European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0210OS00005.14I.1111.000
Spruch:
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt Dr. Malte B***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre „und“ Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er dadurch, dass er im Verfahren AZ 20 Cg 41/11z des Handelsgerichts Wien sowohl die Interessen des Dr. Tilo B*****, der dem Verfahren nach Streitverkündigung auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenient beigetreten ist, als auch als unbeschränkt haftender Gesellschafter der B***** Rechtsanwälte die Interessen der B & ***** GmbH, deren Geschäftsführer wiederum Dr. Tilo B***** ist und die ihren Beitritt im genannten Rechtsstreit als Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin erklärt hat, vertreten hat.
Über ihn wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Strafe des schriftlichen Verweises verhängt.
Der Disziplinarrat traf zusammengefasst folgende wesentliche Feststellungen:
Die Ba***** (Ba*****) führt gegen die H***** (M*****) zu AZ 20 Cg 41/11z des Handelsgerichts Wien ein Verfahren wegen Anfechtung zweier Aktienkaufverträge im Jahr 2007 über Aktien an der H***** AG (H*****) wegen arglistiger Irreführung.
Dr. Tilo B*****, der ab 11. September 2007 Vorsitzender des Stiftungsvorstands der M***** war, ist dem Verfahren nach Streitverkündigung auf Seiten der M***** als Nebenintervenient beigetreten und wird von seinem Bruder, dem Disziplinarbeschuldigten, vertreten.
Dr. Tilo B***** ist alleiniger Geschäftsführer der B & ***** GmbH (B & *****), die ebenfalls ihren Beitritt als Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten erklärt hat und zwar vertreten durch B***** Rechtsanwälte, deren unbeschränkt haftender Gesellschafter der Disziplinarbeschuldigte ist.
Alleinige Gesellschafterin der B & ***** ist die Mo***** Privatstiftung, bei der es sich um eine Stiftung unter „Beteiligung“ des Dr. Tilo B*****, dessen Gattin, einer weiteren Kapitalgesellschaft und des Disziplinarbeschuldigten handelt.
In weiterer Folge hat die B & ***** ihren Beitritt als Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten M***** zurückgezogen und gleichzeitig ‑ weiterhin vertreten durch B***** Rechtanwälte ‑ ihren Beitritt als Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin Ba***** erklärt, was in der Folge nach Zurückweisung durch die erste Instanz vom Oberlandesgericht Wien als zulässig erachtet wurde.
Im Jahr 2006 haben die H***** im Wege der Kapitalerhöhung sowie die Ban***** und die M***** mittels Aktienkaufverträgen Anteile an die B & ***** verkauft, sodass diese (neben der Ban*****, M***** und der K*****) im Mai 2007 zu 25 % und einer Aktie (Sperrminorität) Mitteilnehmerin war.
In dem am 19. Dezember 2006 abgeschlossenen Aktienkaufverträgen waren umfangreiche Garantie‑ und Gewährleistungsbestimmungen zugunsten der B & ***** Vertragsinhalt.
In der weiteren Folge hat die Ba***** von B & *****, M***** und der K***** 50 % der Anteile und eine Aktie gekauft. Anlässlich des Verkaufs der Aktien von B & ***** an die Ba***** hat B & ***** auf Betreiben ersterer auf ihre Garantie‑ und Gewährleistungs-ansprüche gegenüber der H***** verzichtet. Grund für den Verzicht war, dass B & ***** gegen die H***** keine Ansprüche mehr geltend machen kann, die durch den Verkauf von 50 % und einer Aktie Tochter der Ba***** geworden war. Der Verzicht auf Gewährleistungs‑ und Garantieansprüche durch die B & ***** bezog sich allerdings nicht auf jene gegenüber der Ban***** und M*****.
Im vorliegenden Verfahren des Handelsgerichts Wien behauptet die Klägerin Ba*****, dass zum Zeitpunkt des Ankaufs der Aktien im Jahr 2007 die H***** das Eigenkapital der Bank um mindestens etwa 150.000.000 Euro zu hoch dargestellt habe, indem mit manchen Vorzugsaktienkäufern Nebenvereinbarungen geschlossen worden waren (sogenannte „Put‑Optionen“), die zum Gegenstand hatten, dass sie diese Vorzugsaktien zum Nominale wieder an die Bank zurückgeben könnten. Diese Nebenvereinbarungen wären eigenkapitalschädlich, weswegen diese privilegierten Vorzugsaktien nicht als Eigenkapital ausgewiesen hätten werden dürfen. Nach den Behauptungen der Ba***** hätten sowohl Dr. Ku***** als auch Dr. Tilo B***** Täuschungshandlungen über das Eigenkapital gesetzt, was Letzterer bestreitet.
Für den Fall der Klagsstattgebung (Rückabwicklung des Vertrags mit M*****) könnten auch die Verträge mit B & ***** und der K***** rückabgewickelt werden, wodurch auch der Verzicht der B & ***** auf die Garantie‑ und Gewährleistungsansprüche gegenüber der H***** wegfallen würde.
Grund für den „Seitenwechsel“ der B & ***** als Nebenintervenientin zunächst auf Seiten der Beklagten M***** auf die Seite der Klägerin Ba***** war nach der Darstellung der Disziplinarbeschuldigten der Umstand, dass Dr. Tilo B***** zu Beginn des Verfahrens AZ 20 Cg 41/11z des Handelsgerichts Wien, keine ausreichend detaillierten Kenntnisse über die von der Ba***** behaupteten Umstände hatte, welche diese zur Anfechtung wegen Arglist berechtigt hätten. Durch Vorlage diverser Urkunden im Verfahren und aufgrund des Ergebnisses von Zeugenbefragungen sei Dr. Tilo B***** und damit die von ihm geführte B & ***** zum Ergebnis gekommen, dass tatsächlich Umstände vorlagen, bei deren Kenntnis die Ba***** die Aktienkaufverträge möglicherweise nicht bzw nicht so abgeschlossen hätte.
Nachdem die B & ***** ihrerseits über einige Monate vorher ebenfalls Aktien der H***** von M***** erworben habe, sei Dr. Tilo B***** und damit auch die B & ***** zur Überzeugung gelangt, dass nicht nur die Ba***** sondern auch die B & ***** bei Abschluss ihrer Aktienkaufverträge mit M***** arglistig getäuscht worden sei.
Nachdem die Existenz von eigenkapitalschädlichen Nebenvereinbarungen im Verfahren bewiesen worden sei, sei die Interessenlage Dris. Tilo B***** als Nebenintervenient auf Seiten der M***** jene, dass mit deren Obsiegen gleichzeitig die Feststellung erreicht werde, dass er niemanden getäuscht habe und daher auch nicht schadensersatzpflichtig werde.
Als Geschäftsführer der B & ***** bestehe sein Interesse darin, dass es, sollte die Ba***** obsiegen, im Zuge der Rückabwicklung des Vertrags zum Wegfall des Verzichts auf Gewährleistungs‑ und Garantieansprüche gegenüber der H***** kommen werde, woraus resultiere, dass sämtliche Ansprüche der Ba***** gegenüber B & ***** im Wege der Vertragsanfechtung bzw im Rahmen ihrer Garantie‑ und Gewährleistungsansprüche gegen die H***** geltend gemacht werden könnten.
Bei der Strafbemessung wertete der Disziplinarrat als erschwerend keinen Umstand, als mildernd hingegen die disziplinäre Unbescholtenheit sowie die aktive Mitarbeit des Disziplinarbeschuldigten bei der Aufarbeitung des gegenständlichen, sehr komplexen Sachverhalts.
Rechtliche Beurteilung
Zur Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit und Schuld:
Dem aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt erhobenen Berufungsvorbringen zuwider führt die im gegenständlichen Spruch unterbliebene Anführung des § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt sowie des § 10 RAO und des § 12a RL‑BA nicht zur Nichtigkeit des Erkenntnisses. Mit Blick auf die in rechtlicher Hinsicht schon für sich sprechenden entscheidenden Tatsachen, die Anführung der zuletzt genannten Bestimmungen in den Entscheidungsgründen und die im Spruch erfolgte verbale Bezeichnung der Disziplinarvergehen ist nämlich unzweifelhaft erkennbar, dass diese Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Disziplinarbeschuldigten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO).
Die Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) geht ins Leere, weil der gegenständliche Sachverhalt, nämlich das in einem Zivilprozess jeweils für einen anderen Nebenintervenienten erfolgte Einschreiten auf Klags‑ und auf Beklagtenseite, ohnehin im Wesentlichen unstrittig war. Die Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten vom 19. Februar 2014 wurde ‑ dem Berufungsstandpunkt zuwider ‑ im Erkenntnis sinngemäß wiedergegeben (ES 10). Von ‑ der Sache nach behaupteter ‑ Aktenwidrigkeit im Sinn des letzten Falles der Z 5 kann daher keine Rede sein.
Entgegen dem eine Verletzung des § 36 Abs 2 DSt monierenden Berufungsstandpunkt, wonach „eine Anschuldigung in Richtung Doppelvertretung bis zur Disziplinarverhandlung nicht erfolgt“ wäre, fand eine Ausdehnung des Einleitungsbeschlusses auf eine weitere Tat gar nicht statt. Gegenständlich handelt es sich nur um eine Tat, die idealkonkurrierend zwei Vergehenstatbestände verwirklicht. Im Übrigen nahm (bereits) der Einleitungsbeschluss ON 17 sowohl auf § 10 RAO als auch auf § 12a RL‑BA Bezug.
Die Berufung wegen Schuld vermag keine Bedenken gegen die Tatsachenfeststellungen zu wecken.
Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs 1 ZPO, wonach derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Person obsiege, dieser Partei im Rechtsstreit beitreten kann (Nebenintervention), ist evident, dass die Vertretung zweier Nebenintervenienten, die in einem Zivilprozess der jeweils anderen Partei beigetreten sind, jedenfalls zu einer Interessenskollision (§ 12a Abs 3 RL‑BA) führt (vgl auch § 18 Abs 1 zweiter Satz ZPO).
Mag sich auch der Rechtsmittelwerber bemühen, die ‑ den Feststellungen zu entnehmenden ‑ „Verflechtungen“ Dris. Tilo B***** in Bezug auf B & *****, Mo***** Privatstiftung und M***** dahin aufzulösen, dass eine Konstellation denkbar wäre, dass wohl von Verantwortlichen der Beklagten M***** eine arglistige Täuschung der Klägerin Ba***** vorgenommen sein könnte, dies aber nicht deren Stiftungsvorstand Dr. Tilo B***** zu verantworten habe, so verkennt er, dass auch eine solche Interessenlage dem Verbot der Doppelvertretung keineswegs entgegensteht. Dieses liegt im öffentlichen Interesse und dient dem Schutz der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 [2014] § 10 RAO Rz 4). Dass im Übrigen der Parteienbegriff der RAO und des § 12a RL‑BA Klienten und nicht Parteien im zivilprozessualen Sinn meint, bedarf hier wohl keiner näheren Erörterung.
Das Verbot der Doppelvertretung ist für die Parteien nicht disponibel (RIS‑Justiz RS0109463). Sonst könnte etwa bei einem Musterprozess ein Anwalt beide Parteien vertreten und beweisen, dass beide damit einverstanden sind und sie das Interesse an der Klärung der Rechtslage eint.
Dass die Interessen der Nebenintervenienten notwendig im Konflikt stehen und damit eine klassische echte Doppelvertretung vorliegt, ergibt sich zusätzlich daraus, dass nach § 41 ZPO die unterliegende Partei dem Gegner und dem diesem beigetretenen Nebenintervenienten alle Kosten zu ersetzen hat, was das nach § 18 ZPO vorausgesetzte Interesse am Obsiegen der Partei verstärkt, der man beitritt. Der Disziplinarbeschuldigte hat nicht geltend gemacht, dass vereinbart worden wäre, er bzw die von ihm vertretene Rechtsanwaltspartnerschaft verzichte gegenüber dem allenfalls unterliegenden Nebenintervenienten vorweg auf das Honorar. Auch eine solche Vereinbarung vermöchte aber am grundlegenden Interessenkonflikt von Nebenintervenienten auf unterschiedlichen Seiten nichts zu ändern (§ 12a Abs 3 RL‑BA). Das Aufrechterhalten beider Mandate führt zudem zu dem dem Ansehen des Rechtsanwaltsstandes abträglichen Ergebnis, dass es dem Disziplinarbeschuldigten als Vertreter seines auf der Beklagtenseite nebenintervenierenden Bruders einerseits sowie als Geschäftsführer der B***** Rechtsanwälte, welche die auf die Klagsseite gewechselte B & ***** als Nebenintervenientin vertreten, andererseits gelingt, sein ‑ beim gegenständlichen Punktum nicht unbeträchtliches ‑ Prozesskostenrisiko zu minimieren (vgl auch RIS‑Justiz RS0036057).
Ob hiebei manchmal nicht der Disziplinarbeschuldigte selbst, sondern ein Partner oder Substitut einschritt, ist ohne jeden Belang (Feil/Wennig, aaO Rz 11, 14a).
Wie es mit der Forderung des § 10 Abs 1 letzter Satz RAO, demgemäß ein Rechtsanwalt nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen darf, vereinbar sein solle, wenn etwa eine Zeugenvernehmung ansteht, aus der sich der Verdacht von Dr. Tilo B***** zuordenbaren Täuschungshandlungen ergeben könnte, bleibt auch nach Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten offen. Soll er (bzw seine Kanzleipartnerschaft) als Nebenintervenient der Klagsseite diesbezüglich „nachbohren“, oder als Vertreter seines auf der Beklagtenseite nebenintervenierenden Bruders versuchen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen anzugreifen?
Wie er in diesem Zusammenhang in Bezug auf allfällige Informationen seines Bruders seine Verschwiegenheitspflicht (vgl § 12a Abs 1 RL‑BA) handhaben solle, bleibt im Dunkeln.
Wie der Disziplinarrat zutreffend erkannt hat, ist unter dem Aspekt der Schuld unbeachtlich, ob es einer Partei im Fall der Ablehnung der Übernahme des Mandats durch den Disziplinarbeschuldigten im Hinblick auf die Komplexität des Verfahrens faktisch unmöglich gewesen wäre, eine adäquate und leistbare Vertretung zu erlangen.
Dass im gegenständlichen Zivilprozess zahlreiche Personen in unterschiedlicher Funktion eingebunden sind, geht schon aus der Parteienbezeichnung der Klägerin und der Beklagten sowie der mehreren Nebenintervenienten hervor; solcherart bedurfte es keiner ausdrücklichen Feststellung, ob jemand bzw wenn ja, welcher Personenkreis vom inkriminierten Sachverhalt, nämlich der Vertretung zweier, einander diametral gegenüberstehender Nebenintervenienten, Kenntnis erlangt hat.
Der Argumentation in Richtung Rechtsirrtum genügt entgegenzuhalten, dass ein solcher nach Lage des Falles wegen der klaren Regelung in der für anwaltliche Vertretungstätigkeit elementaren ZPO jedenfalls vorzuwerfen wäre.
Zu den Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts wegen Strafe:
Die vom Disziplinarrat angeführten Strafzumessungsgründe sind noch dahin zu ergänzen, dass auch das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen (Berufspflichtenverletzung und Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes) als erschwerend ins Gewicht fällt. Nur der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass der vom Rechtsmittelwerber kritisierten Verwendung des Bindeworts „und“ beim letztgenannten Vergehen keinerlei Relevanz zukommt. Handelt es sich diesfalls doch um ein alternatives Mischdelikt, das natürlich aber auch kumulativ vorliegen kann. Wie eben beschrieben wurde aber dieser Erschwerungsgrund vom Disziplinarrat gar nicht berücksichtigt.
Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich bei unzulässiger Doppelvertretung um ein schweres Disziplinardelikt handelt (Feil/Wennig, aaO Rz 18), so sah sich der Oberste Gerichtshof nach Lage des (komplexen) Falles zu keiner Änderung der Sanktion bestimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.
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