OGH 14Os109/15h

OGH14Os109/15h17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Juli 2015, GZ 38 Hv 5/15z‑57, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin Mag. Wenger, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Szabo sowie der Dolmetscherin Schulz, MA zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00109.15H.1117.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Michael S***** wird unter Anwendung der §§ 28 Abs 1 und 39a Abs 1 Z 4 StGB nach § 206 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

fünf Jahren

verurteilt.

Die Anrechnung der Vorhaft wird dem Erstgericht überlassen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael S***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A/I) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A/II) sowie der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB (A/III), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (A/IV), der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (A/V), des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (B/I) und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (B/II) schuldig erkannt.

Danach hat er

(A) am 29. November 2014 in N***** im Stubaital

I) Lisl G*****, nachdem er sich in die unversperrte Wohnung eingeschlichen und zu ihrem Bett im Kinderzimmer begeben hatte, mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie (als sie noch schlief) am Fuß kitzelte, sie und sich selbst entkleidete, ihr dann mit seinem entblößten Penis gegen die Wange schlug, ihren Mund öffnete und den Penis in ihren Mund einführte, sie dann in das „Bügelzimmer“ trug, wo er sich mit ihr auf dem Boden setzte und zumindest jeweils einen Finger in ihre Vagina und in ihren Anus einführte, wobei er die weinende Lisl G***** während des einheitlichen Tatgeschehens mehrmals an den Haaren zog, ihr zumindest zwei Mal den Mund-Nasenbereich mit der Hand zuhielt, mit beiden Händen ihren Hals umfasste und zudrückte sowie mit beiden Händen ihren Körper umklammerte, um solcherart die Einleitung und Fortsetzung der beischlafsähnlichen Handlungen, nämlich Oralverkehr sowie digitale Vaginal‑ und Analpenetration, zu erzwingen;

II) durch die zu I) beschriebenen Handlungen mit der am 4. September 2008 geborenen, mithin unmündigen, Lisl G***** dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen;

III) fremde bewegliche Sachen (ein Spielzeugauto, mehrere Pflaster, eine Copycard und einen [gültigen] Monatsausweis des Verkehrsverbunds) Robert Gl***** und dessen Sohn mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen;

IV) einen Studentenausweis, einen Lohnzettel und eine E‑Card, jeweils ausgestellt auf Robert Gl*****, mithin Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem er diese an sich nahm und einsteckte;

V) ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht verfügen durfte, nämlich die Bankomatkarte lautend auf Robert Gl*****, ausgestellt von der R*****, mit dem Vorsatz, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt, indem er sie an sich nahm und einsteckte;

(B) am 30. Mai 2015 in I*****

I) Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er den Justizwachebeamten Mario Ra***** und Wolfgang St*****, die mit seiner Bewachung in der Justizanstalt I***** befasst waren und ihn mehrmals aufforderten, den Haftraum zu betreten, wobei sie im Begriff standen, ihn in diesen zu verbringen, Stöße gegen ihren Körper versetzte, sich aus ihren Festhaltegriffen losriss, Wolfgang St***** in eine Halsumklammerung nahm, diesen sodann im Beckenbereich mit einer starken Beinumklammerung umfasste und mit einem Kugelschreiber auf ihn einzustechen versuchte;

II) durch die zu B/I beschriebenen Handlungen Wolfgang St*****, mithin einen Beamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben, vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm Hautrötungen, Abschürfungen und Schwellungen im Bereich des rechten Halsansatzes, des linken Schlüsselbeins und des rechten Ellbogens sowie mehrfache Prellungen zufügte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt aus dem zuletzt genannten Nichtigkeitsgrund teilweise Berechtigung zu.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) wurde das Tatopfer bei seiner kontradiktorischen Vernehmung nach dem Protokoll über diese Beweistagsatzung (ON 21 S 3) ohnehin über seine Aussagebefreiung nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO belehrt (vgl im Übrigen Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 239) und hat (wie auf der Ton‑ und Bildaufnahme ersichtlich) ‑ über ausdrückliche Befragung dem Alter (von sechs Jahren) entsprechend, jedoch unmissverständlich ‑ erklärt, diese Aussagebefreiung im weiteren Verfahren in Anspruch nehmen zu wollen. Die auf gegenteilige Behauptungen gestützte Kritik an der Vorführung der Ton‑ und Bildaufnahme sowie der Verlesung des Protokolls über die kontradiktorische Vernehmung des Tatopfers (ON 56 S 30 f) ist daher nicht nachvollziehbar.

Eine vom Sachverständigen diagnostizierte (ON 49 S 47) „erhebliche Minderung des Steuerungsvermögens“ des Beschwerdeführers hat das Erstgericht ohnehin festgestellt (US 8). Dem von der Mängelrüge (der Sache nach) erhobenen Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter auch ausführlich mit dem Gutachten auseinandergesetzt (US 7 ff).

Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) erfolgte die Anwendung des § 39a Abs 1 Z 4 StGB zu Recht. Der „gesamte in § 39a StGB umschriebene Unrechtsgehalt“ ist keineswegs von der ‑ zutreffenden, keine Änderung des Strafrahmens bewirkenden ‑ Annahme von Idealkonkurrenz der §§ 201 Abs 1 und 206 Abs 1 StGB abgegolten.

Im bisherigen Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Die weitere Sanktionsrüge zeigt hingegen zutreffend die verfehlte Wertung von zwei Verurteilungen des Beschwerdeführers in Großbritannien als erschwerend (US 25) auf. Nach den Feststellungen im Zusammenhalt mit der begründend zitierten Auskunft (US 6 iVm ON 22) aus dem Europäischen Strafregisterinformationssystem (ECRIS) wurde der Beschwerdeführer (an diesem Tag rechtskräftig) am 9. März 2001 wegen „Diebstahles unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen oder unter Gewaltandrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen“ (ECRIS Code 1703 00) und am 3. April 2002 (mit Rechtskraft vom selben Tag) wegen „unerlaubten Besitzes von Waffen bzw. Schusswaffen, ihren Teilen, Komponenten, Munition und Sprengstoffen“ (ECRIS Code 0504 00) ‑ neben hier nicht relevanten vermögensrechtlichen Anordnungen (etwa Einziehung) ‑ jeweils (nur) zu „finanziellen Strafen und Maßnahmen“ (ECRIS Code 8000), nämlich (nach englischer Bezeichnung) „Costs“ und „Compensation“ (ECRIS Code 8003 [„Geldstrafe zugunsten eines bestimmten Empfängers“]), verurteilt. Mit dem früheren Urteil wurde auch eine mit zwölf Monaten befristete „Auflage, die vom Gericht angeordneten Bewährungsmaßnahmen einzuhalten, einschließlich der Auflage, unter Aufsicht zu bleiben“ (ECRIS Code 2010), ausgesprochen.

Gemäß § 7 Abs 1 TilgG stehen ausländische Verurteilungen ‑ vom hier nicht aktuellen Fall durch öffentliche Urkunde bescheinigter früherer Tilgung nach dem Recht des Urteilsstaates abgesehen (Abs 3) ‑ tilgungsrechtlich inländischen gleich, wobei die Tilgungsfristen vorliegend (da weder Freiheits‑, noch Ersatzfreiheitsstrafen verhängt wurden) jeweils mit Rechtskraft der Verurteilung zu laufen begannen (Abs 2). Für jede der beiden Verurteilungen beträgt die Tilgungsfrist gemäß § 3 Abs 1 Z 2 TilgG fünf Jahre. Davon ausgehend lief nach § 4 Abs 1, 2 und 3 TilgG die Tilgungsfrist für beide Verurteilungen gemeinsam am 3. April 2007 ab (vgl zur hier maßgeblichen gemeinsamen Tilgung „geringfügiger Verurteilungen“ Kert , WK‑StPO § 4 Rz 24 ff). Die genannten Verurteilungen wurden daher ‑ wie der Beschwerdeführer zutreffend einwendet ‑ trotz Tilgung als erschwerend gewertet, was Nichtigkeit des Strafausspruchs (Z 11 zweiter Fall) bewirkt ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 713; vgl auch 13 Os 136/11s, EvBl 2012/49, 321).

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch unberührt zu bleiben hatte, im Ausspruch über die Strafe aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO mit Strafneubemessung vorzugehen.

Dabei wertete der Oberste Gerichtshof erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und mehreren Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), den (zu B/I) teilweisen Versuch (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) und das zu den Taten vom 29. November 2014 (A/I bis V) abgelegte Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB), dessen Gewicht jedoch gemindert wird, weil sich der Angeklagte diesbezüglich mit Erinnerungslücken verantwortete (ON 56 S 5 ff).

Von diesen besonderen Gründen ausgehend war bei der Strafbemessung allgemein (§ 32 Abs 2 und 3 StGB) weiters zu berücksichtigen:

Zum Nachteil des Angeklagten fallen die Begehung der vom Schuldspruch B erfassten Handlungen während des bereits anhängigen Strafverfahrens, die eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Angeklagten (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) zum Ausdruck bringt (RIS‑Justiz RS0091048 [insbesondere T4]), weiters die Handlungsweise, durch welche das (zunächst) schlafende Opfer in dessen Wohnung überrascht wurde (§ 32 Abs 3 letzter Halbsatz StGB; vgl RIS‑Justiz RS0091873; 12 Os 71/89; Ebner in WK 2 StGB § 32 Rz 78 und 80, § 33 Rz 19 ff; vgl auch die Materialien zum StRÄG 2015, EBRV 689 BlgNR XXV. GP , 22 [zum besonderen Unwertgehalt eines Diebstahls durch Einbruch in eine Wohnstätte zufolge damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre des Opfers]), schließlich auch das geringe Alter des (erst sechsjährigen) Opfers (RIS‑Justiz RS0090958) ins Gewicht.

Schuldmindernd wirkt hingegen die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit, die sich aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten ergibt, welches dem Angeklagten Alkoholabhängigkeitssyndrom, posttraumatische Belastungsstörung und Persönlichkeits-änderung nach Extrembelastung (insbesondere durch Kampfeinsätze in Afghanistan) attestierte (ON 49 S 39 und 44).

Hingegen kommt dem Angeklagten die (zu A/I bis V) Begehung in einem die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließendem Rauschzustand nicht zugute, weil ihm seine Neigung zu Gewalttätigkeiten und Verletzungen der sexuellen Integrität aus früheren (nicht strafrechtlich geahndeten) Vorfällen bekannt war (vgl Ebner in WK 2 StGB § 35 Rz 4). So sei es nach seinen eigenen Angaben (auch im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof) in der Armee im Zusammenhang mit Alkoholexzessen in den vergangenen Jahren wiederholt zu (auch gewaltsamen) sexuellen Übergriffen gekommen, an welchen er als Soldat teils in aktiver Rolle beteiligt gewesen sei (vgl auch ON 56 S 3 und 9 ff, ON 49 S 28, 32 und 43).

Davon ausgehend entspricht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren dem Unrechts‑ und Schuldgehalt der Taten sowie der Täterpersönlichkeit.

Die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz erlittenen Vorhaft kommt gemäß § 400 Abs 1 StPO dem Erstgericht zu.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte