Spruch:
- 1.) Der Rekurs der Ö***** GmbH wird zurückgewiesen.
- 2.) Dem Rekurs des Antragstellers wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der Antragsteller legte dem Erstgericht die Muster einer "Ausschreibung Sponsorvertrag für Tennisbälle" und eines "Sponsorvertrages" vor. Zur Klärung, ob sein in diesen Urkunden verkörpertes neues "Ballsystem" zulässig sei, beantragte er - gestützt auf § 8a KartG -, das Kartellgericht möge feststellen,
1.) dass das geplante Ballsystem nicht dem Kartellgesetz 1988 unterliege, insbesondere, dass kein Kartelltatbestand im Sinn der §§ 10 ff KartG 1988 und/oder Art 81 EG, keine vertikale Vertriebsbindung im Sinn des § 30a KartG 1988 und kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinn des § 35 KartG 1988 und/oder Art 82 EG vorliege;
in eventu
2.) dass ein nicht genehmigungspflichtiges Wirkungskartell vorliege;
in eventu möge das Kartellgericht das Kartell gemäß § 23 KartG 1988 genehmigen.
Sollte das Kartellgericht zu dem Schluss kommen, dass der vorliegende Sachverhalt dem KartG 1988 unterliege, sowie eine vertikale Vertriebsbindung im Sinn des § 30a KartG 1988 vorliege, möge das Kartellgericht den vorliegenden Antrag als Anzeige der vertikalen Vertriebsbindung zur Kenntnis nehmen, in die Urkundensammlung aufnehmen und feststellen, dass kein Untersagungsgrund für die angezeigte vertikale Vertriebsbindung gemäß § 30c KartG 1988 vorliege.
Er brachte zu seinem "neuen System" vor, dass - im Gegensatz zum System 2002/03 - nach dem neuen System das Logo "ÖTV" nicht mehr auf den Bällen angebracht werden und auch sonst keine spezielle Kennzeichnung erfolgen solle. Das neue System gelte nur für Turniere und Mannschaftsmeisterschaften in Österreich mit Bedeutung für die ÖTV-Rangliste. Die Bestimmung der Ballmarke erfolge im Weg einer transparenten und an den Grundsätzen des Vergaberechtes (Verhandlungsverfahren) orientierten Ausschreibung gemäß Beil ./D. Der Antragsteller selbst schreibe (entweder selbst oder indirekt über sein 100 %-iges Tochterunternehmen Ö***** GmbH) nur die bei den ÖTV-Turnieren und den Staatsligen zu spielenden Ballmarken vor. Die bei den Mannschaftsmeisterschaften und den Landesverbandsturnieren zu spielenden Ballmarken würden von den jeweiligen Landesverbänden bestimmt. Bei Ausschreibungen durch den Antragsteller und die Landesverbände würden jeweils nach Altersklassen (allgemeine Klasse, Senioren und Jugendliche) drei getrennte Ausschreibungen zur Bestimmung der Ballmarken erfolgen. Die kleineren Landesverbände (Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Kärnten, Burgenland und Wien) würden lediglich zwei getrennte Ballausschreibungen durchführen, nämlich eine für die allgemeine Klasse und eine für Jugend- und Seniorenbewerbe. Diese Regelung solle jeweils für zwei Spielsaisonen gelten. Zur Teilnahme an der Ausschreibung würden alle Ballhersteller und Vertriebspartner eingeladen, die ITF-geprüfte Bälle vertreiben und die sicherstellen können, dass die Bälle in ausreichender Menge und örtlicher Verfügbarkeit für den österreichischen Markt zur Verfügung gestellt werden können. Im Hinblick auf die bei ÖTV-Ranglistenturnieren erforderliche Qualität werde als Mindestkriterium festgelegt, dass jeweils nur die Top-Produkte des Herstellers angeboten werden sollen. Weiters werde der Nachweis gefordert, dass das betreffende Produkt oder das Vorläufermodell in den letzten zwei Jahren bzw in der laufenden oder nächsten Saison bei einem ATP- oder WTA-Turnier oder bei den im Rahmen des FED oder Davis Cup veranstalteten Turnieren sowie bei Turnieren der Delta Champions Tour zum Einsatz gekommen ist bzw kommt. Vereinbart werde, dass die Verkaufspreise an die Weiterverkäufer nicht über dem Marktniveau liegen dürfen. Diese Verpflichtung werde auch auf die Wiederverkäufer überbunden. Als Nebenleistung werde die unentgeltliche Zurverfügungstellung von bestimmten Ballkontingenten an den Antragsteller bzw den jeweiligen Landesverband vereinbart. Diese Ballkontingente würden für Trainingszwecke im Rahmen der Jugendförderung verwendet. Da für Bälle, die die Mindestkriterien erfüllten, keine weitere Differenzierung nach Qualitäten möglich sei, erfolge die Auswahl ("Zuschlag") nach der Höhe des angebotenen Sponsoring-Beitrages für den Antragsteller. Vorgesehen werde ein Verhandlungsverfahren. Den Zuschlag erhalte der Bestbieter. Die aus den Verträgen erzielten Einnahmen bzw Vergünstigungen würden der Aufbringung der Mittel nach den Statuten des Antragstellers zur Erreichung des Verbandszweckes dienen. Eine Kennzeichnung der Bälle mit dem Aufdruck "ÖTV" würde nicht erfolgen. In Österreich seien im Jahr 2001 zwischen 220.000 und 270.000 Dutzend Tennisbälle verkauft worden, im Jahr 2002 um 5-10 % weniger. Für ÖTV-Ranglistenturniere würden ca 36.500 Dutzend Tennisbälle benötigt.
Der Bundeskartellanwalt äußerte sich dahin, der Sachverhalt erfülle den Tatbestand einer vertikalen Vertriebsbindung. Das gewählte System der Ausschreibung wahre weitestgehende Chancengleichheit und sichere damit im Ergebnis Wettbewerb im Rahmen des Machbaren. Die Bundeswettbewerbsbehörde hielt in ihrer Stellungnahme fest, durch das angezeigte neue Sponsoren-System des Antragstellers könne es gelingen, den gesellschaftlich und politisch anerkannten Interessen des Tennissports an einer gesicherten Finanzierung durch Sponsoren mit einem Minimum an wettbewerblichen Einschränkungen Rechnung zu tragen.
Das Erstgericht ging von der Richtigkeit der tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers aus und wies
1.) den Antrag festzustellen, dass das geplante Ballsystem keinen Kartelltatbestand im Sinn des Art 81 EG verwirkliche und dass kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinn des Art 82 EG vorliege, zurück;
2.) den Antrag festzustellen, dass das geplante Ballsystem nicht dem Kartellgesetz 1988 unterliege, insbesondere, dass kein Kartelltatbestand im Sinn der §§ 10 ff KartG 1988, keine vertikale Vertriebsbindung im Sinn des § 30a KartG 1988 und kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinn des § 35 KartG 1988 vorliege; sowie in eventu festzustellen, dass ein nicht genehmigungspflichtiges Wirkungskartell vorliege, in eventu das Kartell gemäß § 23 KartG 1988 zu genehmigen, in eventu festzustellen, dass kein Untersagungsgrund für die angezeigte vertikale Vertriebsbindung gemäß § 30c KartG 1988 vorliege, ab;
3.) sprach es aus, der vorgelegte Sponsorvertrag werde als vertikale Vertriebsbindung ebenso wie deren Anzeige in die Urkundensammlung aufgenommen.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, der zu beurteilende Sachverhalt sei grundsätzlich geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Schließlich beziehe sich das antragsgegenständliche "Ballsystem" des Antragstellers als nationaler Tennisverband des weltweiten Tennisverbandes auf das gesamte Gebiet Österreichs. Wenn auch jeder einzelne Sponsorvertrag für sich gesehen wirtschaftlich unbedeutend sein möge, so könne unter Zugrundelegung der "Bündeltheorie" auch die kumulative Wirkung dieser Parallelverträge zu einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels führen. Somit sei von der Anwendung der Zwischenstaatlichkeitsklausel auszugehen. Gemäß der Verordnung (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Art 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln bestehe für die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte keinerlei Feststellungskompetenz betreffend die Nichtanwendbarkeit der Art 81 und 82 EG. Diesbezügliche Feststellungen - allerdings nicht auf Parteienantrag, sondern aus öffentlichem Interesse von Amts wegen - seien gemäß Art 10 dieser Verordnung ausschließlich der Kommission vorbehalten. Die entsprechenden Feststellungsanträge seien daher zurückzuweisen. Art 3 der VO Nr 1/2003 führe zu einer weitgehenden Verdrängung des nationalen Wettbewerbsrechtes im Bereich von Art 81 EG. Soweit eine Vereinbarung geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, müssten die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte auch Art 81 EG (parallel) anwenden. Nach Gemeinschaftsrecht verbotene Kartelle dürften nicht durch innerstaatliches Recht erlaubt werden; umgekehrt dürften nach Gemeinschaftsrecht erlaubte Kartelle durch innerstaatliches Recht nicht verboten werden. Gemäß Art 1 Abs 2 der VO seien Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinn von Art 81 Abs 1 EG, die die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllten, nicht verboten, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedarf. Dieses Legalausnahmesystem stelle die grundlegendste Neuerung der Verordnung dar. Unbedenkliche Kartelle müssten jetzt nicht mehr von der Kommission genehmigt werden. Sie seien - wenn die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllt seien - bereits von Anfang an gültig. Ob die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllt seien, hätten die betroffenen Unternehmen selbst zu beurteilen und - falls ein Verfahren eingeleitet werde - zu beweisen. Eine Einzelfreistellung durch nationale Gerichte oder Wettbewerbsbehörden sei nicht vorgesehen. Dieses im Gemeinschaftsrecht nunmehr verankerte Legalausnahmesystem sei bislang vom österreichischen Kartellrecht nicht übernommen worden. Somit wäre theoretisch eine Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Kartelltatbestandes samt allfälliger Genehmigung oder Nichtgenehmigung möglich und zulässig. Allerdings fehle es dem Antragsteller im konkreten Fall am rechtlichen Interesse an einer Feststellung, ob das geplante Ballsystem einen Kartelltatbestand im Sinne der §§ 10 ff KartG erfülle. Schließlich habe der Antrag auf Feststellung, ob ein Kartelltatbestand gegeben sei, für den Antragsteller - im Hinblick auf das Durchführungsverbot des § 18 KartG - im Wesentlichen den Zweck, ihm Auskunft darüber zu geben, ob vor der Durchführung des Kartells um Genehmigung anzusuchen sei. Im vorliegenden Fall komme aber wegen der Anwendung der Zwischenstaatlichkeitsklausel eine Anmeldung und allfällige Genehmigung eines Kartells auf Grund der Geltung des Legalausnahmesystems nicht in Betracht bzw wäre sie rechtlich unwirksam. Somit fehle dem Antragsteller das rechtliche oder wirtschaftliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Nichtvorliegens eines Kartelltatbestandes bzw des Vorliegens eines Kartelltatbestandes und Genehmigung desselben im Sinn der §§ 10 ff KartG. Der diesbezügliche Antrag sei daher abzuweisen. Im Übrigen hätte sich auf Grund der Anwendung des Art 3 VO Nr 1/2003 im konkreten Fall auch eine Feststellung gemäß § 8a KartG am EU-Kartellrecht zu orientieren. Dies würde zu einer Feststellung in Bezug auf Art 81 EG führen, die durch das Legalausnahmesystem gerade ausgeschlossen sei.
Der Antrag auf Feststellung des Nichtvorliegens einer vertikalen Vertriebsbindung sei abzuweisen, weil die Sponsorverträge auch vertikale Vertriebsbindungen im Sinne des § 30a KartG darstellten. Schließlich würden damit die "Partner" vom Antragsteller im Vertrieb von Waren beschränkt. Ein Vertragsmuster sei daher in die Urkundensammlung aufzunehmen. Ob bei gemeinschaftsrechtsrelevanten vertikalen Vertriebsbindungen nach dem Inkrafttreten der VO Nr 1/2003 am 1. 5. 2004 eine Anzeigepflicht bestehe, könne dahingestellt bleiben. Jedenfalls widerspreche die Anzeige gemäß § 30b KartG nicht dem Inhalt der Verordnung.
Die Anträge auf Feststellung, dass ein nicht genehmigungspflichtiges Wirkungskartell vorliege und ein Untersagungsgrund für die angezeigte vertikale Vertriebsbindung gemäß § 30c KartG nicht vorliege, seien wegen des Fehlens eines rechtlichen oder wirtschaftlichen Interesses an der entsprechenden Feststellung abzuweisen.
Schließlich sei der Antrag auf Feststellung, dass kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliege, abzuweisen, weil sich aus § 8a KartG nicht ableiten lasse, dass dadurch dem Marktbeherrscher eine "ex-ante-Prüfung" der Angemessenheit oder Unangemessenheit seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne einer aufsichtsbehördlichen Vorkontrolle des Inhaltes seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen ermöglicht werden sollte. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Antragstellers und der Ö***** GmbH wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und dem Antrag, jenen dahin abzuändern, dass gemäß § 8a KartG festgestellt werde, dass
1.) kein Untersagungsgrund für die angezeigte vertikale Vertriebsbindung gemäß § 30c KartG vorliege,
2.) kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinn des § 35 KartG vorliege,
3.) die gegenständliche Vereinbarung gemäß Art 81 Abs 3 EG, allenfalls auf Grund einer Gruppenfreistellungsverordnung, vom Verbot des Art 81 Abs 1 EG ausgenommen sei, und
4.) kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Art 82 EG vorliege.
Die Bundeswettbewerbsbehörde hat eine Gegenäußerung erstattet. Der Bundeskartellanwalt verzichtete auf die Erstattung einer Gegenäußerung.
1.) Der Rekurs der Ö***** GmbH war zurückzuweisen, weil diese mangels Antragstellung vor dem Erstgericht nicht Partei des Verfahrens ist.
2.) Der Rekurs des Antragstellers ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist festzuhalten, dass selbst nach den Behauptungen des Antragstellers eine "Ausschreibung Sponsorvertrag für Tennisbälle" gemäß dem Muster Beil ./D nicht stattfand und ein "Sponsorvertrag" nach Muster Beil ./E nicht abgeschlossen wurde.
Gemäß § 8a Abs 1 KartG hat das Kartellgericht auf Antrag festzustellen, ob und inwieweit ein Sachverhalt dem Kartellgesetz unterliegt. Der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht hat dazu bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung eine Feststellung dahin, dass ein (bestimmter) kartellrechtlich relevanter Sachverhalt vorlag, nicht vorsieht und darauf abzustellen ist, ob der kartellrechtlich relevante Sachverhalt auch noch zur Zeit der Beschlussfassung besteht (16 Ok 8/02). Umgekehrt gibt § 8a KartG dem Kartellgericht keine Feststellungskompetenz in Bezug auf einen sich erst künftig möglicherweise ereignenden Sachverhalt. Dies folgt aus seinem Wortlaut, denn die Feststellung, ob und inwieweit ein Sachverhalt dem Kartellgesetz unterliegt, setzt voraus, dass sich die den - noch bestehenden - Sachverhalt bildenden Tatsachen ereignet haben, die im Hinblick darauf zu prüfen sind, ob sie einen materiell-rechtlichen Tatbestand des Kartellgesetzes verwirklichen, haben doch die materiell-rechtlichen Tatbestände des Kartellgesetzes bloß vorgesehene Vereinbarungen oder Verhaltensweisen nicht zum Gegenstand.
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die vom Antragsteller geplante, aber (noch) nicht praktizierte Verhaltensweise, nicht zum Gegenstand eines Feststellungsantrages in Richtung des Nichtvorliegens des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung gemacht werden kann. Die begehrte Feststellung, es liege kein Untersagungsgrund für die angezeigte vertikale Vertriebsbindung gemäß § 30c KartG vor, kann schon deshalb nicht getroffen werden, weil vertikale Vertriebsbindungen im Sinne des § 30a Abs 1 KartG Vereinbarungen mit den in dieser Gesetzesstelle beschriebenen Merkmalen sind. Eine Vereinbarung liegt aber nach den Antragsbehauptungen und den Feststellungen des Erstgerichtes nicht vor.
§ 8a KartG bildet keine Grundlage für die weiteren im Rekursantrag angestrebten Feststellungen, normiert doch diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut die Feststellungsbefugnis des Kartellgerichtes nur für den Bereich des Kartellgesetzes. Die Fällung einer Entscheidung - nämlich die spruchmäßige Feststellung -, dass eine Vereinbarung gemäß Art 81 Abs 3 EG vom Verbot des Art 81 Abs 1 EG ausgenommen ist und eine Verhaltensweise keinen Missbrauch einer markbeherrschenden Stellung im Sinn des Art 82 EG bildet, gestattet diese Bestimmung daher nicht.
Der Rekurswerber meint, Art 5 VO Nr 1/2003 sehe eine ausdrückliche Entscheidungsmöglichkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden darüber vor, dass für sie kein Anlass bestehe, im Hinblick auf Art 81 und 82 EG tätig zu werden, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihnen vorliegenden Informationen nicht gegeben seien. Daher dürften nationale Wettbewerbsbehörden eine deklaratorische Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen von Art 81 Abs 3 EG treffen; gleiches gelte hinsichtlich des Nichtvorliegens des Tatbestandes des Art 82 EG. Das Kartellgericht sei gemäß § 42f KartG zuständig, Entscheidungen im Einzelfall zu erlassen, die nach den Art 84 bis 86 EG und den nach Art 83 EG erlassenen Verordnungen - wozu auch die Verordnung (EG) Nr 1/2003 gehöre - von den Behörden der Mitgliedstaaten zu treffen seien.
Seit dem 1. 5. 2004 gilt die - insbesondere auf Art 83 EG gestützte - VO (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Art 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln; sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art 45 der VO). Mangels entgegenstehender Übergangsbestimmungen ist diese Verordnung auch auf zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vor nationalen Kartellbehörden bereits anhängige Verfahren - demnach also auch im Anlassfall - anzuwenden. Mit der Verordnung ist ein neues System zur Anwendung der Art 81 und 82 EG eingeführt worden. Waren zuvor nur Art 81 Abs 1 und 2 und Art 82 EG unmittelbar durch nationale Behörden anwendbar, gilt dies nunmehr auch für das Freistellungsregime des Art 81 Abs 3 EG, dessen Anwendung bisher nach der VO 17/62 des Rates vom 6. 2. 1962 allein der Kommission vorbehalten war. Art 81 Abs 3 wird zur Legalausnahme; eine Einzelfreistellungserklärung durch die Europäische Kommission oder durch die nationalen Behörden ist nicht vorgesehen (Art 1 Abs 2 VO Nr 1/2003). Die Freistellungsregel des Art 81 Abs 3 EG funktioniert automatisch und ohne Behördenentscheidung (Karsten Schmidt, BB 2003, 1237 [1238]). Die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen ist Risiko der Unternehmer (Görg/Brandstätter, Das neue EG-Verfahrensrecht, RdW 2003, 297 ff) und erfolgt endgültig nur ex post durch eine nationale Behörde oder die Europäische Kommission (Miribung, Die Zentralisierung des EG-Kartellrechts, ecolex 2003, 307 ff [310]). Die Europäische Kommission hält in ihrer Bekanntmachung über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Art 81 und 82 EG, die in Einzelfällen auftreten - BerEinzel, ABl Nr C 101 vom 27. 4. 2004, S 78, in Rn 3 fest, dass Unternehmen in der Regel gut in der Lage sind, die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens zu beurteilen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob und in welcher Form sie eine Vereinbarung oder ein Verhalten aufnehmen oder fortsetzen wollen. Sie haben eine genaue Kenntnis des Sachverhaltes und können sich auf die Gruppenfreistellungsverordnungen, die Rechtsprechung und Entscheidungspraxis sowie auf umfassende Ausführungen der Kommission in ihren Leitlinien und Bekanntmachungen stützen. Die Europäische Kommission hat Leitlinien zur Anwendung von Art 81 Abs 3 EG - LLAnw bekannt gemacht (ABl Nr C 101 vom 27. 4. 2004, S 97). Art 35 Abs 1 VO Nr 1/2003 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Wettbewerbsbehörden einzurichten, die zur Anwendung der Art 81 und 82 EG in einer Weise befugt sind, dass die Verordnung wirksam angewandt werden kann; zu den bestimmten Behörden können auch Gerichte gehören. Werden einzelstaatliche Verwaltungsbehörden und Gerichte mit der Durchsetzung des Wettbewerbsrechtes der Gemeinschaft betraut, so können die Mitgliedstaaten diesen unterschiedliche Befugnisse und Aufgaben zuweisen (Art 35 Abs 2 der VO).
Das Kartellgericht ist gemäß § 42f Abs 1 KartG zur Erlassung von Entscheidungen im Einzelfall zuständig, die nach den Art 84 bis 86 EG und den nach Art 83 EG erlassenen Verordnungen von den Behörden der Mitgliedstaaten zu treffen sind. Es hat hiebei die Verfahrensvorschriften des Kartellgesetzes anzuwenden. Die Bestimmung stellt klar, dass das Kartellgericht in den Fällen, in denen die (unmittelbar anzuwendenden) Wettbewerbsregeln der EG Entscheidungen der Behörden der Mitgliedstaaten im Einzelfall vorsehen, das Kartellgericht die zuständige Behörde ist (EBRV 1005 BlgNR 21. GP). Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sind für die Anwendung der Art 81 und 82 in Einzelfällen zuständig (Art 5 Satz 1 VO Nr 1/2003). Sie können hierzu von Amts wegen oder auf Grund einer Beschwerde Entscheidungen erlassen, mit denen
- die Abstellung von Zuwiderhandlungen angeordnet wird
- einstweilige Maßnahmen angeordnet werden,
- Verpflichtungszusagen angenommen werden oder
- Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Sanktionen verhängt werden (Art 5 Satz 2 VO Nr 1/2003). Sind die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihnen vorliegenden Informationen nicht gegeben, so können sie auch entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden (Art 5 Satz 3 VO Nr 1/2003). Die Europäische Kommission kann nach Art 10 VO Nr 1/2003 von Amts wegen durch Entscheidung feststellen, dass Art 81 EG auf eine Vereinbarung, einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise keine Anwendung findet, weil die Voraussetzungen des Art 81 Abs 1 EG nicht vorliegen oder weil die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllt sind, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Interesses der Gemeinschaft im Bereich der Anwendung der Art 81 und 82 EG erforderlich ist. Die Kommission kann eine solche Feststellung auch in Bezug auf Art 82 EG treffen. Zwischen einer Entscheidung nach Art 10 VO Nr 1/2003 und einer Entscheidung nach Art 5 Satz 3 dieser VO besteht insoweit eine Parallele, als es sich in beiden Fällen um eine förmliche Entscheidung handelt (Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechtes § 8 Rz 16). Offensichtlich ist aber eine Entscheidung nach Art 10 der Verordnung, der nur deklaratorische Wirkung beizumessen ist (Erwägungsgrund 14 der VO Nr 1/2003; Karsten Schmidt, aaO 1241), nicht dasselbe wie die Entscheidung einer nationalen Behörde, dass zum Tätigwerden kein Anlass besteht, bezieht sich doch der Tenor letzterer nicht unmittelbar auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen von Art 81 bzw 82 EG, sondern lediglich darauf, dass kein Anlass besteht, tätig zu werden (Schwarze/Weitbrecht aaO § 8 Rz 17).
Art 5 Satz 3 VO Nr 1/2003 bildet demnach keine Grundlage für eine spruchmäßige Feststellung des Kartellgerichtes, dass Art 81 EG auf eine Vereinbarung keine Anwendung findet, weil die Voraussetzungen des Art 81 Abs 1 EG nicht vorliegen oder weil die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllt sind, oder dass Art 82 EG nicht anzuwenden ist, weil dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Daraus folgt, dass die Anträge 3. und 4. des Rekursantrages nicht berechtigt sind. Davon ausgehend stellt sich die weitere Frage nicht, ob ein Anspruch eines an einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung oder Verhaltensweise beteiligten Unternehmens auf Erlass einer Entscheidung nach Art 5 Satz 3 VO Nr 1/2003 zu verneinen ist, weil dies dem Grundgedanken des Systems der Legalausnahme, wonach die Unternehmen grundsätzlich selbst einschätzen müssen, ob ihr Verhalten am Markt rechtmäßig ist, entspreche (vgl Begründung zum Regierungsentwurf der 7. GWB-Nov, Stand: 26. 5. 2004, unter www.bmwi.de , S 23).
Da nach Auffassung des erkennenden Senates die Rechtslage in Bezug auf die im Rekursverfahren zu lösenden Fragen klar ist, besteht kein Anlass, das vom Rekurswerber und der Bundeswettbewerbsbehörde angeregte Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften einzuleiten.
Dem Rekurs des Antragstellers ist ein Erfolg zu versagen.
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