OGH 13Os102/14w

OGH13Os102/14w6.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas U***** wegen Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 11. Juni 2014, GZ 14 Hv 131/12m‑80, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00102.14W.1106.000

 

Spruch:

Teils in Stattgebung, teils aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A und B, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Konfiskation und der Vorhaftanrechnung) und im Adhäsionserkenntnis sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Auf diese Entscheidung wird der Angeklagte mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie gegen den Schuldspruch B gerichtet ist, und seiner Berufung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas U***** jeweils mehrerer Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (A), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B/1 bis 3) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C/1 und 2) schuldig erkannt.

Danach hat er ‑ soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ‑ in S*****

(A) zwischen Mitte Juli 2011 und Anfang August 2012 mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, nämlich seiner Tochter Stephanie U*****, mehrfach den Beischlaf vollzogen;

(B) folgende Personen zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1) im Sommer 2012 Stephanie U***** durch die Äußerung, „ich schlitze dich auf“, wobei er zur Untermauerung seiner Drohung ein Messer wiederholt auf eine Tischplatte fallen ließ;

2) am 6. November 2012 Lieselotte, Daniel und Christoph U***** sowie Simon G***** durch die Äußerung, „wenn ich eine Pistole hätte, dann tatet’s euch alle anschaun“;

3) am 26. Februar 2014 Lieselotte U***** durch die ‑ teils gegenüber Christoph U***** getätigten ‑ Äußerungen: „Ich schlag die Mutter, die Sau jetzt nieder!“, „Du Hur, du wirst schon sehen, was passiert, wenn du die Stephanie net herausrückst!“, „Du Hur, du Drecksau, jetzt bist du dran!“ und „Du Hur, heute bringe ich dich um! Die Tür schlag i leicht mitn Fuß ein!“.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche A und B richtet sich die aus den Gründen der Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zutreffend zeigt die zum Schuldspruch A ausgeführte Mängelrüge Unvollständigkeit und Aktenwidrigkeit der Begründung auf (Z 5 zweiter und fünfter Fall).

Da Stephanie U***** von der ihr ‑ entgegen § 156 Abs 2 StPO trotz Mitwirkung dieser erwachsenen Zeugin am Verfahren als Privatbeteiligte (vgl ON 71 S 1 und 10 sowie ON 79 S 5) ‑ eingeräumten Aussagebefreiung nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch gemacht hatte, stützte das Erstgericht die Feststellungen im Wesentlichen auf zeugenschaftliche Aussagen ihrer Verwandten, nach welchen das Opfer ihnen von den inkriminierten Vorfällen berichtet habe (US 7 ff).

Die Entscheidungsgründe weisen zwar auf die „mehrfachen Erzählungen“ der Stephanie U***** „gegenüber ihren Geschwistern“ hin (US 7), lassen aber die ‑ von der Mängelrüge ins Treffen geführte ‑ (erhebliche) Aussage ihres Bruders, Andreas U***** (junior), sie habe ihm nie von sexuellen Kontakten mit dem Angeklagten erzählt, dies vielmehr, als er sie darauf angesprochen habe, „bestritten und auch gesagt, sie hätte das nie behauptet“ (ON 61 S 11; vgl auch ON 29 S 13), gänzlich unerörtert (Z 5 zweiter Fall).

Ebenfalls zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Begründungspassage, „die Geschwister von Stephanie U*****“ hätten „übereinstimmend“ erklärt, diese „habe ihnen von diesen sexuellen Kontakten erzählt“ (US 9), mit Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) belastet ist. Soweit diese Formulierung (zusammengefasst) referierend den Eindruck erweckt, die Aussagen seien (im Wesentlichen) je für sich unverändert geblieben und (im Verhältnis zueinander) inhaltsgleich, trägt sie nämlich weder den zuvor zitierten (gegenteiligen) Angaben des Zeugen Andreas U***** (junior), noch dem unterschiedlichen Aussageverhalten des Zeugen Daniel U***** Rechnung, der solche Erzählungen ihm gegenüber einerseits bestätigte (ON 71 S 11), an anderer Stelle (ON 29 S 14) jedoch verneinte (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 468; vgl auch die diesbezüglich unterschiedlichen Angaben des Zeugen Christoph U***** [ON 29 S 12 und ON 71 S 15]).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof überdies, dass dem Schuldspruch B vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zu dessen Nachteil anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Eine Drohung ist nach der Legaldefinition dann gefährlich im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB, wenn sie sich gegen eines der dort genannten Rechtsgüter richtet und die Eignung besitzt, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen. Das Vorliegen dieser Eignung ist eine Rechtsfrage, die auf der Basis von Tatsachenfeststellungen zu Sinn, Bedeutungsinhalt und Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerungen (Handlungen) zu lösen ist. Ob die Drohung beim Opfer tatsächlich Besorgnis erregt (dieses sich also fürchtet), ist hingegen ohne Belang (RIS‑Justiz RS0092588, RS0092392; Jerabek in WK2 StGB § 74 Rz 28 und 33 f). Der Tatbestand der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB verlangt in subjektiver Hinsicht den (zumindest bedingten) Vorsatz des Täters hinsichtlich (Bedeutungsinhalt und Ernstlichkeit) der ‑ objektiv dem Tatbild der gefährlichen Drohung entsprechenden ‑ Tathandlung und (überschießend) Absicht in Bezug auf den mit der inkriminierten Handlung verfolgten Zweck, den Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen (RIS-Justiz RS0089063). Ein Schuldspruch wegen dieser strafbaren Handlung setzt daher (unmissverständliche) Tatsachenfeststellungen zu sämtlichen dieser (objektiven und subjektiven) Tatbestandselemente voraus.

Diesen Anforderungen hat das Erstgericht nicht entsprochen. Während zu Punkt 1 des Schuldspruchs B die Absicht des Angeklagten, das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, nicht unzweifelhaft festgestellt wurde, fehlt es zu den Punkten 2 und 3 an Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt der Äußerungen sowie zu einem darauf (und auf die Ernstlichkeit der Drohung) gerichteten Vorsatz.

Dass im Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) ein Bedeutungsinhalt („mit einer Verletzung am Körper“) pauschal für sämtliche Drohungen erwähnt und die verba legalia („um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen“) im Zusammenhang mit der vom Tatbestand geforderten Absicht angeführt werden, vermag das Fehlen der Feststellungen nicht zu kompensieren (RIS-Justiz RS0114639).

Die vom Beschwerdeführer aufgezeigten Begründungsmängel und die amtswegig wahrgenommenen Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderten ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ eine Aufhebung der Schuldsprüche A und B bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) sowie demgemäß auch des Strafausspruchs (einschließlich des auf dem Schuldspruch B/1 basierenden Ausspruchs über die Konfiskation und der Vorhaftanrechnung). Der auf den aufgehobenen Schuldsprüchen (A und B/1) beruhende Zuspruch an die Privatbeteiligte Stephanie U***** konnte ebenso wenig Bestand haben (RIS-Justiz RS0101311) wie der vom Strafausspruch abhängige Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten (ersichtlich gemeint [US 16]) Entlassung (RIS-Justiz RS0101886).

Demnach erübrigt sich eine Erörterung des zum Schuldspruch A erstatteten weiteren Beschwerdevorbringens.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde im gegen den Schuldspruch B gerichteten Umfang und seiner Berufung war der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO; er bezieht sich nicht auf das amtswegige Vorgehen (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 7 und 12).

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht (neben den zuvor aufgezeigten Mängeln) zu beachten haben, dass der Ausspruch über die Konfiskation nach § 19a StGB Feststellungen zur Eigentümerstellung im Entscheidungszeitpunkt und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzt (RIS-Justiz RS0088035 [T7], insbesondere 14 Os 171/13y).

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