OGH 7Ob187/15y

OGH7Ob187/15y16.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** M*****, vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 16. September 2015, GZ 10 R 55/15m‑22, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 30. Juni 2015, GZ 8 Cg 21/15m‑15, berichtigt durch den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juli 2015, GZ 8 Cg 21/15m‑19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00187.15Y.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.958,94 EUR (darin 599,49 EUR an Umsatzsteuer und 1.362,64 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin hat im Verfahren zu AZ 41 Cg 32/10i des Landesgerichts Innsbruck gegen die Beklagte (nach Klagsmodifikation) ein Eventualbegehren mit folgendem Wortlaut erhoben:

Die beklagte Partei ist gegenüber der klagenden Partei schuldig, ab sofort bei sonstiger Exekution die kuppelbare Seilbahnanlage auf den G***** in der Weise zu betreiben, dass die Lärmimmissionen im Bereich des Wohn- und Betriebsgebäudes der Klägerin auf Gst .519 in EZ 446 GB ***** nicht lauter als 55 dB sind.

Die Klägerin stützt im Vorprozess (ua) dieses Begehren einerseits darauf, dass die Lärmimissionen “die Ortsüblichkeit übersteigen“ und dass sich andererseits die Beklagte (gemeint offenbar: vertraglich) verpflichtet habe, alle erforderlichen Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen, damit die Lärmimmissionen der „G*****bahn-neu“ nicht größer sein würden als jene der „G*****bahn-alt“.

In diesem Vorverfahren hat das Erstgericht mit Urteil vom 4. Mai 2015 alle Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht hat mit Teilurteil und Beschluss vom 17. September 2015 dahin entschieden, dass es - betreffend das Gst 1151 in EZ 446 GB ***** ‑ die Abweisung der Hauptbegehren und eines Eventualbegehrens auf Zahlung bestätigte, jedoch die Abweisung des Feststellungs‑, des Unterlassungs‑ und des Beseitigungsbegehrens betreffend die Gst 1159 und 1158 in EZ 53 GB ***** sowie die Gst 1150 und 1152 in EZ 446 GB ***** und die Abweisung des oben wiedergegebenen Eventualbegehrens aufhob.

Das von der Klägerin hier erhobene Klagebegehren hat folgenden Wortlaut:

Die beklagte Partei ist gegenüber der Klägerin schuldig, ab sofort bei sonstiger Exekution, Schallimmissionen auf alle Zimmer und Räumlichkeiten der klagenden Partei im Hause K*****weg 7 in *****, und zwar sowohl Körper- als auch Luftschall, welche durch den Betrieb der Seilbahnanlage auf den G***** „G*****bahn“ unter der Anschrift K*****weg 9 in ***** entstehen, so weit zu unterlassen, als die Schallimmissionen einen äquivalenten Dauerschallpegel von 55 dB(A) und bei einem einzigen der zur Ermittlung dieses äquivalenten Dauerschallpegels von 55 dB(A) heranzuziehenden Terzbändern der gemessene Wert eines Terzbandes das benachbarte Terzband um mehr als 5 dB - gemessen in auch nur einem davor genannten Zimmer und Räumlichkeiten der Klägerin - überschreiten.

Die Klägerin stützt sich hier besonders auf die tieffrequenten Störlärmanteile und behauptet, die Lärmbelastung durch die neue Seilbahnanlage übersteige „jedenfalls beträchtlich das nach den örtlichen Umgebungsgeräuschverhältnissen gewöhnliche Maß“.

Die Beklagte erhob unter Hinweis auf das im Vorprozess geltend gemachte Eventualbegehren die Einrede der Streitanhängigkeit.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Es war rechtlich der Ansicht, dass Identität der Ansprüche immer dann vorläge, wenn sich aus den rechtserzeugenden Tatsachen und den daraus abgeleiteten Begehren ergebe, dass beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel anstrebten. Dies treffe hier zu, weil bei im Wesentlichen übereinstimmendem Sachverhalt das Eventualbegehren im Vorprozess und das nunmehrige Hauptbegehren darauf gerichtet seien, dass beim Betrieb der Seilbahn ein bestimmter Schallimmissionswert nicht überschritten werde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es die von der Beklagten erhobene Einrede der Streitanhängigkeit verwarf. Nach seiner Rechtsansicht sei Streitanhängigkeit dort ausgeschlossen, wo die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen nur eine teilweise sei, wo also beim weiteren Anspruch zu den von der ersten Klage vorgebrachten Tatsachen weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten würden. Dies sei hier der Fall, weil die Klägerin erstmals im vorliegenden Verfahren vorgebracht habe, dass sich die Ortsunüblichkeit aus unterschiedlichen Frequenzen in den tieferen Terzbändern ergebe. Damit mache sie eine andere Qualität des Lärms und eine bislang nicht vorgetragene konkrete Ursache des Störlärms geltend. Die Klägerin stütze sich offenbar aufgrund eines eingeholten Privatgutachtens auf einen unüblichen Grad von Tonalität dahingehend, dass die Nachbarbänder des 100 Hz‑Terzbandes von diesem erheblich abweichen würden (Abweichung Frequenzband 80 Hz um 18 dB, Frequenzband 125 Hz um 21 dB). Dieses Vorbringen sei neu, weil im Vorprozess nur undifferenziert von starken mechanischen Resonanzschwingungen und tieffrequenten Tönen die Rede gewesen und ein entsprechender Sachantrag nicht gestellt worden sei. Damit sei dargetan, dass der vorliegende Sachantrag kein Minus oder eine bloße Präzisierung des Begehrens darstelle, sondern zusätzlich darauf gerichtet sei, dass zur Einhaltung des äquivalenten Dauerschallpegels von 55 dB(A) die Unterschiede bei den zu messenden Terzbändern nicht mehr als 5 dB betragen dürften. Mit dieser zusätzlichen Komponente (Lärmqualität, Ursache des Störlärms) gehe das vorliegende Begehren über den Kern des Begehrens im Vorprozess hinaus und richte sich auf ein erweitertes Rechtsschutzziel, nämlich das Unterlassen einer ganz bestimmten Zusammensetzung des Lärms. Auf die Judikatur zu Art 27 EuGVVO könne die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erfolgreich verweisen („Kernpunkttheorie“; RIS‑Justiz RS0118405 [T2]), weil es sich um einen reinen Inlandssachverhalt handle. Eine Identität der geltend gemachten Ansprüche liege daher nicht vor.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Ob der geltend gemachte Anspruch und der rechtserzeugende Sachverhalt ident seien oder nicht, hänge regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb bei der hier vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des die Klage zurückweisenden Beschlusses des Erstgerichts. Hilfsweise stellte die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin erstattete eine ihr freigestellte Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt, weil das Rekursgericht die Frage der Streitanhängigkeit unrichtig gelöst hat.

1. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend sowie der Rechtsprechung und Lehre folgend davon ausgegangen, dass auch ein Eventualbegehren gegenüber der selbstständigen unbedingten Einklagung des Anspruchs Streitanhängigkeit begründet (RIS‑Justiz RS0037685; Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO4 zu §§ 232 ‑ 233 Rz 10). Überdies sind im Vorprozess bereits Teile der Hauptbegehren abgewiesen worden.

2. Streitanhängigkeit liegt dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (vgl RIS‑Justiz RS0039347; RS0041229). Entscheidend ist, ob beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel anstreben. Dies ist hier zu bejahen:

3. Das eingangs wiedergegebene Begehren im Vorprozess ist inhaltlich als Unterlassungsbegehren zu werten und betrifft das Gst .519 (Baufläche) der EZ 446 GB *****. Dies gilt auch für die hier vorliegende Klage, wenngleich in der Klagserzählung das Grundstück offenbar irrig mit „.559“ bezeichnet wird. Ein Grundstück mit einer solchen Gst‑Nr existiert in dieser EZ nämlich nicht.

4. Inhaltlich ist das Begehren im Vorprozess so weit formuliert, dass jede Lärmimmission erfasst wird, die - unabhängig von der Messweise und/oder der Frequenzart - 55 dB übersteigt. Das nunmehrige Klagebegehren ist demgegenüber eine einschränkende Präzisierung, weil nur Schallimmissionen angesprochen sind, die einen äquivalenten Dauerschallpegel von 55 dB(A) überschreiten und einem bestimmten Frequenzbereich zugehören. Der Klagegrund ist in beiden Verfahren einerseits die über die Ortsüblichkeit hinausgehende Lärmbelastung und andererseits beruft sich die Klägerin zu beiden Begehren sinngemäß auf eine angebliche Zusage der Beklagten, dass die Lärmbelastung durch die neue Seilbahnanlage nicht höher sein werde als durch die alte. Es liegt daher Streitanhängigkeit zwischen den bezeichneten Begehren vor, weshalb in Stattgebung des Revisionsrekurses der die Klage zurückweisende Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen war.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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