OGH 9ObA10/15h

OGH9ObA10/15h29.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. P***** J*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.745,76 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert 750 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. Oktober 2014, GZ 7 Ra 18/14i‑11, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. Oktober 2013, GZ 33 Cga 117/13m‑7, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00010.15H.0429.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Der am ***** 1949 geborene und seit 1. 9. 1975 beim beklagten Sozialversicherungsträger angestellte Kläger wurde mit Beschluss des Verwaltungsausschusses des Vorstands der Beklagten vom 25. 1. 2011 gemäß § 149 Abs 2 Z 5 der auf das Dienstverhältnis anwendbaren Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) wegen Inanspruchnahme der Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 APG mit Wirksamkeit vom 1. 9. 2011 in den Ruhestand versetzt. Nach dem Ruhen der Pension für die Dauer des Abfertigungszeitraums bezieht der Kläger seit 1. 9. 2012 eine Pension gemäß § 81 DO.A.

Zwischen den Parteien ist nun strittig, ob die Dienstordnungspension des Klägers nach § 155 Abs 2 DO.A zu kürzen ist oder nicht.

Nach der auf den Kläger anzuwendenden (§ 155 Abs 1 DO.A) Übergangsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A ist für jeden Monat, der zwischen dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand und dem Ablauf des Monats liegt, in dem der Angestellte den in § 253b Abs 1 ASVG ‑ in Verbindung mit § 607 Abs 10, 12 bzw 14 ASVG ‑ genannten Lebensmonat vollenden wird, die Bemessungsgrundlage gemäß § 87 Abs 1 DO.A um 0,1 % ‑ bei Angestellten mit abgeschlossenem Diplom- oder Doktoratsstudium im Sinne des UniStG, die aufgrund der dauernden Verwendung in eine der Gehaltsgruppen E bis G bzw P1 oder P2 eingereiht sind (§ 36 Abs 1) um 0,125 % ‑ zu kürzen. Das sich aus dieser Kürzung ergebende Prozentausmaß der Bemessungsgrundlage ist auf drei Dezimalstellen zu runden.

Die Beklagte leistet dem Kläger nur die nach § 155 Abs 2 DO.A gekürzte Pension (nach Anrechnung der fiktiven gesetzlichen Pension) im Ausmaß von monatlich 4.724,92 EUR.

Der Kläger vertritt hingegen den Standpunkt, die Dienstordnungspension stehe ihm ungekürzt zu, weil er ‑ soweit für die Revisionsentscheidung von Bedeutung ‑ durch die Kürzung seiner Dienstordnungspension wegen des Geschlechts diskriminiert werde. Frauen, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten, müssten keine Kürzung ihrer Dienstordnungspension hinnehmen.

Die Vorinstanzen gaben dem Begehren des Klägers auf Zahlung der ‑ der Höhe nach unstrittigen -Differenzbeträge für den Zeitraum 1. 9. 2012 bis 31. 8. 2013 in Höhe von 2.745,76 EUR brutto sA statt und stellten fest, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger künftig die Dienstordnungspension unter Abstandnahme der Anwendung der Kürzungsbestimmung nach § 87 Abs 3 DO.A iVm § 155 DO.A in der derzeit geltenden Fassung auf Basis der Pensionsbemessungsgrundlage von 8.645,52 EUR brutto samt der jährlichen Aufwertungen, ungekürzt nur unter Abzug der fiktiven ASVG‑Pension und zuzüglich des Erstattungsbetrags, zu leisten. Sie vertraten zusammengefasst die Ansicht, die hier in Rede stehende Kürzungsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A stelle gemäß § 3 Z 2 GlBG eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Festsetzung des Entgelts dar. Durch die Kürzung der Bemessungsgrundlage und damit Reduktion der Dienstordnungspension sei ein 62‑jähriger Mann ‑ wie hier der Kläger ‑ gegenüber einer gleich alten Frau, die keine Kürzung ihrer Dienstordnungspension hinnehmen müsse, schlechter gestellt. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die gegenständliche Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision der Beklagten nicht zulässig. In ihrer ‑ mit der Berufungsschrift überwiegend wortgleichen ‑ Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Beurteilung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH und des Obersten Gerichtshofs.

Die DO.A ist ein Kollektivvertrag (RIS‑Justiz RS0054394). Die Gerichte haben die Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, also die Verfassung, Unionsrecht, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (9 ObA 48/06h; 9 ObA 146/12d; RIS‑Justiz RS0018063 [T5]). Insbesondere zieht ein Verstoß gegen den unmittelbar anzuwendenden Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen nach Art 157 AEUV (ex‑Art 141 EGV) die Unwirksamkeit der davon betroffenen innerstaatlichen Gesetze, Kollektivverträge, Betriebs-vereinbarungen oder Einzelarbeitsverträge nach sich (RIS‑Justiz RS0117073 ua). All dies wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.

Die Beklagte sieht den Kläger durch die Kürzungsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A jedoch von vornherein nicht diskriminiert, weil die Korridorpension grundsätzlich für Männer und Frauen in gleicher Weise gelte und sowohl Männern als auch Frauen bei Bestehen einer langen Versicherungsdauer einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters ermögliche. Daran ändere nach Meinung der Beklagten auch der Umstand nichts, dass derzeit für Frauen noch die Möglichkeit bestehe, bereits vor Vollendung des 62. Lebensjahres eine Alterspension oder eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer in Anspruch zu nehmen. Mit dieser Argumentation lässt die Beklagte außer Betracht, dass die Kürzungsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A Männer und Frauen gleichen Alters in unterschiedlicher Weise erfasst. Erhält der männliche Pensionist eine geringere Dienstordnungspension als eine weibliche Pensionistin gleichen Alters, ist er unmittelbar (vgl EuGH C‑614/11 Rn 41, 44, 45, 47, Kuso) aufgrund des Geschlechts bei der Festsetzung des Entgelts diskriminiert. Die gegenständliche Betriebspensionsregelung widerspricht dem Unionsrecht, weil sie die flexible Möglichkeit für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Ergebnis nicht unter den gleichen Bedingungen für beide Geschlechter vorsieht (vgl Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 5 Rz 73). Begründet die Regelung des § 155 Abs 2 DO.A aber eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung, kann die Diskriminierung nicht sachlich gerechtfertigt sein (EuGH C‑614/11 Rn 51, Kuso).

Dass die Kürzungsbestimmung im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Pensionsregelung steht, die für sich genommen als verfassungs‑ und auch europarechtlich zulässig erachtet wird (vgl 10 ObS 35/12p = SSV‑NF 26/29; 10 ObS 44/14i), ändert daran nach herrschender Rechtsprechung des EuGH und des Obersten Gerichtshofs nichts. Die nach Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vom 19. Dezember 1978 vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung ist angesichts der Bedeutung dieses Grundsatzes eng auszulegen und kann nur für die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Alters‑ oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen der sozialen Sicherheit gelten (EuGH C‑110/91 Rn 19, Moroni; C‑356/09 Rn 39, Kleist ua; RIS‑Justiz RS0117672; Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 3 Rz 79). Dass im Anlassfall dieser Ausnahmetatbestand vorliegt, behauptet die Revisionswerberin ‑ zu Recht (vgl 9 ObA 256/02s = DRdA 2003/49 [Smutny]; Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 3 Rz 78) ‑ auch nicht.

Schließlich ist es eine nicht revisible Frage des Einzelfalls, ob die Zahlungsverzögerung auf einer (un‑)vertretbaren Rechtsansicht beruht und daher Zinsen nach § 49a ASGG zuzusprechen sind oder nicht (9 ObA 117/10m mwN). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf.

Insgesamt vermag es die Revision der Beklagten daher nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Anregung der Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV war nicht aufzugreifen, weil die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts hier offenkundig ist (vgl RIS‑Justiz RS0082949).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung nicht hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979).

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