OGH 9Ob59/15i

OGH9Ob59/15i28.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei mj L***** K*****, vertreten durch die Mutter E***** K*****, beide *****, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in Thalheim bei Wels, gegen die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 50.000 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. August 2015, GZ 6 R 129/15f-64, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00059.15I.1028.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

1.  Der Vater des mj Klägers kaufte gemeinsam mit anderen Landwirten einen von der Beklagten hergestellten Holzrückewagen. Dieser wird durch eine Anhängerkupplung am Traktor befestigt und hat eine für die Bedienung des Ladekrans erforderliche Zapfwelle, die über eine Gelenkwelle am Zapfwellenantrieb des Traktors angeschlossen wird. Die Gelenkwelle ist mit einer Schutzvorrichtung versehen, ihr Stummel ist jedoch nicht abgedeckt. Die Gelenkwelle ist auch von einer Metallummantelung umschlossen, weist aber ca 60 cm hinter der Anhängerkupplung ein nicht abgedecktes Loch mit einem Durchmesser von ca 10 cm auf, das der Montage, Demontage und Wartung der Gelenkwelle dienen soll. Die Öffnung ist so angebracht, dass ein zufälliges Berühren der Zapf- und der Gelenkwelle nicht möglich ist. Der Rückewagen wurde am 22. Jänner 2010 von einem Mitarbeiter der Verkäuferin am Hof des Vaters des Klägers vorgeführt. Nach dem Ende der Präsentation befanden sich noch der damals zwei Jahre und vier Monate alte Kläger, sein Vater und dessen Cousin am Hof. Die Zapfwelle im Rückewagen war noch im Betrieb. Der Kläger hielt sich beim Cousin des Vaters an der Hinterachse des Rückewagens auf. Als der Vater sah, dass sich der Kläger dem Rückewagen näherte, eilte er zu ihm, konnte jedoch nicht mehr verhindern, dass der Kläger durch das nicht abgedeckte Loch zur dahinter rotierenden Zapfwelle griff, die den linken Arm des Klägers erfasste. Der Arm wurde abgerissen und musste amputiert werden. Nach dem Unfall wurde über dem Loch eine Abdeckung angebracht.

Rechtliche Beurteilung

2.  Gestützt auf § 5 PHG erachtete das Berufungsgericht das auf die Zahlung von 50.000 EUR gerichtete Begehren des Klägers dem Grunde nach als zu Recht bestehend und gab dem Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall statt. In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

3.  Wird durch den Fehler eines Produkts ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt, so haftet der Hersteller des Produkts für den Ersatz des Schadens (§ 1 Abs 1 Z 1 PHG). Ein Produkt ist nach § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts 1. der Darbietung des Produkts, 2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, 3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist. Hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit unterscheidet das PHG zwischen Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehlern (RIS-Justiz RS0107606). Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist (RIS-Justiz RS0107606 [T8]). Die berechtigten Sicherheitserwartungen werden auch durch den Stand der Technik konkretisiert. Werden gesetzliche Sicherheitsvorschriften, die der Produktsicherheit dienen, nicht eingehalten, liegt ein Produktfehler vor (s Welser/Rabl , PGH [2004] § 5 Rz 11 mwN; Fitz/Grau in Fitz/Grau/Reindl , Produkthaftung 2 § 5 Rz 112 mwN). (Erst) Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert die Fehlerfreiheit des Produkts (RIS‑Justiz RS0110464).

4.  Im vorliegenden Fall steht der für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts maßgebliche Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens (§ 6 PHG) nicht genau fest. Bereits das Berufungsgericht wies aber darauf hin, dass der Holzrückewagen weder den Anforderungen des § 99 der Maschinen-Sicherheitsverordnung (MSV), BGBl Nr 306/1994, in der bis 28. Dezember 2009 geltenden Fassung, noch des Punkts 3.4.7. des Anhangs I der am 29. Dezember 2009 in Kraft getretenen Maschinen-Sicherheitsverordnung 2010 (MSV 2010), BGBl II 2008/282, entsprach:

Aus beiden Bestimmungen geht hervor, dass (abnehmbare) Gelenkwellen zwischen einer selbstfahrenden Maschine oder einer Zugmaschine und dem ersten festen Lager einer angetriebenen Maschine über die gesamte Länge des Wellenstrangs und der Gelenke geschützt (MSV) bzw so konstruiert und ausgeführt sein müssen, dass während des Betriebs alle beweglichen Teile über ihre gesamte Länge geschützt sind (MSV 2010). Die Zapfwelle, an die die Gelenkwelle angekuppelt ist, muss entweder durch einen an der selbstfahrenden Maschine oder Zugmaschine befestigten (MSV 2010: und mit ihr verbundenen) Schutzschild oder eine andere den gleichen Schutz gewährleistende Vorrichtung geschützt sein. Schließlich muss die angetriebene Welle der angetriebenen Maschine von einem an der Maschine befestigten Schutzgehäuse umschlossen sein.

Diesen Anforderungen wurde die vorliegende Konstruktion nicht gerecht, weil der Anschlussbereich der Zapf- und der Gelenkwelle aufgrund der 10 cm großen Öffnung des Schutzgehäuses gerade nicht über ihre gesamte Länge so verdeckt war, dass es während des aufrechten Betriebs zu keinen Einwirkungen von außen kommen konnte. Zutreffend wies das Berufungsgericht überdies darauf hin, dass die in Punkt 3.4.7. dritter Absatz des Anhangs I der MSV 2010 erwähnte Notwendigkeit, dass die Öffnung des Schutzgehäuses für den Zugang zur abnehmbaren Gelenkwelle möglich sein muss, auf die prinzipielle Unzulässigkeit einer nicht verschließbaren Zugangsmöglichkeit hinweist. Zu bedenken ist nämlich, dass ein über die gesamte Länge geschützter und nur im Bedarfsfall (De‑/Montage; Wartung) zugänglicher Wellenstrang samt Gelenken nicht erst bei dritten Personen, sondern schon bei einem Verwender das Sicherheitsbewusstsein für die mit dem Öffnen dieses Bereichs verbundenen Gefahren erhöht. Eine (abnehmbare) Abdeckung erfüllt insofern auch eine Warnfunktion.

5.  Die Beklagte meint, dass die Maschinen-Sicherheitsverordnungen hier nicht anwendbar seien, weil sie nur für Maschinen gelten würden, wenn von ihnen bei bestimmungsgemäßer Verwendung wegen der Bauart oder der Wirkungsweise Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Verwender ausgingen; diese Voraussetzungen träfen auf den mj Kläger nicht zu.

5.1.  Dass der Holzrückewagen nach der Fahrzeugpräsentation einer nicht bestimmungsgemäßen Verwendung zugeführt worden wäre, geht aus den Feststellungen nicht hervor. Derartiges wird von der Beklagten auch nicht behauptet. Darüber hinaus entspricht es den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutz-anforderungen, dass eine Maschine so zu konstruieren und zu bauen ist, dass sie ihrer Funktion gerecht wird und unter den vorgesehenen Bedingungen ‑ aber auch unter Berücksichtigung einer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung der Maschine ‑ Betrieb, Einrichten und Wartung erfolgen kann, ohne dass Personen einer Gefährdung ausgesetzt sind (Anhang I Pkt 1.1.2.a MSV 2010).

5.2.  Soweit die Beklagte die Anwendbarkeit der Verordnungen bestreitet, weil der mj Kläger nicht zum Kreis der Verwender des Holzrückewagens gehört, geht ein derartiges Verständnis am Zweck der Verordnungen vorbei. Wenn die frühere MSV nach ihrem § 1 Abs 1 für Maschinen gelten sollte, „wenn von ihnen bei bestimmungsgemäßer Verwendung wegen der Bauart oder der Wirkungsweise Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Verwender“ ausgingen, so wurde damit nur die allgemeine Voraussetzung formuliert, unter der eine Maschine besonderen Sicherheitsanforderungen zu entsprechen hatte. Dies bedeutet aber noch nicht, dass der daraus resultierende Sicherheitsstandard im Rahmen der Produkthaftung zwar dem Schutz des Verwenders, nicht aber auch anderer Personen dienen sollte, bei denen sich gerade die Gefahr des fehlenden Sicherheitsstandards verwirklicht. Auch die der MSV zugrunde liegende Richtlinie 98/37/EG enthielt die von der Beklagten gewünschte Einschränkung nicht. Die auf der Umsetzung der Richtlinie 2006/42/EG beruhende Maschinen-Sicherheitsverordnung 2010 bezieht ihren Anwendungsbereich überhaupt nur noch auf bestimmte Erzeugnisse. Punktuell ist aber erkennbar, dass auch sie nicht nur den Schutz von Verwendern bezweckt, sondern darauf abzielt, bei bestimmungsgemäßer und vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen und gegebenenfalls von Haustieren und Sachen und, soweit anwendbar, die Vermeidung einer Umweltgefährdung zu gewährleisten (s § 4 MSV 2010). Die Anwendbarkeit der Maschinen-Sicherheitsverordnung (2010) wird von der Beklagten danach zu Unrecht in Frage gestellt.

6.  Es ist danach vertretbar, wenn das Berufungsgericht einen Produktfehler hier deshalb bejahte, weil der Holzrückewagen aufgrund der vorhandenen, nicht abgedeckten Öffnung nicht den für Gelenk- und Zapfwellen vorgesehenen Sicherheitsanforderungen der Maschinen-Sicherheitsverordnungen und folglich nicht dem ‑ auch von erwachsenen und mit dem Rückewagen hantierenden Personen ‑ erwartbaren Sicherheitsstandard entsprach. Da sich beim Kläger danach gerade das Risiko aus dem produktspezifischen Fehler (Gefahr des offenen Lochs bei laufender Welle) verwirklicht hat, besteht zur Beurteilung des Berufungsgerichts insgesamt kein Korrekturbedarf.

7. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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