OGH 16Ok1/15f

OGH16Ok1/15f8.10.2015

Der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm und Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Haas und Dr. Dernoscheg als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Thyri, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner K***** GmbH, *****, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen §§ 26, 28 KartG, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 27. Oktober 2014, GZ 27 Kt 106/13, 27 Kt 61/14‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst :

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

B e g r ü n d u n g :

Die Antragstellerin ist ein auf den Verkauf von Neu‑ und Gebrauchtfahrzeugen und die Erbringung von Werkstattdienstleistungen spezialisiertes Unternehmen.

Die Antragsgegnerin ist die österreichische Generalimporteurin für Neufahrzeuge und Originalersatzteile der Marke K***** und innerhalb der K*****‑Vertriebsorganisation ausschließlich zuständig, in Österreich Händler‑ und Werkstattverträge abzuschließen.

Mit Geltung vom 1. 10. 2003 schlossen die Streitteile sowohl einen K*****‑Händlervertrag als auch einen K*****‑Werkstattvertrag ab. Damit wurde der Antragstellerin das nicht ausschließliche Recht auf Vertrieb von K*****‑Fahrzeugen samt Ausstattung und Zubehör sowie auf Erbringung von Service‑ und Reparaturdienstleistungen für K*****‑Fahrzeuge eingeräumt.

Ab dem Jahr 2006 kam es zwischen den Parteien zu tiefen Krisen und großen Problemen. So forderte die Antragstellerin von der Antragsgegnerin die Zahlung von rund 1.000.000 EUR für ausständige Bonifikationen, Zahlungen aus Gewährleistungs‑ und Garantiefällen und eine Abschlagszahlung für die von ihr behauptete Zusage, einer von drei Händlern in Wien zu sein. Als dieser Betrag von der Antragsgegnerin nicht einlangte, widerrief die Antragstellerin die schon erfolgte Überweisung der Zahlung der Kaufpreise für 50 K*****‑Neuwagen, die von der Antragsgegnerin samt Fahrzeugpapieren gegen Vorauszahlung geliefert worden waren. Dieses Verhalten empörte bis in die koreanische Konzernspitze.

Mit Schreiben vom 9. 4. 2008 kündigte die Antragsgegnerin den Händler‑ und Werkstattvertrag zum 30. 4. 2009, oder für den Fall, dass die Kündigung mit einjähriger Kündigungsfrist vom zuständigen Gericht als unwirksam erachtet werden sollte, zum 30. 4. 2010 auf. Im Zuge von Vergleichsgesprächen wurde das Ende der Kündigungsfrist von den Vertragsparteien sukzessive bis ‑ letztlich ‑ 15. 1. 2012 hinausgeschoben.

Die im März 2010 beim Handelsgericht Wien eingebrachte Klage der Antragstellerin, mit der sie die Feststellung des aufrechten Bestands des Vertragshändlervertrags und des Werkstattvertrags anstrebte und ergänzende Feststellungsbegehren stellte, blieb in drei Instanzen ohne Erfolg (vgl 3 Ob 33/13v).

Von der Antragsgegnerin sicherheitshalber ausgesprochene Kündigungen zu Terminen zwischen dem 2. 1. 2012 und dem 25. 5. 2012 bekämpfte die Antragstellerin mit einer weiteren Klage, die auf die Feststellung des Bestands beider Verträge zumindest bis zum 31. 5. 2014 gerichtet ist. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Mit der im Jänner 2012 eingebrachten Klage begehrt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin Zahlung von 957.586 EUR sA. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch gründet sich unter anderem auf die behauptete Zusage der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin eine von drei Vertragshändlern in Wien sei und geplant gewesen sei, nur eine begrenzte Zahl von etwa drei Händlern im Raum Wien als K*****‑Händler einzusetzen. Die klagsabweisende Entscheidung des Handelsgerichts Wien bekämpfte die Antragstellerin mit Berufung. Das Verfahren ist noch nicht rechtskräftig beendet.

Mit Klage vom 1. Februar 2012 begehrt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin Zahlung von 315.374,17 EUR sA. Sie behauptet Ansprüche gegen die Antragsgegnerin für den Leistungszeitraum 1. 5. 2005 bis 15. 5. 2006.

Im April 2014 brachte die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin eine Klage auf Zahlung von 685.530,39 EUR sA und auf Feststellung ein, wonach die Antragsgegnerin verpflichtet sei, die bei der Antragstellerin bei Vertragsbeendigung vorhandenen K*****‑Ersatzteile zurückzukaufen.

In einer weiteren Klage vom 31. 7. 2014 begehrt die Antragstellerin Zahlung von 170.308,50 EUR sA, die sich auf Ansprüche aus nicht bezahlten Boni für die Jahre 2010 bis 2012 stützt.

Seit 2012 verschlechterte sich der Umgangston zwischen den Streitteilen.

Nach Beendigung der Geschäftsbeziehung verlangte die Antragstellerin von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 5. 9. 2012 den Abschluss eines Werkstattvertrags bis spätestens 10. 9. 2012. Eine weitere Belieferung mit Ersatzteilen oder die Zurverfügungstellung von bestimmten technischen Dokumentationen oder Daten für die Zeit ab 1. 9. 2012 verlangte die Antragstellerin nicht.

Mit Schreiben vom 24. 5. 2013 und 16. 7. 2013 lehnte die Antragsgegnerin abermals den Abschluss eines Werkstattvertrags ab, weil jene Umstände, die die Kündigung zum 15. 1. 2012 gerechtfertigt hätten, nach wie vor bestünden. Zu Unrecht beharre die Antragstellerin auf der tatsächlich nicht bestehenden Zusage, dass sie nur einer von drei Händlern in Wien sein solle, obwohl bereits gerichtlich festgestellt sei, dass eine solche Zusage nie gemacht worden sei. Darüber hinaus gebe es weitere Gründe, die im Jahr 2012 Anlass für Kündigungen gegeben hätten.

Die Antragsgegnerin stellt unabhängigen Werkstätten auf ihrer Internetplattform sämtliche technischen Informationen zur Verfügung. Mit der K*****‑Hotline wird den unabhängigen Werkstätten Zugriff auf die selben technischen Informationen ermöglicht, auf die auch die K*****‑Vertragswerkstätten in deren Gebiet zugreifen.

Vertragswerkstätten und freie Werkstätten greifen über die Internetplattform der Antragsgegnerin auf die gleiche Datenbasis zu. Es gibt lediglich zwei verschiedene Zugänge. Beim Zugang für die freien Werkstätten sind keine Informationen zu Marketingprogrammen oder Garantieeingaben enthalten, weil freie Werkstätten keine Garantieeingaben machen können. Sämtliche Angaben, die für Wartung und Reparatur eines K*****‑Fahrzeugs notwendig sind, sind jedoch freien Werkstätten ebenso zugänglich wie Vertragswerkstätten.

Der Preis für die Benützung der Internetplattform beträgt für eine Stunde 5 EUR, für einen Tag 15 EUR, für eine Woche 60 EUR, für 30 Tage 150 EUR und für 365 Tage 900 EUR. Seit Beginn des Jahres 2014 ist der Zugang zur Internetplattform für freie Werkstätten kostenfrei, weil es technische Probleme bei der Umstellung des Zahlungssystems gab. Bis zur Behebung dieser Probleme wird kein Entgelt eingehoben.

Damit stehen der Antragstellerin sowohl Ersatzteile als auch technische Informationen zur Verfügung, um sämtliche Reparatur‑, Wartungs‑ und Serviceleistungen sach‑ und fachgerecht erbringen zu können. Die vom Hersteller K***** abgegebene 7‑Jahres‑Garantie stellt nur darauf ab, dass die vorgeschriebenen Wartungsleistungen fachgerecht nach Herstellervorgabe durchgeführt werden. Wartungsarbeiten für K*****‑Fahrzeuge werden in einem Serviceheft verzeichnet, das im jeweiligen Fahrzeug aufbewahrt wird. Die fristgerechte Durchführung der Service‑ und Wartungsarbeiten wird ausschließlich in diesem Heft eingetragen. Ob die Wartung von einer K*****‑Partner‑Werkstätte oder einer freien Werkstätte durchgeführt wird, ist für den Bestand der Fahrzeuggarantie unerheblich. Mit einer solchen Wartung behält der Kunde seine Rechte aus der 7‑Jahres‑Garantie.

Die Antragstellerin wirbt auf ihrer Website damit, dass sie ab 1. 9. 2012 weiterhin K*****‑Neu‑, Jung‑ und Gebrauchtwagen verkaufen sowie diese sach‑ und fachgerecht warten und reparieren werde. Selbstverständlich habe der Kunde keine Einschränkung der 7‑Jahres‑Garantie durch ein von ihr sach‑ und fachgerecht durchgeführtes Service oder eine Kfz‑Reparatur zu befürchten.

Verlangt einer der Stammkunden der Antragsstellerin, der ein K*****‑Fahrzeug fährt, Arbeiten, die während der gesetzlichen Gewährleistungsfrist oder der gewährten Garantie anfallen und die auf einen Mangel zurückzuführen sind, wird das Fahrzeug von Mitarbeitern der Antragstellerin zu einem K*****‑Vertragshändler gebracht und dort nach Durchführung der Arbeiten wieder abgeholt.

Solange die Antragstellerin Vertragspartner der Antragsgegnerin war, konnte sie den Ersatz der für die Behebung während der Gewährleistungs‑ oder Garantiezeit aufgetretenen Mängel an K*****‑Fahrzeugen bei der Antragsgegnerin online beantragen. Während des Vertragszeitraums gab die Antragsgegnerin immer ihre Zustimmung zur Durchführung dieser Arbeiten. Seit der Kündigung hat die Antragstellerin den gleichen Zugang zu Informationen der Antragsgegnerin wie andere freie Werkstätten.

Freien Werkstätten ist es möglich, sämtliche K*****‑Ersatzteile im Handel zu bekommen. Sie können K*****‑Originalersatzteile über die Mitglieder des Vertriebsnetzes der Antragsgegnerin beziehen, was die Antragstellerin ab 1. 9. 2012 auch machte. Darüber hinaus können sowohl K*****‑Originalersatzteile als auch Ersatzteile von Drittanbietern für K*****‑Fahrzeuge auf dem freien Markt für Ersatzteile bei freien Teilehändlern, die im Verband der freien Kfz‑Teile‑Fachhändler (VFT) organisiert sind, gekauft werden. Häufig nachgefragte K*****‑Ersatzteile, die sehr oft ausgetauscht werden, sind am freien Markt etwas günstiger zu beziehen als bei der Antragsgegnerin. Andere, nicht so oft nachgefragte Teile können von freien Werkstätten bei K*****‑Vertragshändlern bezogen werden. Sie sind am freien Teilemarkt nicht so leicht zu bekommen. Sie sind großteils dem unentgeltlichen Kundendienst, also den Garantiearbeiten, zugeordnet, die von freien Werkstätten nicht gemacht werden. Der von K*****‑Vertragshändlern verrechnete Preis für diese Teile ist etwas höher als der, den sie selbst hiefür zu zahlen haben.

Nach dem 31. 8. 2012 verlangte die Antragstellerin von der Antragsgegnerin keine Ersatzteile oder technische Daten.

K*****‑Vertragshändler sind nach § 13 des Werkstattvertrags zur Durchführung von unentgeltlichen Kundendienstleistungen sowie zur Teilnahme am Marketing‑ und Werbungsprogramm für K*****‑Fahrzeuge verpflichtet.

K*****‑Vertragswerkstätten bieten ihren Kunden eine Mobilitätsgarantie (Hilfe bei Pannen) an. Freie Werkstätten können Derartiges ihren Kunden als eigenes Programm ebenfalls anbieten.

Mit Anträgen vom 13. 9. 2013 und 17. 9. 2014 begehrt die Klägerin

I. der Antragsgegnerin aufzutragen, den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung abzustellen, insbesondere

1. es zu unterlassen, die Antragstellerin durch Verweigerung des Abschlusses eines Werkstattvertrags bzw des Zugangs zum Netz zugelassener K*****‑Werkstätten trotz Erfüllung der Standards des qualitativ‑selektiven Vertriebssystems am Wettbewerb auf dem Markt für die Instandhaltung und Wartung von Fahrzeugen der Marke K***** zu behindern, bzw

2. gegenüber der Antragstellerin bezüglich der Belieferung mit Ersatzteilen sowie des Zugangs zu technischen Daten die selben Konditionen anzuwenden, wie gegenüber zugelassenen K*****‑Werkstättenbetrieben,

bzw

3. es zu unterlassen, gesetzliche und/oder erweiterte Gewährleistungspflichten dazu zu missbrauchen, sich selbst bzw den Mitgliedern ihres Netzes zugelassener Werkstätten Instandsetzungs‑ und Wartungsdienste an Kraftfahrzeugen bestimmter Kategorien explizit oder implizit vorzubehalten, und

II. festzustellen, dass das Vertriebssystem der Antragsgegnerin gegen Art 101 AEUV bzw § 1 KartG verstößt bzw dass die Freistellungsvoraussetzungen der Gruppenfreistellungsverordnung aufgrund des Verhaltens der Antragsgegnerin nicht erfüllt sind.

Der Antragsgegnerin komme auf dem relevanten Markt für die Instandsetzungs‑ und Wartungsdienstleistungen von Fahrzeugen der Marke K***** eine marktbeherrschende Stellung zu. Sie missbrauche diese Stellung, indem sie die Bewerbungen der Antragstellerin um einen Händler‑ und Werkstattvertrag seit 2008 ablehne, obwohl diese sämtliche Kriterien der qualitativen Selektion erfülle. Der Zugang zum Netz der zugelassenen Werkstätten stehe nicht grundsätzlich allen Unternehmen, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllten, offen. Mit 1. 9. 2012 habe ihr die Antragsgegnerin den Zugang zum K*****‑Datennetz unterbunden. Die Belieferung mit Ersatzteilen sei ebenfalls verweigert worden. Die Antragstellerin sei auch am Zugriff zu Aufzeichnungen zur Wartungsgeschichte von K*****‑Fahrzeugen gehindert worden. Die Antragsgegnerin wende bezüglich der Belieferung mit Ersatzteilen sowie des Zugangs zu technischen Daten unterschiedliche Konditionen gegenüber K*****‑Werkstättenbetrieben und freien Werkstätten an. Ferner missbrauche sie Gewährleistungen dazu, sich selbst bzw den Mitgliedern ihres Netzes zugelassener Werkstätten auch nicht unter die Gewährleistung bzw Garantie fallende Instandsetzungs‑ und Wartungsdienste an Kraftfahrzeuge bestimmter Kategorien explizit oder implizit vorzubehalten. Den Feststellungsantrag begründete die Antragstellerin damit, dass das vorliegende Verfahren der Klärung der Frage diene, ob das im Verfahren relevierte Verhalten der Antragsgegnerin als marktbeherrschende Importeurin von Kfz im Lichte des geltenden Kartellrechts den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verwirkliche.

Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung der Anträge. Das Antragsbegehren zu I.1. sei nicht ausreichend bestimmt, weil kein Verbot einzelner vermeintlich nachteiliger Handlungen begehrt werde. Vielmehr enthalte der Antrag ein Gebot zum Abschluss eines Werkstattvertrags mit der Antragstellerin, ohne dass dessen Inhalt spezifiziert werde. Die Antragsgegnerin sei weder beim Neuwagenvertrieb noch bei der Erbringung von Instandsetzung‑ und Wartungsdienstleistungen marktbeherrschend. Das Verhalten der Antragstellerin sei unzumutbar. Punkt I.2. des Antrags sei unbestimmt. Der Antrag zu I.3. sei nicht berechtigt. Der Antragstellerin stünden die technischen Informationen sowie Ersatzteile zur Verfügung, um sie treffende Gewährleistungspflichten zu erfüllen. Sie könne uneingeschränkt Reparatur‑ und Serviceleistungen erbringen. Der Feststellungsantrag sei unzulässig, weil nicht einmal klar sei, auf welchen Sachverhalt er gestützt sei. Die Verträge der Antragsgegnerin seien konform der Kfz‑Gruppenfreistellungsverordnung.

Das Kartellgericht wies die Anträge der Antragsstellerin ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest. Rechtlich führte es aus, Punkt I.1. des Antrags sei nicht ausreichend bestimmt, weil der Inhalt des Vertrags angeführt oder zumindest behauptet werden müsse, dass sämtliche von der Antragsgegnerin abgeschlossenen Werkstattverträge einen identen Inhalt hätten und daher ein derartiger Standardvertrag abgeschlossen werden solle. Selbst wenn ein eigener Markt für den Abschluss von K*****‑Werkstattverträgen angenommen werde, den die Antragsgegnerin beherrsche, wäre die Weigerung der Antragsgegnerin, mit der Antragstellerin einen Werkstattvertrag abzuschließen, nicht als Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung anzusehen. Denn im Hinblick auf die Vielzahl der zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreite und die tiefgreifend gestörte Kommunikations‑ und Vertrauensbasis sei die Weigerung der Antragsgegnerin als gerechtfertigt anzusehen. Die Antragstellerin habe zumutbare Ausweichmöglichkeiten, weil sie in der Lage sei, sämtliche Reparatur‑, Wartungs‑ und Serviceleistungen für K*****‑Fahrzeuge sach‑ und fachgerecht unter Wahrung der Garantieansprüche der Kunden zu erbringen. Außerdem habe sie Zugriff auf sämtliche Ersatzteile und technische Informationen.

Im Zusammenhang mit dem Antragsbegehren zu I.2. sei der Markt für die Lieferung von Ersatzteilen und technischen Daten, die für Wartung, Service und Reparaturen von Kraftfahrzeugen benötigt würden, zu umschreiben. Marktgegenseite seien freie Werkstätten, die derartige Arbeiten durchführten. Freie Werkstätten seien aber nicht auf K*****‑Fahrzeuge beschränkt, der Markt umfasse vielmehr eine Vielzahl von verschiedenen Kfz‑Marken, für die von freien Werkstätten Reparatur‑ und Service‑ sowie Wartungsarbeiten erbracht würden. Auf diesem Markt habe die Antragsgegnerin keine marktbeherrschende Stellung. Hinzu komme, dass die Antragstellerin die Möglichkeit habe, entweder bei K*****‑Vertragshändlern oder am freien Markt Ersatzteile für K*****‑Fahrzeuge zu kaufen. Der Zugang zu technischen Daten sei ihr über die Internetplattform möglich. Nach dem 31. 8. 2012 habe sie nie ein derartiges Ansinnen auf Belieferung mit Ersatzteilen und Zugang zu technischen Daten an die Antragsgegnerin gestellt. Dass diese Instandsetzung‑ und Wartungsdienste an K*****‑Fahrzeugen bestimmter Kategorien sich selbst oder den Mitgliedern ihres Netzes zugelassener Werkstätten in irgendeiner Weise vorbehalte und damit Gewährleistungspflichten zu diesem Zweck missbrauche, stehe nicht fest. Der Antrag zu Punkt I.3. sei daher nicht berechtigt.

Den Feststellungsantrag könne die Antragsgegnerin nur auf § 28 Abs 2 KartG stützen. Dem Vorbringen der Antragstellerin, dass das den Gegenstand des Antrags bildende marktmissbräuchliche Verhalten der Antragsgegnerin in einem faktischen und rechtlichen Zusammenhang mit ihrem qualitativ‑selektiven Vertriebssystem und dessen normativen Grundlagen gesehen werden müsse, könne ein rechtliches oder wirtschaftliches Feststellungsinteresse der Antragstellerin, die nicht mehr Teil des Vertriebsnetzes der Antragsgegnerin sei, nicht entnommen werden. Außerdem könne eine Feststellung nach § 28 Abs 2 KartG nur einen Verstoß gegen nationales Kartellrecht betreffen. Die Fällung einer Entscheidung, dass ein Verstoß gegen Art 101 AEUV vorliege oder die Freistellungsvoraussetzungen der Gruppenfreistellungs‑VO aufgrund des Verhaltens der Antragsgegnerin nicht erfüllt seien, falle nicht darunter.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Antragsgegnerin beantwortete Rekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem ‑ im Ergebnis ‑ auf Abänderung im antragsstattgebenden Sinn gerichteten Antrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin hatte das Erstgericht nicht als nationale Wettbewerbsbehörde (iSd Art 35 VO [EG] 1/2003; § 83 Abs 1 Z 1 KartG) über den „Entzug des Rechtsvorteils einer Gruppenfreistellung“ (vgl Art 29 Abs 2 VO [EG] 1/2003; Erwägungsgrund 22 der VO [EU] 461/2010 [Kfz-GVO]) zu entscheiden. Das Kartellgericht hat nämlich auch bei der Anwendung des Unionsrechts nach den Verfahrensvorschriften des KartG vorzugehen (§ 83 Abs 2 KartG). Diese sehen vor, dass das Kartellgericht grundsätzlich nur auf Antrag entscheidet (§ 36 Abs 1 KartG). Einen Antrag auf „Entzug des Rechtsvorteils einer Gruppenfreistellung“ hat die Antragstellerin indes nicht gestellt.

Unzutreffend ist ferner die Meinung der Rekurswerberin, das Kartellgericht hätte die Befugnis nach Art 29 Abs 2 VO (EG) 1/2003 infolge des Untersuchungsgrundsatzes (§ 16 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG) wahrnehmen müssen, bezieht sich dieser Grundsatz doch auf die amtswegige Aufklärung des Sachverhalts und ermächtigt nicht zu einer antragslosen Entscheidung von Amts wegen.

2.1. Die gesetzmäßige Ausführung des von der Antragstellerin geltend gemachten Rechtsmittelgrundes fordert ‑ wie für das Revisionsrekursverfahren (§ 68 Abs 3 Z 4 AußStrG) ausdrücklich angeordnet ‑ die Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint.

2.2. Dieser Anforderung genügen die Rechtsmittelausführungen, soweit sie sich auf die Abweisung der Anträge zu I.1. und I.3. beziehen oder beziehen könnten, nicht:

a) Das Rechtsmittel legt mit keinem Wort dar, weshalb die Abweisung des Antrags I.3. auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhen soll.

b) Zutreffend und von der Rekurswerberin auch nicht bekämpft ist die Auffassung des Kartellgerichts, dass selbst ein marktbeherrschender Unternehmer grundsätzlich keinem Kontrahierungszwang unterliegt, er vielmehr aus sachlich gerechtfertigten Gründen einen Vertragsabschluss ablehnen kann, und dass dieser Grundsatz sowohl für das österreichische als auch das europäische Wettbewerbsrecht gilt (RIS-Justiz RS0117542; RS0109204 [T1, T2]).

Das Erstgericht beurteilte die Verweigerung des Abschlusses eines Werkstattvertrags durch die Antragsgegnerin (Gegenstand des Antrags I.1.) aus im Einzelnen genannten Gründen für sachlich gerechtfertigt, sodass ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung (auf einem allfälligen eigenen Markt für den Abschluss von K*****‑Werkstattverträgen) nicht vorliege. Dieser Beurteilung tritt die Rechtsmittelwerberin nicht begründet entgegen. Ob sie ‑ wie sie behauptet ‑ die qualitativen Voraussetzungen des selektiven Vertriebssystems der Antragsgegnerin für den Zugang zu Werkstättenleistungen erfüllt, ist angesichts der sachlich gerechtfertigten Verweigerung des Abschlusses eines Werkstattvertrags mit der Rekurswerberin nicht entscheidungsrelevant. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH kann selbst die Nichtbeachtung einer notwendigen Voraussetzung für die Freistellung vom Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV nicht bereits als solche einen Lieferanten dazu zwingen, einen Händler, der sich darum bewirbt, in ein Vertriebssystem aufzunehmen (EuGH 14. 6. 2012, C-158/11 , Auto 24 , Rn 22 mwN; vgl Becker/Simon in MüKoEuWettbR, Art 1 GVO Nr 461/2010 Rz 20).

Weigert sich ein Hersteller sachlich nicht gerechtfertigt, eine alle qualitativen Auswahlkriterien erfüllende Werkstatt in das Netz seiner zugelassenen Werkstätten aufzunehmen, so führt dies dazu, dass sein selektives Vertriebssystem kein qualitatives mehr ist, sondern ein quantitatives‑selektives. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass dieses kartellrechtswidrig ist (vgl Kfz‑LL, Rn 44; Becker/Simon in MüKoEuWettbR, Art 1 GVO Nr 461/2010 Rz 20). Aber selbst wenn ein quantitativ‑selektives Vertriebssystem unter Art 101 Abs 1 AEUV fällt, besteht die Möglichkeit einer Gruppenfreistellung, wenn die Marktanteile des autorisierten Netzes unter 30 % liegen (Art 4 Abs 1 Kfz‑GVO iVm Art 3 Abs 1 VO [EU] 330/2010 [Allgemeine Vertikal-GVO]; Rn 46 Kfz-LL; Becker/Simon in MüKoEuWettbR, Art 1 GVO Nr 461/2010 Rz 20).

3.1. Die Rekurswerberin rügt die Ausführungen des Kartellgerichts zur Abgrenzung des Marktes, den das Antragsbegehren zu I.2. betrifft, unter Hinweis auf die Bekanntmachung der Europäischen Kommission „Ergänzender Leitlinien für vertikale Beschränkungen in Vereinbarungen über den Verkauf und die Instandsetzung von Kraftfahrzeugen und den Vertrieb von Kraftfahrzeugteilen“, ABl 2010 C 138/16 („Kfz‑LL“). Die Kommission definiert darin im Rahmen der Kfz‑GVO den Markt im Verhältnis Kfz‑Hersteller und Werkstatt, indem sie auf die nachgelagerte Marktstufe der Endkunden abstellt und den relevanten Markt markenspezifisch abgrenzt (Rn 15, 39, 57 Fn 1 Kfz‑LL). Ob diese Marktabgrenzung auch im Zusammenhang mit § 4 KartG und Art 102 AEUV anzuwenden ist, muss hier nicht weiter erörtert werden:

3.2. Auch wenn man den Kfz‑Ersatzteilmarkt markenspezifisch abgrenzen wollte und die Antragsgegnerin auf diesem Markt in Österreich, auf dem sie nach den Feststellungen nicht als einziger Anbieter auftritt, marktbeherrschend wäre (wozu die Antragstellerin allerdings kein konkretes Vorbringen erstattet hat), ist der Missbrauchstatbestand des § 5 Abs 1 Z 3 KartG, auf den sie das Antragsbegehren I.2. stützt, nicht verwirklicht.

3.3. § 5 Abs 1 Z 3 KartG (wie auch der vergleichbare Diskriminierungstatbestand des Art 102 lit c AEUV) verbietet die Benachteiligung von Vertragspartnern im Wettbewerb durch Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen. Die Rekurswerberin meint, sie werde beim Zugang zu technischen Daten und bei der Belieferung mit Ersatzteilen diskriminiert, weil sie nach den Feststellungen des Kartellgerichts nicht den selben Konditionen unterliege wie Vertragswerkstätten des Herstellers. Insbesondere löse die Beschaffung der relevanten technischen Daten ebenso wie jene der Ersatzteile für die Antragstellerin „deutlich“ höhere Kosten aus.

3.4. Zunächst ist festzuhalten, dass den Feststellungen des Kartellgerichts „deutlich“ höhere Kosten für die Beschaffung nicht entnommen werden können.

3.5. § 5 Abs 1 Z 3 KartG umfasst den persönlichen Schutz von Vertragspartnern, Art 102 lit c AEUV den Schutz von Handelspartnern des marktbeherrschenden Unternehmers. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Missbrauchstatbestand des KartG und nach der Rechtsprechung des EuGH zu jenem nach europäischem Wettbewerbsrecht fallen potentielle Kunden des marktbeherrschenden Unternehmers nicht in den Anwendungsbereich der beiden Diskriminierungstatbestände (16 Ok 1/12; EuGH 26. 11. 1998, C-7/97 , Bronner/Mediaprint , Slg 1998 I-07791 Rn 30).

Die Antragstellerin bezieht ‑ den Feststellungen des Kartellgerichts zufolge ‑ von der Antragsgegnerin keine Ersatzteile und ist in diesem Bereich nicht deren Vertragspartnerin (Handelspartnerin), sodass schon aus diesem Grund § 5 Abs 1 Z 3 KartG oder Art 102 lit c AEUV nicht anwendbar ist.

3.6. Die Antragstellerin kann aber auch aus dem allgemeinen Missbrauchsverbot (§ 5 Abs 1 Satz 1 KartG) nicht ableiten, die Antragsgegnerin habe ihr gegenüber bezüglich der Belieferung mit Ersatzteilen dieselben Konditionen anzuwenden wie gegenüber zugelassenen K*****‑Werkstättenbetrieben. Nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Antragsgegnerin und den Feststellungen vertreibt die Antragsgegnerin Ersatzteile nicht über die Großhandelsstufe, sondern nur über das Netz ihrer Vertragswerkstätten, von denen freie Werkstätten Ersatzteile beziehen können, also auf der Einzelhandelsstufe. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Direktbelieferung ginge damit ins Leere. Denn die Antragsgegnerin verstieße nicht gegen das Behinderungsverbot oder das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Diskriminierung, wenn sie Unternehmen außerhalb ihres Vertriebsnetzes keine Direktbelieferung anbietet (vgl Nolte in Langen/Bunte , Kartellrecht II 12 nach Art 101 AEUV Rz 1087). Umso weniger kann die Antragstellerin verlangen, von der Antragsgegnerin über ihr Werkstättennetz vertriebene Ersatzteile zu Preisen beziehen zu können, die Vertragswerkstätten zu zahlen haben.

3.7. Nach Art 6 VO (EG) 715/2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (5 EUR und 6 EUR) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl 2007 L 171/1, hat der Hersteller ‑ in der VO definierten ‑ „unabhängigen Marktteilnehmern“ über das Internet Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen auf leichte und unverzügliche Weise und so zu gewähren, dass gegenüber dem Zugang der autorisierten Händler und Reparaturbetriebe und der Informationsbereitstellung für diese keine Diskriminierung stattfindet. Für den Zugang zu der unter die Verordnung fallenden Reparatur‑ und Wartungsinformation kann der Hersteller eine angemessene und verhältnismäßige Gebühr erheben; eine Gebühr ist nicht angemessen oder verhältnismäßig, wenn sie eine abschreckende Wirkung zeigt, indem der Umfang der Nutzung durch unabhängige Martkteilnehmer nicht berücksichtigt wird (Art 7 Abs 1 der VO; vgl auch Rn 67 Kfz-LL). Nach Art 7 Abs 2 der VO ist der Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für einen Tag, einen Monat oder ein Jahr anzubieten und die Gebühr nach der Dauer des Zugangs zu staffeln. Dass die von der Antragsgegnerin erhobene, nach der Dauer des Zugangs gestaffelte Gebühr nicht angemessen oder verhältnismäßig war, hat die Antragstellerin ebenso wenig behauptet wie, dass die von der Antragsgegnerin genannten Gebühren für den Zugang zu technischen Informationen über die Internetplattform bis zu deren Aussetzung nicht auch von Vertragswerkstätten zu zahlen waren. Das Erstgericht hat auch nicht festgestellt, dass die Antragsgegnerin von ihren Vertragswerkstätten keine oder eine geringere Gebühr erhebt.

Im Übrigen verlangt ein diskriminierungsfreier Zugang zu technischen Informationen keine schematische Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte. Freie Werkstätten oder andere unabhängige Marktteilnehmer sind nicht mit den Kosten belastet, die sich für Vertragswerkstätten aus ihrem Dauerschuldverhältnis mit dem Hersteller (Importeur) und den objektiven Kriterien ihrer qualitativen Selektion ergeben. Diese unterschiedlichen Umstände sind beim Entgelt und bei den Konditionen zu berücksichtigen (vgl Nolte in Langen/Bunte , Kartellrecht II 12 nach Art 101 AEUV Rz 1138).

4.1. Ohne Erfolg rügt die Rekurswerberin schließlich die Abweisung des Feststellungsbegehrens.

4.2. § 28 Abs 1 KartG verleiht dem Kartellgericht nur die Kompetenz zur Feststellung bereits beendeter Kartellrechtswidrigkeiten. Die Antragstellerin begehrt aber schon nach dem Wortlaut des Feststellungsantrags („verstößt“; „nicht erfüllt sind“) nicht die Feststellung beendeter Zuwiderhandlungen.

4.3. Die Feststellungsbefugnis nach § 28 Abs 2 KartG bezieht sich nur auf den Bereich des KartG, sodass weder ein Verstoß gegen Art 101 AEUV noch die Nichterfüllung der „Freistellungsvoraussetzungen der Gruppenfreistellungsverordnung“ vom Kartellgericht festgestellt werden darf (vgl 16 Ok 19/04). Weshalb aber das Vertriebssystem der Antragsgegnerin gegen das Kartellverbot des § 1 KartG verstoßen soll, hat die Antragstellerin nicht dargelegt. Dass sie nicht wieder in das Netz der Vertragswerkstätten der Antragsgegnerin aufgenommen wurde, führt schon deshalb nicht zu einer Kartellrechtswidrigkeit, weil die Weigerung sachlich gerechtfertigt war.

5. Für die von der Antragstellerin ohne konkrete Gründe angeregte Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht kein Anlass.

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