European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00176.15S.1030.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Antragsteller ist Mieter und die Antragsgegnerin Vermieterin einer als Top Nr 9 und 10 bezeichneten Dachterrassenwohnung im Haus *****straße 6, 1090 Wien. Auf der im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Liegenschaft ist angrenzend an das Haus *****straße 6, 1090 Wien, ein weiteres Haus mit der Adresse *****straße 8, 1090 Wien, errichtet. Auf dem Dach des Hauses *****straße 8 ließ die Antragsgegnerin im Jahr 2010 einen Wärmetauscher mit zwei Ventilatoren und ein Klimagerät installieren.
Der Antragsteller stellte unter Berufung auf § 8 Abs 2 MRG den Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die am Dach des Hauses *****straße 8 errichteten Anlagen zu entfernen, in eventu den Betrieb dieser Geräte zu unterlassen. Von den ohne behördliche Bewilligung installierten Geräten würde zur Tages- und Nachtzeit ein unzumutbarer Lärm ausgehen. Darüber hinaus hätten diese Anlagen im Sommer eine unerwünschte Beschattung der zum Mietobjekt des Antragstellers gehörenden Dachterrasse zur Folge.
Die Antragsgegnerin wandte (unter anderem) ein, dass der Antragsteller seinen Antrag nicht auf § 8 Abs 2 MRG stützen könne, weil diese Bestimmung kraft gesetzlicher Anordnung nur auf die „vorübergehenden Benutzung“ und die „Veränderung des Mietgegenstandes“ Anwendung finde. Hier sei es jedoch weder zu einer vorübergehende Benutzung noch zu einer Veränderung des Mietgegenstands des Antragstellers gekommen.
Das Erstgericht wies den Antrag ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Zwar seien gemäß § 8 Abs 2 MRG alle Streitigkeiten über die Duldung von Veränderungen eines Mietgegenstands, insbesondere also auch der Antrag des Mieters auf Wiederherstellung des früheren Zustandes in das außerstreitige Verfahren verwiesen. Aber nicht jede Beeinträchtigung des Mietrechts sei eine Veränderung des Mietgegenstandes iSd § 8 Abs 2 MRG. Bei Arbeiten zur Änderung und Verbesserung anderer Mietobjekte, an denen der Vermieter insbesondere ein wirtschaftliches Interesse habe, sei der Anwendungsbereich des § 8 Abs 2 Z 2 MRG eng auszulegen. Eine Lärmbeeinträchtigung und die Beschattung der Terrasse eines Mietobjekts könnten daher nicht mehr unter den Begriff „Veränderung des Mietgegenstandes“ subsumiert werden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers Folge, hob den Sachbeschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. So wie über das Duldungsbegehren des Vermieters betreffend Beeinträchtigungen durch Baumaßnahmen iSd § 8 Abs 2 MRG im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden sei, sei auch über das entgegengesetzte Unterlassungs- oder Wiederherstellungs-begehren des Mieters ausschließlich im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden. Der Antragsteller behaupte eine Beeinträchtigung seiner Mietrechte durch die von den Kühlgeräten ausgehende unerwünschte Beschattung seiner Dachterrasse. Die Veränderung der Belichtungsverhältnisse in einem Mietobjekt werde in ständiger Rechtsprechung als eine Veränderung iSd § 8 Abs 2 MRG gesehen. Soweit sich das Entfernungs- und Unterlassungsbegehren auf die von den Kühlgeräten ausgehende Veränderung des Lichteinfalls (Beschattung) gründe, sei der außerstreitige Rechtsweg daher zu Recht beschritten worden. Für den Teil des Entfernungs- und Unterlassungsbegehrens, der sich auf die von den Kühlanlagen ausgehende Lärmbelästigung beziehe, stehe das Verfahren gemäß § 37 Abs 1 Z 5 MRG hingegen nicht zur Verfügung. Die Bestimmung des § 8 Abs 2 MRG beziehe sich nur auf bauliche Veränderungen des Mietgegenstands selbst. Die behaupteten Lärmimmissionen würden jedoch nicht das Mietobjekt selbst betreffen, sondern allenfalls den Mieter und dessen Mitbewohner in ihrem Recht auf Aufrechterhaltung der bis dahin gewährleisteten Ruhelage bei Benützung der Dachterrasse oder doch zumindest auf Einhaltung eines bestimmten Geräuschpegels beeinträchtigen. Aus diesen Erwägungen sei dem Rekurs Folge zu geben und dem Erstgericht die Durchführung eines Beweisverfahrens (nur) im Zusammenhang mit der behaupteten Beschattung aufzutragen.
Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil keine gesicherte oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob auch Lärmimmissionen, die keine Veränderung des Mietgegenstands an sich bewirken, vom Mieter im Rahmen des außerstreitigen Verfahrens gemäß § 8 Abs 2 MRG im Sinn einer Unterlassung und Wiederherstellung bekämpft werden können.
Gegen die Begründung dieser Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers. Er beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Erstgericht auch die Entscheidung über den Teil des Entfernungs- und Unterlassungsbegehrens aufgetragen werde, der sich auf die von den Kühlanlagen ausgehende Lärmbelästigung stütze. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Die Antragsgegnerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist in der Sache auch berechtigt. Da sich dadurch aber an der Aufhebung des erstinstanzlichen Sachbeschlusses durch das Rekursgericht nichts ändert, kann der Spruch nur dahin lauten, dass dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben wird (RIS‑Justiz RS0007094 [T7]).
Rechtliche Beurteilung
1. Den Parteien steht der Revisionsrekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nicht nur dann zu, wenn sie die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung bekämpfen, sondern auch dann, wenn sie lediglich die dem Erstgericht erteilten Aufträge und Bindungen anfechten, obwohl sich diese nur aus den Gründen des Beschlusses ergeben. Nicht nur die Aufhebung selbst, sondern auch eine nachteilige Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluss beeinträchtigt die verfahrensrechtliche Stellung der Parteien (RIS‑Justiz RS0007094; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 64 Rz 8; Klicka in Rechberger 2 § 64 AußStrG Rz 3).
2. Gemäß § 8 Abs 2 MRG hat der Hauptmieter
unter ganz bestimmten Voraussetzungen die vorübergehende Benützung und die Veränderung seines Mietgegenstands zuzulassen. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung unterliegt nicht jeder Eingriff ins Mietrecht dem Regime des § 8 Abs 2 MRG. Der Oberste Gerichtshof hat dessen Anwendbarkeit daher verneint, wenn die zu beurteilenden Veränderungen nicht den Bestandgegenstand des Mieters selbst betreffen (2 Ob 515/91 = RIS‑Justiz RS0069451). Gleiches gilt, wenn ein Eingriff wegen der damit verbundenen tiefgreifenden Umgestaltung den Begriff der „Veränderung des Mietgegenstandes“ überschreitet (vgl RIS‑Justiz RS0038223).
3. Nach Vonkilch (in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 8 MRG Rz 29) können die Eingriffe in das Mietrecht, die der Mieter nach § 8 Abs 2 MRG zu dulden hat, nicht auf die ‑ im Gesetzestext ausdrücklich genannte ‑ vorübergehende Benutzung und Veränderung des Bestandgegenstands beschränkt werden. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber damit bloß pars pro toto für sämtliche Eingriffe in die ungestörte Nutzung des Bestandgegenstands im Zuge von Bauführungen jene Maßnahmen nennen wollte, die einerseits besonders gravierend seien, andererseits sich im Rahmen von Bauführungen typischerweise als notwendig erweisen würden. Es wäre nämlich eine sachlich nicht zu rechtfertigende Differenzierung, für die übrigen Eingriffe in die ungestörte Nutzung des Bestandgegenstands, die sich im Rahmen der Bauführung als notwendig erweisen, nicht ebenfalls Duldungspflichten des Mieters gemäß § 8 Abs 2 MRG anzunehmen, sondern diese ‑ als einzig mögliche Alternative ‑ nach der wesentlich „eingriffsfeindlicheren“ Regelung des § 1118 letzter Satz ABGB zu ermitteln. Einem derart weit gefassten Verständnis des Anwendungsbereichs von § 8 Abs 2 MRG scheine in der Sache auch die überwiegende Rechtsprechung zuzuneigen. Insbesondere seien auch die zu § 8 Abs 3 MRG ergangenen Entscheidungen wegen des akzessorischen Charakters dieser Eingriffshaftung zu den nach Abs 2 bestehenden Duldungspflichten zur Auslegung von § 8 Abs 2 MRG maßgeblich.
Auch für Würth/Zingher/Kovanyi (Miet- und Wohnrecht I23 § 8 MRG Rz 7) stellt sich die Frage, welche anderen Eingriffe in das Mietrecht neben den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen der Benutzung und Veränderung des Bestandgegenstands nach § 8 Abs 2 MRG vom Mieter zu dulden sind. Sie verweisen dazu einerseits auf die dargestellten Ausführungen Vonkilchs, andererseits auf die Ausführungen von Würth (in seiner Glosse zu wobl 1989/42), wonach § 8 Abs 2 und 3 MRG keineswegs den gesamten bisher nach § 1098 ABGB zu beurteilenden Bereich von Eingriffen in Mietrechte abdecke. Von der Rechtsprechung wiederum werde der Anwendungsbereich des § 8 Abs 2 MRG jedenfalls überwiegend weit gefasst.
4. Den von den genannten Autoren zum Nachweis ihrer Einschätzung der Rechtsprechung und ihres weit gefassten Verständnisses des Anwendungsbereichs des § 8 Abs 2 MRG zitierten Entscheidungen ist gemeinsam, dass mit der zu beurteilenden Maßnahme das jeweilige Mietobjekt des Mieters zwar nicht in seiner baulichen Substanz aber doch in seinen für dessen Nutzung relevanten Eigenschaften eine Änderung erfuhr; sei es durch die Minderung des Genusses der mit dem natürlichen Lichteinfall verbundenen Annehmlichkeiten durch die Errichtung eines Steges (5 Ob 86/89), Unterbindung des Zugangs zu einem gemieteten Magazin (2 Ob 516/92), Verschlechterung des Belichtungsverhältnisses sowie des Ausblicks der Wohnung durch Aufstockung eines Hauses (6 Ob 55/07t), die erhöhte Einsehbarkeit durch Anbringung von Fenstern in 8,5 m Entfernung (5 Ob 257/08t) oder die Einsehbarkeit und Verringerung des Lichteinfalls durch Errichtung eines Laubenganges vor der Wohnung (5 Ob 20/11v). Gleich der Einsehbarkeit und den Lichtverhältnissen ist auch das Ausmaß der Lärmbelastung eine relevante Eigenschaft eines Mietgegenstands. Dauerhafte Lärmimmissionen, die als Folge der Durchführung von Erhaltungs- oder Verbesserungsarbeiten iSd § 8 Abs 2 MRG von einem allgemeinen Teil des Hauses oder einem anderen Mietgegenstand ausgehen (zu dem von den Vorinstanzen richtig beurteilten Begriff des „Hauses“ vgl RIS‑Justiz RS0069949), verändern die für seine Nutzung relevanten Eigenschaften des Mietgegenstands. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts ist daher auch die vom Antragsteller behauptete Lärmbeeinträchtigung iSd § 8 Abs 2 MRG als eine mögliche Veränderung des Bestandgegenstands zu sehen und damit im besonderen außerstreitigen Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 5 MRG zu beurteilen. Das Erstgericht wird daher das Verfahren auch in diesem Zusammenhang fortzusetzen und Beweise aufzunehmen haben.
5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Erst mit der endgültigen Sachentscheidung können die gebotenen Billigkeitserwägungen angestellt werden (RIS‑Justiz RS0123011 [T1]).
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