European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00069.15A.1117.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Siegfried S***** des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 12. Dezember 2008 in L***** im einverständlichen Zusammenwirken mit seinem Vater, dem abgesondert rechtskräftig verurteilten Richard S*****, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Sachbearbeiter der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Oberösterreich, durch die wahrheitswidrige Behauptung, Richard S***** sei körperlich sowie (infolge Gedächtnisstörung/Demenz) geistig beeinträchtigt und solcherart pflegebedürftig, zur Zuerkennung und Auszahlung von Pflegegeld an den Genannten für den Zeitraum Jänner 2009 bis einschließlich Oktober 2012 in Höhe von insgesamt 53.748 Euro verleitet, wodurch die Pensionsversicherungsanstalt in dieser Höhe am Vermögen geschädigt wurde, wobei er „den Antrag auf Zuerkennung bzw Verlängerung von Pflegegeldzahlungen für seinen Vater stellte und persönlich unterfertigte“.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagtenverfehlt ihr Ziel.
An sich zutreffend zeigt die Verfahrensrüge (Z 3) auf, dass die in der Hauptverhandlung erfolgte zeugenschaftliche Vernehmung des Michael B*****, Zollamtsinspektor des Zollfahndungsamts Stuttgart, (auch) zum Inhalt von Berichten einer anonymen Vertrauensperson (VP), die in einem von deutschen Strafverfolgungsbehörden gegen Richard S***** wegen des Verdachts illegaler Herstellung und Produktion von Tabakwaren geführten Ermittlungsverfahren ‑ zum Teil (über Anordnung der Staatsanwaltschaft Innsbruck) auch in Österreich (ON 11 in ON 26) ‑ zum Einsatz gekommen war (ON 32 S 2 f), eine ‑ aus Z 3 relevante ‑ Umgehung des in § 252 Abs 1 StPO genannten Verlesungsverbots (§ 252 Abs 4 StPO) darstellt.
Der Inhalt der Aussage kam jedoch vorliegend (wie die Rüge selbst eingesteht) durch einverständliche Verlesung oder zusammenfassenden Vortrag des gesamten Akteninhalts (ON 32 S 9 und 20), somit auch der schriftlichen Aufzeichnungen („gerichtsverwertbare Amtsvermerke“ ON 26) des in Rede stehenden Zeugen über sämtliche (ON 32 S 3 f) ihm als Führungsoffizier persönlich und telefonisch erstatteten Berichte der anonymen Vertrauensperson sowie seiner (mit den aktuellen Angaben inhaltsgleichen) Depositionen im Verfahren gegen Richard S***** (AZ 14 Hv 41/03w des Landesgerichts Wels, ON 13 f S 6 ff), rechtens in der Hauptverhandlung vor (§ 252 Abs 1 Z 4 und Abs 2a StPO), womit eine durch die gesetzlich nicht gedeckte Abhörung des Berichtsverfassers als „Zeuge vom Hörensagen“ bewirkte Benachteiligung des Beschwerdeführers nicht auszumachen ist und der Vorgang solcherart nachträglich saniert wurde.
Ein ‑ bei einer solchen Fallgestaltung allerdings erforderlicher ‑ gegenteiliger Hinweis ist der Beschwerde nicht zu entnehmen (zum Ganzen: RIS‑Justiz RS0118778 [T3]; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 84, 236, 743, 746).
Soweit in diesem Zusammenhang auch die unterbliebene amtswegige Ausforschung und Vernehmung der anonymen Vertrauensperson nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) kritisiert wird, legt der Beschwerdeführer nicht dar, wodurch er an einer darauf abzielenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sein soll (RIS‑Justiz RS0115823; vgl auch 13 Os 23/10x).
Wird ‑ wie hier in Bezug auf den gesamten Akteninhalt einschließlich des Akts „1 St 99/09g der Staatsanwaltschaft Linz samt dem grünen Beilagenordner“ (vgl erneut ON 32 S 20) ‑ auf tatsächliche Verlesung von Schriftstücken verzichtet, ist der Inhalt des die Vorlesung substituierenden Vortrags einer nachträglichen Kritik aus Z 5 entzogen, es sei denn, eine der Voraussetzungen des § 252 Abs 2a StPO wäre nicht vorgelegen, was die Rüge gerade nicht behauptet (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 460). Der Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zufolge unterbliebener konkreter Bezugnahme auf einzelne von den Tatrichtern im Urteil für maßgeblich erachtete und im Urteil zur Fundierung entscheidungswesentlicher Feststellungen (insbesonders zur subjektiven Tatseite) herangezogene Verfahrensergebnisse im Rahmen des zusammenfassenden Vortrags des Vorsitzenden geht daher gleichfalls ins Leere.
Mit der ‑ auch an mehreren anderen Stellen der Beschwerde geäußerten ‑ Kritik am Unterbleiben von Vorhalten oder einer Befragung des Angeklagten zum Inhalt entsprechender Aktenstücke werden der Sache nach ein weiteres Mal Mängel der Sachverhaltsermittlung behauptet (Z 5a), Umstände, die den Beschwerdeführer an der Ausübung seiner (ohnehin wahrgenommenen) Rechte, sich in der Hauptverhandlung zum Sachverhalt zu äußern (§ 245 Abs 1 StPO) und durch seinen Verteidiger ergänzende Fragen ‑ auch an ihn selbst ‑ stellen zu lassen (§ 249 Abs 1 StPO), gehindert hätten, jedoch nicht dargetan. Das von der Rüge inhaltlich angesprochene strafprozessuale Überraschungsverbot (vgl § 262 StPO) bezieht sich nicht auf ‑ mit dem Einwand kritisierte ‑ beweiswürdigende Erwägungen (RIS‑Justiz RS0120025 [T1]).
Die Feststellungen zum Täuschungsvorsatz (insbesonders zum Wissen des Beschwerdeführers um den wahren Gesundheitszustand seines Vaters) haben die Tatrichter ‑ sowohl Gesetzen folgerichtigen Denkens als auch grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend ‑ aus dem objektiven Tatgeschehen und einer vernetzten Betrachtung einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen (etwa den ‑ durch zahlreiche Kontrollbeweise untermauerten ‑ Beobachtungen der anonymen Vertrauensperson, den Aussagen der Zeugen Michael B***** und Michael H***** und aus dem Akt angeschlossenen Urkunden, aus denen sich nach Ansicht des Erstgerichts zahlreiche Kontakte und damit ein ausreichendes Naheverhältnis zwischen Vater und Sohn ergaben) im Verein mit allgemeiner Lebenserfahrung abgeleitet (US 6 bis 12).
Indem die Beschwerde Passagen der in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen isoliert herausgreift und nominell als unvollständig, widersprüchlich und aktenwidrig erachtet, übersieht sie, dass die sachverhaltsmäßige Bejahung einzelner als erheblich beurteilter Umstände, die ‑ wie hier ‑ keine notwendige Bedingung für die Feststellung von entscheidenden Tatsachen darstellen, sondern erst in der Gesamtschau mit anderen dazu führen, als Anfechtungsbasis der Mängelrüge ausscheiden (RIS‑Justiz RS0116737).
Im Übrigen erschöpft sich das diesbezügliche Vorbringen darin, aus
Prämissen, die keinen Aktenbezug erkennen lassen, für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse abzuleiten und einzelnen Überlegungen des Schöffensenats eigene Beweiswerterwägungen entgegenzustellen, womit bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft wird.
Gleichfalls in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung erschöpft sich der Vorwurf „unzureichender Begründung ... betreffend die Würdigung der Aussage des Zeugen Richard S*****“, welchem die Tatrichter die Glaubwürdigkeit ‑ übrigens mit ausführlicher Begründung (US 11 f) ‑ absprachen (RIS‑Justiz RS0106588).
Die in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik an unterlassener amtswegiger Ausforschung und Vernehmung des Johann F***** lässt erneut ein Vorbringen zu entsprechender Antragstellung entgegenstehenden Hindernissen vermissen.
Abgesehen davon, dass ein Antrag auf Erhöhung des Pflegegelds ohnehin stets auch auf dessen fortgesetzte Auszahlung abzielt, lässt sich den Entscheidungsgründen ‑ dem Einwand diesbezüglicher „Aktenwidrigkeit“ (Z 5 fünfter Fall; vgl dazu aber RIS‑Justiz RS0099431) zuwider - eine Feststellung des Inhalts, dass der Angeklagte einen Antrag auf „Erhöhung des Pflegegeldes bzw Verlängerung von Pflegegeldzahlungen“ bei der Pensions-versicherungsanstalt einbrachte, nicht entnehmen. Einen ‑ im Übrigen nicht entscheidungswesentlichen ‑ Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen dem ‑ diese Formulierung enthaltenden ‑ Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und den Konstatierungen, nach denen der entsprechende Antrag (nur) auf Erhöhung des Pflegegeldes gerichtet war (US 3 und 13), macht die Rüge nicht geltend (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 272 [276]).
Die Ableitung der Urteilsannahmen zu einer auf die Zufügung eines 50.000 Euro übersteigenden Schadens gerichteten Täterintention (US 5) aus dem objektiven Tatgeschehen und der generell langen Laufzeit von Pflegegeldzahlungen (vgl dazu § 9 BPGG) im Verein mit der fundierten (Hochschul‑)Ausbildung des Beschwerdeführers im Wirtschaftsbereich (US 2, 5 und 10) ist ‑ entgegen dem substratlosen Beschwerdeeinwand (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 vierter Fall) ‑ aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116732, RS0118317, RS0116882).
Dass es zur Subsumtion des Täterverhaltens (auch) unter § 147 Abs 3 StGB neben den Konstatierungen zum ‑ vom Vorsatz umfassten ‑ Eintritt eines über der dort normierten Wertgrenze liegenden Schadens (US 4) zusätzlicher Feststellungen zur Höhe des von Richard S***** vor dem Erhöhungsantrag vom 12. Dezember 2008 bezogenen Pflegegeldes (der Stufe 4; vgl dazu im Übrigen § 5 BPGG), zu den nach Antragstellung erwarteten Zahlungen und dem diesbezüglichen Wissensstand des Beschwerdeführers bedurft hätte, obwohl ihm Bezüge vor dem 1. Jänner 2009 gar nicht angelastet wurden (erneut US 4), wird von der Beschwerde (nominell Z 5 vierter Fall und Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) ohne methodisch vertretbare Ableitung aus dem Gesetz bloß behauptet.
Indem sie im Folgenden die Ansicht vertritt, das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten ab Dezember 2008 sei lediglich kausal für den Eintritt eines Vermögensschadens in Höhe der Differenz zwischen Pflegegeld der Stufe 4 und 6 gewesen, weil der darüber hinausgehende Erfolg aufgrund der bereits im Juli 2008 (ohne sein Zutun) erfolgten unbefristeten Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 4 auch ohne seine Einflussnahme eingetreten wäre (nominell Z 9 lit a, der Sache nach erneut Z 10), geht sie nicht vom festgestellten, sondern einem bloß hypothetischen Geschehensablauf (nämlich gänzlicher Untätigkeit des Beschwerdeführers) aus und verfehlt solcherart den
Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
Sie ignoriert nämlich die insoweit wesentlichen Urteilsannahmen, nach denen die zuständigen Sachbearbeiter der Pensionsversicherungsanstalt durch die wahrheitswidrigen Behauptungen des Beschwerdeführers im (Erhöhungs‑)Antrag und anlässlich der aus dessen Anlass durchgeführten Untersuchung des Anspruchswerbers durch eine Sachverständige nicht nur hinsichtlich des erhöhten Pflegebedarfs, sondern (erneut) auch in Bezug auf das grundsätzliche Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen (nämlich einer Pflegebedürftigkeit aufgrund einer Demenzerkrankung) getäuscht (damit im bestehenden Irrtum bestärkt) und dadurch zur Auszahlung der gesamten inkriminierten Beträge verleitet wurden (US 3 ff; 13), welche bei Kenntnis des tatsächlichen Gesundheitszustands des Richard S***** (also im Fall wahrheitskonformer Angaben des Beschwerdeführers) zur Gänze unterblieben wäre (vgl dazu im Übrigen Kirchbacher in WK² StGB § 146 Rz 43).
Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die getroffenen Feststellungen, nach denen der Beschwerdeführer die Intention verfolgte, eine möglichst hohe Pflegestufe und die möglichst lange Auszahlung derselben an seinen Vater zu erreichen (vgl erneut § 9 BPGG), sowie dass er den Eintritt eines 50.000 Euro übersteigenden Vermögensschadens ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand (US 5), die vorgenommene Subsumtion selbst bei Anlastung bloß des angesprochenen Differenzschadens tragen würden. Dass es insoweit hinsichtlich eines Teilbetrags beim Versuch geblieben wäre, weil die Pensionsversicherungsanstalt die Zahlungen aufgrund einer sicherheitsbehördlichen Information über den bestehenden Betrugsverdacht am 1. November 2012 einstellte (US 4), ist für die Lösung der Schuld‑ oder der Subsumtionsfrage nicht relevant. Die rechtliche Bedeutung der Abgrenzung zwischen versuchter und vollendeter Tat beschränkt sich nämlich auf die Frage des Vorliegens des Milderungsumstands des § 34 Abs 1 Z 13 StGB, womit darauf bezogene Feststellungen Strafzumessungstatsachen betreffen und solcherart dem Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO zugehören (RIS‑Justiz RS0122137; Ratz , WK‑StPO § 283 Rz 1).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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