OGH 4Ob39/15m

OGH4Ob39/15m11.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G ***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R ***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Mag. Constantin Eschlböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 36.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Jänner 2015, GZ 3 R 2/15g‑15, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Äußerung der beklagten Partei vom 19. Februar 2015 zum außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Klägerin ist als Bieterin in einem Vergabeverfahren gegen die Beklagte unterlegen. Sie brachte vor, die Beklagte liefere nunmehr ‑ nach Erhalt des Zuschlags ‑ dem Auftraggeber Ware, die nicht den Vertrags- und Ausschreibungsbedingungen entspreche. Dieser Vertragsbruch bzw die dadurch bewirkte Irreführung sei unlauter iSd §§ 1 Abs 1 Z 1 und 2 UWG sowie § 2 UWG.

Die Vorinstanzen wiesen den auf Unterlassung gerichteten Sicherungsantrag der Klägerin ab. Die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung verstoße nur dann gegen § 1 UWG, wenn besondere Umstände die Unlauterkeit begründeten. Die beanstandeten Vertragsverletzungen (fehlerhafte Beschriftung) seien jedoch als geringfügig anzusehen. Ferner stehe fest, dass die Beklagte genau die angebotene Qualität liefere. Ein unlauteres Verhalten der Beklagten liege daher nicht vor. Es sei nicht anzunehmen, dass der Beklagten durch die vorgenommene Art der Beschriftung ein wirtschaftlicher Vorteil zukäme, sodass es auch an der Eignung der beanstandeten Vertragsverletzung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG fehle, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen. Für eine irreführende Geschäftspraktik iSv § 2 UWG bestehe nach dem bescheinigten Sachverhalt kein Anhaltspunkt.

Die Klägerin macht in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs im Wesentlichen geltend, das Rekursgericht habe überschießende Feststellungen des Erstgerichts berücksichtigt, es habe eine im Rekurs erhobene Beweisrüge nicht erledigt, und seine Entscheidung stehe im Gegensatz zu 4 Ob 216/11k sowie EuGH C‑496/99, Frutta .

Damit zeigt die Klägerin jedoch keine erheblichen Rechtsfragen iSv § 528 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Das Gericht darf die bei seiner Beweisaufnahme hervorkommenden Umstände nur insoweit berücksichtigen, als sie im Parteivorbringen Deckung finden. Solche sogenannten „überschießenden“ Feststellungen dürfen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS‑Justiz RS0040318). Ob Feststellungen noch in den Rahmen der geltend gemachten Einwendungen fallen, ist (wie allgemein die Auslegung von Prozessvorbringen [RIS‑Justiz RS0042828]) eine Frage des Einzelfalls, der außer in Fällen krasser Fehlbeurteilung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS‑Justiz RS0037972 [T15, T16]). Soweit das Erstgericht aufgrund von Aussagen der zu diesem Vorbringen geführten Zeugen ergänzende weitergehende Feststellungen getroffen hat, bewegen sich diese jedenfalls im Rahmen dieses Vorbringens und sind daher zulässigerweise der Entscheidung zu Grunde gelegt worden (RIS‑Justiz RS0040318 [T5]). Ebenso ist die Frage, ob ausnahmsweise unsubstantiiertes Bestreiten als Geständnis anzusehen ist (was nur bei Vorliegen gewichtiger Indizien oder einer offenbar leicht widerlegbaren Behauptung angenommen werden darf), eine solche des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0039927 [T1, T3, T9, T13]).

1.2. Hier hat die Beklagte das gesamte Vorbringen der Klägerin jedenfalls pauschal bestritten. Sie führte aus, selbst wenn vereinzelte Stücke geringere Maße aufweisen sollten , wäre dies in der produktspezifischen Toleranzgrenze. Da es der Beklagten unmöglich war zu bescheinigen, dass alle von ihr gelieferten Papierservietten auf den Millimeter genau den Maßen 230 mm x 270 mm entsprachen, fehlen hier für die ausnahmsweise mögliche Annahme eines schlüssigen Geständnisses geforderten gewichtigen Indizien bzw die offenbar leicht widerlegliche Klagsbehauptung. Die vom Erstgericht aufgrund der Aussagen einer Auskunftsperson angenommene Bescheinigung, die Papierservietten könnten durch Entzug von Wasser nach der Lieferung eingehen , wurde daher vom Berufungsgericht jedenfalls vertretbar als nicht überschießend beurteilt.

2. Die Nichterledigung der Beweisrüge seitens des Rekursgerichts ist auf Grundlage der ständigen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0012391) nicht zu beanstanden, wonach im Sicherungsverfahren die Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters durch das Rekursgericht insoweit ausgeschlossen ist, als dieser den Sachverhalt aufgrund vor ihm abgelegter Zeugenaussagen oder Parteienaussagen als bescheinigt angenommen hat.

3. Der Entscheidung 4 Ob 216/11k lag ebenfalls ein Sachverhalt zugrunde, wonach die dort Beklagte dem Auftraggeber nicht der Ausschreibung entsprechende Verpackungen lieferte. Allerdings waren dort die (noch dazu nicht aus 100 % recyceltem Papier bestehenden) Servietten ohne vorherige Abgabe eines Musters angeboten worden. Die Zusicherung der dort Beklagten, die Servietten entsprächen der Ausschreibung, wertete der Senat daher als irreführend iSd § 2 UWG, zumal feststand, dass der Auftraggeber bei Kenntnis der Abweichung (vor allem der Tatsache, dass nicht recyceltes Papier verwendet wurde) den Zuschlag nicht erteilt hätte. Hier wurde dem Auftraggeber jedoch vor Zuschlagserteilung ein Originalkarton (ohne die als fehlend beanstandeten Angaben) zur Bemusterung übergeben und von diesem freigegeben. Von einem irrtümlichen Vertragsabschluss seitens des Auftraggebers und einer planmäßig auf Täuschung gerichteten Vorgangsweise ‑ wie die Revisionsrekurswerberin unter Hinweis auf RIS‑Justiz RS0116233 ausführt ‑ kann daher hier nicht die Rede sein.

4. Gemäß der Entscheidung des EuGH zu C‑496/99, Frutta , ist ein Auftraggeber nicht befugt, durch einseitige Änderung wesentlicher Vergabebedingungen die Systematik der Ausschreibung zu ändern. Eine solche wesentliche Änderung ist im vorliegenden Fall (geringfügig fehlerhafte Beschriftung) jedenfalls nicht gegeben.

5. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin war daher ‑ ebenso wie die (im Revisionsrekursverfahren nicht vorgesehene) Äußerung der Beklagten zum außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin ‑ zurückzuweisen.

Stichworte