OGH 10ObS38/15h

OGH10ObS38/15h30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Mag. Robert Stadler, Rechtsanwalt in Gallneukirchen, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter‑Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Leistungen aus der Unfallversicherung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2015, GZ 12 Rs 13/15s‑11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 15. Dezember 2014, GZ 7 Cgs 233/14m‑7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00038.15H.0630.000

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Die am 20. August 1987 geborene, aus Kambodscha stammende Klägerin ist seit ihrer Eheschließung im Jahr 2008 in Österreich aufhältig und verfügt über ein zeitlich befristetes Visum und eine zeitlich befristete Arbeitsbewilligung. Sie ist in Österreich berufstätig. Zur Verlängerung des Visums und damit auch der Arbeitsbewilligung wurde der Klägerin von der Bezirksverwaltungsbehörde das Absolvieren eines Deutschkurses vorgeschrieben. Die Klägerin hat bereits ab dem Jahr 2008 in der Volkshochschule einen Deutsch-Integrationskurs Stufe 1, in weiterer Folge auch Stufe 2, 3 und 4 besucht. Darüber hat die Klägerin auch erfolgreich eine Prüfung (A2‑Prüfung) abgelegt. Die Klägerin hat in weiterer Folge in der Volkshochschule einen Deutschkurs für Fortgeschrittene absolviert (B1‑Kurs).

Anfang 2014 absolvierte die Klägerin den letzten Teil des Kurses Deutsch als Fremdsprache B1/2, welcher am 8. Mai 2014 enden sollte. Die Kosten für den Deutschkurs hatte die Klägerin selbst zu tragen. Für den Veranstalter Volkshochschule entschied sich die Klägerin aus Kostengründen.

Am 7. Mai 2014 begab sich die Klägerin nach der Arbeit in einem Textilreinigungsunternehmen wegen des Kurses zur Volkshochschule. Nach Ende des Kurses fuhr die Klägerin von dort direkt mit dem öffentlichen Verkehrsmittel nach Hause. An der Umstiegsstelle einer Bushaltestelle wurde sie im Buswartehäuschen von einem Klein‑LKW von hinten niedergefahren und schwer verletzt.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2014 sprach die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Unfall vom 7. Mai 2014 nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird und kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung besteht.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin aus dem Arbeitsunfall vom 7. Mai 2014 Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren, dem Grunde nach zu Recht bestehe. Ausgehend von dem eingangs angeführten Sachverhalt führte es in der rechtlichen Beurteilung aus, dass es sich bei dem Unfall, den die Klägerin erlitten habe, um einen einem Arbeitsunfall gleichgestellten Unfall gemäß § 176 Abs 1 Z 5 ASVG handle, weil er sich beim Besuch eines beruflichen Schulungs- bzw Fortbildungskurses ereignet habe, der geeignet sei, das berufliche Fortkommen zu fördern. § 176 Abs 1 Z 5 ASVG verlange nicht, dass es sich um eine Veranstaltung handle, bei der unmittelbar einem konkreten Bedarf des Betriebs entsprochen werde. Andererseits genüge die Vermittlung allgemeinen Wissens ohne Bezug auf den Beruf des Besuchers nicht. Nicht entscheidend sei jedenfalls, ob der Dienstgeber die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung anordne oder auch im Rahmen der Dienstzeit genehmige. Nach dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift stünden auch diejenigen unter Unfallversicherungsschutz, die sich nebenberuflich aus‑ und fortbilden. Ein Zusammenhang der Aus‑ und Fortbildung mit dem ausgeübten Beruf müsse nicht vorliegen. Vielmehr werde jede Form der unsystematischen beruflichen Aus‑ und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung außerhalb der schulischen oder betrieblichen Berufsausbildung erfasst, weshalb es für den Versicherungsschutz auch unerheblich sei, ob sich der Kursteilnehmer der beruflichen Aus‑ und Fortbildung pflichtgemäß oder freiwillig unterziehe.

Der Deutschkurs der Klägerin habe grundsätzlich ihrer Aus‑ und Fortbildung gedient, weil das Erlernen der deutschen Sprache für die Erlangung bzw Weiterverlängerung der Arbeitsbewilligung erforderlich und somit der Grundstock für ihren beruflichen Einsatz in Österreich sei. Bei weiter Auslegung des § 176 Abs 1 Z 5 ASVG stehe der von der Klägerin absolvierte Deutschkurs unter Unfallversicherungs-schutz, zumal es sich nicht um eine allgemein persönlichkeitsbildende, also rein der Privatsphäre der Klägerin zuzuordnende Veranstaltung gehandelt habe.

Das Berufungsgericht änderte das Zwischenurteil des Erstgerichts dahin ab, dass das Klagebegehren auf Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung für die Folgen des Unfalls vom 7. Mai 2014 mit Endurteil abgewiesen wurde.

Zweifellos seien bessere Deutschkenntnisse für jeden nicht deutschsprachigen Erwerbstätigen abstrakt geeignet, dessen berufliches Fortkommen zu fördern. Da sein beruflicher Wissenshorizont dadurch aber nicht erweitert werde, stehe der Weg vom und zum Deutsch-Kurs nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Wie bei einem Universitätsstudium oder einem Seminar zur Persönlichkeitsbildung gehe es bei einem Deutsch-Kurs um eine allgemeine Bildungsvermittlung ohne den geforderten strengen Berufsbezug. Für die Arbeit der Klägerin in der Textilreinigung seien bessere Deutschkenntnisse genauso förderlich wie in jedem anderen Beruf auch. Ein profundes Sprachverständnis hebe zwar die Leistungsfähigkeit im Beruf, aber eben in jedem Beruf, ohne Bezug zu irgendeinem konkreten. Da die durch § 176 Abs 1 Z 5 ASVG geschützten Lehrgänge streng berufsbezogen zu sehen seien, fehle es einem Deutsch‑Kurs an einem hinreichend engen Berufsbezug.

An dieser Beurteilung ändere nichts, dass die Klägerin zur Verlängerung des Visums ‑ und damit auch der Aufenthaltsbewilligung ‑ einen Deutsch‑Kurs absolvieren habe müssen. Die Schaffung der Voraussetzungen, überhaupt bzw weiterhin in Österreich einer Beschäftigung nachgehen zu dürfen, unterliege nicht dem Unfallversicherungsschutz nach dem ASVG. Eine Beschäftigung im Inland sei Voraussetzung für das Entstehen der Pflichtversicherung nach dem ASVG. Die nicht unfalls‑ oder berufskrankheitsbedingte Unkenntnis der deutschen Sprache gehöre nicht zu den in der Unfallversicherung versicherten Risiken.

Infolge der fehlenden Berechtigung des Klagebegehrens sei es unerheblich, dass das Klagebegehren nicht korrekt formuliert sei. Ein Feststellungsbegehren müsse auf die Feststellung gerichtet sein, dass näher bezeichnete Gesundheitsstörungen Folge eines Arbeitsunfalls seien. In einem Leistungsbegehren müssten die begehrten Leistungen konkret bezeichnet werden; ein Begehren auf Zuspruch von gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung genüge nicht.

Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinaus bedeutenden Frage fehle, ob Deutsch-Kurse unter § 176 Abs 1 Z 5 ASVG zu subsumieren seien, insbesondere wenn sie zur Verlängerung der Arbeitsbewilligung erforderlich seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im klagestattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrer Rechtsrüge (die Mängelrüge bezieht sich auf die Fassung des Klagebegehrens) vertritt die Klägerin zusammengefasst den Standpunkt, dass auch derjenige, der sich ohne unmittelbaren Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis einer beruflichen Aus‑ oder Fortbildung unterziehe, unter Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 5 ASVG stehe. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin vor, weil die Absolvierung eines Deutschkurses die Einsatzfähigkeit in ihrem Beschäftigungsverhältnis steigere. Darüber hinaus sei bei Drittstaatsangehörigen der Erwerb von Deutschkenntnissen überhaupt Voraussetzung dafür, eine Erwerbstätigkeit ausüben und am Wirtschaftsleben teilnehmen zu können, weshalb auch der enge Berufsbezug zu bejahen sei. Wesentlich sei im Übrigen, auch den Teilnehmerhorizont in die Beurteilung einzubeziehen. Gerade bei Drittstaatsangehörigen gebiete es der Gleichheitssatz des Art 7 B‑VG, der die ungleiche Behandlung von Ungleichem verlange, ein anderes Normverständnis anzulegen als bei Österreichern.

Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen, weil sie den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung und insbesondere der Bestimmung des § 176 Abs 1 Z 5 ASVG verkennen.

1. § 176 Abs 1 ASVG stellt bestimmte Unfälle den Arbeitsunfällen gleich. Nach Z 5 stehen Unfälle beim Besuch beruflicher Schulungs(Fortbildungs)kurse unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, soweit dieser Besuch geeignet ist, das berufliche Fortkommen des Versicherten zu fördern.

2. Der Zweck der Norm liegt darin, verbleibende Lücken auf dem Gebiet von Schulungs- und Fortbildungskursen zu schließen, die aus Eigeninitiative der versicherten Personen besucht werden (verpflichtende betriebliche Schulungsmaßnahmen sind der versicherten Tätigkeit selbst zuzuordnen) und nicht von einer Institution iSd § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG (Gebietskörperschaften, AMS, Sozialversicherungsträger, gesetzliche berufliche Vertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber) veranstaltet werden, gleichwohl aber geeignet sind, das berufliche Fortkommen zu fördern (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 176 ASVG Rz 30 [Stand 1. 3. 2014, rdb.at]). Der Dienstgeber muss die Maßnahme nicht anordnen oder genehmigen, sie muss aber objektiv geeignet sein, den beruflichen Wissenshorizont zu erweitern (Müller in SV‑Komm § 176 ASVG Rz 33; RIS‑Justiz RS0110219).

3. Auch wenn es für den Unfallversicherungsschutz grundsätzlich ausreicht, sich „nebenher“, also ohne unmittelbarem Bezug zu einem konkreten Arbeitsverhältnis, einer beruflichen Aus‑ oder Fortbildung zu unterziehen (RIS‑Justiz RS0110219), ist doch ein enger Berufsbezug notwendig (RIS‑Justiz RS0110220 [T4]): Der Schulungs‑ bzw Fortbildungskurs muss eine berufliche Ausbildung für einen angestrebten Beruf oder eine Fortbildung für den bereits ausgeübten Beruf sein; ein Zusammenhang mit dem aktuell ausgeübten Beruf ist nicht notwendig (RIS‑Justiz RS0110220). An diesem Berufsbezug fehlt es bei bloß allgemein‑ bzw persönlichkeitsbildenden Fortbildungsveranstaltungen (10 ObS 200/98d = SZ 71/105 = SSV‑NF 12/84 [„Mentales Training“]; 10 ObS 74/12y [„Stressmanagement“]; RIS‑Justiz RS0110221; Tarmann‑Prentner in Sonntag, ASVG6 § 176 Rz 15). Auch dem auf Bildungsvermittlung ausgerichteten „normalen“ Universitätsstudium fehlt der enge Berufsbezug, weil dabei allgemeine bildungspolitische Zielsetzungen im Vordergrund stehen (10 ObS 59/06h = SSV‑NF 20/24 = DRdA 2007/41, 379 [Mosler]).

4. Zweifellos sind durch den Besuch eines Deutsch-Kurses verbesserte Deutschkenntnisse für einen Erwerbstätigen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch abstrakt geeignet, dessen berufliches Fortkommen zu fördern. Auch für die Berufsarbeit der Klägerin in der Textilreinigung sind gute Deutschkenntnisse genauso förderlich wie in jedem anderen Beruf und ganz allgemein für ein Leben in einem deutschsprachigen Land. Der in der bisherigen Rechtsprechung geforderte konkrete Bezug zu einem bestimmten Beruf stellt aber im Sinne der zutreffenden Ausführungen der beklagten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung eine notwendige Beschränkung des Versicherungsschutzes auf das konkrete Erwerbsleben dar und steht im Einklang mit den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung, wonach während einer Aus‑ und Fortbildung ohne beruflichen Zweck kein Unfallversicherungsschutz besteht. Eine Abkehr von diesem Prinzip würde im Ergebnis die Ausdehnung des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung auf alle Personen bedeuten, die gerade Deutschkurse in Österreich besuchen. Dass diese in Kursen erworbenen Deutschkenntnisse auch für ein späteres Berufsleben der betreffenden Personen ganz allgemein von wesentlicher Bedeutung sein können, vermag den notwendigen inneren Zusammenhang der Absolvierung eines Deutsch‑Kurses mit der gesetzlichen Unfallversicherung noch nicht herzustellen. Die nicht unfalls‑ oder berufskrankheitsbedingte Unkenntnis der deutschen Sprache gehört nicht zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Risiken und es besteht auch kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz für den Besuch von Schulungs‑ bzw Fortbildungskursen ohne konkrete berufliche Zweckorientierung.

5. Dieser für den Unfallversicherungsschutz notwendige Bezug zwischen Kurs und einem konkreten Beruf wird auch nicht dadurch hergestellt, dass die Klägerin durch den Deutsch‑Kurs überhaupt erst die Voraussetzungen dafür erlangen kann, weiterhin in Österreich einer Berufstätigkeit nachgehen zu können; auch in diesem Zusammenhang geht es um allgemeine Voraussetzungen für die Berufsausübung in einem deutschsprachigen Land, nicht um eine Schulung oder Fortbildung für einen bestimmten Beruf. Der in der Revision aufgeworfene Aspekt der Staatsangehörigkeit bzw der Muttersprachlichkeit ist daher von vornherein irrelevant.

6. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Für einen Kostenersatz nach Billigkeit sind neben den ‑ hier vorliegenden ‑ rechtlichen (oder tatsächlichen) Schwierigkeiten des Verfahrens auch die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse der Versicherten maßgebend. Aktuelle berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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