OGH 10ObS124/15f

OGH10ObS124/15f17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. V*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Gartner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15‑19, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. September 2015, GZ 8 Rs 69/15y‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00124.15F.1117.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Klägerin war seit 2005 als Ärztin unselbständig berufstätig und hatte als Mitglied der Ärztekammer für Wien Beiträge zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien sowie die Kammerumlage zu entrichten. Anlässlich der Geburt ihres Sohnes am 1. 10. 2007 bezog sie vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2009 von der beklagten Partei Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 14,53 EUR pro Tag, somit insgesamt 5.303,45 EUR.

Das Erstgericht wies das ‑ noch den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende ‑ Klagebegehren, es möge festgestellt werden, dass der Anspruch auf Rückersatz des an die Klägerin geleisteten Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2009 in Höhe von 1.378,36 EUR nicht zu Recht bestehe, ab und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung dieses Betrags in monatlichen Raten à 300 EUR. Es traf ‑ zusammengefasst ‑ noch folgende weitere Feststellungen:

„Im Jahr 2009 hatte die Klägerin ‑ neben dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes ‑ Einkünfte vom Magistrat der Stadt Wien aus nichtselbständiger Arbeit; weiters bezog sie im Jahr 2009 Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Mit mehreren im April und Mai 2009 an die Klägerin ergangenen Bescheiden setzte die Ärztekammer für Wien bzw der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien Guthabensbeträge sowohl an Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds als auch an Kammerumlage fest. Eine Auszahlung derartiger Guthabensbeträge wird von der Ärztekammer und vom Wohlfahrtsfonds nur vorgenommen, wenn das Mitglied die Auszahlung verlangt. Die Klägerin ersuchte um Auszahlung des Guthabensbetrags in Höhe von 206,55 EUR (der sich insgesamt aus den Bescheiden betreffend der von ihr geleisteten Kammerumlage für die Jahre 2005, 2007 und 2008 ergab) sowie um Auszahlung des weiteren Guthabensbetrags von 1.576,53 EUR (der sich per Saldo aus den Bescheiden hinsichtlich der von ihr geleisteten Fondsbeiträge für die Jahre 2007 und 2008 ergab). Mit Überweisungen vom 18. 6. 2009 und 30. 7. 2009 gelangten an die Klägerin somit insgesamt 1.783,08 EUR aus den saldierten Guthaben zur Auszahlung. Hätte die Klägerin kein Auszahlungsverlangen gestellt und auch sonst keine andere Verfügung über eine anderweitige Verwendung des Guthabensbetrags getroffen, wäre der Betrag als Akonto bei der Ärztekammer bzw im Wohlfahrtsfonds verblieben.

Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit iSd § 25 EStG 1988 zählten auch Rückzahlungen von Pflichtbeiträgen, sofern diese ganz oder teilweise aufgrund des Vorliegens von Einkünften aus einem Dienstverhältnis einbehalten oder zurückgezahlt werden (§ 25 Abs 1 Z 3 lit d EStG 1988). Die im Jahr 2009 an die Klägerin von der Ärztekammer für Wien bzw dem Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien zurückgeflossenen Beträge seien nach Maßgabe des steuerrechtlichen Zuflussprinzips gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG iVm § 19 EStG 1988 dem Jahr 2009 zuzuordnen, auch wenn sie ihren Grund in der in den Jahren 2005, 2007 und 2008 ausgeübten unselbständigen Erwerbstätigkeit der Klägerin gehabt hätten. Für den Zeitraum 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2009 ermittle sich der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 1 KBGG daher aus der Summe des von der Ärztekammer überwiesenen Guthabensbetrags von 1.783,08 EUR, den im Jahr 2009 bezogenen Einkünften laut Einkommenssteuerbescheid sowie des im Jahr 2009 bezogenen Arbeitslosengeldes und der Notstandhilfe (die Höhe dieser letzteren Einkünfte ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig), somit mit insgesamt 17.578,36 EUR. Dieser Betrag übersteige den Grenzbetrag von 16.200 EUR um 1.378,36 EUR, sodass die Klägerin unter Berücksichtigung der sogenannten „Einschleifregelung“ (§ 8a KBGG) zum Rückersatz des zu viel bezogenen Kinderbetreuungsgeldes von 1.378,36 EUR zu verpflichten gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Rechtlich erachtete es die Entscheidungsgründe des Ersturteils für zutreffend (§ 500a ZPO) und ging davon aus, dass die Klägerin als Ärztin gemäß § 68 ÄrzteG Kammerangehörige und zur Zahlung der festgesetzten Umlagen und Wohlfahrtsbeiträge verpflichtet sei. Der an sie zur Auszahlung gebrachte Guthabensbetrag sei daher als Rückzahlung von Pflichtbeiträgen iSd § 25 Abs 1 Z 3 lit d EStG 1988 anzusehen, für den als Einkunft aus nichtselbständiger Arbeit das Zuflussprinzip (§ 19 EStG 1988) gelte. Eine Verfassungswidrigkeit sei zu verneinen.

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag der Klägerin auf „Zulassung der ordentlichen Revision gemäß § 508 ZPO“ ist verfehlt, weil für Streitigkeiten in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen die Absätze 2 und 3 des § 502 ZPO nicht gelten (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO). Wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist, kann daher eine außerordentliche Revision erhoben werden, ohne dass es einer Abänderung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision durch das Berufungsgericht bedarf. Die von der Klägerin mit ihrem Abänderungsantrag ausgeführte ordentliche Revision wird daher in eine außerordentliche Revision gemäß § 505 Abs 4 ZPO umgedeutet (10 ObS 64/12b mwN). Sie ist jedoch mangels der Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Den Revisionsausführungen ist kurz Folgendes zu erwidern:

1. Da die Klägerin unselbständig erwerbstätig war, ist nach der expliziten Anordnung in § 8 Abs 1 Z 1 KBGG bei Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte an den Einkommensbegriff des § 25 EStG 1988 anzuknüpfen, der für Zwecke der Erhebung der Einkommenssteuer für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit geschaffen wurde. Dass § 69 ÄrzteG alle Kammerangehörigen zur Leistung der in der Beitragsordnung festgesetzten Umlagen und Wohlfahrtsbeiträge verpflichtet, ohne dass zwischen unselbständiger oder selbständiger Tätigkeit unterschieden wird, hebt die in § 8 Abs 1 KBGG enthaltene Anknüpfung einerseits an den Einkommensbegriff des § 25 EStG 1988 („Nichtselbständige Arbeit“) und andererseits an „andere maßgebliche Einkünfte“ (§§ 21 bis 23 EStG 1988) nicht auf.

2. Auch die zeitliche Zuordnung der Einkünfte (Zufluss der Einnahmen und Abfluss der Ausgaben) erfolgt nach dem EStG 1988 (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 12), somit nach dem steuerrechtlichen Zuflussprinzip. Im vorliegenden Fall stand der Klägerin die Gestaltungsmöglichkeit offen, zur Einhaltung der Zuverdienstgrenze den Guthabensbetrag als Akonto bei der Ärztekammer bzw dem Wohlfahrtsfonds zu belassen und damit einen Zufluss im Jahr 2009 und ein Übersteigen des Grenzbetrags zu vermeiden. Hat sie aber die Auszahlung beantragt und dadurch das ihr zur Verfügung stehende Einkommen im Jahr 2009 erhöht, erscheint das Abstellen auf den Zufluss (§ 19 EStG 1988) nicht unsachlich. Allein der Umstand, dass die Klägerin bei Stellung des Auszahlungsantrags etwaige nachteilige Konsequenzen für ihren Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld offensichtlich nicht bedacht hat, rechtfertigt nicht die von ihr gewünschte „verfassungsgemäße“ Interpretation dahingehend, das Zuflussprinzip sei zu durchbrechen, indem die Guthabensbeträge als Einkünfte aus einer vor dem Anspruchszeitraum beendeten Betätigung außer Ansatz zu bleiben haben. Die Ausnahmeregelung, dass Einkünfte, die aus einer Betätigung bezogen werden, die vor Beginn des Anspruchszeitraums (das sind die Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes ‑ § 8 Abs 1 Z 1 KBGG) beendet wird, nicht einzurechnen sind, bezieht sich nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG lediglich auf die Zuverdienstgrenze bei“ anderen maßgeblichen Einkünften“ nach den §§ 21 bis 23 EStG 1988 ( Ehmer ua, KBGG 2 147; 10 ObS 34/13t, SSV‑NF 27/50). Diese Regelung gelangt aber im Fall der Klägerin nicht zur Anwendung. Auch mit dieser Rechtsprechung steht die Entscheidung des Berufungsgerichts in Einklang.

Dies führt zur Zurückweisung der Revision als unzulässig.

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