Spruch:
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift übermittelt.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Die Staatsanwaltschaft Graz legt Boris L***** mit der beim Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 4 Hv 25/15h eingebrachten Anklageschrift (ON 66) das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall, Abs 3, 148 zweiter Fall und § 15 StGB (I./) sowie die Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB jeweils als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB (II./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (V./) zur Last.
Danach soll er ‑ soweit hier von Bedeutung (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO) ‑ „in Klagenfurt, Wien und anderen Orten
I./ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen (§ 147 Abs 2 [richtig:] StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, nachgenannte Personen durch Täuschung über Tatsachen teils unter Benützung falscher Urkunden (§ 147 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB) zu nachangeführten Handlungen teils verleitet, teils zu verleiten versucht“ haben, „welche diese in einem 50.000 Euro übersteigenden Gesamtbetrag am Vermögen schädigten, und zwar:
1./ am 11. Dezember 2013 Borislav Lu***** durch die wahrheitswidrige Vorgabe, diesem den PKW der Marke BMW AG 560 L NC 71 mit der Fahrgestellnummer ***** verkaufen zu wollen, zur Übergabe eines Bargeldbetrags iHv 9.800 Euro;
2./ am 28. Jänner 2014 Anto A***** durch die wahrheitswidrige Vorgabe, ihm am 31. Jänner 2014 den Betrag von 30.000 Euro bezahlen zu wollen, zur Übergabe eines Bargeldbetrags iHv 24.300 Euro;
3./ am 12. März 2014 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei unbekannten weiblichen Mittäterinnen durch die wahrheitswidrige Vorgabe, Vertragspartnerin sei die abgesondert verfolgte, zahlungsfähige und zahlungswillige Sandra S*****,
a./ Verantwortliche der T***** GmbH, wobei sie eine falsche Urkunde, nämlich einen vorgeblich von der M***** GmbH ausgestellten Verdienstnachweis lautend auf Sandra S***** vorlegten, zum Abschluss von Mobiltelefonverträgen und zur Übergabe von zwei Mobiltelefonen der Marke Apple i‑phone sowie von zwei Tabletts der Marke Apple ipad, wodurch diese [richtig: die T***** GmbH] im Betrag vom 6.300,19 Euro am Vermögen geschädigt wurde[n];
b./ Verantwortliche der H***** GmbH in zwei Angriffen zum Abschluss vom Mobiltelefonverträgen und zur Übergabe von zwei Mobiltelefonen der Marke Apple i‑phone, wodurch diese [richtig: die H***** GmbH] im Betrag von 3.720,24 Euro am Vermögen geschädigt wurde[n] und es hinsichtlich des Abschlusses zweier weiterer Verträge betreffend hochwertige Mobiltelefone von nicht näher bekanntem Gesamtwert infolge negativer Bonitätsprüfung beim Versuch blieb;
4./ am 24. März 2014 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer unbekannten weiblichen Mittäterin Verantwortliche der Sa***** im Wege des vorsatzlos handelnden Shahbaz K***** durch die wahrheitswidrige Vorgabe, die abgesondert verfolgte Sandra S***** sei Käuferin des PKW der Marke Mercedes CLS320CDI Avantgarde Aut., Fahrgestellnummer ***** und eine zahlungsfähige und zahlungswillige Kreditnehmerin, wobei sie falsche Urkunden, nämlich vorgeblich von der M***** GmbH ausgestellte Verdienstnachweise lautend auf Sandra S***** vorlegten, zum Abschluss eines Ankaufskreditvertrags über den Betrag von 24.800 Euro und zur Übergabe des PKW an ihn, wodurch diese [richtig: die Sa*****] mangels Zahlung der Kreditraten im Betrag von 2.040,24 Euro am Vermögen geschädigt wurde[n] und es infolge der raschen Sicherstellung des Fahrzeuges durch die Sa***** hinsichtlich des Restbetrags von 22.759,76 Euro beim Versuch blieb“.
Die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz stützte die Staatsanwaltschaft Graz ‑ ohne nähere Begründung ‑ auf „§§ 31 Abs 3 Z 1, 36 Abs 3 StPO“.
Der gegen die Anklageschrift erhobene Einspruch des Angeklagten (ON 71) wurde von der Vorsitzenden des Schöffengerichts unter gleichzeitiger Mitteilung ihrer Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz dem Oberlandesgericht Graz vorgelegt.
Mit Beschluss vom 8. April 2015, AZ 8 Bs 95/15d, legte das Oberlandesgericht Graz die Akten ‑ nachdem es das Vorliegen der in § 212 Z 1 bis 4 und 7 StPO genannten Einspruchsgründe verneint (RIS‑Justiz RS0124585) und über die Haft entschieden hatte (§ 214 Abs 3 StPO) ‑ gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz (iVm § 213 Abs 6 dritter Satz) StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht („und zwar entweder das Straflandesgericht Wien oder das Landesgericht Wiener Neustadt“) zuständig sei.
Nach § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zur Führung aller Verfahren zuständig (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO).
Demnach obliegt das Hauptverfahren im Anlassfall ‑ aufgrund der als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall, Abs 3, 148 zweiter Fall und § 15 StGB angeklagten Fakten I./1./ bis I./4./ ‑ dem Landesgericht als Schöffengericht (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO).
Liegen dem Angeklagten (wie hier) mehrere Straftaten zur Last, so kommt das Verfahren gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt. Von dieser Anknüpfung an die zeitliche Abfolge der Taten besteht eine der Verfahrensökonomie dienende Ausnahme für den Fall, dass für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Landesgericht zuständig war, in dessen Sprengel eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0124935, RS0125227).
Primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren ist der Ort, an dem die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte; nur wenn der Ort der Handlung im Ausland liegt oder nicht festgestellt werden kann, so ist ‑ bei Erfolgsdelikten (RIS‑Justiz RS0127317) ‑ (zunächst) der Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen (§
36 Abs 3 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0127231; Oshidari , WK‑StPO § 36 Rz 6 und Nordmeyer , WK‑StPO § 25 Rz 2 jeweils mwN).
Tathandlung beim gegenständlich ausschlaggebenden Erfolgsdelikt des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB ist ‑ auch wenn nach dem Tatplan erst eine Mehrheit von Täuschungsakten zu einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung führen soll ‑ die für die tatbestandsmäßige Irreführung entscheidende Täuschungs-handlung (iSd Abgabe einer unwahren Erklärung gegenüber einem anderen), die nach dem Tatplan des Angeklagten nicht bloß das Gelingen einer späteren, die Vermögensverfügung bewirkenden Irreführung ermöglichen oder erleichtern, sondern ‑ zumindest mitbestimmend ‑ die selbstschädigende Vermögenshandlung des Getäuschten auslösen soll (vgl Kirchbacher in WK² StGB § 146 Rz 17 und 124 f; RIS‑Justiz RS0126858 [T2 und T3]). In diesem Sinn können auch mehrere (entscheidende) Täuschungshandlungen vorliegen.
Erstreckt sich die den gesetzlichen Tatbestand erfüllende Verhaltensweise über mehrere Orte, gibt jener den Ausschlag, an dem die die deliktische Handlung beendende Tätigkeit, also idR die letzte Ausführungshandlung, stattgefunden hat (Nordmeyer, WK‑StPO § 25 Rz 1 mwN; Oshidari, WK‑StPO § 36 Rz 6). Dies gilt auch für mehrere ‑ an verschiedenen Orten gesetzte -Täuschungshandlungen im Rahmen eines Betrugs, sodass eine diese abschließende und dem Erfolgseintritt unmittelbar vorausgehende Vertragsunterzeichnung idR tatortbestimmend iSd § 36 Abs 3 erster Satz StPO ist (vgl RIS‑Justiz RS0126858 [T2]).
Das für die Beurteilung nach § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO maßgebliche erste Anklagefaktum (I./1/.) wurde nach der Aktenlage ‑ diesen Kriterien zufolge ‑ in Wien begangen, weil an diesem Ort mit der Vertragsunterzeichnung am 10. Dezember 2013 die letzte Täuschungshandlung ‑ vor dem am nächsten Tag mit der Geldübergabe bewirkten Erfolgseintritt ‑ gesetzt worden sein soll (ON 2 in ON 3 S 37 und ON 39 S 41). Frühere Täuschungsakte in Klagenfurt, darunter die Unterfertigung eines handschriftlichen Kaufvertrags (bereits) am 7. Dezember 2013 (ON 2 in ON 3 S 165 und 171 sowie ON 39 S 57 und 65) sind daher im vorliegenden Fall für die Beurteilung des Tatorts nicht maßgeblich.
Keine der späteren Täuschungshandlungen der Anklagefakten I./2./ bis I./4./ fand im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz (vgl § 37 Abs 2 dritter Satz StPO) statt (jeweiliger Tatort zu I./2./, I./3./a./ und I./3./b./ ist Klagenfurt [ON 39 S 7 und 129; ON 39 S 535 f und 543 ff; ON 39 S 605 und 609 f]; Ausführungsort zu I./4./ ist Wien [ON 39 S 9 f, 15 f, 325 f und ON 59 S 59 ff, 81 ff]).
Für das Hauptverfahren ist daher das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht zuständig, weshalb die Sache gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz letzter Halbsatz StPO dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln war, das zunächst über den Einspruch zu entscheiden hat (RIS‑Justiz RS0124585). Dabei bestehen keine Bedenken gegen eine pauschale Verweisung auf die Begründung des bloß zur vorläufigen (nicht bindenden) Prüfung aufgerufenen Oberlandesgerichts Graz, soweit dessen Beurteilung geteilt wird (RIS‑Justiz RS0125228). Im Fall der Abweisung des Einspruchs sind die Akten dem zuständigen Gericht zuzuweisen (§ 215 Abs 4 erster Satz StPO).
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