umfassten Kehrgebiet VI nach der Verordnung des Landeshauptmanns von Kärnten vom 12. 7. 2011, LGBl 66/2011, sohin im Gebiet der Gemeinden Albeck, Glanegg, Gnesau, Himmelberg, Reichenau, St. Urban, Steindorf am Ossiacher See, Steuerberg, Liebenfels und der Stadtgemeinden Feldkirchen in Kärnten und St. Veit an der Glan, dazu veranlassen, ihn als Rauchfangkehrer zu beauftragen und andererseits Kehrobjekte zu übernehmen, sofern nicht Gefahr in Verzug oder/und ein Auftrag gemäß § 122 Abs 2 GewO 1994 vorliege (Fälle des § 123 Abs 2 GewO 1994), oder der Beklagte bereits vor dem 27. 7. 2011 beauftragt gewesen sei, ein Kehrobjekt im Kehrgebiet VI zu betreuen;

- der Kläger werde ermächtigt, den im Unterlassungsbegehren und dem Veröffentlichungsbegehren stattgebenden Teil des Urteilsspruchs mit Fettdrucküberschrift, Fettdruckmachung, sowie fett und gesperrt geschriebenen Prozessparteien in den Bezirkszeitungen „Feldkirchner“ und „Tiebelkurier“ sowie in der „Kleinen Zeitung ‑ Regionalteil St. Veit ‑ Feldkirchen im redaktionellen Teil“ und in der 'Kronen Zeitung ‑ Kärntner Krone' redaktionellen Teil 'Kärnten' binnen sechs Wochen nach Rechtskraft des Urteils auf Kosten des Beklagten veröffentlichen zu lassen;

- der Beklagte sei schuldig, dem Kläger 2.594,65 EUR samt 8,380 % Zinsen seit 15. 8. 2011 zu zahlen

abgewiesen werden.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.218,18 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 4.669 EUR Barauslagen und 2.091,53 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind Rauchfangkehrer in Kärnten. Sie streiten darüber, ob der Beklagte auch außerhalb jenes „Kehrgebiets“ tätig werden darf, auf das sich seine Gewerbeberechtigung bezieht.

Die Gewerbeberechtigung des Beklagten war bei Schluss der Verhandlung erster Instanz am 15. 1. 2013 nach § 123 Abs 2 GewO idF vor dem BG BGBl I 48/2015 auf das zweite Kehrgebiet des politischen Bezirks Klagenfurt-Land und Klagenfurt Stadt beschränkt. Bis zum 26. Juli 2011 durfte der Beklagte nach § 124 GewO auch im Kehrgebiet des politischen Bezirks Feldkirchen tätig werden, weil in diesem Kehrgebiet nicht mehr als zwei Rauchfangkehrer ihren Betriebsstandort hatten und daher dort ansässige Kunden in das Kehrgebiet des Beklagten „wechseln“ durften.

Durch eine am 27. Juli 2011 wirksam werdende Neuregelung wurde das letztgenannte Kehrgebiet mit einem weiteren zum neuen „Kehrgebiet VI“ zusammengefasst. Da seither in diesem Kehrgebiet vier Rauchfangkehrer tätig sind, war für dort ansässige Kunden kein „Kehrgebietswechsel“ mehr möglich. Der Beklagte durfte dort daher ‑ von gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen (Gefahr im Verzug, behördlicher Auftrag) abgesehen ‑ nicht mehr tätig werden. Dennoch warb er in diesem Kehrgebiet auch noch nach dem 27. Juli 2011 mit Postwurfsendungen um Kunden. Aufgrund dieser Werbung wechselten 42 Kunden des in diesem Kehrgebiet das Rauchfangkehrergewerbe ausübenden Klägers zu ihm. Dem Kläger entging dadurch ein Verdienst von zumindest 2.594,64 EUR.

Der Kläger beantragt, dem Beklagten zu untersagen, im neuen Kehrgebiet VI als Rauchfangkehrer tätig zu werden und eine darauf gerichtete Werbung zu entfalten, sofern nicht Gefahr im Verzug oder ein behördlicher Auftrag vorliege oder der Beklagte bereits vor dem 27. Juli 2011 beauftragt gewesen sei, ein Objekt in diesem Kehrgebiet zu betreuen. Weiter begehrt er Schadenersatz von 2.594,65 EUR und die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung. Die Gewerbeberechtigung des Beklagten erstrecke sich nicht auf das Kehrgebiet VI; ein Kehrgebietswechsel nach § 124 GewO sei nicht möglich, weil es in diesem Kehrgebiet seit der Neuordnung vier Rauchfangkehrer gebe. Da die gesetzliche Regelung eindeutig sei, könne sich der Beklagte nicht auf eine vertretbare Rechtsansicht berufen. Daher sei sein Verhalten auch unlauter iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG. Durch das beanstandete Verhalten sei dem Kläger ein Verdienst von zumindest 2.594,64 EUR entgangen. Die Beschränkung der Gewerbeberechtigung auf bestimmte Kehrgebiete sei unionsrechtskonform, weil der Brandschutz im öffentlichen Interesse liege und daher ein Gebietsschutz zulässig sei.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die Beschränkung auf Kehrgebiete beziehe sich ‑ zumindest bei unionsrechtskonformer Auslegung der gewerberechtlichen Bestimmungen ‑ nur auf die hoheitlichen Aufgaben des Rauchfangkehrers aufgrund landesrechtlicher Vorschriften, insbesondere im Bereich der Feuerpolizei, nicht aber auf dessen privatwirtschaftliche Tätigkeit. Insofern stehe die RL 2006/123/EG einer Beschränkung auf bestimmte Kehrgebiete entgegen. Nach Art 10 Abs 4 RL 2006/123/EG ermögliche eine „Genehmigung“ ‑ hier also die Gewerbeberechtigung ‑ dem Dienstleistungserbringer grund-sätzlich eine Tätigkeit im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats. Nach Art 15 Abs 2 lit a RL 2006/123/EG müssten territoriale Beschränkungen dahin überprüft werden, ob sie nicht diskriminierend, erforderlich und verhältnismäßig seien. Dies treffe in Bezug auf die privatwirtschaftliche Tätigkeit eines Rauchfangkehrers nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Regelungen der Gewerbeordnung seien weiterhin anwendbar, weil die RL 2006/123/EG territoriale Beschränkungen der Gewerbeausübung erlaube, wenn sie nicht diskriminierend, erforderlich und verhältnismäßig seien. Das treffe hier zu, weil Rauchfangkehrer auch öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnähmen. Der Verstoß gegen die gewerberechtlichen Bestimmungen begründe Unterlassungs‑ und Schadenersatzansprüche nach dem UWG.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Regelungen der Gewerbeordnung seien unionsrechtlich unbedenklich. Zwar sei die RL 2006/123/EG auch in Sachverhalten ohne Auslandsbezug anwendbar. Allerdings lasse sie bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses einschränkende Regelungen zu. Die hoheitlichen Aufgaben des Rauchfangkehrers im Bereich des Brandschutzes dienten dem Schutz der Bevölkerung vor Schäden durch Brände und lägen daher im öffentlichen Interesse. Dies rechtfertige eine territoriale Beschränkung der Gewerbeberechtigung. Der Beklagte habe daher durch sein Verhalten (auch) gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG verstoßen (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch).

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.

1. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Mai 2014, 4 Ob 31/14h, dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen vorgelegt:

1. Ist die gesamte gewerbliche Tätigkeit eines Rauchfangkehrers nach Art 2 Abs 2 lit i der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen, weil Rauchfangkehrer auch Aufgaben im Bereich der Feuerpolizei (Feuerbeschau, Gutachten im Rahmen von Bauverfahren etc) wahrnehmen?

2. Wenn Frage 1 verneint wird: Ist eine Regelung des nationalen Rechts, wonach die Gewerbeberechtigung eines Rauchfangkehrers grundsätzlich auf ein bestimmtes „Kehrgebiet“ beschränkt ist, mit Art 10 Abs 4 und Art 15 Abs 1, Abs 2 lit a und Abs 3 der Richtlinie 2006/123/EG vereinbar?

 

Diese Fragen beruhten auf den zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen des Gewerberechts. Danach war die Gewerbeberechtigung eines Rauchfangkehrers ‑ mit im konkreten Fall nicht anwendbaren Ausnahmen ‑ ganz allgemein auf ein bestimmtes Kehrgebiet beschränkt (§ 123 Abs 2 GewO idF vor dem BG BGBl I 48/2015). Das Gesetz unterschied insofern ‑ anders als in Bezug auf das Niederlassungserfordernis nach § 120 Abs 1 GewO idF vor dem BG BGBl I 48/2015 ‑ nicht zwischen „sicherheitsrelevanten“ und sonstigen Tätigkeiten des Rauchfangkehrers.

2. Der Gerichtshof hat diese Fragen mit Urteil vom 23. Dezember 2015, C‑293/14, Hiebler, wie folgt beantwortet:

1. Die RL 2006/123/EG ist dahin auszulegen, dass sie auf die Ausübung eines Gewerbes wie des im Ausgangsverfahren fraglichen des Rauchfangkehrers insgesamt anwendbar ist, auch wenn dieses Gewerbe nicht nur die Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten umfasst, sondern auch die Erfüllung von Aufgaben der „Feuerpolizei“.

2. Art 10 Abs 4 und Art 15 Abs 1, Abs 2 lit a und Abs 3 RL 2006/123/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die die Genehmigung für die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes insgesamt auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt, entgegenstehen, wenn diese Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit verfolgt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

3. Art 15 Abs 4 RL 2006/123/EG ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Regelung nicht entgegensteht, wenn die Aufgaben der „Feuerpolizei“ als mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in Zusammenhang stehend einzustufen wären, sofern die vorgesehene territoriale Beschränkung für die Erfüllung dieser Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts erforderlich und verhältnismäßig ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

 

In der Begründung führte der EuGH aus, dass auch Aufgaben der Feuerpolizei unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung in den Anwendungsbereich der RL 2006/123/EG fielen (Rz 45). Damit ging er deutlich über die erste der vom Senat gestellten Fragen hinaus, die auf der ‑ vom EuGH nicht geteilten ‑ Prämisse beruht hatte, dass Aufgaben der Feuerpolizei von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen, weil sie als Ausübung hoheitlicher Gewalt iSv Art 2 Abs 2 lit i RL 2006/123/EG anzusehen seien.

Zur zweiten Frage führte der EuGH aus, dass Art 10 Abs 4 und Art 15 Abs 3 RL 2006/123/EG eine territoriale Beschränkung der Gewerbeberechtigung erlaubten, wenn keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit erfolge und die Beschränkung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche (Rz 35). Der letztgenannte Grundsatz erfordere es insbesondere, dass das angestrebte Ziel ‑ hier der Schutz der öffentlichen Gesundheit (RZ 58) ‑ in systematischer und kohärenter Weise verfolgt werde (Rz 65). Das treffe bei der österreichischen Regelung ‑ vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht ‑ nicht zu, weil § 123 GewO keine kohärenten Kriterien für die Abgrenzung der Kehrgebiete enthalte (Rz 67). Insbesondere würden in dieser Bestimmung die privatwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht berücksichtigt, die den wichtigsten Teil der Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes bildeten (Rz 68). Die strittige Regelung scheine daher das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit nicht in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (Rz 70). Anderes könne jedoch gelten, wenn die Tätigkeiten im Bereich der Feuerpolizei als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse iSv Art 15 Abs 4 RL 2006/123/EG einzustufen seien. Insofern habe das vorlegende Gericht aber (letztlich) zu prüfen, ob territoriale Beschränkungen, die sich auch auf die privatwirtschaftlichen Tätigkeiten bezögen, unerlässlich seien, um Rauchfangkehrern zu ermöglichen, diese Aufgaben „unter den Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts zu erfüllen“, oder ob die wirtschaftliche Lebensfähigkeit bei Erfüllung dieser Aufgaben auch durch eine gebietsweise Abgrenzung sichergestellt werden könne, die sich „allein auf diese Aufgabenerfüllung“ beziehe.

3. Noch während des Vorabentscheidungsver-fahrens wurden die Regelungen der Gewerbeordnung mit dem BG BGBl I 48/2015 in einem entscheidenden Punkt geändert. Nunmehr ist die Gewerbeberechtigung von Rauchfangkehrern nach § 123 Abs 2 GewO nur mehr für „sicherheitsrelevante Tätigkeiten“ iSv § 120 Abs 1 GewO auf ein bestimmtes Kehrgebiet beschränkt. Die letztgenannte Bestimmung lautet:

„Einer Gewerbeberechtigung für das Rauchfangkehrergewerbe (§ 94 Z 55) bedarf es für das Reinigen, Kehren und Überprüfen von Rauch- und Abgasfängen, von Rauch- und Abgasleitungen sowie von den dazugehörigen Feuerstätten. Insoweit Rauchfangkehrer durch landesrechtliche Vorschriften zu sicherheitsrelevanten Tätigkeiten, insbesondere Tätigkeiten der Feuerpolizei, Baupolizei oder vergleichbaren Tätigkeiten, wie Überprüfungen und damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr, verpflichtet werden, bedürfen sie dafür der Niederlassung in Österreich. Im Übrigen bedarf es für das Reinigen und das wartungsbedingte Kehren sowie für Tätigkeiten gemäß Abs. 2 bis 5 keiner Niederlassung in Österreich und sind diese nicht als sicherheitsrelevante Tätigkeiten im Sinne des zweiten Satzes anzusehen.“

 

Die Kehrgebietsbeschränkung bezieht sich daher nur mehr auf Tätigkeiten, zu denen der Rauchfangkehrer aufgrund landesgesetzlicher Regelungen zur Gefahrenabwehr verpflichtet ist. Das „Reinigen und wartungsbedingte Kehren“ sowie die Tätigkeiten nach § 120 Abs 2 bis 5 GewO („Nebenrechte“) sind davon ausdrücklich ausgenommen. Insofern kann der Rauchfangkehrer daher auch außerhalb seines Kehrgebiets tätig werden. Der Gesetzgeber geht somit selbst davon aus, dass ein umfassender Gebietsschutz nicht erforderlich ist, damit Rauchfangkehrer „ihre im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts“ erfüllen können.

4. Aus der Vorabentscheidung und der inzwischen erfolgten Neuregelung ist abzuleiten, dass der in § 123 GewO idF vor dem BG BGBl I 48/2015 vorgesehene umfassende Gebietsschutz unionsrechtswidrig war.

4.1. Der Senat teilt die Auffassung des EuGH, dass § 123 Abs 1 GewO idF vor dem BG BGBl I 48/2015 die Festlegung der Kehrgebiete nicht in kohärenter Weise regelte. Denn abgesehen von der Lebensfähigkeit zumindest zweier Rauchfangkehrerbetriebe war in diesem Zusammenhang nur relevant, dass im Kehrgebiet die „feuerpolizeilichen Aufgaben entsprechend wahrgenommen werden“ konnten. Der EuGH weist zutreffend darauf hin, dass nach dem Wortlaut der Bestimmung der Bedarf an anderen (privatwirtschaftlichen) Tätigkeiten von Rauchfangkehrern kein Kriterium für die Abgrenzung der Kehrgebiete war. Damit konnte die Regelung dazu führen, dass aufgrund des Gebietsschutzes in einem konkreten Kehrgebiet zwar genug Rauchfangkehrer für feuerpolizeiliche Aufgaben zur Verfügung standen, nicht aber für die Erfüllung der sonstigen Aufgaben (also jener im rein privatwirtschaftlichen Bereich). Eine solche Befürchtung wurde zwar bisher im vorliegenden Verfahren nicht geäußert; dem Senat sind auch keine sie stützenden empirischen Grundlagen bekannt. Dennoch ist der Entscheidung des EuGH zu entnehmen, dass allein die Möglichkeit eines solchen Ergebnisses zur Annahme der Inkohärenz führt.

4.2. Abgesehen davon ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ‑ hier der umfassende Gebietsschutz ‑ auch bei Rechtfertigung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses nur zulässig, „wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden kann, die zu dem gleichen Ergebnis führen“ (Rz 55). Zu dieser Bedingung hat sich der EuGH zwar in seiner weiteren Begründung nicht geäußert: Auf die Feststellung der grundsätzlichen „Eignung“ der beanstandeten Maßnahme (Rz 64) folgen unmittelbar die oben dargestellten Ausführungen zur fehlenden „Kohärenz“ der österreichischen Regelung (Rz 65-70). Zur ‑ in der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens ausdrücklich aufgeworfenen (Punkt 4.2.a.) ‑ Frage, ob diese Regelung nicht durch eine weniger einschneidende Regelung ersetzt werden könnte, nahm der EuGH demgegenüber nicht Stellung.

4.3. Auch diese Frage ist indes zu bejahen. Mit dem BG BGBl I 48/2015 wurde der umfassende Gebietsschutz beseitigt; er ist jetzt auf landesgesetzlich vorgesehene „sicherheitsrelevante“ Tätigkeiten beschränkt. Der Gesetzgeber nimmt daher selbst nicht (mehr) an, dass das angestrebte Ziel der Gefahrenabwehr durch lebensfähige Rauchfangkehrerbetriebe einen darüber hinausgehenden Gebietsschutz erfordert. Da nicht erkennbar ist, dass sich das wirtschaftliche Umfeld der Tätigkeit von Rauchfangkehrerbetrieben in den letzten Jahren gravierend geändert hätte, muss diese Beurteilung auch für jenen Zeitraum gelten, in dem der Beklagte das beanstandete Verhalten gesetzt hat.

4.4. Der letztgenannte Umstand steht auch der Annahme entgegen, dass der absolute Gebietsschutz allenfalls durch Art 15 Abs 4 RL 2006/123/EG gerechtfertigt gewesen sein könnte (EuGH Rz 71 ff). Denn dies setzte voraus, dass die territoriale Beschränkung auch im privatwirtschaftlichen Bereich „unerlässlich“ gewesen wäre, um die Erfüllung feuerpolizeilicher Aufgaben durch Rauchfangkehrerbetriebe unter „Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts“ zu sichern (Rz 77). Das trifft nicht zu: Vielmehr zeigt die Neuregelung, dass die wirtschaftliche Lebensfähigkeit auch durch eine gebietsweise Abgrenzung sichergestellt werden kann, die sich allein auf die Aufgaben der Feuerpolizei (Gefahrenabwehr) bezieht.

5. Auf dieser Grundlage müssen die Begehren des Klägers zur Gänze scheitern.

5.1. Der Beklagte konnte sich gegenüber dem Staat auf die Unanwendbarkeit der richtlinienwidrigen Beschränkung seiner Gewerbeberechtigung auf ein bestimmtes Kehrgebiet berufen (vertikale Direktwirkung von Richtlinien; vgl dazu Vcelouch in Mayer/Stöger, EUV/AEUV, Art 288 AEUV Rz 68 ff, sowie Schroeder in Streinz, EUV/AEUV2 [2012] Art 288 AEUV Rz 114; beide mwN). Dies gilt unabhängig davon, ob der Beklagten allenfalls auch „sicherheitsrelevante Tätigkeiten“ im Sinn der Neuregelung erbracht hatte. Denn eine solche Differenzierung war der damals geltenden Regelung nicht zu entnehmen. Diese Regelung war, wie sich aus der Vorabentscheidung des EuGH und den vorstehenden Ausführungen ergibt, insgesamt richtlinienwidrig, weil sie auf einer nicht kohärenten Regelung zur Festlegung der Kehrgebiete beruhte. Damit war die Regelung als Ganze nicht anwendbar; der Ersatz durch eine richtlinienkonforme Neuregelung, die durchaus unterschiedlichen Inhalt haben konnte, oblag dem Gesetzgeber. Diese Neuregelung trat nach § 382 Abs 69 GewO idF BG BGBl I 48/2015 (frühestens) mit 30. Juni 2015 in Kraft, eine Rückwirkung wurde nicht angeordnet. Zu ihrer Richtlinienkonformität ist daher in diesem Verfahren nicht Stellung zu nehmen.

5.2. Die Unwanwendbarkeit der gewerberechtlichen Regelung im Vertikalverhältnis wirkt mittelbar auf das Verhältnis zwischen den Streitteilen: In der Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ setzt ein unlauteres Verhalten die Verletzung einer anderen, meist öffentlich-rechtlichen Vorschrift voraus. Der Kläger hat daher nicht nur ein Vorbringen zum beanstandeten Verhalten, sondern auch zur dadurch verletzten Norm zu erstatten; die Prüfung des Gerichts hat sich im Rahmen dieses Vorbringens zu halten (4 Ob 65/14h, Überklebte Wahlwerbeständer, ÖBl‑LS 2015/3; RIS‑Justiz RS0129497).

Ist diese Vorschrift aus unionsrechtlichen Gründen unanwendbar und das Verhalten des belangten Mitbewerbers daher nicht rechtswidrig, so fehlt jede Grundlage für einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungs- oder Schadenersatzanspruch. Es handelt sich dabei um eine vom EuGH anerkannte Reflexwirkung („negative Auswirkung“) der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie im Vertikalverhältnis auf das davon abhängige Horizontalverhältnis zwischen zwei Privaten (EuGH C‑201/02, Wells [Rz 56 f]; Rs C‑152/07 bis C‑154/07, Arcor AG & Co KG ua [Rz 36]; C‑508/14, Český telekomunikační úřad [Rz 48]; vgl 4 Ob 208/10g, Fußballer des Jahres IV mwN; Schroeder in Streinz, EUV/AEUV2 Art 288 AEUV Rz 118; Vcelouch in Mayer/Stöger, EUV/AEUV, Art 288 AEUV Rz 73; beide mwN). War die angebotene Dienstleistung als solche zufolge Unanwendbarkeit des gewerberechtlichen Gebietsschutzes unbedenklich, so galt das auch für die darauf bezogene Werbung; mangels rechtswidrigen Verhaltens besteht auch kein Schadenersatzanspruch.

5.3. Aus diesen Gründen ist der Revision Folge zu geben. Die angefochtene Entscheidung ist dahin abzuändern, dass die Unterlassungs‑ und das Schadenersatzbegehren abgewiesen werden.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der zur Gänze unterlegene Kläger hat dem Beklagten auch die Kosten des Zwischenverfahrens beim EuGH zu ersetzen. Insofern ist allerdings nur dessen schriftliche Stellungnahme vom 19. September 2014 aktenkundig und daher zu honorieren. Weitere Schriftsätze und die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte nicht bescheinigt.

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