European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00038.15A.0429.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
1. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO). Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt darüber hinaus auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (s RIS‑Justiz RS0042656). Das ist hier in Bezug auf § 15a Abs 1 BAG der Fall.
2. Die Klägerin begann am 1. 9. 2011 die dreijährige Lehre zur Floristin. Am 10. 9. 2012 setzte sie die Lehrjahre bei der Beklagten fort. Mit Schreiben vom 27. 5. 2013 teilte die Beklagte der Klägerin „die Absicht einer außerordentlichen Auflösung des folgenden Lehrverhältnisses und die Aufnahme eines Mediationsverfahrens gemäß § 15a Abs 3 BAG spätestens am Ende des 9. bzw 21. Lehrmonats“ mit, wobei als Lehrzeitbeginn der 10. 9. 2012 und als Lehrzeitende der 9. 9. 2013 eingetragen war. Die Klägerin befand sich von 12. 6. 2013 bis 28. 8. 2013 im ordnungsgemäß gemeldeten Krankenstand und war vom 8. bis 19. 7. 2013 stationär im Krankenhaus.
Mit eingeschriebenem Brief vom 27. 6. 2013 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie den von dieser erstgenannten Mediator ablehne und stattdessen die Mediatorin A***** wünsche. Am 19. 7. 2013 verständigte die Beklagte die Mutter der Klägerin, dass diese Mediatorin nicht verfügbar sei und ersuchte um Auswahl eines anderen Mediators. Sollte sie von der Klägerin keine Antwort bis spätestens 25. 7. 2013 erhalten, würde sie den Mediator F***** auswählen. Am 25. 7. 2013 teilte die Klägerin per SMS mit, dass sie gerne S***** als Mediator hätte. Die Beklagte beauftragte diesen Mediator, vereinbarte mit ihm als Mediationstermin den 29. 7. 2013, 16:30 Uhr, und verständigte davon die Klägerin. Mit E-Mail vom 29. 7. 2013, 7:16 Uhr, teilte der Lebensgefährte der Mutter der Klägerin der Beklagten mit, dass sich die Klägerin noch immer im Krankenstand befinde und zum angesetzten Termin nicht kommen könne.
Beim Mediationstermin am 29. 7. 2013 waren lediglich die Beklagte und der Mediator S***** anwesend, der nicht wusste, dass die Klägerin im zweiten Lehrjahr stand und von der Beklagten die Auskunft erhielt, dass alle Fristen für das Mediationsverfahren eingehalten worden seien. S***** führte mit der Beklagten ein etwa 20‑ bis 30‑minütiges Mediationsgespräch und erklärte das Mediationsverfahren für beendet. Der Klägerin wurden das „Formular 4“ (Erklärung über das Ergebnis des Mediationsverfahrens) und das „Formular 5“ (außerordentliche Auflösung/Ausbildungsübertritt gemäß § 15a BAG) mit dem Beendigungsdatum 9. 9. 2013 zugesandt. Mit diesem Tag wurde sie von der Beklagten auch abgemeldet.
3. Dem Begehren der Klägerin auf Zahlung der beendigungsabhängigen Ansprüche von zuletzt 2.375,74 EUR brutto sA (Kündigungsentschädigung von 1. 9. 2013 bis 30. 11. 2013, aliquote Sonderzahlungen zur Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung für 7,5 Werktage, Sonderzahlungen zur Urlaubsersatzleistung) wurde von den Vorinstanzen stattgegeben und die Ansicht der Beklagten, dass es für die fristgerechte Auflösung iSd § 15a BAG nicht auf die für den Lehrberuf generell festgelegte Lehrzeit, sondern auf das individuell vereinbarte Lehrverhältnis ankomme, abgelehnt. Das Berufungsgericht argumentierte dazu:
Gemäß § 15a BAG könne sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis zum Ablauf des letzten Tages des 12. Monats der Lehrzeit und bei Lehrberufen mit einer festgelegten Dauer der Lehrzeit von drei, dreieinhalb oder vier Jahren überdies zum Ablauf des letzten Tages des 24. Monats der Lehrzeit unter Einhaltung einer Frist von einem Monat außerordentlich auflösen. Mit diesem „Ausbildungsübertritt“ sei eine vom Vorliegen wichtiger Gründe unabhängige frist‑ und termingebundene einseitige außerordentliche Auflösungsmöglichkeit sui generis geschaffen worden.
In den Materialien (RV 505 BlgNR 23. GP 7) werde klargestellt, dass die Möglichkeit zur Auflösung am Ende des ersten Lehrjahres für alle Lehrberufe, sowie weiters am Ende des zweiten Lehrjahres für dreijährige, dreieinhalbjährige und vierjährige Lehrberufe bei einer Kündigungsfrist von einem Monat bestehe. Daraus und bereits aus dem Gesetzeswortlaut selbst ergebe sich klar, dass bei Anwendung dieser Bestimmung von der für den jeweiligen Lehrberuf generell festgelegten Lehrzeit auszugehen sei. Ein erstes Lehrjahr gebe es für jeden Lehrberuf nur einmal. Setze der Lehrling seine Ausbildung bei einem zweiten Lehrberechtigten fort, so könne schon begrifflich nicht davon ausgegangen werden, dass er sich damit wieder (nunmehr bezogen auf den zweiten Lehrberechtigten) im ersten Lehrjahr befinde.
Mit dem Ausbildungsübertritt sollte eine moderate Ausweitung der Auflösungsmöglichkeiten in der Lehrlingsausbildung erfolgen (RV 505 BlgNR 23. GP 7). Es liege ihm jedoch eine andere Intention zugrunde als der Probezeit des § 15 Abs 1 BAG, die das Ziel der Ermöglichung eines „gegenseitigen Kennenlernens“ verfolge, bevor das Lehrverhältnis nur mehr unter ganz bestimmten Gründen aufgelöst werden könne. Die zulässigen Zeitpunkte der außerordentlichen Auflösung seien vom Gesetzgeber mit Bedacht gewählt worden. Der letztmögliche Zeitpunkt für die außerordentliche Auflösung, abhängig von der Lehrzeit des Lehrberufs, liege zumindest zwölf Monate vor Ablauf der Lehrzeit. Würde man der Ansicht folgen, wonach die genannten Termine lediglich vom jeweils aktuellen Lehrvertrag auszugehen hätten, so wären Situationen denkbar, in denen es zu einer außerordentlichen Auflösung des (letzten) aktuellen Lehrvertrags kurz vor Ablauf der für den Lehrberuf festgelegten Lehrzeit käme. Diese Intention könne dem Gesetzgeber ebenso wenig unterstellt werden wie der Wille, dass ein Lehrling im Laufe seiner Lehrzeit insgesamt nicht nur ein bzw bei längerer Lehrzeit zwei Mal, sondern mehrmals einer vom Vorliegen wichtiger Gründe unabhängigen außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses ausgesetzt sein könnte. Der Gesetzgeber hätte, wenn er den 12. bzw 24. Monat des individuellen Lehrverhältnisses gemeint haben wollte, jedenfalls innerhalb des § 15a Abs 1 BAG unterschieden und auf die gleiche Formulierung wie in § 14 Abs 1 BAG („im Lehrvertrag vereinbarte Dauer der Lehrzeit“) zurückgegriffen. So ergebe sich unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber in § 15a BAG unter der Wortfolge „der Lehrzeit“ die generell‑abstrakte Dauer der Lehrzeit iSd § 6 BAG und keinesfalls die individuell-konkrete Dauer des Lehrverhältnisses verstehe.
Naturgemäß sei bei anrechenbaren Vorzeiten eine kürzere Vertragsdauer zu vereinbaren, die auch unmittelbare Auswirkung auf § 15a BAG habe. Die Auflösungsmöglichkeit im Rahmen des Ausbildungsübertritts orientiere sich aber ausschließlich an den Lehrmonaten der generell abstrakten Lehrzeit. Bei der Prüfung der Frage, zu welchem Termin die außerordentliche Auflösung nach § 15a Abs 1 BAG möglich sei, komme es somit nicht auf die im Lehrvertrag individuell vereinbarte Dauer des Lehrverhältnisses, sondern auf die für den Lehrberuf generell festgelegte Lehrzeit gemäß § 6 Abs 1 und 2 iVm § 7 Abs 1 lit b BAG an. Da die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses der Klägerin danach spätestens zum 31. 8. 2013 erfolgen hätte müssen, sei die vorzeitige Beendigung mit 9. 9. 2013 rechtsunwirksam. Darüber hinaus hätte auch das Mediationsverfahren am 26. 7. 2013 abgeschlossen sein müssen.
Rechtliche Beurteilung
4. Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten ist aufgrund der eindeutigen und klaren Gesetzeslage nicht zulässig. Da zur ausführlichen und zutreffenden Beurteilung der Vorinstanzen kein Korrekturbedarf besteht, kann zur Gänze darauf verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).
5. Hervorzuheben ist ergänzend, dass der Gesetzgeber des BAG zwischen der festgesetzten Lehrzeit und dem Lehrverhältnis unterscheidet (§§ 6 ff bzw §§ 12 ff BAG). Die Dauer der Lehrzeit ist durch Verordnung festzusetzen (§ 7 Abs 1 lit b BAG) und beträgt in der Regel drei Jahre. Sie darf innerhalb eines Zeitraumes von zwei bis höchstens vier Jahren nur in ganzen oder halben Jahren festgesetzt werden (§ 6 Abs 1 erster Satz BAG). Davon abweichend kann es bei gleichzeitiger Ausbildung in zwei Lehrberufen (§ 6 Abs 2 BAG), bei verwandten Lehrberufen (§ 6 Abs 3 bis 5 BAG) oder aufgrund einer Verordnung (§ 6 Abs 6 BAG) zu einer kürzeren Lehrzeit kommen. Die für den jeweiligen Lehrberuf festgesetzte Dauer der Lehrzeit ist auch im Lehrvertrag anzuführen (§ 12 Abs 3 Z 3 BAG). Die Dauer des Lehrverhältnisses richtet sich nach der Dauer der festgesetzten Lehrzeit (s § 13 Abs 1 erster Satz BAG). Das Lehrverhältnis endet daher grundsätzlich mit ihrem Ablauf (§ 14 Abs 1 BAG). Die Vereinbarung einer anderen Dauer ‑ zB infolge Anrechnung einer in demselben Lehrberuf absolvierten Lehrzeit ‑ unterliegt den in § 13 Abs 1 lit a bis d BAG enthaltenen Beschränkungen. Der Gesetzgeber versteht folglich unter „Lehrzeit“ die auf den Lehrling bezogene Ausbildungsdauer, die von einem Wechsel des Lehrberechtigten nicht berührt wird.
Spricht der mit Novelle BGBl I 2008/82 eingeführte § 15a BAG daher vom Ablauf eines bestimmten Monats der „Lehrzeit“, kann auch hier nur die vom jeweiligen Lehrling im konkreten Lehrberuf absolvierte Lehrzeit, nicht aber die Dauer des jeweiligen Lehrverhältnisses bei einem bestimmten Lehrberechtigten gemeint sein (so auch Strohmayer in Aust/Gittenberger/Knallnig-Prainsack/Strohmayer , Berufsausbildungsgesetz § 15a Rz 7; Spitzl in ZellKomm 2 § 15a BAG Rz 3; Schrank , Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 72/II; Graf-Schimek , Mängel bei der Auflösung von Lehrverhältnissen, ASoK 2014, 297 ff [302]; Burger , 10 Stolpersteine auf dem Weg zum Ausbildungsübertritt, ZAS 2010/28, 162 ff [163 f]; aA, jedoch ohne Begründung, Winkler , Eine neue Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung von Lehrverhältnissen, ZAS 2008/37, 244 ff [245]). Dieses Verständnis wird auch durch die Materialien gestützt, die von einer Auflösung am Ende des ersten bzw zweiten „Lehrjahres“ ausgehen (505 BlgNR 23. GP 7). Der Lehrling befindet sich aber nach dem üblichen Sprachgebrauch auch dann im zweiten Lehrjahr, wenn es zwischenzeitig zu einem Wechsel der Lehrberechtigten gekommen ist.
6. Die Revisionswerberin weist auch auf die individuelle Verkürzbarkeit der Lehrzeit nach § 6 Abs 6 BAG oder Verlängerbarkeit nach § 8b Abs 1 BAG hin. Dadurch ändert sich aber nur die Länge der generell-abstrakt festgesetzten Lehrzeit. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine solche verkürzte oder verlängerte Lehrzeit nur den Lehrling betrifft und ein Wechsel des Lehrberechtigten auf ihre Dauer keinen Einfluss hat.
7. Auch aus § 15 Abs 1 erster Satz BAG, wonach ein Lehrverhältnis während der ersten drei Monate sowohl vom Lehrberechtigten als auch vom Lehrling jederzeit einseitig aufgelöst werden kann, ist für die Beklagte nichts zu gewinnen: Zum einen sieht diese Bestimmung gerade keine Anknüpfung an die Lehrzeit vor. Zum anderen liegt der Gesetzeszweck des § 15a Abs 1 BAG nicht in der Möglichkeit eines gegenseitigen Kennenlernens, das ‑ wie die Beklagte meint ‑ sonst nicht in ausreichendem Maß gewährleistet wäre (zu diesem Zweck wurde vielmehr die Probezeit von Lehrlingen gegenüber der regulären Probezeit verdreifacht). Auch in diesem Punkt kann auf die Beurteilung des Berufungsgerichts verwiesen werden.
8. Da das am 1. 9. 2011 begonnene Lehrverhältnis der Klägerin daher nach § 15a Abs 1 BAG nur zum 31. 8. 2012 oder zum 31. 8. 2013 als dem Ende des 12. bzw 24. Monats ihrer Lehrzeit gelöst werden konnte, war die Beklagte zur Auflösung des Lehrverhältnisses zum 9. 9. 2013 nicht berechtigt. Auf die Frage, ob die Fristen des Mediationsverfahrens eingehalten wurden und ob die Klägerin dieses Verfahren ‑ so die Beklagte ‑ „boykottierte“, braucht danach nicht weiter eingegangen zu werden.
9. Dass die Klägerin aus der fristwidrigen außerordentlichen Auflösung die revisionsgegenständlichen Schadenersatzansprüche ableitet, wurde nicht weiter in Frage gestellt.
10. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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