European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00001.15T.0902.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Im Jahr 2009 waren die Geschwister V***** und die Nebenintervenientin Gesellschafter der Gemeinschuldnerin. Die Nebenintervenientin war auch deren Geschäftsführerin. Sie überlegten, ihre Mutter, die Beklagte, nach Wien zu holen. Sie fanden für sie eine Wohnung in der G***** in ***** W*****. Die finanziellen Mittel für diese Wohnung wurden von V***** aufgebracht, Eigentümerin wurde die Gemeinschuldnerin. In der Folge zog die Beklagte ein. Sie ging davon aus, dass die Wohnung von ihren Kindern für sie gekauft worden sei und sie nichts dafür zahlen müsse. Tatsächlich bezahlte V***** an die Gemeinschuldnerin monatlich 400 EUR an Betriebskosten. Die Nebenintervenientin überwies unter dem Titel Mietzins ebenfalls monatlich bestimmte Beträge an die Gemeinschuldnerin. Nachdem sich die Geschwister zerstritten hatten, stellte die Nebenintervenientin im Jänner 2013 die Mietzinszahlungen an die Gemeinschuldnerin ein und übermittelte der Beklagten Mietzinsvorschreibungen.
Die klagende Partei brachte vor, dass sie Vermieterin, die Beklagte Mieterin der Wohnung G***** in ***** W***** sei. Der monatliche Mietzins ohne Betriebskosten habe 821,24 EUR betragen. Aufgrund von Mietzinsrückständen von Juli bis September 2013 sei die Auflösung des Mietverhältnisses erklärt worden. Für Oktober bis Dezember 2013 bestehe daher Anspruch auf Benutzungsentgelt. Insgesamt stünden ihr 4.344,88 EUR zu. Weiters sei die Beklagte zur Räumung der Wohnung verpflichtet. Ein lebenslanges Wohnrecht sei nicht vereinbart worden und würde auch dem Verbot der Einlagenrückgewähr widersprechen. Der Mietvertrag sei weiters mit 30. 9. 2013 befristet gewesen, weshalb danach kein Titel für eine weitere Benutzung des Objekts bestanden habe.
Die Beklagte bestritt und brachte vor, dass die Wohnung von ihrem Sohn durch ein Darlehen an die Gemeinschuldnerin finanziert worden sei. Sie selbst habe nie einen Mietvertrag unterschrieben. Vielmehr sei ihr die Wohnung unentgeltlich auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt worden, sie habe daher ein lebenslanges Wohnrecht. Sie habe nie Mietzins bezahlt, dieser sei vielmehr von einer Gesellschaft ihrer Tochter an die Gemeinschuldnerin überwiesen worden.
Das Erstgericht gab der Klage statt und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 4.344,88 EUR und zur Räumung der Wohnung. Die Beklagte habe keinen Titel zur Benutzung der Wohnung. Mit ihr sei nie darüber gesprochen worden, dass die Gemeinschuldnerin Eigentümerin der Wohnung sei, weshalb ihr auch kein Wohnrecht zustehe. Selbst wenn ein solches vereinbart worden wäre, wäre ein derartiges Rechtsgeschäft nichtig, weil es gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen hätte. Sie habe daher auch ein Benutzungsentgelt, dessen Höhe nicht bestritten worden sei, zu zahlen.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Aufgrund der Feststellungen sei nicht von einer Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts durch die Gemeinschuldnerin auszugehen. Auf einen Mietvertrag habe sich die Beklagte nicht berufen. Dass es keine Beweisergebnisse zum Benützungsentgelt gebe, sei nicht von Bedeutung, da das Erstgericht davon ausgegangen sei, dass dieses gar nicht bestritten worden sei.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei und die Nebenintervenientin beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision der Beklagten:
§ 502 Abs 5 Z 2 ZPO normiert eine Ausnahme von der wertgrenzenmäßigen Beschränkung der Revisionszulässigkeit für Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung oder eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Bestandvertrags entschieden wird. Der Zweck der gegenüber der allgemeinen Bestimmung angeordneten Ausnahme liegt gerade darin, Entscheidungen über das Dauerschuldverhältnis selbst unabhängig von jeder Bewertung für revisibel zu erklären (RIS‑Justiz RS0043261). Dagegen gehören Klagen auf Räumung, wenn sie die Benützung des Objekts ohne Rechtsgrund geltend machen, nicht zu den Streitigkeiten, die ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN den Bezirksgerichten zugewiesen sind und fallen daher nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO (RIS‑Justiz RS0046865). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bestandstreitigkeit gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN vorliegt, ist von den Klagsbehauptungen auszugehen (RIS‑Justiz RS0046865 [T12]).
Da die klagende Partei ihr Räumungsbegehren aus der Auflösung eines Mietverhältnisses ableitet, ist die Zulässigkeit der Revision nicht vom Streitwert abhängig. Vielmehr ist entscheidend, ob die Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 ZPO vorliegen. Im konkreten Fall ist die Revision aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Nach § 226 Abs 1 ZPO hat der Kläger die Tatsachen, auf welche sich sein Anspruch in Haupt‑ und Nebensachen gründet, im Einzelnen kurz und vollständig anzugeben. Die ZPO geht dabei von der Substantiierungstheorie aus, die die Kennzeichnung (Individualisierung) des Streitgegenstands ausschließlich durch die Angabe des Sachverhalts, aus dem sich das Klagebegehren herleitet, vornehmen will (Rechberger/Klicka in Rechberger 4 § 226 Rz 8). Die vom Kläger behauptete Rechtsfolge muss sich aus diesem Vorbringen ableiten. Lediglich dann, wenn das Klagebegehren ausdrücklich auf bestimmte Klagsgründe beschränkt wird, ist es dem Gericht verwehrt, dem Begehren aus anderen Gründen stattzugeben. Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was sie nicht beantragt hat. Ein solches aliud liegt auch dann vor, wenn der verlangte und jener Leistungsgegenstand, der gegebenenfalls zugesprochen werden könnte, zwar gleichartig sind, aber aus verschiedenen Sachverhalten abgeleitet werden. Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt und die hiefür angegebenen Tatsachen (1 Ob 210/97g mwN). Wird ein Räumungsbegehren gemäß § 1118 ABGB ausdrücklich und ausschließlich darauf gestützt, der Beklagte habe den Mietzins nicht entrichtet, kann dem Klagebegehren nicht aus einem anderen (nicht geltend gemachten) Rechtsgrund (titellose Benutzung) stattgegeben werden (1 Ob 210/97g). Ebenso wäre das Gericht bei einem Räumungsbegehren gestützt auf Widerruf einer prekaristisch eingeräumten Benützung an diesen ausdrücklich geltend gemachten Rechtsgrund gebunden (RIS‑Justiz RS0019055).
Die klagende Partei hat ihr Räumungsbegehren darauf gestützt, dass ein bestehender Mietvertrag aufgrund von Mietzinsrückständen aufgelöst bzw aufgrund von Zeitablauf beendet worden ist. Demgegenüber haben die Vorinstanzen angenommen, dass die Beklagte die Wohnung von Anfang an rechtsgrundlos benutzt habe. Eine Räumung aufgrund titelloser Benutzung ist aber vom Klagebegehren nicht gedeckt, da es sich um einen anderen als den ausdrücklich geltend gemachten Rechtsgrund handelt.
Des weiteren hat die klagende Partei einen Teil ihres Zahlungsbegehrens ausdrücklich auf die Nichtzahlung des vereinbarten Mietzinses gestützt. Unabhängig davon, ob das für die Folgemonate begehrte Benutzungsentgelt substantiiert bestritten wurde, kann der als Mietzins geltend gemachte Betrag jedenfalls nicht unter dem Titel des Benutzungsentgelts zugesprochen werden.
2. Die Rechtssache ist aber auch nicht (teilweise) im Sinn einer Klagsabweisung spruchreif. Beide Parteien haben das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses behauptet, das die Beklagte zumindest in der Vergangenheit zur Nutzung des Bestandobjekts berechtigte. Auch die Gemeinschuldnerin geht nicht davon aus, dass der Einzug der Beklagten in die Wohnung ohne Wissen und Willen ihrer verfügungsberechtigten Organe erfolgte. Ob und gegebenenfalls welche Vereinbarung zwischen den Parteien zustande gekommen ist, lässt sich jedoch aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, da diese im Wesentlichen nur die inneren Vorstellungen der Beteiligten wiedergeben. Welche Absicht einer Vereinbarung zugrunde liegt, ist aber im Sinn der Vertrauenstheorie als die dem Erklärungsgegner erkennbare und von ihm nicht widersprochene Absicht des Erklärenden zu verstehen. Es kommt daher darauf an, wie der jeweilige Erklärungsempfänger die Äußerungen und das Verhalten des Erklärenden unter Berücksichtigung aller begleitenden Umstände redlicherweise verstehen konnte (RIS‑Justiz RS0017915). In diesem Sinn fehlen Feststellungen dazu, was hinsichtlich der Nutzung der Wohnung zwischen den Beteiligten besprochen wurde, um beurteilen zu können, wie diese Erklärungen vom jeweils anderen verstanden werden durften. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass unter Familienangehörigen nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt wird, wie es im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist (RIS‑Justiz RS0011850).
Da sich derzeit noch nicht beurteilen lässt, ob und welche Vereinbarung wer mit wem zu welchen Konditionen abgeschlossen hat, kann auch noch nicht gesagt werden, ob und inwieweit ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr vorliegt.
Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
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