European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00132.14F.0730.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger an Kostenerstattung für die Inanspruchnahme des Physiotherapeuten G*****, laut Honorarnote vom 13. 2. 2012 einen weiteren Betrag von 99,04 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.
Der Kläger hat seine Verfahrenskosten selbst zu tragen.“
Der Kläger hat seine Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist bei der beklagten Gebietskrankenkasse krankenversichert. Vom medizinischen Dienst der beklagten Partei wurde ihm eine physiotherapeutische Behandlung im Ausmaß von 10x Physiotherapie á 30 Minuten und 10x Teilmassage á 15 Minuten bewilligt. Der Kläger ließ die Behandlungen im Zeitraum Oktober 2011 bis Februar 2012 bei einem Physiotherapeuten durchführen, der kein Vertragspartner der beklagten Partei ist. Er legte der beklagten Partei eine Honorarnote dieses Physiotherapeuten vom 13. 2. 2012 über die bewilligten Leistungen in Höhe von insgesamt 550 EUR zur Kostenerstattung vor.
Mit Bescheid der beklagten Gebietskrankenkasse vom 30. 11. 2012 wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung einer höheren Kostenerstattung als 192,80 EUR abgelehnt. Nach § 131 Abs 1 ASVG errechne sich das Ausmaß der Kostenerstattung im Ausmaß von 80 % unter Heranziehung eines Tarifsatzes von 18,57 EUR für eine 30 minütige Physiotherapie und von 5,53 EUR für eine 15 minütige Teilmassage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Antrag, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, weitere 99,04 EUR an Kostenerstattung zu leisten. Die beklagte Partei gehe zu Unrecht von dem bis zum 1. 1. 2010 geltenden Tarif für Physiotherapeuten aus. Seit 1. 1. 2010 gebe es neue Verträge für Vertragsphysiotheurapeuten. Einen Pauschbetrag für eine Kostenerstattung für Wahlphysiotherapeuten habe die beklagte Partei entgegen § 131 Abs 1 ASVG nicht festgesetzt. Die Heranziehung früherer Vertragstarife sei nur für den Fall eines vertragslosen Zustands vorgesehen. Nach dem seit 1. 1. 2010 geltenden Vertragstarif sei die Honorierung von Leistungen nach Zeitaufwand vorgesehen. Der Tarifansatz für eine 30 minütige Physiotherapie betrage 24,32 EUR und für eine 15 minütige Teilmassage 12,16 EUR. Auch das Tarifsystem der Musterverträge 2010 sei grundsätzlich einzelleistungsabhängig. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass mit den Vertragsphysiotherapeuten ein maximales Zeitkontingent und eine maximale Honorarsumme vereinbart worden sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass es sich um kein Einzelleistungssystem handle, wären in der Satzung Pauschbeträge festzusetzen gewesen. Dass die beklagte Partei dies unterlassen habe, könne nicht dazu führen, dass auf alte Vertragssysteme zurückgegriffen werde.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Honorarordnung des Mustervertrags 2000, die bis zum 1. 1. 2010 in Geltung gestanden sei, habe auf einem reinen Einzelleistungssystem beruht. Der seit 1. 1. 2010 geltende Mustervertrag, auf dessen Basis mit den Vertragspartnern Einzelverträge abgeschlossen worden seien, enthalte neue Komponenten. Die jährliche Honorarsumme, die ein Vertragsphysiotherapeut maximal verrechnen dürfe, sei gedeckelt. Bei Überschreitung der maximalen Jahresstundenanzahl erhalte der Vertragsphysiotherapeut nur das vereinbarte Jahreshonorar. Als Abgeltung dafür sei die Bewertung der Zeiteinheiten deutlich angehoben worden. Die Honorarordnung des Mustervertrags 2010 sei als Mischsystem zu qualifizieren, das zur Festlegung von Pauschbeträgen in der Satzung nach § 131 Abs 1 ASVG führe. Da derartige Pauschbeträge für den hier relevanten Zeitraum nicht festgelegt worden seien, sei für die Kostenerstattung iSd § 131 ASVG die Honorarordnung der Musterverträge 2000 heranzuziehen.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es ging ‑ zusammengefasst ‑ davon aus, dass es sich bei der neuen Honorarordnung noch immer um ein Einzelleistungssystem handle, auch wenn das Jahreshonorar limitiert sei. Es sei davon auszugehen, dass Vertragsphysiotherapeuten bei Erreichung der Jahresstunden keine weiteren Leistungen erbringen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Nach Ablehnung der Mängel- und Tatsachenrüge führte es rechtlich - zusammengefasst - aus, dass die Honorarordnung 2010 zwar eine Verrechnung nach Einzelleistungen vorsehe, jedoch auch verschiedene Regelungen mit limitierenden Charakter enthalte. So könnten Leistungen nur bis zu einem bestimmten Ausmaß verrechnet werden, auch wenn darüber hinausgehende Leistungen erbracht werden. Dies sei wie bei den Regelungen einer degressiven Honorierung ein Pauschalierungselement. Auch hinsichtlich der Verrechnung von Hausbesuchen gebe es Verrechnungsbeschränkungen; weiters seien Zu‑ und Abschläge im Zusammenhang mit Fortbildungsnachweisen vorgesehen. Es könne auch nicht gesagt werden, dass über die verrechenbare Höchstgrenze hinaus keine Leistungen mehr erbracht würden. Da demnach die Honorarordnung 2010 nicht als reines Einzelleistungssystem zu qualifizieren sei, habe die beklagte Partei in ihrer Satzung Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen. Dies sei jedoch erst mit der zweiten Änderung der Satzung 2011 erfolgt, die auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Wie in einem solchen Fall eine Kostenerstattung zu erfolgen habe, sei gesetzlich nicht geregelt. Es sei jedoch unzulässig, keine Kostenerstattung zu leisten, sondern sei ein angemessener Betrag zu bestimmen. Dabei seien jedoch nicht die Tarife der Honorarordnung 2000 sondern jene der Honorarordnung 2010 heranzuziehen. Diese knüpfe grundsätzlich an Einzelleistungen an, die pauschalierenden Elemente seien nicht so gravierend, dass diese der Kostenerstattung nicht zugrunde gelegt werden könnten. Der Kläger erhalte ohnehin nur 80 % dieser Einzelleistungspositionen erstattet.
Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage, ob die Honorarordnung 2010 als Einzelleistungssystem zu qualifizieren sei bzw welche Kosten bei Fehlen einer Festsetzung eines Pauschbetrags in der Satzung bei Inanspruchnahme eines Wahltherapeuten zu ersetzen seien, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig bzw verspätet zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde dem Beklagtenvertreter am 13. 8. 2014 im ERV zugestellt. Die von der beklagten Partei am 9. 9. 2014 im ERV eingebrachte Revision ist daher rechtzeitig.
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen auch zulässig und berechtigt.
Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht gehe zu Recht davon aus, dass die Honorarordnung des Mustervertrags 2010 im Unterschied zur Honorarordnung des Mustervertrags 2000 kein Einzelleistungssystem darstelle, sondern vielmehr eine pauschale Honorierung der Leistungen vorsehe. Gemäß § 131 Abs 1 ASVG habe die Satzung des Versicherungsträgers in diesem Fall Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen. Da für den hier relevanten Zeitraum eine Satzungsregelung fehle, sei die Höhe der dem Kläger zustehenden Kostenerstattung an vergleichbaren Tarifen in einem entsprechenden Gesamtvertrag auszurichten. Ein unmittelbar vergleichbarer Tarif sei aber dann nicht gegeben, wenn die allenfalls vergleichbare Tätigkeit des Vertragstherapeuten pauschal honoriert werde, weil in diesem Fall ein Vergleich mit einer einzelnen Sachleistung nicht möglich sei. Daher könne im vorliegenden Fall, in dem die Vergütung bei Überschreiten des Limits insgesamt sinke, nicht der insoweit „höchste“ (weil unlimitiert zugrunde gelegte) Tarif herangezogen werden. Ansonsten käme es zu einer unzulässigen Bevorzugung von Wahlphysiotherapeuten, weil sie den vereinbarten Verrechnungsbeschränkungen nicht unterliegen, ihre Leistungen also in einem selbst gewählten Ausmaß erbringen können und diese Leistungen nach Ansicht des Berufungsgerichts ohne Deckelung zu erstatten wären, während Vertragsphysiotherapeuten nur im limitierten Ausmaß verrechnen dürfen. Wäre der beklagten Partei der Schriftsatz des Klägers, wonach nicht davon ausgegangen werden könne, dass Vertragsphysiotherapeuten über das vereinbarte Jahreshonorarpauschale hinaus tätig werden, ordnungsgemäß zugestellt worden, hätte die beklagte Partei geltend machen können, dass jedenfalls mehr als 25 % der Vertrags-physiotherapeuten das Limit der klagsgegenständlichen Positionen der Honorarordnung 2010 überschreiten. Insoweit liege auch eine noch in dritter Instanz aufzugreifende Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Da sich ein pauschalierendes Vergütungssystem daher nicht auf die Kostenerstattung für Wahltherapeuten übertragen lasse, seien richtigerweise die Tarife der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 in ihrer zuletzt aktualisierten Höhe für die Kostenerstattung heranzuziehen. Da die beklagte Partei dem Kläger gemäß § 131 Abs 1 ASVG bereits 80 % dieser Tarife ersetzt habe, sei das darüber hinausgehende Kostenerstattungsbegehren nicht berechtigt.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
1. Die Leistungen der Krankenbehandlung von ASVG‑Versicherten werden grundsätzlich als Sachleistung erbracht (§ 133 Abs 2 letzter Satz ASVG). Damit wollte der Gesetzgeber verhindern, dass die Gewährung von Gesundheitsleistungen an finanziellen Schranken scheitert. Nimmt ein Versicherter jedoch nicht die vom Krankenversicherungsträger in Einrichtungen oder Vertragskrankenanstalten angebotenen Sachleistungen in Anspruch, greift das in § 131 ASVG geregelte Kostenerstattungsmodell ein (vgl 10 ObS 25/14w).
Gemäß § 131 Abs 1 ASVG gebührt dem Versicherten in einem solchen Fall der Ersatz der Kosten der Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Wird die Vergütung für die Tätigkeit des entsprechenden Vertragspartners nicht nach den erbrachten Einzelleistungen oder nicht nach Fallpauschalen, wenn diese einer erbrachten Einzelleistung gleichkommen, bestimmt, so hat die Satzung des Versicherungsträgers Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen. Der Zweck dieser Regelung ist offensichtlich, dass der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte. Dass die Kostenerstattung damit hinter den Marktpreisen zurückbleibt, liegt im Wesen der österreichischen gesetzlichen Krankenversicherung (10 ObS 25/14w; 10 ObS 235/03m, SSV‑NF 19/61 ua). Grundlage für die Honorierung der Leistung, die durch einen Nichtvertragspartner erbracht wurde, ist daher das vom Versicherungsträger dem Vertragspartner zu ersetzende Honorar.
2. Nach § 338 Abs 1 ASVG werden die Beziehungen zwischen dem Träger der Sozialversicherung und den Vertragspartnern durch privatrechtliche Verträge geregelt. Auf Physiotherapeuten ist § 349 Abs 3 ASVG anwendbar, wonach unter sinngemäßer Anwendung des § 342 Abs 2a ASVG die Beziehung zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den Vertragsphysiotherapeuten durch Gesamtverträge mit der zuständigen beruflichen Vertretung der Physiotherapeuten geregelt wird.
Nach § 342 Abs 2a ASVG sind von den Gesamtvertragsparteien bei der Vereinbarung der Honorarordnung die in dieser Gesetzesstelle im Einzelnen angeführten Kriterien für Honorarregelungen mit der Zielsetzung einer qualitativ hochwertigen Versorgung, einer nachhaltig ausgeglichenen Gebarung des Trägers der Krankenversicherung und einer angemessenen Honorarentwicklung anzuwenden. Seit dem Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2010/61 ist nunmehr die Vergütung nach Einzelleistungen oder nach Pauschalmodellen zu vereinbaren. Schon vor der Neuregelung des § 342 Abs 2 ASVG wurden von der Rechtsprechung Deckelungen und Limitierungen des Honorars für zulässig gehalten. Durch die Neuregelung durch die Novelle BGBl I 2010/61 wurden die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten bei der Honorierung noch erweitert. Limitierungen, Dregressionsregelungen, Deckelungen und andere Honorarbegrenzungen widersprechen daher nicht dem Gesetz (Kneihs/Mosler in SV‑Komm § 342 ASVG Rz 48 f mwN).
3. Die Honorarordnung des Mustervertrags 2000 der beklagten Partei mit den Vertragsphysiotherapeuten, die bis zum 1. 1. 2010 in Geltung stand, beruhte unbestritten auf einem reinen Einzelleistungssystem. Für bestimmte Leistungen in einem bestimmten zeitlichen Ausmaß war ein bestimmtes Honorar festgelegt.
3.1 Im Jahr 2010 wurde ein neuer Mustervertrag mit der Interessenvertretung verhandelt und es wurden entsprechende Verträge mit den einzelnen Vertragspartnern abgeschlossen. Diese mit Wirkung ab 1. 1. 2010 geltenden Verträge sehen eine Berechnung des Honorars für die jeweils abgerechneten Leistungen aus dem dafür erforderlichen Zeitaufwand und der Bewertung dieses Zeitaufwands vor. Zugleich wird ein maximales Jahreshonorar der Vertragspartner auf Basis er vereinbarten maximal verrechenbaren Jahresstundenanzahl festgesetzt. Überschreitet der Vertragsphysiotherapeut die für ihn persönlich festgelegte maximal verrechenbare Jahresstundenanzahl, erfolgt eine Kürzung des Honorars auf das vereinbarte Jahreshöchsthonorar. Unterschreitet der dagegen die für ihn persönlich festgelegte Jahresstundenanzahl, erfolgt die Auszahlung entsprechend der tatsächlich erbrachten Stundenanzahl. Für das Erbringen oder Nichterbringen von Fortbildungsnachweisen sind in den Verträgen Bonuszahlungen bzw Abschläge vereinbart (Anlage III). Hausbesuche in Pensionistenheimen sind nur in beschränktem Ausmaß verrechenbar (Anlage V).
Offensichtlich als wirtschaftlichen Ausgleich für die nunmehr geltende Deckelung der Jahreshonorarsumme und damit der eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten wurde die Bewertung der Zeiteinheiten gegenüber der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 deutlich angehoben. So hat bereits das Erstgericht darauf hingewiesen, dass dadurch die Honorierung einer 30 minütigen Physiotherapie von 18,57 EUR auf 24,32 EUR (also um ca 30 %) und einer 15 minütigen Teilmassage von 5,53 EUR auf 12,16 EUR (also um ca 220 %) erhöht wurde.
4. Der Mustervertrag 2010 sieht somit für die Honorierung der dem Kläger erbrachten Leistungen kein reines Einzelleistungssystem mehr vor, sondern enthält mit der Festsetzung eines maximalen Jahreshonorars ein wesentliches Pauschalierungselement. Dies bedeutet, dass bei Überschreiten der für das maximale Jahreshonorar relevanten Stunden und Leistungen sich das auf die Einzelleistung entfallende Honorar entsprechend vermindert. Ein striktes Einzelleistungssystem, das zur Voraussetzung hätte, dass jede Leistung ohne Unterschied nach dem Umfang der insgesamt erbrachten Leistungen in gleicher Höhe honoriert wird, sieht der Gesamtvertrag daher nicht vor (vgl 10 ObS 153/94, SSV‑NF 8/72). Wie bei den vom Obersten Gerichtshof schon zu beurteilenden Fällen einer Punktebewertung für einzelne ärztliche Leistungen und Degression der Honorarhöhe bei steigender Punkteanzahl (10 ObS 96/01t, SSV‑NF 15/81; 10 ObS 164/97h, SSV‑NF 11/133; 10 ObS 153/94, SSV‑NF 8/72) erfolgt bei einer Limitierung im Hinblick auf die Gesamtleistung die Vergütung nicht (vollständig) nach erbrachten einzelnen Leistungen (vgl Grillberger in Grillberger/Mosler, Ärztliches Vertragspartnerrecht [2012], 253).
4.1 Da es sich dabei um eine generalisierende Betrachtungsweise handelt, kommt es zur Beurteilung der Frage, ob ein reines Einzelleistungssystem oder zumindest ein Mischsystem (mit Pauschalierungselementen) vorliegt, nicht darauf an, wie viele Vertragstherapeuten in welchem Umfang die maximal honorierte Jahresstundenanzahl überschreiten. Insoweit ist es nicht von Relevanz, ob diese Frage durch das Erstgericht oder das Berufungsgericht ausreichend mit den Parteien erörtert wurde.
5. Da somit bei der Honorarordnung im Mustervertrag 2010 aufgrund der Limitierung des Gesamthonorars nicht von einem Einzel-leistungsabrechnungssystem ausgegangen werden kann, wäre die beklagte Partei verpflichtet gewesen, in ihrer Satzung entsprechende Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen. Dies ist unstrittig jedoch erst mit der zweiten Änderung der Satzung 2011 erfolgt, die gemäß § 52 der Satzung erst nach Ablauf des fünften Kalendertags ab dem Zeitpunkt der Freigabe der Verlautbarung unter www.avsv.at , dem 27. 4. 2012, in Kraft trat. Diese Änderung ist daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Für einen solchen Fall sieht das Gesetz keine Regelung über die Höhe des Kostenersatzes vor. Weder § 131a ASVG noch § 131b ASVG, die den Fall regeln, dass für den Bereich einer Berufsgruppe (noch) keine Verträge bestehen, sind anwendbar. Dies führt aber nicht dazu, dass kein Kostenersatz stattfindet. Nach § 135 Abs 1 ASVG wird die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte und Vertrags‑Gruppenpraxen sowie durch Wahlärzte oder Wahl‑Gruppenpraxen sowie durch Ärzte in eigenen Einrichtungen (oder Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt. Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, dass aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmung mit § 131 Abs 1 ASVG abzuleiten ist, dass vom Krankenversicherungsträger bei Inanspruchnahme eines Nichtvertragspartners eine Kostenerstattung zu erfolgen hat. Dies bestreitet auch die beklagte Partei nicht.
6. Da die im Gesetz vorgesehene Abrechnung nach einem in der Satzung festgesetzten Pauschbetrag nicht möglich ist, weil von der beklagten Partei für den gegenständlichen Zeitraum ein solcher Pauschbetrag noch nicht festgesetzt worden war, ist zunächst auf die Grundregel des § 131 Abs 1 ASVG zurückzugreifen, dass 80 % des Betrags zu ersetzen sind, der vom Versicherungsträger bei Inanspruchnahme eines entsprechenden Vertragspartners aufzuwenden gewesen wäre. Der Versicherungsträger soll nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein, als wenn der Versicherte eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte. Das Fehlen einer Berechnungsgrundlage für die Kostenerstattung nach § 131 ASVG ist nach Ansicht des erkennenden Senats am ehesten vergleichbar mit der Situation, in der ein Wahlarzt eine Leistung der Krankenbehandlung erbringt, für die in der Honorarordnung (noch) keine eigene Tarifposition vorgesehen ist. Fehlt in der gültigen Honorarordnung eine entsprechende Tarifposition und besteht dazu auch keine Satzungsregelung, bleibt nichts anderes übrig, als einen angemessenen Betrag für die Kostenerstattung im Einzelfall zu bestimmen. Dabei hat man sich nach der Rechtsprechung an Tarifpositionen für vergleichbare Leistungen im Gesamtvertrag zu orientieren. Welche Tarife dafür in Frage kommen, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu entscheiden (10 ObS 123/00m, DRdA 2001/18, 247 [R. Resch] = SSV‑NF 14/89 mwN).
7. Zutreffend weist die beklagte Partei darauf hin, dass bei einer Honorierung der Vertragspartner nach Pauschalmodellen für die Kostenerstattung ein Bezug zur einzelnen erbrachten Leistung hergestellt werden muss (Mosler in SV‑Komm § 131 ASVG Rz 10). In diesem Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 35/05b (SSV‑NF 19/27) bereits ausgesprochen, dass bei Fehlen eines durch Satzung festgelegten Tarifs die Höhe der zustehenden Kostenerstattung an vergleichbaren Tarifen in einem entsprechenden Gesamtvertrag auszurichten ist, ein unmittelbar vergleichbarer Tarif aber dann nicht gegeben ist, wenn die allenfalls vergleichbare Tätigkeit des Vertragstherapeuten pauschal honoriert wird, weil in diesem Fall ein Vergleich mit einer einzelnen Sachleistung nicht möglich ist.
7.1 Es wäre daher im vorliegenden Fall eines Mischsystems mit Pauschalierungselementen nach Ansicht des erkennenden Senats nicht sachgerecht, die Kostenerstattung ‑ entsprechend dem Prozessstandpunkt des Klägers ‑ aufgrund einer isolierten Heranziehung der Tarife ohne Limitierung vorzunehmen. Dies würde zu einer unzulässigen Bevorzugung der Wahlphysiotherapeuten, die den mit den Vertragsphysiotherapeuten vereinbarten Verrechnungsbeschränkungen nicht unterliegen, ihre Leistungen daher in einem selbst gewählten Ausmaß erbringen können und denen diese Leistungen ohne Deckelung zu erstatten wären, gegenüber Vertragsphysiotherapeuten führen, die nur im limitierten Ausmaß verrechnen dürfen. Eine Berechnung der Kostenerstattung ausgehend von den Tarifen des Mustervertrags 2010 würde auch deshalb zu einer unzulässigen Bevorzugung von Wahlphysiotherapeuten führen, weil die gegenüber dem Mustervertrag 2000 erheblich erhöhten Tarife ganz offensichtlich auch eine Entschädigung für die Deckelung der Leistungserbringung und damit der Beschränkung von Verdienstmöglichkeiten darstellen. Für Wahlphysiotherapeuten gelten diese Limitierungs-bestimmungen jedoch nicht.
7.2 Für die Angemessenheit der Tarife der Honorarordnung 2010 kann nach ebenfalls zutreffender Rechtsansicht der beklagten Partei auch nicht ins Treffen geführt werden, dass gemäß § 131 Abs 1 ASVG ohnehin nur 80 % des Betrags zu ersetzen sind, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Die diesbezügliche Reduktion der Kostenerstattung hat ihren Grund darin, dass bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes Verwaltungs-mehrkosten aufgrund der Kostenrückerstattung sowie allfälliger Kontrollmaßnahmen entstehen und die Sicherstellung der Beachtung ökonomischer Grundsätze bei der Leistungserbringung erschwert ist (Mosler in SV‑Komm § 131 ASVG Rz 7). Diesen Abzug hat jeder Versicherte in Kauf zu nehmen, der einen Wahlphysiotherapeuten anstelle der Vertragsphysiotherapeuten in Anspruch nimmt. Mit der Frage der Angemessenheit des Tarifs hat der 20%ige Abschlag zum Ausgleich der Verwaltungsmehrkosten nichts zu tun.
7.3 Ein angemessener Betrag für die Kostenerstattung lässt sich jedoch der vor 1. 1. 2010 geltenden Honorarordnung entnehmen. Diese Honorarordnung beruht anders als jene des Mustervertrags 2010 auf einem reinen Einzelleistungssystem und kann daher für den Übergangszeitraum bis zur satzungsmäßigen Festlegung von Pauschbeträgen für die Berechnung der Kostenerstattung herangezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Honorarordnungen stets Ausdruck eines gefundenen Ausgleichs zwischen den Interessen der Sachleistungserbringer einerseits und jenen der Krankenversicherungsträger andererseits sind. Angesichts dieses Interessenausgleichs haben Honorarordnungen auch die Vermutung der Angemessenheit für sich (vgl VfSlg 15698; 16607; 17919 ua). Zutreffend weist die beklagte Partei auch darauf hin, dass der vor dem 1. 1. 2010 geltende Mustervertrag samt Honorarordnung zwar im Jahr 2000 ausverhandelt wurde, die Tarife in der Folge jedoch mehrmals valorisiert wurden. So waren die Tarife, die die beklagte Partei im vorliegenden Fall ihrer Kostenerstattung an den Kläger zugrunde legte, mit 1. 11. 2008 in Kraft getreten. Dass diese Tarife nun für die Kostenerstattung von Leistungen (auch) nach dem 1. 1. 2010 herangezogen werden, macht sie nach Ansicht des erkennenden Senats nicht unangemessen. Dies geht nach zutreffender Rechtsansicht der beklagten Partei auch aus der Wertung des ‑ hier zwar nicht unmittelbar anwendbaren ‑ § 131a ASVG hervor, wonach sich die Höhe der Kostenerstattung bei Fehlen vertraglicher Regelungen nach jenem Betrag richtet, der vor Eintritt eines vertragslosen Zustands zu leisten gewesen wäre. Dabei besteht lediglich die Möglichkeit, nicht aber die Verpflichtung, die Kostenerstattung unter Bedachtnahme auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten zu erhöhen (Mosler in SV‑Komm § 131a ASVG Rz 7). Der Gesetzgeber billigt somit in diesem Fall der Kostenerstattung selbst die Heranziehung von früher gültigen Einzelleistungstarifen, auch wenn diese ihrer Höhe nach unverändert der Berechnung der Kostenerstattung zugrunde gelegt werden.
8. Aufgrund der dargelegten Erwägungen gelangt der erkennenden Senat zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass für die vom Kläger begehrte Kostenerstattung die Tarife der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 in ihrer zuletzt aktualisierten Höhe heranzuziehen sind. Da die beklagte Partei dem Kläger gemäß § 131 Abs 1 ASVG bereits 80 % dieser Tarife ersetzt hat, ist das darüber hinausgehende Kostenerstattungsbegehren nicht berechtigt. Der Kläger ist dadurch auch nicht schlechter gestellt als bei einer Kostenerstattung entsprechend der nunmehrigen Satzungsregelung der beklagten Partei, da die dort festgesetzten Pauschbeträge exakt jener Kostenerstattung entsprechen, die der Kläger bereits erhalten hat. Selbst bei einer früheren Festlegung der Pauschbeträge in der Satzung wäre es daher zu keiner höheren Kostenerstattung an den Kläger gekommen.
Der Revision der beklagten Partei war somit Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen waren dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Für einen Kostenersatz nach Billigkeit sind neben den rechtlichen (oder tatsächlichen) Schwierigkeiten des Verfahrens auch die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Versicherten maßgebend. Berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Klägers, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.
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