OGH 12Ns39/15d

OGH12Ns39/15d22.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in der Strafsache gegen Herbert G***** wegen Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB, AZ 19 E Vr 341/89 des Kreisgerichts Leoben, über die Anzeige der Ausgeschlossenheit des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120NS00039.15D.0522.000

 

Spruch:

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig sind von der Entscheidung über den Antrag des Herbert G***** auf Erneuerung des Verfahrens, das zum Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 1. August 2007, AZ 13 Os 135/06m, geführt hat, ausgeschlossen. An ihre Stelle treten Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Herbert G***** wurde mit Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 31. Mai 1989, GZ 19 E Vr 341/89‑9, mehrerer Vergehen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Den Antrag des Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens in Ansehung dieser Verurteilung sowie der Strafregistereintragung wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 1. August 2007 (AZ 13 Os 135/06m) ebenso zurück wie mit Beschluss vom 25. Februar 2015 (AZ 13 Os 38/14h [13 Os 17/15x]) dessen am 21. April 2014 eingebrachten Antrag gemäß § 363a StPO.

In seiner zudem als „Antragserweiterung“ bezeichneten, am 18. Februar 2015 eingebrachten Äußerung zu der von der Generalprokuratur zum letztgenannten Erneuerungsantrag erstatteten Stellungnahme hatte Herbert G***** ‑ erstmals ‑ darüber hinaus beantragt, den Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 1. August 2007, AZ 13 Os 135/06m, „aufzuheben“.

Mit der Behauptung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe mit dem (auch) über seine im Jahr 2007 erhobene Beschwerde ergangenen Erkenntnis vom 7. November 2013 (31913/07, 38357/07, 48098/07, 48777/07 und 48779/07 E. B. ua/Österreich ; Rz 16 ff, 24 ff) festgestellt, dass dieser Beschluss den Antragsteller in seinem Recht auf wirksame Beschwerde nach Art 13 MRK verletzt habe, wird dieses Begehren ausdrücklich auf § 363a StPO gestützt. Es ist daher nach seiner inhaltlichen Zielrichtung (nicht als ‑ schon als solche unbeachtliche [RIS‑Justiz RS0123231] ‑ nachträgliche Ausdehnung des Antragsvorbringens, sondern) als eigenständiger Antrag auf Erneuerung jenes Verfahrens aufzufassen, das zum bezeichneten Beschluss des Obersten Gerichtshofs geführt hat.

Über diesen Antrag hat der 13. Senat des Obersten Gerichtshofs zu entscheiden (AZ 13 Os 24/15a).

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig gehören als Vorsitzender bzw als Richter diesem Senat an. Die Genannten waren allerdings als Mitglieder des 13. Senats bereits an der zu AZ 13 Os 135/06m ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs am 1. August 2007 beteiligt.

Gemäß § 43 Abs 4 StPO ist ein Richter von einer Entscheidung über einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) ausgeschlossen, wenn er im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist. Solcherart soll die unparteiische Entscheidungsfindung garantiert werden (Lässig, WK‑StPO Vor §§ 43-47 Rz 4).

Die Beschlussfassung über die Wiederaufnahme (§ 357 Abs 2 StPO, § 87 Abs 1 StPO) ist nach herrschender Meinung nicht Teil des früheren Verfahrens, aus welchem Grund Richter, die an ihr mitgewirkt haben, von der Entscheidung über einen neuerlichen Wiederaufnahmeantrag nicht ausgeschlossen sind (13 Os 94/11i; Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 35).

§ 43 Abs 4 StPO normiert die Ausgeschlossenheit eines Richters im Falle der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme bzw auf Erneuerung des Verfahrens auf die gleiche Weise. Daher ist auch die Beschlussfassung über den Erneuerungsantrag nicht Teil des früheren Verfahrens, weshalb grundsätzlich jene Richter, die an dieser Beschlussfassung mitgewirkt haben, nicht von der Entscheidung über einen neuerlichen Erneuerungsantrag ausgeschlossen sind.

Dass § 43 Abs 4 StPO solcherart die Ausgeschlossenheit eines Richters von einer Entscheidung über einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nur nach dessen Tätigwerden im Grundverfahren, nicht jedoch im Erneuerungsverfahren normiert, stellt unter Berücksichtigung der ratio der in Rede stehenden Vorschrift für den hier vorliegenden Fall eines gegen ein Erneuerungsverfahren gerichteten, sich auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berufenden Antrags gemäß § 363a StPO keine vom Gesetzgeber beabsichtigte, sondern vielmehr eine ersichtlich unbeabsichtigte, somit regelwidrige Lücke dar, die im Wege der in Bezug auf strafprozessuale Vorschriften generell zulässigen Analogie zu schließen ist (RIS‑Justiz RS0088780; zur uneingeschränkten Analogiefähigkeit der Bestimmungen des 4. Abschnitts des 2. Hauptstücks der StPO vgl Lässig , WK‑StPO Vor §§ 43-47 Rz 5).

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig sind somit von der Entscheidung über den genannten Erneuerungsantrag ausgeschlossen (vgl RIS‑Justiz RS0125149).

An ihre Stelle treten aufgrund der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs der Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz (§ 45 Abs 2 StPO).

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