OGH 7Ob142/14d

OGH7Ob142/14d29.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Gradischnig & Gradischnig Rechtsanwälte GmbH in Villach, gegen die beklagte Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Karlheinz de Cillia, Mag. Michael Kalmann, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. Juni 2014, GZ 4 R 60/14x‑23, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 18. Februar 2014, GZ 22 Cg 75/12i‑19, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.049,86 EUR (darin enthalten 781,31 EUR an USt und 1.362 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht eine Betriebsversicherung, die auch eine Haftpflichtversicherung umfasst, der die Allgemeinen und Ergänzenden Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2005 und EHVB 2005) zu Grunde liegen. Die EHVB 2005 lauten im Abschnitt A Punkt 3:

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst ‑ insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten‑ oder zeitsparenden Arbeitsweise ‑ den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde, und zwar durch einen Versicherungsnehmer oder dessen gesetzlichen Vertreter oder dessen leitenden Angestellten im Sinn des Arbeitsverfassungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung bzw über Veranlassung oder mit Einverständnis einer dieser Personen.

M***** K***** war seit der Gründung der Klägerin ihr Geschäftsführer. Seit 1963 ist er bei der Marktgemeinde M***** beschäftigt, von 1996 bis August 2009 war er Amtsleiter.

Die Klägerin betreibt seit 1996 das Strandbad in M*****. Im Strandbad befindet sich ein Sprungturm, der unter Denkmalschutz steht und die Attraktion des Bades ist. In der Höhe von 3 m kann man von einem Sprungbrett, in der Höhe von 5 m und 10 m jeweils von einer Plattform springen. Eine weitere Plattform liegt bei 13 m Höhe. Sie dient als Einstiegsstelle für die große Wasserrutsche. Auf dieser 13 m hohen Plattform sind Geländer und Gestänge montiert. Die Jugendlichen nutzen bei schönem Wetter alle Absprungmöglicheiten, die der Turm bietet, auch wenn das Springen von der obersten Plattform, von deren Geländer und Gestänge verboten ist. Sie nennen den Absprung von der höchsten Plattform „13er“, vom Geländer der Plattform „14er“ und vom Gestänge der oberen Traverse „16er“.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft S***** vom 26. 7. 2007 wurde der Klägerin vorgeschrieben, das Betreten der obersten Plattform durch geeignete Maßnahmen (ausgenommen eine Stunde für den Betrieb der Wasserrutsche) zu untersagen. Weiters wurden die Auflagen erteilt, den Aufgangsbereich über die Stiegen sowie die Geländer in den Plattformbereichen und im Einstiegsbereich der großen Rutsche durch geeignete Maßnahmen gegen Durchfallen und Durchrutschen abzusichern, sowie von der obersten Plattform beim Abgang zur 10‑Meter Plattform einen Anprallschutz anzubringen. Auf der ersten Seite des Bescheids unter der Überschrift „Hinweise“ wird angeführt, dass auf die Aufsichtspflicht der Bademeister bezüglich des Sprungturms mit den Rutschen durch die Geschäftsführung besondere Beachtung zu legen sei. Der Bescheid wurde sowohl der Klägerin zu Handen des Geschäftsführers als auch der Marktgemeinde zugestellt. Im Zuge der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat infolge Berufung der Klägerin kam man überein, „diese nicht weiter zu verfolgen, weil alle im Bescheid enthaltenen Auflagen in der Zwischenzeit umgesetzt waren“.

Am 28. 5. 2009 führte die Bezirkshauptmannschaft S***** eine Verhandlung an Ort und Stelle in Anwesenheit des Geschäftsführers der Klägerin durch, um die Erfüllung und Einhaltung der mit Bescheid vom 26. 7. 2007 erteilten Auflagen zu überprüfen. Nun wurden der gesamte Sprungturm und die Wasserrutsche auf Grund fehlender Sicherheitseinrichtungen mit sofortiger Wirkung gesperrt und sie waren bis zur Erfüllung der Auflagen sofort außer Betrieb zu nehmen. Noch in Anwesenheit der Sachbearbeiterin wurde der Sprungturm von einem Bademeister mit rot‑weiß‑roten Bändern abgesperrt. Der Sachverständige teilte dem Geschäftsführer mit, dass eine Wiederinbetriebnahme des Springturms und der Wasserrutsche erst nach Behebung der festgestellten Mängel sowie einer anschließenden behördlichen Überprüfung zulässig sei. Die Stilllegung des gesamten Sprungturms wurde mit „Kundenschutz“ und „Abwehr von Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen“ begründet, weil sicherheitstechnische Mängel „hinsichtlich der Flächen, insbesondere beim Geländer“ bestünden und die Möglichkeit verbleibe, dass Personen zwischen den Geländerstäben durchrutschen und abstürzen könnten. Die Absturzsicherungen standen mit dem eigentlichen Sprungbetrieb vom Turm in keinem Zusammenhang.

Der Geschäftsführer der Klägerin stellte am unteren Zugang des Turms eine Tafel mit der Aufschrift „behördlich gesperrt“ auf.

Die Bezirkshauptmannschaft erließ am 2. 6. 2009 den schriftlichen Bescheid über die Stilllegung des Turms. Auf der letzten Seite des Bescheids findet sich der Hinweis, dass dieser sofort vollstreckbar sei, jedoch spätestens mit Ablauf eines Jahres vom Tag der Vollstreckbarkeit an gerechnet außer Wirksamkeit trete. Der Bescheid wurde dem Geschäftsführer der Klägerin zugestellt.

Anlässlich des Ersuchens des Geschäftsführers der Klägerin an die Sachbearbeiterin am 12. 6. 2009, eine Überprüfung durch den Sachverständigen zu veranlassen, ob die Auflagen erfüllt seien, teilte die Sachbearbeiterin dem Geschäftsführer der Klägerin mit, dass der Sprungturm und die Wasserrutsche nach wie vor gesperrt bleiben würden und erst nach neuerlicher Besichtigung des Sachverständigen sowie der Feststellung der Behebung der Sicherheitsmängel eine bescheidmäßige Aufhebung der Sperre erfolgen könne. Der Sachverständige stellte zwar verschiedene Verbesserungen fest, nicht jedoch, dass alle Auflagen erfüllt wären. Davon verständigte der Sachverständige die Sachbearbeiterin. Der Sprungturm wurde nicht freigegeben, sondern es wurde der Klägerin mit Schreiben vom 26. 6. 2009 mitgeteilt, dass noch immer die angeführten Mängel bestünden. Die Erfüllung der Auflagen sei der Behörde schriftlich anzuzeigen, um sodann (nach einer neuerlichen Verhandlung) den Bescheid über die Stilllegung aufheben zu können. Eine mündlich erteilte „Erlaubnis“ der Sachbearbeiterin, die „kleine Rutsche“ von der ersten Plattform in Betrieb zu nehmen, gab es nicht. Zum vorgegebenen Zeitpunkt teilte die Klägerin der Behörde die Erfüllung der Auflagen nicht mit.

Am 3. 8. 2009 kam der Sachverständige ins Strandbad, um einen neuen „Waterclimber“ zu begutachten. Anlässlich dieser Besichtigung ließ sich der Sachverständige von den beiden Bademeistern erklären, welche Absicherungsarbeiten beim Sprungturm gemacht worden seien, ohne sie selbst zu überprüfen. Auf Grund des schlechten Wetters hielten sich keine Badegäste im Strandbad auf. Der Sachverständige hatte keine Zweifel, dass die ihm genannten Arbeiten auch tatsächlich durchgeführt worden waren. Er sagte zu, sich bei der Bezirkshauptmannschaft dafür zu verwenden, dass der Sprungturm und der Waterclimber an einem Tag verhandelt würden. Auszuschließen ist, dass sich der Sachverständige, in welcher Form auch immer, dahingehend geäußert hätte, dass die durchgeführten Arbeiten ausreichend seien und dass die Sperre des Turms „einfach und ad hoc“ aufgehoben wären. Eine Überprüfung des Turms fand an diesem Tag nicht statt.

Der Bademeister A***** A***** verstand die Antworten des Sachverständigen so, dass die durchgeführten Arbeiten ausreichen würden, die Sperre des Turms „einfach und ad hoc“ aufzuheben. Er verständigte den Geschäftsführer der Klägerin, dass der Sachverständige „alles für ausreichend und in Ordnung“ befunden habe. Er teilte dem Geschäftsführer nicht mit, dass noch eine Verhandlung stattfinden werde, zumal er dies selbst nicht wusste.

Auf Grund dieser Information gab der Geschäftsführer der Klägerin den Sprungturm für den Badebetrieb wieder frei, obwohl er wusste, dass die mit Bescheid verfügte Stilllegung des Sprungturms bis zur Erlassung eines weiteren Bescheids in Kraft war.

Der Geschäftsführer der Klägerin ist der Vorgesetzte der Bademeister, also jene Person, die Dienstanweisungen gab. Er besuchte aber weder das Strandbad noch kontrollierte er die Mitarbeiter. Wenn er einem Mitarbeiter etwas mitteilen wollte, so bestellte er ihn zu sich. Eine spezielle Anordnung an die Bademeister hinsichtlich des Sprungturms gibt es nicht, obwohl schon in den „älteren Bewilligungsbescheiden“ der Bezirkshauptmannschaft darauf hingewiesen wurde, dass auf die Überwachung des Sprungturms zu achten sei. In „späteren Bescheiden“ wurde die „Sorge um einen geordnet ablaufenden Sprungbetrieb“ aufgetragen.

Der Strand hat eine Länge von ungefähr 200 m. Von der Bademeisterkabine hat man grundsätzlich einen guten Blick auf den Sprungturm. Während des Betriebs hat ständig nur ein Bademeister Dienst. Eine durchgehende Überwachung des Sprungturms durch den Bademeister ist auf Grund der vielfältigen anderen Aufgaben nicht möglich. Um den Turm beaufsichtigen zu können, müsste ein Bademeister ständig neben dem Turm stehen.

H***** S***** war im Sommer 2009 Bademeister. Er wusste nicht, dass der Sprungturm während des gesamten Sommers 2009 gesperrt war. Er achtete immer wieder darauf, dass niemand von der obersten Plattform herunter sprang und die Springer von den „erlaubten Plattformen“ nicht auf der „falschen Seite“ absprangen, indem sie über das Geländer kletterten.

Am 28. 8. 2009 befanden sich etwa 1.200 Besucher im Strandbad. Der diensthabende Bademeister J***** S*****, der nichts von der Sperre des Sprungturms wusste, hatte viel zu tun. Gegen 16:00 Uhr war er damit beschäftigt, Sonnenschirme und Liegen zurückzunehmen. Er reinigte auch die WC‑Anlagen. Um 16:50 Uhr nahm er eine größere Menschenmenge beim Sprungturm wahr und erhielt fast gleichzeitig die Nachricht, dass ein Unfall passiert war.

Der Zugang zur höchsten Plattform war am Unfalltag nicht abgesperrt. Es befand sich lediglich am Geländer ein Schild mit der Aufschrift „Springen von Geländer und Traverse verboten“. Um von der obersten Plattform springen zu können, musste man ein Geländer überklettern. Der Minderjährige C***** A***** sprang trotz Verbotstafel vom „14er“ ab und landete auf dem unter ihm schwimmenden Minderjährigen P***** K*****, der zuvor von der 10‑Meter‑Plattform gesprungen war. P***** K***** erlitt dadurch schwere Verletzungen.

Die nach dem Unfall erstellte Risikoanalyse ergab, dass mehr als ein Bademeister zum selben Zeitpunkt anwesend sein muss, um die Überwachung des Turms zu gewährleisten.

Während der 40‑jährigen Tätigkeit des Geschäftsführers der Klägerin ereignete sich davor lediglich ein Unfall im Jahr 1994. Eine Frau schwamm in den Bereich des Springturms.

Der Geschäftsführer der Klägerin teilte der Beklagten die behördlich verfügte Sperre des Turms nicht mit.

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts S***** vom 27. 4. 2011 wurde der Geschäftsführer der Klägerin M***** K***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Er habe die beiden Minderjährigen am 28. 8. 2009 durch Außerachtlassen der gebotenen und zumutbaren Aufmerksamkeit fahrlässig am Körper verletzt, indem er es als verantwortlicher Geschäftsführer der Klägerin entgegen den genannten Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft S***** aus 2007 und 2009 unterließ, Absperrmaßnahmen zu errichten, die eine Benützung der obersten Plattform unmöglich machten, geeignete Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung der behördlichen Bescheide durchzuführen und die von ihm eingesetzten Bademeister gemäß den Bescheiden zu unterweisen. Über die für das Handeln des Geschäftsführers verantwortliche Klägerin wurde eine Verbandsgeldbuße verhängt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr die Beklagte aus der Haftpflichtversicherung bis zur Höhe der vereinbarten Versicherungssumme von 1.500.000 EUR für die Aufwendungen aus diesem Unfall zu haften habe. Der Sprungturm sei seit 2009 wegen fehlender Sicherheitseinrichtungen zum Schutz gegen ein Durchrutschen unter dem Geländer und Abstürzen von der Behörde gesperrt worden. Diese Sperre habe mit der Sprungplattform nichts zu tun. Der Bescheid vom 26. 7. 2007 sei infolge Berufung der Klägerin nicht in Rechtskraft erwachsen. Sie habe daher die oberste Plattform nicht abschranken oder absperren müssen. Nach Behebung der Mängel sei das Springen vom Turm wieder sicher gewesen. Die Klägerin habe es verabsäumt, dies der Behörde mitzuteilen und den Turm zur Benützung freigegeben. Die Zustimmung der Behörde dazu sei lediglich eine reine Formangelegenheit gewesen. C***** A***** sei auf Grund der Öffnung des Turms auf die oberste Plattform gelangt, habe dort das Geländer unter Missachtung der Verbotstafel überstiegen und sei ins Wasser gesprungen, ohne sich vorher zu vergewissern, ob er andere Personen gefährde. Ein bewusstes Zuwiderhandeln gegen behördliche Vorschriften und eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls sei der Klägerin nicht anzulasten. Die Sperre des Turms hätte nach der Mängelbehebung jederzeit aufgehoben werden können. Zwischen dem Grund der Sperre und dem Unfall bestehe kein Risikozusammenhang. Die Bademeister hätten das Verbot des Springens von der obersten Plattform überwacht. Es sei keine Gefahrenerhöhung eingetreten, die der Beklagten hätte angezeigt werden müssen.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Sie sei wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls und bewusstem Zuwiderhandeln gegen behördliche Vorschriften und auch wegen Gefahrenerhöhung, weil ihr die Klägerin die behördliche Sperre des Turms nicht angezeigt habe, leistungsfrei. Wäre die verfügte Sperre des Turms eingehalten worden, wäre der Unfall unterblieben. Trotz der gefahrenträchtigen Situation habe der Geschäftsführer der Klägerin die Bademeister nicht über die Sperre des Sprungturms informiert und die erforderlichen Kontrollen unterlassen. Dem Geschäftsführer der Klägerin sei bewusst gewesen, dass für die Aufhebung der Sperre das Erlassen eines weiteren Bescheids durch die Behörde erforderlich gewesen wäre. Die behördlichen Auflagen seien bislang noch nicht zur Gänze umgesetzt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bestehe eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des Geschäftsführers der Klägerin und die diese tragenden Tatsachenfeststellungen. Die Beklagte sei leistungsfrei, weil der Geschäftsführer der Klägerin mit der eigenmächtigen Aufhebung der behördlichen Sperre des Sprungturms bewusst gegen die Bescheide, mit welchen die Sperre der obersten Plattform und des Sprungturms verfügt worden sei, verstoßen und den Versicherungsfall auch grob fahrlässig herbeigeführt habe. Er habe sich auf die vermeintliche Erlaubnis des Amtssachverständigen verlassen, er habe das Strandbad nicht regelmäßig kontrolliert, die Bademeister nicht über die behördliche Sperre informiert und sie nicht auf ihre besondere Aufsichtspflicht hinsichtlich des Sprungturms hingewiesen. Er habe durch die Öffnung des Turms für das Publikum entgegen dem behördlichen Verbot das Leben und die körperliche Integrität von Badegästen gefährdet. Die Beklagte sei auch wegen Gefahrenerhöhung leistungsfrei.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil klagsstattgebend ab. Die Bindung an ein verurteilendes strafgerichtliches Erkenntnis beziehe zwar auch auf die Schuldform, der Zivilrichter könne aber leichte Fahrlässigkeit annehmen, wenn ‑ wie hier ‑ keine ausdrücklichen Feststellungen über eine besondere Schwere der Fahrlässigkeit im Urteil enthalten seien.

Die Übertretung eines Bescheids einer Verwaltungsbehörde müsse noch keine grobe Fahrlässigkeit begründen. Nach den Feststellungen seien die sicherheitstechnischen Mängel der Flächen des Turms, insbesondere im Bereich der Geländer, wodurch die Gefahr eines Absturzes von Personen bestanden habe, Grund für seine sofortige Sperre gewesen. Dass die Nichterfüllung der die oberste Plattform betreffenden Auflagen des Bescheids auch ein Grund für die Sperre im Jahr 2009 gewesen sei, habe die Beklagte nicht behauptet. Vielmehr stehe fest, dass die von der Behörde geforderten Absturzsicherungen keinen Zusammenhang mit dem Sprungbetrieb gehabt hätten. Ausgehend vom Zweck der Sperre habe es für den Geschäftsführer nicht naheliegend sein müssen, dass sein Zuwiderhandeln gegen den Bescheid aus dem Jahr 2009 den Eintritt einer Schädigung von Personen durch verbotswidriges Springen von der obersten Plattform wahrscheinlich machen werde. Die Nichtbeachtung der Bescheide allein könne der Klägerin nicht als grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls angelastet werden.

Eine lückenlose Aufsicht in Schwimmbädern sei nicht zu fordern, weil hier an vielen Stellen Gefahren drohten. Entscheidend sei, in welchem Ausmaß der Benützer einer Anlage in einem Schwimmbad selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen könne. Auch einem Jugendlichen sei die Einsicht zuzumuten, dass bei Sprüngen, insbesondere aus großer Höhe, wegen der damit verbundenen Gefahr die Notwendigkeit bestehe, sich davon zu überzeugen, dass niemand gefährdet werde. Der Klägerin sei gerade noch keine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls vorzuwerfen, wenn ihr Geschäftsführer zusätzlich zur Aufstellung der Verbotstafel keine baulichen Maßnahmen oder eine intensivere Überwachung des Sprungturms durch die Bademeister veranlasst habe, um das Springen von der obersten Plattform zu unterbinden, zumal sich in dem Strandbad bisher lediglich ein Unfall ereignet habe. Eine Gefahrenerhöhung liege nicht vor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich seine Entscheidung im Rahmen der Judikatur des Obersten Gerichtshofs halte.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Abschnitt A Punkt 3 der EHVB 2005 regelt einen Risikoausschluss (RIS‑Justiz RS0081678, RS0081866). Der Risikoausschluss umfasst nicht nur das Verhalten des Versicherungsnehmers, sondern auch das seiner gesetzlichen Vertreter oder jener Personen, die er für Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebs oder eines Teils desselben angestellt hat (RIS‑Justiz RS0081867). Der Versicherer ist nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall einerseits grob fahrlässig herbeigeführt wurde und andererseits bewusst gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften verstoßen wird. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein (RIS‑Justiz RS0119745).

Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauem Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (RIS‑Justiz RS0052282). Eine behördliche Vorschrift im Sinn des Abschnitts A Punkt 3 EHVB liegt auch dann vor, wenn es sich um eine individuelle Anordnung der Behörde durch Bescheid handelt (RIS‑Justiz RS0081862).

Mit dem ersten Bescheid vom 26. 7. 2007 wurde der Klägerin vorgeschrieben, das Betreten der obersten Plattform zu untersagen. Am 28. 5. 2009 wurde der gesamte Sprungturm an Ort und Stelle im Rahmen der Verhandlung durch die Bezirkshauptmannschaft gesperrt und die Stilllegung des Turms mit Bescheid vom 2. 6. 2009 angeordnet. Die Klägerin war daher im Zeitpunkt des Unfalls bescheidmäßig verpflichtet, den gesamten Turm für die Badegäste zu sperren. Dass die behördliche Anordnung nur durch einen weiteren Bescheid außer Kraft gesetzt werden kann, war dem Geschäftsführer der Klägerin bekannt, er war ja auch viele Jahre lang in der Gemeindeverwaltung tätig. Der Geschäftsführer der Klägerin hat jedoch die, noch dazu unüberprüfte, Aussage eines Bademeisters, der Sachverständige habe „alles für ausreichend und in Ordnung“ befunden, zum Anlass genommen, ohne bescheidmäßige Grundlage die Aufhebung der Sperre anzuordnen. Der Geschäftsführer der Klägerin handelte damit bewusst gegen die bescheidmäßige Anordnung der Sperre des Turms, somit im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Es kommt nicht darauf an, aus welchen Gründen die Bescheide erlassen wurden, zumal diese in den Bescheiden selbst nicht ausgeführt sind. Die behördlich verfügte Sperre des Turms im Jahr 2009 war ohne Einschränkung erlassen worden und im Zeitpunkt des Unfalls aufrecht. Damit ist die erste Voraussetzung von Abschnitt A Punkt 3 EHVB 2005 erfüllt.

Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechts dann gegeben, wenn schon einfachste naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RIS‑Justiz RS0080371 uva). Sie stellt eine auffallende Sorglosigkeit dar, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maße verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Sie ist gegeben, wenn ein objektiv besonders schwerer Verstoß auch subjektiv schwerstens anzulasten ist (RIS‑Justiz RS0031127). Grundsätzlich ist die Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, eine solche im Einzelfall und damit nicht revisibel. Im vorliegenden Fall ist aber die Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen.

Die Verkehrssicherungspflicht findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit (RIS‑Justiz RS0023397). Umfang und Intensität richten sich vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen oder ihnen begegnen können (RIS‑Justiz RS0023726). Der Inhaber einer Badeanstalt hat grundsätzlich im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflichten nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die von ihm nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Auch die Benützer der zur Verfügung gestellten Einrichtungen sind zur Anwendung der verkehrsüblichen Aufmerksamkeit und bei Vorliegen besonderer Umstände zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet (RIS‑Justiz RS0023950).

Der Geschäftsführer der Klägerin setzte sich nicht nur über zwei Bescheide hinweg, als er das Aufheben der Sperre des gesamten Turms verfügte, er setzte auch keine geeignete Maßnahmen, um das ohnehin verbotene Springen von der obersten Plattform zu verhindern oder jedenfalls für die Jugendlichen wirkungsvoll zu erschweren. Dies wäre aber um so notwendiger gewesen, weil bekannt war, dass der Sprungturm die Attraktion des Bades war und die Jugendlichen den Turm auf den festgestellten Ebenen verwendeten. Der Geschäftsführer der Klägerin informierte nicht einmal die Bademeister von der Sperre und wies sie auch nicht an, besonders auf den Turm und die Einhaltung des Sprungverbots von der obersten Plattform zu achten, obwohl auf die Notwendigkeit der Aufsicht in den festgestellten (zahlreichen) Bescheiden hingewiesen wurde. Er war nie an Ort und Stelle, um sich einen unmittelbaren Eindruck vom Geschehen zu machen und die Notwendigkeit ergänzender Sicherungsmaßnahmen selbst zu prüfen. Der Geschäftsführer der Klägerin begnügte sich mit der Anbringung des Schildes, dass das Springen vom Geländer und von der Traverse verboten sei. Dieses Verhalten stellt im vorliegenden Einzelfall, wie leicht erkennbar war, keine annähernd adäquate Sicherungsmaßnahme dar. Noch dazu ist die Gefahr bei einem (wie hier) „14er“ oder gar „16er“‑Sprung insofern größer, als die Standfähigkeit auf dem Geländer oder dem Gestänge der Traverse naturgemäß herabgesetzt ist und daher der Zeitpunkt des Absprungs aus Gleichgewichtsgründen nicht vollständig kontrolliert werden kann, was umso mehr eine Gefährdung der in der Nähe des Sprungturms schwimmenden oder von einer anderen Ebene abspringenden Personen bedeutet. Der Geschäftsführer der Klägerin hat die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maß verletzt. Es ist ihm die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls vorzuwerfen, sodass die Beklagte leistungsfrei ist. Damit ist das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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