OGH 7Ob197/15v

OGH7Ob197/15v16.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Unterbringungssache der Kranken M***** O*****, geboren am *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz ‑ Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, Geschäftsstelle Salzburg, 5020 Salzburg, Christian‑Doppler‑Klinik, Ignaz‑Harrer‑Straße 79, (Patienten-anwältin Mag. N***** K*****), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Abteilungsleiters Prim. Univ.‑Prof. Dr. H***** G*****, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 10. September 2015, GZ 21 R 271/15x‑10, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 9. Juli 2015, GZ 35 Ub 371/15b‑6, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00197.15V.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Kranke wurde am Samstag, 23. 5. 2015, 15:34 Uhr, ohne Verlangen in einem geschlossenen Bereich der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in S***** untergebracht. Ein Vertreter des Abteilungsleiters verständigte die Patientenanwaltschaft am 23. 5. 2015, 16:25 Uhr, durch Übermittlung des fachärztlichen Zeugnisses per Fax. An das Erstgericht erfolgte diese Verständigung am 26. 5. 2015, 08:07 Uhr. Die Unterbringung der Kranken wurde am 28. 5. 2015 durch die Klinik ohne Durchführung einer Erstanhörung aufgehoben.

Die Kranke begehrte mit ihrem verfahrenseinleitenden Antrag, ihre Unterbringung von 23. 5. 2015 bis zur Kenntnisnahme durch das Gericht für unzulässig zu erklären. Infolge nicht unverzüglicher Verständigung des Gerichts von der Unterbringung sei der Rechtsschutz der Kranken nicht gewährleistet gewesen. Die Erstanhörung habe nicht fristgerecht durchgeführt werden können.

Der Abteilungsleiter wandte ein, dass das ärztliche Zeugnis am 23. 5. 2015 sowohl an die Patientenanwaltschaft als auch an das Erstgericht gefaxt worden sei. Die Faxübermittlung an das Erstgericht habe aber aus unbekannten Gründen nicht funktioniert, weshalb sie am folgenden Werktag wiederholt worden sei. Die Verständigung des Erstgerichts sei demnach durchaus zeitgerecht erfolgt.

Das Erstgericht wies den Antrag der Kranken ab. Es war rechtlich der Meinung, dass die 4‑tägige Frist für die Erstanhörung gemäß § 19 UbG nach den §§ 123 ff ZPO (iVm § 12 Abs 2 UbG, § 23 Abs 1 AußStrG) mit dem Tag nach dem Einlangen der Verständigung bei Gericht zu laufen beginne. Die Erstanhörung hätte ohne Aufhebung der Unterbringung jedenfalls am 28. 5. 2015 erfolgen können, womit auch die Wochenfrist des Art 6 Abs 1 PersFrG gewahrt gewesen wäre. Die Unterbringung sei daher nicht aus formalen Gründen unzulässig gewesen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kranken dahin Folge, dass es die Unterbringung der Kranken ab deren Beginn 23. 5. 2015, 15:34 Uhr, bis zur Verständigung des Erstgerichts am 26. 5. 2015, 08:07 Uhr, für unzulässig erklärte. Es vertrat die Rechtsansicht, dass der Abteilungsleiter das Gericht gemäß § 17 UbG unverzüglich von der Unterbringung zu verständigen habe, wenn eine Person ohne Verlangen in eine psychiatrische Abteilung aufgenommen werde. Eine Sanktion bei Verletzung der Verständigungspflicht des § 17 UbG siehe das Gesetz zwar nicht vor, allerdings könne der Mangel im Unterbringungsverfahren festgestellt werden. Von einer unverzüglichen Verständigung könne nach der Rechtsprechung aber nur dann gesprochen werden, wenn sie „ohne jeglichen Aufschub“, also unmittelbar nach der Aufnahme(‑untersuchung) des Kranken erfolgt. Verzögerungen von mehreren Stunden seien jedenfalls gesetzwidrig. Hier sei das Gericht erst am vierten Tag nach der Aufnahme (23. 5. 2015, 15:34 Uhr), nämlich am 26. 5. 2015, 08:07 Uhr, verständigt worden, was den Anforderungen des § 17 UbG nicht entsprochen habe. Dies gelte unabhängig davon, dass auch bei unverzüglicher Verständigung des Gerichts (voraussichtlich) keine Änderung eingetreten wäre, weil der 25. 5. 2015 ein Feiertag (Pfingstmontag) gewesen und dadurch die Gerichtskanzlei auch erst am Vormittag des 26. 5. 2015 von der Verständigung Kenntnis erlangt hätte. Entscheidend sei vielmehr, dass alle Normadressaten des UbG ihren unverzüglichen Handlungspflichten nachkommen müssten, um die übrigen Beteiligten in die Lage zu versetzen, auch ihren Handlungspflichten ehest nachkommen zu können. Lediglich ein rasches Zusammenwirken aller Beteiligten („ohne jeglichen Aufschub“) ermögliche einen effektiven Rechtsschutz des Kranken. Dem Rekurs sei daher Folge zu geben und der Beschluss des Erstgerichts im antragsstattgebenden Sinn abzuändern gewesen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage der einheitlichen Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ im Rahmen des UbG bzw der konkreten Auslegung der „unverzüglichen Verständigung“ des Gerichts iSd § 17 UbG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere und es sich bei dieser Beurteilung um eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage handle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Abteilungsleiters wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass die Unterbringung der Kranken von 23. 5. 2015, 15:34 Uhr, bis 26. 5. 2015, 08:07 Uhr, für zulässig erklärt werde. Hilfsweise stellt der Abteilungsleiter auch einen Aufhebungsantrag. Der Abteilungsleiter macht zusammengefasst geltend, dass selbst bei einer erfolgreichen Verständigung des Gerichts am 23. 5. 2015 dieses bedingt durch das Wochenende und den Feiertag am 25. 5. 2015 frühestens am 26. 5. 2015 von der Unterbringung Kenntnis erlangt hätte und die Entscheidungsfrist des Art 6 Abs 1 PersFrG jedenfalls hätte eingehalten werden können.

Die Kranke erstattete eine Revisionsrekurs-beantwortung mit dem Antrag, dem Rekurs des Abteilungsleiters keine Folge zu geben. Der Verweis auf die Frist des § 19 UbG und jene des Art 6 Abs 1 PersFrG sei nicht entscheidend, weil es sich dabei um Maximalfristen handle. Es reiche allein die Möglichkeit, dass eine frühere Verständigung zu einer früheren gerichtlichen Überprüfung hätte führen können. Diese Voraussetzung liege vor, weil eine Verständigung des Erstgerichts, die bis Sonntag Mitternacht einlange, üblicherweise zur Anhörung am Montag, hier nach dem Feiertag am Dienstag, geführt hätte. Aufgrund der verspäteten Verständigung sei dann erst die Erstanhörung am 28. 5. 2015, dem Entlassungstag, vorgesehen gewesen.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass auch aufgrund des Fehlens formeller Voraussetzungen die Unterbringung des Kranken nicht dem Gesetz entsprechen kann (7 Ob 237/11w mwN = RdM 2012/168 [Kopetzki] = EvBl 2012/148). Unter diesem Gesichtspunkt wurde auch schon ein Verstoß gegen das Gebot der unverzüglichen Untersuchung iSd § 10 Abs 1 UbG wahrgenommen und das Vorliegen einer Gesetzesverletzung für den davon betroffenen Zeitraum bejaht (6 Ob 48/06m = EF‑Z 2006/80 [Höllwerth] = RdM 2006/127). Entsprechendes gilt für eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit gemäß § 33 Abs 3 Satz 1 UbG im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung an den Vertreter des Kranken (3 Ob 179/05b RdM 2006/128). Eine vergleichbare Konstellation mit einem fraglichen Verstoß gegen das Gebot der unverzüglichen Verständigung des Gerichts gemäß § 17 UbG gilt es hier zu beurteilen.

2.1. Wird eine Person ohne Verlangen in eine psychiatrische Abteilung aufgenommen (§§ 10 und 11 UbG), so hat gemäß § 17 UbG der Abteilungsleiter hievon unverzüglich das Gericht zu verständigen. Der Verständigung ist eine maschinschriftliche Ausfertigung des ärztlichen Zeugnisses (§ 10 Abs 1 UbG) anzuschließen.

2.2. Das Erfordernis der unverzüglichen Verständigung des Gerichts gemäß § 17 UbG ist eine selbstständige formelle Voraussetzung. Die Einhaltung dieses dem Rechtsschutz des Kranken dienenden Gebots kann ‑ entgegen der Ansicht des Revisionrekurswerbers - nicht allein deshalb entfallen, weil im Einzelfall dennoch den Fristanforderungen des § 19 Abs 1 Satz 1 UbG und/oder jenen des Art 6 Abs 1 PersFrG entsprochen werden konnte oder ‑ im Fall einer früheren Entlassung des Kranken ‑ entsprochen hätte werden können, werden doch mit diesen Bestimmungen bloß Maximalfristen festgelegt. Bei einer ‑ wie hier ‑ im Rahmen des § 38a UbG vorzunehmenden Prüfung, ob der Abteilungsleiter seiner Verpflichtung nach § 17 UbG entsprochen hat, kann es auch nicht darauf ankommen, ob im Einzelfall etwa aufgrund von Feiertagen ohnehin mit Verzögerungen im Verfahrensablauf zu rechnen gewesen wäre.

3.1. Hervorzuheben ist, dass in der RV zum Unterbringungsgesetz (464 BlgNR 17. GP  2) für die Verständigung des Gerichts (§ 9 Abs 1 RV) noch ein Zeitraum von längstens 48 Stunden vorgesehen war. Dieser war dem Justizausschuss zu lang erschienen, weshalb im Gesetz die unverzügliche Verständigung vorgesehen wurde (Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz [1993] 58).

3.2. Nach der Lehre bedeutet „unverzüglich“ im vorliegenden Kontext ohne unnötigen/jeglichen Aufschub (Halmich, Unterbringungsgesetz, Praxiskommentar [2014] 175; Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz [1993] 58; vgl dazu auch Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 207).

4.1. Zu § 10 UbG hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 4 Ob 192/98h ausgesprochen, dass es der Zweck des Unterbringungsgesetzes sei, die Rechtsfürsorge für psychisch Kranke in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten zu verbessern. Beschränkungen sollten nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß zur Abwehr schwerwiegender Gefahren zugelassen und hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Anwendung einer wirksamen Kontrolle unterworfen werden. Die Regelung des Verfahrens zur Aufnahme solle eine Fehlbeurteilung der Aufnahmevoraussetzungen und damit eine ungerechtfertigte Aufnahme nach Möglichkeit vermeiden. Dieses Ziel werde erreicht, wenn die Aufnahmeuntersuchung „innerhalb einer der Bedeutung und Dringlichkeit der Sache angemessenen Frist vorgenommen“ werde. Im damals zu beurteilenden Fall wurde der Zeitraum zwischen der ersten fachärztlichen Untersuchung um etwa 22:30 Uhr des betreffenden Tages und der zweiten gegen 09:00 Uhr des Folgetages als noch angemessen erachtet.

4.2. Zu 6 Ob 48/06m hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls zur Unverzüglichkeit der Aufnahmeuntersuchungen ausgesprochen, dass ein zwischen der ersten und der zweiten fachärztlichen Untersuchung verstrichener Zeitraum von 13,5 Stunden nur unter besonderen Umständen als unverzüglich gewertet werden könne und solche seinerzeit nicht zu erkennen waren.

5.1. Der erkennende Senat kommt auf der Grundlage der beschriebenen Rechtsentwicklung zu § 17 UbG, der Notwendigkeit eines möglichst kurzen gerichtlichen Überprüfungsverfahrens sowie aufgrund der dargestellten Lehre und Rechtsprechung zum ‑ im Rahmen des Unterbringungsgesetzes tendenziell einheitlich zu verstehenden ‑ Begriff der Unverzüglichkeit zum Ergebnis, dass dieser ein Handeln ohne unnötigen Aufschub erfordert, dem schon Verzögerungen von wenigen Stunden im Regelfall nicht gerecht werden können.

5.2. Im vorliegenden Fall sind zwischen der Aufnahme der Kranken am 23. 5. 2015, 15:34 Uhr, bis zur Verständigung des Erstgerichts am 26. 5. 2015, 08:07 Uhr, nicht etwa bloß wenige, sondern mehr als 48 Stunden verstrichen, die bereits dem Gesetzgeber erklärtermaßen zu lange erschienen (vgl 3.1.). Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass der Abteilungsleiter seiner Verpflichtung nach § 17 UbG, nämlich das Gericht von der Aufnahme einer Person ohne Verlangen unverzüglich zu verständigen, nicht entsprochen hat. Dem Revisionsrekurs war demnach ein Erfolg zu versagen.

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