European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020NC00031.14B.0112.000
Spruch:
Die vom Bezirksgericht Graz-Ost verfügte Übertragung der Zuständigkeit in der dort zu 259 Ps 164/14f anhängigen Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Wiener Neustadt wird genehmigt.
Text
Begründung
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 15. 9. 2014 (ON 30) übertrug das Bezirksgericht Graz-Ost die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Wiener Neustadt, weil sich die Minderjährigen jetzt ständig in dessen Sprengel aufhalten.
Das Bezirksgericht Wiener Neustadt verweigerte die Übernahme unter Hinweis auf offene Obsorgeanträge und auf die Vertrautheit des übertragenden Gerichts mit der Sachlage (ON 31).
Nunmehr legte das Bezirksgericht Graz-Ost die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Genehmigung der Zuständigkeitsübertragung gemäß § 111 Abs 2 JN vor. Der offene Obsorgeantrag vom 10. 6. 2014 hindere die Übertragung nicht, da noch keine unmittelbaren zu würdigenden Beweisaufnahmen durch Parteien- oder Zeugeneinvernahmen stattgefunden hätten. Die Mutter lebe mit den drei Kindern seit August 2014 im Sprengel des Bezirksgerichts Wiener Neustadt und es sei ihr nicht zumutbar, für das weitere Verfahren unter Einschluss jenes vor der Familiengerichtshilfe Graz zu mehreren Terminen nach Graz anzureisen. Auch die Zuständigkeit des Kinder- und Jugendhilfeträgers sei vom Magistrat der Stadt Graz auf jenen der Stadt Wiener Neustadt gewechselt, wobei dem Erhebungsauftrag vom 11. 6. 2014 nach § 106 AußStrG noch nicht entsprochen worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde Folgendes erwogen:
1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Lehnt das Gericht, an das die Zuständigkeit übergehen soll, die Übernahme ab, was auch ohne formellen Beschluss geschehen kann und wozu es genügt, dass es seine Weigerung dem übertragenden Gericht kundtut, so ist der Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen und seine Rechtskraft abzuwarten. Danach ist der Akt dem gemeinsam übergeordneten Gericht zur Entscheidung nach § 11 Abs 2 JN vorzulegen (stRsp: RIS‑Justiz RS0128772; 6 Nc 33/14a).
2. Offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (RIS‑Justiz RS0047027 [T8]; RS0046895), es sei denn, zu deren Erledigung wäre das bisher zuständige Gericht effizienter geeignet (Fucik in Fasching/Konecny, ZPO³ [2013] § 111 JN Rz 5; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 111 JN Rz 16; Mayr in Rechberger, ZPO4 [2014] § 111 JN Rz 4). Ein solcher Ausnahmefall ist aber etwa nicht gegeben, wenn ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ ein Beweisverfahren betreffend den offenen Antrag noch gar nicht stattgefunden hat (Gitschthaler aaO; 6 Nc 33/14a). Auch der Umstand, dass das übertragende Gericht aufgrund einer vorangehenden Beschlusstätigkeit mit der (bisherigen) Sachlage vertraut(er) sein mag, stellt keinen Hinderungsgrund für die Zuständigkeitsübertragung dar.
3. Da sich mittlerweile sämtliche Minderjährige im Sprengel des Bezirksgerichts Wiener Neustadt aufhalten, ist eine Belassung der Pflegschaftssache beim übertragenden Gericht nicht der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes dienlich.
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