OGH 8Ob64/14s

OGH8Ob64/14s25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Prof. Dr.

Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G***** W*****, 2. E***** W***** und 3. Mag. S***** W*****, alle *****, alle vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, gegen die beklagten Parteien 1. K***** R*****, und 2. N***** R*****, beide vertreten durch Mag. Rainer Ebert, Rechtsanwalt in Hollabrunn, wegen 1. Feststellung (Streitwert: 3.000 EUR) und 2. Zustimmung (Streitwert: 3.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 11. März 2014, GZ 21 R 269/13a‑16, womit über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 10. September 2013, GZ 1 C 239/13i‑10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0080OB00064.14S.1125.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, den klagenden Parteien die mit 559,03 EUR (darin enthalten 93,17 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Erstklägerin ist zur Hälfte, die Zweit‑ und Drittklägerinnen sind je zu einem Viertel grundbücherliche Eigentümerinnen der Liegenschaft EZ 57, GB ***** mit (ua) dem Grundstück 418/2. Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer der unmittelbar an diese Liegenschaft grenzenden Liegenschaft EZ 607, GB *****, die aus den Grundstücken 419/1 und 419/2 besteht.

Soweit für dieses Verfahren von Bedeutung, begehrten die Klägerinnen im Vorverfahren 1 C 405/10x des Erstgerichts mit dem Vorbringen, die Beklagten hätten den seit mehr als 50 Jahren bestehenden Grenzverlauf zwischen beiden Liegenschaften durch eine nicht genehmigte Bauführung ignoriert, die Feststellung eines bestimmten Grenzverlaufs (im Abschnitt eines Nebengebäudes der Klägerinnen 70 cm parallel zu dessen Mauer zur Beklagtenseite hin). Im Vorverfahren wurde ein gerichtlicher Sachverständiger beigezogen, der einen Vermessungsplan erstellte (ON 77 im Vorakt). Dieser Vermessungsplan wurde sowohl dem Vorverfahren, als auch dem nunmehrigen Verfahren zugrunde gelegt. Unter Zugrundelegung dieses Vermessungsplans brachten die Klägerinnen im Vorverfahren ergänzend vor, dass sie an einer bestimmten ‑ genau nach dem Vermessungsplan bezeichneten ‑ Fläche, die zwischen der von den Beklagten und der von ihnen angegebenen Grenze lag, durch ausschließliche Nutzung über 30 Jahre hinweg Eigentum durch Ersitzung erworben hätten. Die Klägerinnen änderten jedoch nicht ihr Klagebegehren.

Mit dem unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Urteil im Vorverfahren stellte das Erstgericht fest, dass der Grenzverlauf zwischen den Liegenschaften der Parteien vom Grenzpunkt 328 über die Messpunkte 17‑13‑14‑29‑31 zu Messpunkt 1 nach dem vom gerichtlichen Sachverständigen angefertigten Vermessungsplan verläuft. Diese Grenze entspreche der von den Beklagten gegenüber dem Sachverständigen angegebenen Grenze. Das verspätet erstattete Vorbringen der Klägerinnen zur behaupteten Ersitzung sei unbeachtlich.

Mit der nunmehrigen Klage begehren die Klägerinnen die Feststellung, dass die Erstklägerin einen Hälfteanteil, die Zweit‑ und Drittklägerinnen je einen Viertelanteil einer durch die von den Klägerinnen bezeichneten Punkte KP 01, 19, 19a, 14, 13, 17, 17a auf dem Vermessungsplan umschriebenen Teilfläche des Grundstücks 419/1 der Beklagten durch Ersitzung erworben hätten (im Folgenden: Teilfläche 1), und dass die Beklagten schuldig seien, der Abtrennung dieser Teilfläche vom Gutsbestand ihres Grundstücks und der Zuschreibung dieser Teilfläche zum Gutsbestand des Grundstücks der Klägerinnen 418/2 zuzustimmen. Der Grenzverlauf zwischen den Liegenschaften der Parteien sei im Vorverfahren festgestellt worden. In der Urteilsbegründung des Vorverfahrens sei jedoch festgehalten worden, dass die Klägerinnen ihr besseres Recht im Prozessweg geltend machen könnten. Die Klägerinnen hätten seit dem Jahr 1953 ununterbrochen einen Streifen auf dem Grundstück der Beklagten betreten, bebaut und verwendet, sodass sie daran durch Ersitzung Eigentum erworben hätten. Dieser Streifen, den die Beklagten in unzulässiger Weise teilweise bebaut hätten, reiche von der im Vorverfahren festgesetzten Grenze bis zu der von den Klägerinnen dem Sachverständigen gegenüber angegebenen und auf dem Vermessungsplan eingezeichneten Grenze. Das Klagebegehren umfasse davon nur die Teilfläche 1. Über die Ersitzung sei im Vorverfahren nicht abgesprochen worden. Dazu sei auch kein rechtserzeugender Sachverhalt vorgebracht worden. Es sei lediglich die Grenze festgestellt worden, sodass keine Bindungswirkung vorliege.

Die Beklagten beantragten zuletzt nur mehr die Abweisung der Klage. Diese sei unschlüssig, weil sich der von den Klägerinnen vorgelegte Plan auf das Grundstück 419/2 der Beklagten, nicht aber auf das Grundstück 419/1 beziehe. Der Grenzverlauf zwischen den Liegenschaften sei im streitigen Verfahren rechtskräftig entschieden worden, die Rechtskraftwirkung des Urteils im Vorverfahren stehe der Klage entgegen. Die Klägerinnen hätten bereits im Vorverfahren die Ersitzung behauptet, sodass über die hier zu beurteilende Frage bereits abgesprochen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klage sei unschlüssig, weil das Klagebegehren das Grundstück 419/1 der Beklagten behandle, während sich aus dem Vermessungsplan ergebe, dass es sich um das Grundstück 419/2 handle. Der im Vorverfahren festgesetzte Grenzverlauf zwischen den Liegenschaften der Parteien sei der neuen Entscheidung bindend zugrunde zu legen. Infolge der Rechtskraftwirkung der Vorentscheidung könnten sich die Klägerinnen nicht auf Tatsachen berufen, die bei Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorprozess vorhanden gewesen, aber nicht vorgebracht worden seien.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung der Klägerinnen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurück. Das Erstgericht sei nicht vom Prozesshindernis der entschiedenen Rechtssache ausgegangen, sondern habe unter Hinweis auf die Bindungswirkung des im Vorverfahren ergangenen Urteils angenommen, dass eine neuerliche Überprüfung eines Eigentumsanspruchs der Klägerinnen an einer bestimmten Grundfläche durch Ersitzung nicht neuerlich geprüft werden könne. Eine Bindungswirkung der Vorentscheidung sei jedoch nur anzunehmen, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, verbunden mit notwendig gleicher rechtlicher Qualifikation vorliege, oder anstelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren bestehe. Gegenstand des Vorverfahrens sei aber nicht die Frage des Eigentumserwerbs durch Ersitzung durch die Klägerinnen an der in der nunmehrigen Klage beschriebenen Teilfläche 1 gewesen, sondern die Festsetzung einer Grenze „70 cm parallel zum Nebengebäude“, sodass die vom Erstgericht angenommene Bindungswirkung nicht vorliege. Daran ändere der Umstand, dass die Klägerinnen bereits im Vorverfahren Ersitzung geltend gemacht hätten, nichts. Das Erstgericht habe den Fehler der Klägerinnen in der Bezeichnung des Grundstücks erkannt und wäre daher verpflichtet gewesen, die Klägerinnen zur Richtigstellung anzuleiten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage der Bindungswirkung in einem Fall wie dem vorliegenden höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der von den Klägerinnen beantwortete Rekurs der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Das Berufungsgericht darf die Zulässigkeit des Rekurses nach § 519 Abs 2 ZPO nur dann aussprechen, wenn es die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 ZPO die Revision zulässig ist. Der Zweck des Rekurses besteht allerdings in der Überprüfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts durch den Obersten Gerichtshof. Demnach muss im Rekurs eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht werden. Ist dies nicht der Fall, so muss der Rekurs zurückgewiesen werden (8 Ob 55/11p).

2. Die Rekurswerber führen im Wesentlichen aus, dass die im Vorverfahren mit der rechtskräftigen Feststellung der Grenze verbundenen Eigentumsverhältnisse der nunmehr behaupteten Ersitzung bindend entgegenstünden und dass das im Vorverfahren zur behaupteten Ersitzung erstattete Vorbringen zu Recht zurückgewiesen wurde. Sie zeigen damit keine die Zulässigkeit der Revision rechtfertigende unvertretbare Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf.

2.1 Die Bindungswirkung einer Entscheidung schließt die neuerliche inhaltliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² § 411 Rz 16). Sie ist als Folge der Rechtskraft grundsätzlich auf die Parteien und den geltend gemachten Anspruch, über den im Urteil entschieden wurde, beschränkt (RIS‑Justiz RS0041567; zuletzt 10 Ob 11/14m). Bindungswirkung im Sinn der Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung ist nach Lehre und Rechtsprechung dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene (und vom Kläger geltend gemachte) Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet (8 ObA 19/11v mwH; RIS‑Justiz RS0127052). Maßgebend sind die entscheidungserheblichen rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind (8 ObA 19/11v).

Als Teil der Bindungswirkung ist die Präklusionswirkung anerkannt. Dementsprechend wird durch die Rechtskraft der Entscheidung auch das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Begründung oder Widerlegung des entschiedenen Anspruchs rechtlich erforderlich waren und schon bei Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden haben (RIS‑Justiz RS0041321; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² III § 411 Rz 89). Innerhalb desselben Anspruchs wird der Kläger somit mit allen Tatsachen präkludiert, auf die er den konkreten, geltend gemachten Anspruch noch hätte stützen können (8 ObA 19/11v mwH).

2.2 Die Besonderheit des Vorverfahrens liegt darin, dass das Erstgericht im streitigen Verfahren (und ohne darauf abzielenden Urteilsantrag) rechtskräftig eine Grenze festgesetzt hat. Die Klägerinnen haben sich im Vorverfahren zur für den begehrten Grenzverlauf maßgeblichen Vorfrage des Eigentums darauf berufen, dass die Beklagten die „seit mehr als 5 Jahrzehnten“ bestehende Grenze entlang der Feuermauer und in deren Verlängerung (70 cm entfernt von der Mauer des Nebengebäudes der Klägerinnen) durch ihr Bauvorhaben ignoriert und den bestehenden Grenzverlauf bestritten hätten. Die Klägerinnen haben sich damit inhaltlich auf den letzten ruhigen Besitzstand (vgl § 851 Abs 1 ABGB) gestützt. Das Erstgericht ist zwar dem Begehren der Klägerinnen nicht gefolgt, hat aber dessen ungeachtet die Grenze ebenfalls nach dem (von ihnen angenommenen) letzten ruhigen Besitzstand festgesetzt und dies damit begründet, dass sich dieser aus den Vermessungsergebnissen der Naturaufnahme ergebe. In seiner Begründung verwies es die Klägerinnen ausdrücklich auf die Möglichkeit, ihr „besseres Recht“ im Prozessweg gemäß § 851 Abs 2 ABGB geltend zu machen.

2.3 Damit war aber das von den Klägerinnen bereits im Vorverfahren (wenn auch verspätet) erstattete Vorbringen, wonach sie Eigentum an einer bestimmten Fläche durch Ersitzung erworben hätten, zur Begründung des entschiedenen Anspruchs nach den maßgeblichen Umständen des hier vorliegenden Einzelfalls rechtlich nicht relevant. Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtsprechung mit dem Begehren auf Feststellung des Grenzverlaufs die Feststellung des Eigentumsrechts an den dadurch eindeutig bestimmten Grundstücksteilen in untrennbarem Zusammenhang steht (7 Ob 117/08v; RIS‑Justiz RS0114308). Daraus ist für die hier zu beurteilende Bindungswirkung aber nichts zu gewinnen, weil Gegenstand des Vorverfahrens sowohl nach dem Klagevorbringen als auch nach dem Urteil ausschließlich die Festsetzung der Grenze nach dem letzten ruhigen Besitzstand war. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht im konkreten Fall vertretbar davon ausgegangen, dass die vom Erstgericht angenommene Bindungswirkung der Vorentscheidung nicht besteht.

3. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die vom Erstgericht angenommene Unschlüssigkeit des Klagebegehrens nicht vorliegt, weil den Klägerinnen bei der Bezeichnung des Grundstücks der Beklagten lediglich ein Schreibfehler unterlaufen ist, treten die Beklagten im Rekurs nicht entgegen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

4. Der Rekurs war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen (RIS‑Justiz RS0123222).

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