OGH 10ObS114/15k

OGH10ObS114/15k22.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Ernst Bassler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Peter Pfeil, Rechtsanwalt in Garsten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. August 2015, GZ 11 Rs 79/15i‑54, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00114.15K.1022.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die am 25. Juli 1964 geborene Klägerin war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. Mai 2012) überwiegend als Buchhalterin, Lohnverrechnerin und Fakturistin berufstätig. Bei ihrem letzten Arbeitgeber war sie langjährig für den Bereich Buchhaltung sowie die gesamte Büroorganisation allein verantwortlich und in der Verwendungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für die Angestellten im Handwerk und Gewerbe eingestuft. Trotz der bestehenden Gesundheitseinschränkungen kann die Klägerin noch einfache Sachbearbeitertätigkeiten entsprechend der Beschäftigungsgruppe 3 der „großen“ Angestellten-Kollektivverträge ausführen (zB im Mahnwesen, in der Rechnungsprüfung, in der Ablage und in der Evidenz).

Angesichts der Verweisbarkeit der Klägerin auf eine ‑ sozial nicht unzumutbare ‑ Tätigkeit in der Beschäftigungsgruppe 3 wies das Erstgericht das auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab dem Stichtag gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Den behaupteten Mangel des Verfahrens erster Instanz (Nichteinholung eines Gutachtens aus dem Bereich Materialkunde) hat das Berufungsgericht mit ausführlicher Begründung verneint; er kann nach ständiger, auch von der Revisionswerberin zugestandener Rechtsprechung ‑ auch in Sozialrechtssachen ‑ nicht mit Erfolg in dritter Instanz geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963 [T25]).

2. Ob eine Verweisung einen unzumutbaren sozialen Abstieg bewirkt oder nicht, ist eine Beurteilung des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0085599 [T30]). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine Verweisung der Klägerin auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 nicht mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden sei, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

2.1. Im Rahmen der Verweisung darf der Versicherte nicht auf Berufe verwiesen werden, die für ihn einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten würden. Dabei kommt es auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags haben (RIS‑Justiz RS0084890). Wesentlich ist die Stellung in der Betriebshierarchie, die damit verbundene Verantwortung für den Betriebsablauf und das hieraus resultierende Ansehen, das eine bestimmte Tätigkeit in den Augen der Umwelt genießt (RIS‑Justiz RS0085599 [T26]). Der soziale Abstieg ist unzumutbar, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genießt (RIS‑Justiz RS0085599 [T20]).

2.2. Nach der Revision bestehe zwischen der Tätigkeit einer Buchhalterin/Lohnverrechnerin und einer untergeordneten Sekretariatstätigkeit, wie sie für die Berufsgruppe 3 charakteristisch sei, in der Anschauung der Bevölkerung ein so großes Gefälle, dass der damit verbundene soziale Abstieg nicht mehr zugemutet werden könne.

2.3. Nach ständiger Rechtsprechung sind im Rahmen der Verweisung gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige hinzunehmen (RIS‑Justiz RS0084890 [T9] und RS0085599 [T14]). In diesem Sinn ist die Verweisung von Angestellten auch auf Tätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungs‑ oder Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrags in der Regel mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden (RIS‑Justiz RS0085727 [T3]; zuletzt 10 ObS 43/14t).

2.4. Die Ansicht des Berufungsgerichts, von diesen Grundsätzen sei auch im Fall der Klägerin keine Ausnahme zu machen, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und ist nicht zu beanstanden. Der in der Revision vermittelte Eindruck, eine für die Beschäftigungsgruppe 3 charakteristische Sachbearbeitertätigkeit werde „im Allgemeinen als untergeordnete Hilfstätigkeit verstanden, die in der Anschauung der Bevölkerung entsprechend niedriges Ansehen“ genieße, kann nicht geteilt werden.

3. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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