European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00075.15H.0804.000
Spruch:
Özcan A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
In dem von der Staatsanwaltschaft Wien zum AZ 30 St 103/15f gegen Özcan A***** (ursprünglich) wegen des Verdachts des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StPO geführten Ermittlungsverfahren (vgl nunmehr den am 2. Juli 2015 bei Gericht eingebrachten Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB; ON 26) wurde die ‑ mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. März 2015, GZ 355 HR 15/15k‑7, aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit a StPO über den Genannten verhängte und am 7. April 2015 fortgesetzte (ON 11) ‑ Untersuchungshaft (jeweils nach Durchführung einer Haftverhandlung; ON 12 und 18) mit Beschlüssen desselben Gerichts vom 7. Mai 2015 fortgesetzt (ON 13) und vom 26. Mai 2015 in eine vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO umgewandelt (ON 19).
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien wurde den gegen die beiden letztgenannten Entscheidungen erhobenen Beschwerden des (nunmehr) Betroffenen nicht Folge gegeben und die vorläufige Anhaltung erneut aus dem Anhaltegrund des § 173 Abs 2 Z 3 lit a (iVm § 429 Abs 4) StPO fortgesetzt (ON 25).
Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts ist Özcan A***** dringend verdächtig, er habe am 18. März 2015 in W***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht, versucht, Vladislav S***** absichtlich schwer am Körper zu verletzen, indem er mit einem Keramikmesser mit einer etwa 30 cm langen Klinge Stichbewegungen gegen dessen Bauch führte, und dadurch das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB begangen, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil es dem Angegriffenen gelang, die Klinge des Messers zu erfassen und Özcan A***** die Waffe zu entreißen.
In seiner dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde erachtet sich der Betroffene zunächst im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, weil in der Haftverhandlung vom 26. Mai 2015 ein ‑ nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht zur Vertretung berechtigter - Rechtspraktikant eingeschritten sei (ON 18), die Anordnung der vorläufigen Anhaltung sohin ‑ entgegen § 173 Abs 1 StPO ‑ ohne darauf gerichteten (wirksamen) Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgte und das Beschwerdegericht die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzugs dennoch nicht als Grundrechtsverletzung anerkannte, sondern ‑ trotz zwischenzeitigen Ablaufs der Fristen des § 175 StPO - vielmehr selbst die Fortsetzung der vorläufigen Anhaltung verfügte. Zudem wendet sich die Beschwerde gegen die Annahme eines dringenden Tatverdachts und des Vorliegens von Tatbegehungsgefahr.
Sie ist nicht im Recht.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 5 Abs 2 letzter Satz RechtspraktikantenG gelten für die Verwendung eines Rechtspraktikanten bei der Staatsanwaltschaft sinngemäß die Bestimmungen der §§ 32 Abs 3 und 38 Abs 2 des Staatsanwaltschaftsgesetzes (StAG).
Der Verweis auf die erstgenannte Bestimmung bedeutet ‑ vom Oberlandesgericht zutreffend erkannt und von der Beschwerde eingeräumt ‑ nichts anderes, als dass Rechtspraktikanten, die im Rahmen der Ausbildung zu Tätigkeiten innerhalb der Staatsanwaltschaft heranzuziehen sind, hinsichtlich der Vertretungsbefugnis vor Gericht Richteramtsanwärtern, die die Richteramtsprüfung noch nicht abgelegt haben, gleichgestellt sind.
Diesen kann nach § 32 Abs 3 StAG die Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht oder vor dem Einzelrichter des Landesgerichts sowie die (Sitzungs‑)Vertretung im Rechtsmittelverfahren vor dem Landesgericht, Richteramtsanwärtern nach bestandener Richteramtsprüfung dagegen überdies die Vertretung der Anklage vor dem Landesgericht als Schöffengericht sowie die Vertretung im Rechtsmittelverfahren vor dem Oberlandesgericht übertragen werden.
§ 31 Abs 1 Z 2 StPO ordnet für das Ermittlungsverfahren die Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts ‑ soweit hier wesentlich ‑ für das Verfahren zur Entscheidung über Anträge auf Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft (so auch der vorläufigen Anhaltung; § 429 Abs 5 StPO) an (zur Kompetenz für derartige Entscheidungen im Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Geschworenen‑ oder Schöffengericht vgl § 210 Abs 3 und Abs 4 iVm § 32 Abs 3 StPO, vor dem Einzelrichter des Landesgerichts § 488 Abs 1 letzter Satz StPO).
Demzufolge können Richteramtsanwärter ohne Richteramtsprüfung auch in Haftverhandlungen als Vertreter der Staatsanwaltschaft einschreiten und sind dort ermächtigt, die für Verhängung und Fortsetzung der Haft (der vorläufigen Anhaltung) zwingend erforderlichen (§§ 173 Abs 1, 176 Abs 4 StPO; vgl dazu Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 173 Rz 1, § 176 Rz 6) Anträge zu stellen ( Schroll , WK‑StPO § 19 Rz 7 mwN). Jener auf „Umwandlung“ der Untersuchungshaft in eine vorläufige Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO wurde im vorliegenden Fall ‑ der Beschwerdebehauptung zuwider - im Übrigen auch schriftlich eingebracht (ON 1 S 23).
Die Textierung des § 32 Abs 3 StAG bringt zudem unmissverständlich die Intention des Gesetzgebers zum Ausdruck, Richteramtsanwärtern ohne Richteramtsprüfung die Vertretung der Anklage im kollegialgerichtlichen Verfahren sowie jene im Rechtsmittelverfahren vor dem Oberlandesgericht zu versagen. Eine darüber hinausgehende Einschränkung ihrer Vertretungsvollmacht im Verfahren vor dem Bezirksgericht oder dem Einzelrichter des Landesgerichts lässt sich ‑ der Beschwerdeauffassung zuwider ‑ aus der (in Bezug auf Richteramtsanwärter nach bestandener Richteramtsprüfung fehlenden) Wortfolge „in der Hauptverhandlung“ ebenso wenig ableiten wie aus den Gesetzesmaterialien (vgl 233/ME 24. GP, 55), zumal die Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung (unter anderem) auch die Antragstellung und Äußerung in Haftfragen umfasst.
Aus dem Verweis auf § 430 Abs 1 StPO und § 61 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPO ist schon deshalb nichts für den Beschwerdestandpunkt zu gewinnen, weil § 31 Abs 1 Z 1 StPO für das Ermittlungsverfahren die Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die dort genannten Anträge unabhängig von der ‑ in diesem Verfahrensstadium nicht absehbaren ‑ Frage, welchem Gericht das Hauptverfahren obliegt, anordnet und nach § 9a Abs 6 RStDG Richteramtsanwärter während ihrer Zuteilung zum Rechtsanwalt (sohin vor Ablegung der Richteramtsprüfung; § 24 Abs 4 RStDG) die Vertretungsbefugnis eines substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärters (§ 15 Abs 2 RAO) haben, womit sie auch zur Vertretung in den von der Beschwerde genannten Verfahren legitimiert sind.
Zusammenfassend hat das Oberlandesgericht die Antragstellung durch den in der Haftverhandlung einschreitenden Rechtspraktikanten mit Recht als ausreichend im Sinn der §§ 173 Abs 1, 176 Abs 4 StPO erachtet.
Da ‑ anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht ‑ nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese den Gegenstand des Erkenntnisses über eine
Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht, kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren die Begründung des dringenden Tatverdachts (nur) in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1
Z 5 und
Z 5a StPO bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0110146). Somit können ‑ unter Beachtung sämtlicher Erwägungen des Beschwerdegerichts (RIS‑Justiz RS0119370) ‑ formale Mängel der Begründung der Konstatierungen entscheidender Tatsachen releviert werden (
Z 5) oder es kann nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile und der in
Z 5a genannten Erheblichkeitsschwelle der Versuch unternommen werden, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu wecken.
Indem die Beschwerde den Erwägungen des Oberlandesgerichts zum (konstatierten) dringenden Tatverdacht (BS 4 f) lediglich ihre eigene Einschätzung des Beweiswerts der zur Begründung herangezogenen Aussage des Tatopfers entgegenstellt und aus ‑ in der angefochtenen Entscheidung erörterten ‑ Tatumständen für den Betroffenen günstigere Schlüsse zieht als das Beschwerdegericht, ohne sich mit dessen Begründung in ihrer Gesamtheit auseinanderzusetzen, verfehlt sie eine am Gesetz orientierte Beschwerdekritik (vgl erneut RIS‑Justiz RS0110146 [T4, T6, T20], RS0112012).
Die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr hat das Oberlandesgericht hinwieder logisch und empirisch einwandfrei (solcherart keineswegs willkürlich; RIS‑Justiz RS0117806) auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. D*****, die Begleitumstände der Anlasstat und die Beobachtungen der Sozialarbeiterin Mag. Z***** gestützt. Dass bei dieser Prognose einzelne aus Sicht des Beschwerdeführers allenfalls erörterungsbedürftige Umstände nicht in der von ihm gewünschten Weise gewichtet wurden, kann nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden (neuerlich RIS‑Justiz RS0117806 [T1 und T11]).
Özcan A***** wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
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