OGH 8Ob90/15s

OGH8Ob90/15s25.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj J*****, vertreten durch den Vater M*****, vertreten durch Dr. Michael Kowarz, Rechtsanwalt in Wals, gegen die beklagte Partei T*****, vertreten durch Dr. Herbert Gschöpf, Dr. Marwin Gschöpf, Rechtsanwälte in Velden, wegen 8.328,43 EUR sA und Feststellung (2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 5.164,21 EUR sA) gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 24. Juni 2015, GZ 22 R 161/15b‑51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 25. März 2015, GZ 2 C 128/13d‑47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00090.15S.1125.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,99 EUR (darin 74,67 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Am 21. Februar 2010 um etwa 11 Uhr ereignete sich im Schigebiet Werfenweng ein Schiunfall, an dem der damals siebenjährige Kläger und die Beklagte beteiligt waren.

Die Piste verläuft an der Unfallstelle in Form eines etwa 6 bis 7 Meter breiten Wegs. Nordseitig steigt eine Hangböschung an, südlich verläuft eine steile Böschung, die in einen Graben mündet. Der Schiweg ist blau markiert. Er verläuft zunächst ungefähr 40 bis 50 Meter in einem mittelsteilen Gefälle, ehe er über eine Wegstrecke von ungefähr 200 Meter bis zur Kollisionsstelle mit geringem Gefälle weiterführt. Die Ränder der Piste sind durch die Pistenpräparierung und das Gelände deutlich ersichtlich.

Am Unfallstag befuhr der Kläger die Piste gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder. Der Kläger und sein Bruder fuhren vor ihren Eltern. Die beiden fuhren in das Gelände außerhalb der Piste auf einen Hügel und hielten dort in einer Position etwa zwei Meter außerhalb des nördlichen Rands des Schiwegs an.

Die Beklagte befuhr den Schiweg mit dem Snowboard (rechter Fuß vorne, Rücken zum Hang). Sie hielt in Annäherung an die Unfallstelle eine Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h ein und fuhr größere, lang gezogene Schwünge, um auf dem flachen Weg vorwärts zu kommen. Sie nahm den Kläger und seinen Bruder in ihrer Stillstandsposition außerhalb der Piste aus einer Entfernung von 10 bis 15 Metern wahr, wobei sie den Eindruck hatte, dass sie dort auf jemanden warteten. Die Beklagte überholte daraufhin die in der Mitte des Schiwegs fahrende Mutter des Klägers, indem sie diese südlich passierte, um dann nach dem Abschluss dieses Überholmanövers mit einem Rechtsschwung wieder in den nördlichen Bereich des Schiwegs zu fahren. Aufgrund ihrer Position auf dem Snowboard bestand für sie eine ungünstige Sicht auf den nördlich gelegenen Hang, weil bei einem Rechtsschwung ihr Rücken dorthin zeigte. Der Kläger fuhr von seiner Stillstandsposition außerhalb der Piste in den Schiweg ein, wo er seitlich gegen die Beklagte fuhr, sodass beide zu Sturz kamen. Von seiner Stillstandsposition legte er zum Pistenrand eine Wegstrecke von etwa 2 bis 2,5 Meter (in maximal 2 bis 3 Sekunden) und bis zur Kollisionsstelle eine weitere Wegstrecke von etwa 2 bis 2,5 Meter (in weiteren 1,2 bis 1,4 Sekunden) zurück. Die Beklagte konnte das Einfahren des Klägers in den Schiweg wegen ihrer oben beschriebenen Position nicht sehen und keine unfallverhütende Maßnahme setzen. Dem Kläger wäre es bei entsprechender Beobachtung des Schiwegs möglich gewesen, die Kollision zu vermeiden.

Der beim Unfall verletzte Kläger begehrte von der Beklagten 8.328,43 EUR an Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für mögliche Spät‑ und Dauerfolgen aus dem Unfall. Sie habe den vorschriftsmäßig fahrenden Kläger übersehen und daher den Unfall allein verschuldet. Die Beklagte ging vom Alleinverschulden des Klägers aus, der unmittelbar vor ihr in die Piste gefahren sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der Kläger hätte die Beklagte vor dem Einfahren in den Schiweg passieren lassen müssen. Die Beklagte habe davon ausgehen können, dass der Kläger ihren Vorrang beachte. Das Alleinverschulden am Unfall treffe daher den Kläger. Von der Beklagten zu verlangen, nur so zu fahren, dass sie die außerhalb der Piste stehenden Kinder immer im Auge behalten hätte können, würde die einer Snowboard‑Fahrerin zumutbare Sorgfalt überspannen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob eine Snowboard‑Fahrerin wegen rund zweieinhalb Meter außerhalb der Piste stehender Kinder eine Fahrlinie wählen müsse, aus der sie ununterbrochen Sicht auf die Kinder habe, bzw ob sie in Annäherung an die Kinder das Überholen einer anderen Schifahrerin unterlassen müsse.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Die Beurteilung der Vorwerfbarkeit des Verhaltens der an einem Schi‑ oder Snowboard‑Unfall Beteiligten kann immer nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls erfolgen und verwirklicht daher im Allgemeinen keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage. Dass ein exakt vergleichbarer Fall bislang vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen. Anders wäre dies nur dann, wenn dem Berufungsgericht eine unvertretbare Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Davon kann aber hier keine Rede sein.

2. Dass den Kläger, der ohne Rücksicht auf die auf dem Schiweg herannahende Beklagte unmittelbar vor dieser in die Piste einfuhr, ein Verschulden am Unfall trifft, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Der Kläger meint aber, dass auch die Beklagte ein Verschulden am Unfall zu vertreten habe, weil der auch beim Schifahren geltende Vertrauensgrundsatz ‑ so wie im Straßenverkehr ‑ zugunsten von Kindern nicht gelte und daher die Beklagte nur langsam und unter ständiger Beobachtung der Kinder an diesen hätte vorbeifahren dürfen.

3. Dem Kläger ist durchaus zuzugestehen, dass auch beim Schifahren trotz des auch dort grundsätzlich geltenden Vertrauensgrundsatzes (RIS‑Justiz RS0023645) auf das verkehrsgerechte Verhalten von Kindern nicht bzw nur beschränkt vertraut werden kann. Auch in diesem Zusammenhang gilt aber, dass der im Übrigen auch in den FIS‑Regeln verankerte Grundsatz der Rücksichtnahme auf andere Schifahrer nicht überspannt werden darf, um nicht das Schifahren überhaupt unmöglich zu machen (6 Ob 149/97y; RIS-Justiz RS0023381).

4. Im hier zu beurteilenden Fall ist vor allem zu berücksichtigen, dass der Kläger und sein Bruder ‑ als sich die Beklagte näherte ‑ etwa zwei Meter außerhalb der Piste auf einem Hügel, also nicht einmal unmittelbar am Rand, sondern deutlich außerhalb des Schiwegs standen. Von der Klägerin zu verlangen, sie hätte keine Schwünge machen dürfen, durch die die Kinder (ohnedies nur kurzfristig) aus ihrem Blickwinkel geraten, und sie überdies zu verpflichten, eine Geschwindigkeit zu wählen, die es ihr ermöglicht hätte, jederzeit vor allenfalls im letzten Moment in die Piste einfahrenden Kindern stehenzubleiben, würde bedeuten, dass sie als Snowboarderin angesichts des geringen Gefälles des Wegs Gefahr gelaufen wäre, überhaupt zum Stillstand zu kommen. Dass das Berufungsgericht darin eine Überspannung der Sorgfaltspflichten der ohnedies nur mit geringer Geschwindigkeit fahrenden Beklagten sah und vom Alleinverschulden des Klägers ausging, der unmittelbar vor ihr in die Piste einfuhr und ihr damit jegliche unfallvermeidende Reaktion unmöglich machte, ist daher jedenfalls vertretbar. Damit ist aber die Revision nicht zulässig.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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