OGH 13Os117/15b

OGH13Os117/15b18.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian W***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Christian W***** und Gerhard J***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Juli 2015, GZ 72 Hv 72/15g‑95, sowie über die Beschwerde des Erstgenannten gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00117.15B.1218.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Christian W***** werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I/B und demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie in dem den Genannten betreffenden Verfallserkenntnis und der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte Christian W***** auf die Aufhebung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Gerhard J***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Christian W***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG ([richtig:] I/B), des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz zweiter Fall SMG (II) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (IV) und Gerhard J***** mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG ([richtig:] I/A) sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG (III) schuldig erkannt.

Danach haben ‑ soweit zur Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerden von Relevanz ‑ in Wien und anderen Orten gewerbsmäßig anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28b SMG) durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, wobei sie bereits einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden waren, und zwar

I/A Gerhard J***** von Mitte September 2014 bis 13. Jänner 2015 Christian W***** in fünf Angriffen insgesamt 260 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 37 % (zumindest 96,2 Gramm Cocain);

I/B Christian W***** von Anfang Dezember 2012 bis 13. Jänner 2015 in wiederholten Angriffen fünf im Urteil namentlich genannten Personen insgesamt zumindest 148 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 20 % (zumindest 29,6 Gramm Cocain).

Rechtliche Beurteilung

Ihre dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Angeklagten Christian W***** auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO und Gerhard J***** auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a und 9 lit a StPO.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Christian W*****:

Die Mängelrüge (nominell Z 5 vierter Fall) zu Schuldspruch I/B zeigt im Ergebnis zutreffend Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Beweiswürdigung betreffend die ‑ hier für das Vorliegen einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28b SMG) Suchtgift entscheidende (vgl RIS‑Justiz RS0111350, RS0120681) ‑ Feststellung eines Reinheitsgehalts der überlassenen 148 Gramm Kokain von 20 % (US 7) auf. Diesen stützten die Tatrichter auf die als glaubwürdig erachteten Angaben des Beschwerdeführers zum weiteren „Strecken“ des Suchgifts (US 10). Dabei ließen sie die Aussage des Christian W***** unerörtert, wonach er das von Gerhard J***** erworbene, einen Reinheitsgehalt von zumindest 37 % aufweisende (US 6 f) Kokain im Verhältnis von „teilweise 1:1 oder 1:3“ gestreckt habe (ON 94 S 9). Wenngleich die Annahme eines durchschnittlichen Reinheitsgehalts bei Kokain von 20 % im Allgemeinen nicht als überhöht anzusehen ist (RIS‑Justiz RS0119257 [T4, T6 und T8]), wäre bei sonstiger Nichtigkeit darzulegen gewesen, warum die Verantwortung des Beschwerdeführers zum „Strecken“ im Verhältnis 1:3, woraus sich insoweit ein die Überschreitung der Grenzmenge von 15 Gramm Cocain in Frage stellender Reinheitsgehalt des überlassenen Kokains von 9,25 % (= ¼ von 37 %) errechnet, das Gericht nicht überzeugen konnte (RIS‑Justiz RS0098646, RS0118316).

Muss aber ein Schuldspruch nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, der eine selbständige Qualifikation des Grundtatbestands nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG darstellt, wegen mangelhafter Begründung der subsumtionsrelevanten Feststellungen zur Menge der veräußerten Suchtgiftquanten aufgehoben werden, können jene Annahmen, die einen (hier zu I/B gar nicht erfolgten) Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG stützen würden, gleichfalls nicht bestehen bleiben (RIS‑Justiz RS0115884; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 18).

Da bereits der aufgezeigte Begründungsmangel zur Aufhebung von Schuldspruch I/B zwingt, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere dagegen gerichtete Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde.

Soweit die der Sache nach allein gegen Punkt I/B des Schuldspruchs gerichtete Rüge nach dem Inhalt der Anfechtungserklärung auch die Schuldsprüche II und IV erfasst, ist sie mangels Substantiierung keiner sachbezogenen Erwiderung zugänglich (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Gerhard J*****:

Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet unter Hinweis auf die Vernehmung des Beschwerdeführers als Zeugen durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts in einem (gegen den wegen der Überlassung von Suchtgift an den Rechtsmittelwerber abgesondert verfolgten Hannes L***** anhängigen) „Parallelverfahren“ dessen Ausgeschlossenheit (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO; vgl aber RIS‑Justiz RS0121051; Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 12 und 16). Sie entzieht sich jedoch schon mangels (rechtzeitiger) Erfüllung der Rügeobliegenheit einer inhaltlichen Erwiderung. Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Rüge eines behaupteten Besetzungsmangels ist nämlich auf objektive Kriterien, konkret auf die Zugänglichkeit des relevanten Tatsachensubstrats abzustellen (RIS‑Justiz RS0114495; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 136). Da der Angeklagte spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung Kenntnis von der Person des Vorsitzenden erlangt hat, wäre es ihm zwanglos möglich gewesen, seinen Verteidiger schon zu diesem Zeitpunkt über den Umstand der vorangehenden Befassung dieses Richters ins Bild zu setzen (vgl RIS‑Justiz RS0120890; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 138, 141).

Die Mängelrüge behauptet eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) des festgestellten Reinheitsgehalts von 37 % in Ansehung der Schuldspruchpunkte I/A/1‑4. Damit wendet sie sich nicht gegen eine entscheidende Tatsache, weil schon das vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellte Überlassen von 100 Gramm Kokain mit einem solchen Reinheitsgehalt am 13. Jänner 2015 (Schuldspruch I/A/5; US 2 iVm US 6 f) ein mehrfaches Überschreiten der Grenzmenge (§ 28b SMG) von Cocain ergibt, sodass sich an der von den Tatrichtern angenommenen mehrfachen Verwirklichung eines Verbrechens nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG bei Annahme eines geringeren Reinheitsgehalts hinsichtlich der übrigen Teile des Schuldspruchs I/A nichts ändern würde (RIS‑Justiz RS0120681).

Die Ausführungen zum allfälligen Vorliegen der Voraussetzungen des § 28a Abs 3 SMG beziehen sich ebenfalls nicht auf entscheidende Tatsachen, weil diese Bestimmung (nur) eine Strafrahmenvorschrift ist und als solche die Subsumtion unberührt lässt (vgl zuletzt 13 Os 63/15m mwN). Mit Blick auf die vom Beschwerdeführer nicht bekämpften Feststellungen, er habe die Schuldspruch I/A zugrunde liegenden Taten nicht vorwiegend zur Beschaffung der Suchtmittel für seinen persönlichen Gebrauch oder der Mittel hiefür begangen (US 8 und US 11 f; vgl RIS‑Justiz RS0125836; Schwaighofer in WK2 SMG § 27 Rz 92), ist das ‑ zudem nicht an der Gesamtheit der Erwägungen der Tatrichter (US 11) Maß nehmende ‑ Vorbringen auch unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 11 StPO unbeachtlich.

Gleiches gilt für die gegen die Annahme fehlender Suchtgiftgewöhnung des Rechtsmittelwerbers gerichtete Tatsachenrüge (Z 5a). Im Übrigen beschränkt sich der Beschwerdeführer darauf, auf das in der Hauptverhandlung vorgelegte medizinische und psychotherapeutische Gutachten (vgl US 11), seine Vorstrafe (US 6), seinen ‑ von den Tatrichtern ohnehin angenommenen (US 8) ‑ Konsum von Suchtgift und die von ihm dazu in der Hauptverhandlung gewählte Verantwortung (US 11 f) gestützte eigenständige Erwägungen anzustellen. Solcherart bekämpft er bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.

Die gegen die Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10 [nominell Z 9 lit a]) orientiert sich nicht an den Konstatierungen der Tatrichter zur Absicht der Angeklagten, sich durch die wiederkehrende Begehung der Schuldspruch I zugrunde liegenden Taten eine fortlaufende, beträchtliche Einnahme über zumindest einige Wochen zu verschaffen (US 7), und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt. Die Forderung nach Konstatierungen zum (konkret) erzielten Gewinn (vgl dazu im Übrigen US 12) leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb diese über die festgestellte Absicht, sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, hinaus für die Erfüllung des Tatbestands des § 28a Abs 2 Z 1 SMG erforderlich wären (vgl RIS‑Justiz RS0086627 [T4]).

Es war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ das Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, schon in nichtöffentlicher Beratung im Schuldspruch I/B aufzuheben (§ 285e StPO).

Dies hatte die Aufhebung des Strafausspruchs und demnach des zugleich gefassten Beschlusses auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit (RIS‑Justiz RS0101886) zur Folge. Ebenso erforderte es die Kassation des ‑ mit Blick auf die Sicherstellung des durch den Suchtgiftverkauf zu I/B erzielten Bargelds (US 7; ON 46 S 3) im Übrigen verfehlt auf § 20 Abs 3 StGB gestützten (vgl EvBl 2015/85) - Verfallserkenntnisses betreffend den Angeklagten Christian W*****.

Mit seiner Berufung und seiner gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtenden Beschwerde war der Genannte auf die Aufhebung des Sanktionsausspruchs zu verweisen.

Im Übrigen waren die Nichtigkeitsbeschwerden zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Gerhard J***** folgt (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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