OGH 11Os111/15f

OGH11Os111/15f20.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Jacek K***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. Juli 2015, GZ 24 Hv 23/15y‑101, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des Betroffenen Jacek K***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Nach dem Ausspruch des Schöffengerichts hat er in Wien und andernorts unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistig‑seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie F 20.0, beruht, Taten begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als die Vergehen des Wiederstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (I./) und die Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (II./) zuzurechnen gewesen wären indem er

I. Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versuchte, und zwar

1./ am 9. November 2014 Helmut B***** und Marcus Br***** nach ausgesprochener Festnahme an der Abführung zur Polizeiinspektion, indem er Fußtritte und Schläge gegen die genannten Beamten führte;

2./ am 18. Februar 2015 Bernhard W***** an der Gefahrenerforschung und ‑abwehr sowie der anschließenden Festnahme, indem er mit der Faust gegen dessen Gesicht schlug;

II./ Polizeibeamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben am Körper verletzte, und zwar

1./ durch die unter Punkt I./1./ geschilderte Handlung Helmut B*****, der Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule sowie eine Rötung am rechten Knie erlitt, und Marcus Br*****, der eine Verletzung beim rechten Schulterblatt sowie Rötungen an beiden Knien erlitt;

2./ durch die unter Punkt I./2./ geschilderte Handlung Bernhard W*****, der Prellungen im Bereich des rechten Kiefers, der Halswirbelsäule und der linken Schulter erlitt,

wobei nach seinem Geisteszustand und der Art der Taten zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Insoweit der Betroffene in seiner Mängelrüge (Z 5) unter Zitierung einzelner Passagen des Sachverständigengutachtens den Einwand erhebt, er habe nicht vorsätzlich gehandelt, weil die Konstatierung eines solchen Handelns bei gleichzeitiger Annahme der Zurechnungsunfähigkeit nicht möglich sei (somit inhaltlich einen Widerspruch in der Urteilsbegründung behauptet),

verwechselt er die Fähigkeit, einen Willen zu bilden, mit jener, diesen Willen verantwortlich an den Rechtsnormen auszurichten (RIS‑Justiz RS0115231).

Im Übrigen stehen die zitierten Ausführungen des Sachverständigen den die innere Tatseite betreffenden Feststellungen nicht entgegen, sondern beziehen sich nur auf das nicht entscheidungswesentliche (RIS‑Justiz RS0117499, RS0088761) Motiv für die Taten. Dieses hat das Gericht ohnehin in seine Erwägungen einbezogen und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich aufgrund seiner akut paranoiden Erkrankung bedroht gefühlt und das geschilderte Verhalten an den Tag gelegt hat, um seine persönliche Freiheit und sein Hab und Gut zu schützen (US 12).

Der Einwand der Mängelrüge, die Feststellungen zur subjektiven Tatseite seien unbegründet geblieben (Z 5 vierter Fall), nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS‑Justiz RS0119370). Deren ‑ von der Beschwerde übergangene ‑ Ableitung aus dem objektiven Tatgeschehen und dem aggressiven Verhalten des Betroffenen (US 11f) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 452).

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist jedenfalls die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand, dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie deren Mindeststrafdrohung nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens‑, Mängel‑ und Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, so kommt auch eine Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht (vgl zum Ganzen Ratz in WK² StGB Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 8 ff mwN). In diesem Fall liegt Nichtigkeit vor, wenn die in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 715 ff).

Die im Rechtsmittel partiell wiedergegebenen allgemeinen, vom konkreten Fall abstrahierten Erwägungen des psychiatrischen Sachverständigen ‑ zur Häufigkeit und prinzipiellen Auswirkung der in Rede stehenden Erkrankung, zur Möglichkeit der Behandlung in Polen und zur Häufigkeit der Erkrankung bei Obdachlosen ‑ sind dem Beschwerdevorwurf (Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall) entgegen für die konkrete Beurteilung der Person des Beschwerdeführers und seines Zustands nicht wesentlich, sodass das Gericht diese unerwähnt lassen durfte.

Dass der Beschwerdeführer seit seinem 18. Lebensjahr und somit seit über 20 Jahren an dieser Erkrankung leidet (US 4), diese eine genetisch bedingte, zu einer Stoffwechselstörung im Gehirn führende, nicht heil‑, aber behandelbare Erberkrankung darstellt (US 4 f), der Beschwerdeführer im Urteilszeitpunkt nicht gefährlich war (US 8), die Erkrankungssymptome aber im Falle des Absetzens der laufenden Medikation ‑ wie auch bereits bisher (US 5) ‑ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rasch wieder auftreten (US 8, 12), weiters die unter Einbeziehung eines Schreibens der ärztlichen Leiterin der Justizanstalt (US 10, 18) vom psychiatrischen Experten abgegebene ‑ hier jedoch (weil bloß die Frage der bedingten Unterbringung betreffende) ohnedies nicht relevante ‑ Empfehlung von Maßnahmen im Falle einer ambulanten Behandlung (US 12 f, 18), schließlich den bisherigen Verhandlungsverlauf und insbesondere, dass der Betroffene wiederholt Therapien absolvierte (US 4 f, 8), hat das Gericht ‑ entgegen dem Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde ‑ nicht unerwähnt gelassen und die der Gefährlichkeitsprognose zugrunde gelegten Feststellungen mängelfrei begründet.

Soweit der Beschwerdeführer die daraus gezogene Gefährlichkeitsprognose kritisiert, aber nicht behauptet, eine dieser Erkenntnisquellen sei unbeachtet geblieben oder die Prognose sei willkürlich getroffen worden, beschränkt er sich auf Berufungsvorbringen. Dies gilt auch für die Kritik, die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sei zu Unrecht nicht bedingt nachgesehen worden (§ 45 Abs 1 StGB; RIS‑Justiz RS0100032; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 728).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

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