OGH 13Os53/15s

OGH13Os53/15s10.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Strafsache gegen Robert P***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 10 Hv 81/14m des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 16. Jänner 2015, GZ 10 Hv 81/14m‑35, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Verteidigerin Dr. Riehs‑Hilbert, der Privatbeteiligtenvertreterin Dr. Priessner sowie des Vertreters der Generalprokuratur, Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. Jänner 2015, GZ 10 Hv 81/14m‑35, verletzt in seinem Schuldspruch I/1 § 109 Abs 2 StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I/1, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung werden aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs I/1 wird in der Sache selbst erkannt:

Robert P***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe sich am 27. Februar 2014 in Graz den Eintritt in die Wohnstätte der Bibiana N***** mit Gewalt zu erzwingen versucht, indem er mit einer Axt die Wohnungstüre aushebeln wollte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Im Übrigen wird die Sache zur Strafneubemessung sowie zur Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Entlassung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. Jänner 2015, GZ 10 Hv 81/14m‑35, wurde Robert P***** der Vergehen des Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 1 StGB (I/1), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (I/2), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (I/3) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I/5) sowie des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (I/4) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde die Robert P***** mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 10. April 2013 zu AZ 20 BE 90/13b gewährte bedingte Entlassung widerrufen.

Soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Bedeutung, wurde Robert P***** zu I/1 schuldig erkannt, sich am 27. Februar 2014 in G***** den Eintritt in die Wohnstätte der Bibiana N***** mit Gewalt zu erzwingen versucht zu haben, indem er mit einer Axt die Wohnungstüre aushebeln wollte, wobei die Tat auch eine Beschädigung der Tür und des Mauerwerks zur Folge hatte (US 5).

Die Vorsitzende hielt im Urteil fest, dass eine Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung durch die berechtigte Bibiana N***** nicht aktenkundig sei (US 5) und sich die Erklärung der Genannten, sich dem Verfahren als Privatbeteiligte anzuschließen, nicht auf dieses Tatgeschehen beziehe, weshalb der Schuldspruch rechtsirrig erfolgt sei (US 11).

Zufolge der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung, über die noch nicht entschieden wurde, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig (ON 44).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt und auch vom Erstgericht bei der Urteilsausfertigung selbst erkannt wurde, steht der Schuldspruch wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 1 StGB (I/1) mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach § 109 Abs 2 StGB ist der Täter, der den Eintritt in die Wohnstätte eines anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt erzwingt, nur mit Ermächtigung des in seinen Rechten Verletzten zu verfolgen. Diese muss sich auf eine bestimmte Person beziehen und spätestens bei Einleitung diversioneller Maßnahmen oder Einbringen der Anklage vorliegen (§ 92 Abs 2 erster Satz StPO). Die Erklärung, als Privatbeteiligter am Verfahren mitzuwirken (§ 67 StPO), gilt als Ermächtigung (§ 92 Abs 2 letzter Satz StPO).

Nach den Entscheidungsgründen wurde die zur Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung aber nicht erteilt. Mangels Vorliegens der formellen Voraussetzungen erweist sich der Schuldspruch wegen §§ 15, 109 Abs 1 StGB als rechtlich verfehlt (vgl Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 40).

Da sich der aufgezeigte Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichermaßen als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

Im Hinblick darauf, dass zum Schuldspruch I/1 ein auf Sachbeschädigung gerichteter Wille zwar nicht ausdrücklich festgestellt wurde, aber doch im Raum steht (siehe US 5), sei hinzugefügt, dass ein allenfalls in Tateinheit begangenes Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB durch das Ermächtigungsdelikt des § 109 Abs 1 StGB nicht konsumiert wird (vgl zum Vorliegen von echter Idealkonkurrenz auch 11 Os 7/89; Soyer/Schumann in WK² StGB § 109 Rz 48; Leukauf/Steininger Komm³ § 109 RN 35).

Die Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 44) ist infolge Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos.

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