European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0090NC00014.15F.0825.000
Spruch:
Der Antrag der klagenden Partei, anstelle des Handelsgerichts Wien das Landesgericht Innsbruck als Handelsgericht zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache des Handelsgerichts Wien AZ ***** zu bestimmen, wird abgewiesen.
Begründung
Mit seiner am 1. 6. 2015 beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage begehrt der ***** in Tirol wohnhafte Kläger von der in Wien ansässigen Beklagten die Rückzahlung von 118.076 EUR sA aus Spieleinsätzen bei von ihr betriebenen Online-Glücksspielen. Er sei infolge einer medikamentös bedingten Impulskontrollstörung partiell geschäftsunfähig gewesen. Der Anspruch werde auch auf Schadenersatz gestützt, weil die Beklagte sein auffälliges Spielverhalten erkennen hätte müssen und durch ihre Untätigkeit vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt habe.
Der Kläger beantragt zugleich die Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht Innsbruck. Er und sämtliche wesentliche Zeugen (vier Familienangehörige, behandelnder Arzt, zwei Bankangestellte) hätten ihren Wohnsitz im Sprengel des Landesgerichts Innsbruck. Die Übertragung der Zuständigkeit würde ‑ auch aufgrund der notorischen Überlastung des Handelsgerichts Wien ‑ zu einer wesentlichen Beschleunigung und zur Verbilligung des Rechtsstreits beitragen, da der Kläger und die Zeugen andernfalls entweder im Rechtshilfeweg bzw per Videokonferenz einzuvernehmen wären oder nach Wien anreisen müssten. Ersteres sei im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens abzulehnen, letzteres würde die Verfahrenskosten in die Höhe treiben. Ferner wären bei Bewilligung der beantragten Verfahrenshilfe die Reisekosten des Klägers und eines allfälligen gerichtlichen Sachverständigen aus Amtsgeldern zu bezahlen. Bei Bestellung eines Sachverständigen aus dem Sprengel des Handelsgerichts Wien hätte der Kläger nicht nur zu den Tagsatzungen, sondern auch zu seiner Untersuchung nach Wien anzureisen.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und sprach sich gegen eine Delegierung aus. Auch das Landesgericht Innsbruck sei mit einer hohen Anzahl komplexer Verfahren befasst. Bei einer Delegation hätten mindestens fünf Zeugen der Beklagten und der Beklagtenvertreter mit Bahn oder Flugzeug, gegebenenfalls mit Übernachtung, nach Innsbruck anzureisen. Die Einvernahme per Videokonferenz verletze den Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht. Dem Kläger sei auch zumutbar, für eine Untersuchung zu einem psychiatrischen Sachverständigen im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien anzureisen, zumal er sich auch für das von ihm vorgelegte Privatgutachten nicht eines Sachverständigen aus dem Bundesland Tirol bedient habe.
Das Erstgericht sprach sich für die Delegierung aus. Ausschlaggebend dafür sei der Wohnort des Klägers und jener Zeugen, die wesentliche Wahrnehmungen zum Sachverhalt gemacht haben sollen. Dies betreffe vor allem die Familienangehörigen des Klägers, da strittig sei, ob und wann sie Kenntnis von seinen Ausgaben für das Glücksspiel und der Verwendung ihrer Identitäten für die Eröffnung weiterer Konten erfahren hätten. Dafür spreche auch die voraussichtlich notwendige Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens über den Geisteszustand des Klägers in den relevanten Zeitpunkten sowie gegebenenfalls dessen Ergänzung oder Erläuterung in der mündlichen Streitverhandlung. Unter Umständen könne es für den Sachverständigen angezeigt sein, nicht nur den Kläger persönlich zu begutachten, sondern auch mit dessen Ärzten Kontakt aufzunehmen, die sich ebenfalls in Tirol befänden. Hingegen erschließe sich aus der Klagebeantwortung nicht, welche sachverhaltsrelevanten Wahrnehmungen die von der Beklagten beantragten Zeugen gemacht hätten. Sie würden vorwiegend zum Beweis für die rechtliche Beurteilung betreffendes Vorbringen oder dafür geführt, dass sie im Zusammenhang mit den Spielerkonten Auffälligkeiten weder bemerkt hätten noch bemerken hätten können. Darüber hinaus könnten sie nach dem Vorbringen nur die Echtheit von Urkunden der Beklagten bestätigen und nicht einmal zu deren Richtigkeit Angaben machen, da der Kläger der Beklagten nach ihrem eigenen Vorbringen nicht aufgefallen sei. So diese Zeugen zugelassen würden, scheine ihre Vernehmung im Rechtshilfeweg jedenfalls unproblematischer als diejenige der Familienangehörigen des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
Folgendes war zu erwägen:
Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung soll allerdings nur den Ausnahmefall darstellen. Keinesfalls soll durch eine zu großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (stRsp; RIS‑Justiz RS0046441). Aus Zweckmäßigkeitsgründen soll die Delegierung vor allem dann angeordnet werden, wenn die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wesentliche Verkürzung, eine Kostenverringerung oder eine Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu bewirken verspricht (RIS‑Justiz RS0046333). Es entspricht daher der ständigen Rechtsprechung, dass die Delegierung gegen den Willen der anderen Partei nur dann auszusprechen ist, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten aller Parteien des Verfahrens gelöst werden kann (RIS‑Justiz RS0046589; RS0046324 ua). Letzteres ist hier nicht der Fall.
Der Kläger führt sieben in Tirol wohnhafte Zeugen, die Beklagte fünf in Wien ansässige Zeugen. Der Kläger hat erklärt, dass sich bei Stattgabe des Delegierungsantrags ein Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Innsbruck und bei Nichtstattgabe ein Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Wien zur Übernahme der Verfahrenshilfe bereit erklärt habe. Der Beklagtenvertreter hat seinen Kanzleisitz in Wien. Im Fall einer Delegation stünde daher der zu erwartenden (Reise‑)Kostenersparnis auf Klagsseite ein Mehraufwand auf der Beklagtenseite gegenüber, der die beantragte Delegierung keine zeitlichen oder kostenmäßigen Vorteile brächte.
Soweit der Kläger den Unmittelbarkeitsgrundsatz ins Treffen führt, ist es zwar richtig, dass eine Zeugeneinvernahme per Videokonferenz die Unmittelbarkeit des persönlichen Eindrucks eines Zeugen im Vergleich zu seiner Einvernahme bei körperlicher Anwesenheit im Gerichtssaal mediatisiert. Dies hat der Gesetzgeber jedoch in Kauf genommen, wurde die Beweisaufnahme im Wege der Videokonferenz doch sogar zur unmittelbaren Beweisaufnahme erklärt (§ 277 ZPO; s auch Rechberger in Rechberger , ZPO 4 § 277 Rz 2).
Dass die Einvernahme entweder der Klags‑ oder der Beklagtenzeugen im Wege der Videokonferenz problematischer sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Der Antrag des Klägers ist daher abzuweisen.
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