OGH 15Os96/15d

OGH15Os96/15d7.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Oktober 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Sebastian H***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen § 7a MedienG, AZ 91 Hv 83/14p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der A***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00096.15D.1007.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

Der gegenständlichen Medienrechtssache liegt ein am 31. Juli 2014 in der periodischen Druckschrift „H*****“ unter der Überschrift „Volksopern‑Star als Rosenkrieger vor Gericht!“ veröffentlichter Artikel zugrunde, in dem darüber berichtet wurde, dass gegen den ‑ durch Nennung seines Berufs, seines Arbeitgebers, seines Alters, seiner Stimmlage, des Alters seines Sohns und des Berufs seiner Ex‑Partnerin für einen nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis erkennbaren ‑ Antragsteller ein Strafverfahren „wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung, Stalking und Sachbeschädigung“ im Stadium der Hauptverhandlung anhängig sei, weil er seine Ex‑Partnerin „bedrohlich, beharrlich (…) und rabiat“ verfolge.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Dezember 2014, GZ 91 Hv 83/14p‑9, wurde die Antragsgegnerin ‑ soweit gegenständlich von Relevanz ‑ nach § 7 Abs 1 und § 7a Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung an den Antragsteller verpflichtet.

Der (auch) dagegen gerichteten Berufung der Antragsgegnerin gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 9. Juli 2015, AZ 18 Bs 59/15f (ON 16), dahin Folge, dass es den Ausspruch nach § 7 Abs 1 MedienG ersatzlos aufhob, die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG jedoch bestätigte, wobei es den Antragsteller als „Person öffentlichen Interesses“ wertete, ein „Überwiegen der Öffentlichkeitsinteressen gerade an der Identität des Tatverdächtigen“ jedoch verneinte.

Dagegen richtet sich der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens nach § 363a StPO per analogiam der Antragsgegnerin, die eine Verletzung von Art 10 MRK behauptet, weil bei einem „prominente[n] Künstler und damit eine[r] Person öffentlichen Interesses (…) nach gesicherter Rechtsprechung das Informationsinteresse der Öffentlichkeit im Sinne von § 7a Abs 1 MedienG“ überwiege.

Der Antrag ist offenbar unbegründet.

Rechtliche Beurteilung

§ 7a Abs 1 MedienG gewährt (unter anderem) einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist (Z 2 erster Fall leg cit), einen Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Kränkung, wenn in einem Medium der Name, das Bild oder andere Angaben veröffentlicht werden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität der Person zu führen, und hiedurch schutzwürdige Interessen dieser Person verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat.

Schutzwürdige Interessen des Betroffenen werden jedenfalls verletzt, wenn sich die Veröffentlichung im Fall des § 7a Abs 1 Z 2 MedienG ‑ wie hier ‑ bloß auf ein (oder mehrere) Vergehen bezieht (Abs 2 Z 2 erster Fall leg cit).

Der Ausgleich zwischen den widerstreitenden Grundrechten auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 MRK) einerseits und ‑ hier - dem (auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten gerichteten) Anspruch auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens (Art 8 MRK) andererseits wird durch die nach § 7a Abs 1 MedienG gebotene Abwägung der schutzwürdigen Interessen des von der Berichterstattung Betroffenen gegenüber den Interessen der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung von zur Identifizierung geeigneten Angaben gewährleistet (RIS-Justiz RS0125776). Eine identifizierende Kriminalberichterstattung ist demnach nur zulässig, wenn für diese ‑ nach einer einzelfallbezogenen Gesamtschau ‑ wegen der Stellung des Betroffenen in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerade (auch) an den identifizierenden Angaben bestand (vgl zum Ganzen 15 Os 161/10f, 15 Os 99/14v; RIS‑Justiz RS0125775, RS

0126523; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll MedienG 3 § 7a Rz 2, 25 f).

Bei Beantwortung der Frage, ob die Identität der in § 7a Abs 1 MedienG genannten Personen preisgegeben werden darf, ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil die Öffentlichkeit grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse hat, die Identität von Betroffenen zu erfahren (Rami in WK² MedienG § 7a Rz 6 mwN).

Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht Wien ein Überwiegen des Interesses der Öffentlichkeit an der Bekanntgabe identifizierender Angaben zum Tatverdächtigen im Ergebnis zu Recht verneint. Wenngleich es den Antragsteller im Hinblick darauf, dass er „Kennern der Wiener Opernszene als Sänger bekannt“ sei und „als Opernsänger, also losgelöst von der ihm angelasteten Straftat, Gegenstand öffentlicher medialer Aufmerksamkeit war und ist“, als „prominenten Künstler“ bezeichnete, der ihn „zu einer Person öffentlichen Interesses“ mache, schränkte das Berufungsgericht nämlich die Stellung des Betroffenen in der Öffentlichkeit dahin ein, dass der „Öffentlichkeitsbezug infolge lokaler Bekanntheit des Antragstellers als Künstler und Sohn eines denselben Familiennamen tragenden prominenten Vaters“ im konkreten Fall „nicht allzu stark“ sei. Damit hat das Gericht den Betroffenen im Ergebnis ‑ wie bereits vom Erstgericht zutreffend erkannt ‑ nur als „minderprominenten“ Künstler, sohin gerade nicht als eine Person angesehen, für deren Tun (außerhalb des Privat‑ und Familienlebens) sich die Öffentlichkeit in jedem Fall und unabhängig von einem sonstigen Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben oder anderen Gründen interessieren darf (Zur Relevanz des Bekanntheitsgrads eines Schauspielers vgl EGMR 7. 2. 2012 39954/08, Axel Springer AG/Deutschland; zur differenzierten Beurteilung bei „minderprominenten“ Politikern vgl 15 Os 96/14b und 15 Os 11/12z).

Zwar sind ‑ wie der Erneuerungsantrag zu Recht kritisiert ‑ die vom Oberlandesgericht Wien als „verhöhnende Abfassung des Artikels“ bezeichnete Form der Berichterstattung und der Umstand, dass sich die Veröffentlichung „auf eine Reihe von Vergehen“ bezog, keine tauglichen Kriterien für die gegenständliche Interessenabwägung, und es wurde auch das vorliegend (sogar) weit fortgeschrittene Stadium der Strafverfolgung zu Unrecht als für die Anonymitätsinteressen des Betroffenen sprechendes Argument herangezogen (vgl dazu Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll MedienG 3 § 7a Rz 32 mwN; 15 Os 114/11w), im Hinblick auf die konstatierte Stellung des Betroffenen in der Öffentlichkeit ‑ und mangels Vorliegens eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder anderer Gründe ‑ vermag die Erneuerungswerberin eine Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK durch eine (im Ergebnis) unrichtige Abwägung des Anonymitätsinteresses des Antragstellers gegenüber den Interessen der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Kriminalberichterstattung daher nicht aufzuzeigen. Die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zum Schutz des guten Rufs (vgl Art 10 Abs 2 MRK) war daher im konkreten Fall gesetzlich vorgesehen (§ 7a Abs 1 Z 2 MedienG), erforderlich und mit Blick auf den vom Oberlandesgericht reduzierten Entschädigungsbetrag auch nicht unverhältnismäßig.

Der offenbar unbegründete Erneuerungsantrag war daher schon in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

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