OGH 2Ob121/14d

OGH2Ob121/14d23.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Veith als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. E. Sole, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** K*****, vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 15.876,60 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. April 2014, GZ 2 R 67/14m‑32, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 13. Jänner 2014, GZ 45 Cg 21/13a‑25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12. 10. 2012 ereignete sich gegen 4:25 Uhr auf der B 66 in Untergiem ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Radfahrerin und A***** H***** als Lenker eines in Slowenien zugelassenen Lkw beteiligt waren.

Die B 66 verläuft im Unfallsbereich in Nord‑Süd‑Richtung. In jede Fahrtrichtung besteht ein Fahrstreifen in einer Breite vom 3 Metern, sie sind durch Leitlinien voneinander getrennt. Im Abstand von 1‑3 Metern verläuft östlich der B 66 eine 2 Meter breite, mit den Vorschriftzeichen „Rad‑ und Gehweg“ gekennzeichnete Radfahranlage. Im gesamten Verlauf dieses Rad‑ und Gehwegs befinden sich Bodenmarkierungen in Form eines Fahrrads mit in beiden Fahrtrichtungen weisenden Richtungspfeilen.

Befährt man den Radweg Richtung Süden, so ist man bei Dunkelheit durch die Richtung Norden fahrenden Fahrzeuge der B 66 einer verstärkten Blendung durch das asymmetrische Abblendlicht der Kraftfahrzeuge, das den Bereich rechts vor dem Fahrzeug stärker ausleuchtet, ausgesetzt. Dies wirkt, als hätte das Fahrzeug Fernlicht eingeschalten. Durch die Blendung wird die Pupille verkleinert und das Sichtfeld im Wesentlichen dunkel.

In welchem Zustand sich der Radweg im Unfallbereich zurzeit des Unfalls befand, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen, insbesondere auch nicht, dass er in einem für die Benützung unzumutbar schlechten, den benützenden Radfahrer gefährdenden Zustand gewesen wäre. Im Unfallszeitpunkt war die Fahrbahn trocken.

Die Klägerin befährt diese Strecke zwei bis drei Mal pro Woche und zwar jeweils am Morgen Richtung Süden wegen der Blendwirkung auf der Straße und am frühen Nachmittag in Richtung Norden auf dem Radweg. An manchen Tagen hatte die Klägerin über dem Radweg in Lenkerhöhe einwachsende Brennesseln und (teils feuchtes) Laub am Boden bemerkt. Zweimal hatte sie beim Befahren des Radwegs bereits Reifenplatzer wegen Glassplittern erlitten.

Am Unfallstag fuhr die Klägerin morgens bei Dunkelheit mit ihrem ordnungsgemäß ausgestatteten Trekking‑Bike Richtung Süden und zwar auf dem rechten Fahrstreifen der B 66 mit einem Abstand von 0,4 Meter zum rechten Fahrbahnrand.

Der Lenker des slowenischen Lkws befuhr die B 66 ebenfalls in Richtung Süden und zwar mittig in seinem Fahrstreifen, wodurch er zum rechten Fahrbahnrand ebenfalls einen Abstand von 0,4 Metern einhielt. Er benutzte Abblendlicht und fuhr nicht auf Sicht. Als er die Klägerin wahrnahm, konnte er noch nach links auslenken, eine Kollision war nicht mehr verhinderbar. Der rechte Außenspiegel des Lkw berührte die linke Schulter der Klägerin, die daraufhin zu Sturz kam.

Die Annäherungsgeschwindigkeit des Lkw betrug zwischen 60 und 70 km/h, wobei im Unfallbereich eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h besteht.

Die am Heck des Fahrrads der Klägerin angebrachten Beleuchtungseinrichtungen (aktiv und passiv) und auch die Rückstrahler an den Gamaschen der Klägerin waren auch im Abblendlicht über eine Entfernung von mindestens 30 Metern erkennbar.

Die Klägerin begehrte letztlich Schadenersatz im Umfang von 15.876,60 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für zukünftige Schäden und brachte vor, dass sie den Radweg ob seines schlechten Zustands nicht habe benützen müssen und deswegen auf der Fahrbahn der B 66 unterwegs gewesen sei. Zudem komme es bei Benützung des Radwegs in ihrer Fahrtrichtung zu starker Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge. Das Alleinverschulden am Unfall treffe den Lenker des Lkw.

Die beklagte Partei brachte vor, die Klägerin treffe am Unfall das überwiegende Verschulden, sie habe bei Dunkelheit den vorhandenen Radweg nicht benützt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, ausgehend von einer Verschuldensteilung 1:2 mit 10.468 EUR sA statt und stellte die Haftung der beklagten Partei für zwei Drittel aller zukünftigen Schäden, beschränkt auf die Mindesthaftpflichtversicherungssumme, fest.

Das Berufungsgericht ging von derselben Verschuldensteilung aus und änderte die Entscheidung im Betreff des Zinsenbegehrens und im Hinblick auf Schreib- und Rechenfehler geringfügig ab. Es stellte ebenfalls die Haftung für zukünftige Schäden im Ausmaß von zwei Dritteln fest und wies das Feststellungsmehrbegehren im Bezug auf das restliche Drittel ab.

Im Hinblick auf die Negativfeststellung des Erstgerichts sei ‑ bezogen auf den Zustand des Radwegs ‑ nicht davon auszugehen, dass die Verpflichtung der Klägerin zur Benutzung des Radwegs im Sinne der Judikatur, insbesondere RIS‑Justiz RS0075444, entfallen sei.

Auch die festgestellte Blendwirkung könne diese Verpflichtung nicht aufheben. Auf sie könne durchaus rechtzeitig durch entsprechende Geschwindigkeitsverminderung reagiert werden, was unbequem sein möge, im Sinne einer möglichst weitgehenden Gefahrenvermeidung aber zu fordern sei, bestehe doch auch auf der Fahrbahn eine gewisse, wenn auch geringere Blendwirkung bei Gegenverkehr.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Fall Anlass zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Radwegbenützungspflicht in Zusammenhang mit der Blendwirkung durch asymmetrisches Abblendlicht gebe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Ausführung des Berufungsgerichts zulässig , sie ist aber nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin verweist in ihrem Rechtsmittel umfangreich auf die Feststellungen des Erstgerichts zum Zustand des Radwegs bzw die vorangegangenen Erfahrungen der Klägerin auf dem Radweg (Reifenplatzer) und die Feststellung zur Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge bei Dunkelheit und meint, dass im vorliegenden Fall im Sinne der Entscheidung 2 Ob 34/93 ebenfalls keine Pflicht zur Benutzung des Radwegs bestanden habe.

2. Gemäß § 68 Abs 1 StVO idF BGBl I 2005/52 ist auf Straßen mit einer Radfahranlage mit einspurigen Fahrrädern ohne Anhänger die Radfahranlage zu benützen, wenn das Befahren der Radfahranlage in der vom Radfahrer beabsichtigten Fahrtrichtung gemäß § 8a StVO erlaubt ist.

Nach § 8a Abs 1 StVO dürfen Radfahranlagen in beiden Fahrtrichtungen befahren werden, sofern sich aus Bodenmarkierungen (Richtungspfeilen) nichts anderes ergibt.

Dass der lediglich auf einer Seite der B 66 verlaufende Geh‑ und Radweg im vorliegenden Fall in beide Fahrtrichtungen befahren werden konnte, ergibt sich aus den Feststellungen über die Bodenmarkierungen und wird von der Klägerin auch nicht in Frage gestellt.

3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in 2 Ob 179/59 = ZVR 1959/239; RIS‑Justiz RS0075444 ausgesprochen, dass die Bestimmung, wonach einspurige Fahrräder, soweit Radwege oder Radfahrstreifen vorhanden sind, nur diese Wege zu befahren haben, selbstverständlich voraussetze, dass sich diese Wege und Streifen in einem Zustand befänden, der eine gefahrlose Benützung gewährleiste. Diese Pflicht wurde im dortigen Fall infolge des durch eine Wasserlache aufgeweichten Grundes verneint.

Diese Judikatur wurde in 2 Ob 306/64 = ZVR 65/107 fortgesetzt und die Benützungspflicht eines vereisten Radwegs verneint (vgl auch RIS‑Justiz RS0026911).

In der auch von der Revision angesprochenen Entscheidung 2 Ob 34/93 wies der Oberste Gerichtshof auf die grundsätzliche Pflicht der Radfahrer, auf Straßen mit Radwegen diese zu benützen, hin. Die Frage, wann ein gefahrloses Benützen eines Radwegs nicht mehr möglich sei, hänge auch von der Art des verwendeten Verkehrsmittels ab. Während das Befahren eines Radwegs, auf dem sich Rollsplitt befinde, mit einem Mountainbike eher ungefährlich sein werde, sei die Benützung durch ein Rennrad mit schmalen Reifen gefährlich. Im dortigen Fall eines Rennrads wurde eine Verpflichtung zur Benützung des Radwegs, auf dem sich immer wieder Rollsplitt befand, auch wenn gerade an der Unfallstelle kein Rollsplitt vorhanden war, nicht verlangt. Der Radfahrer müsse auch während seiner Fahrt nicht ständig den Zustand des Radwegs beobachten und bei gefahrloser Benützbarkeit auf den Radweg wechseln und diesen auch nur für kurze Strecken benützen.

Zuletzt hatte sich der erkennende Senat in der Entscheidung 2 Ob 2429/96m zu einem Fall zu äußern, in dem auf der einen Seite der Straße ein Radweg und auf der anderen Seite ein Radfahrstreifen vorhanden war.

4. Soweit die Revisionswerberin im hier zu beurteilenden Fall auf den Zustand die Radwegs verweist, sind ihr mit den Vorinstanzen die negativen Feststellungen des Erstgerichts zur behaupteten Unzumutbarkeit der Benützung des Wegs entgegenzuhalten. Das Erstgericht konnte insbesondere nicht feststellen, dass der Radweg in einem unzumutbar schlechten, gefährlichen Zustand gewesen wäre. Von einem Entfall der Verpflichtung zur Benützung des Radwegs im Hinblick auf dessen gefährlichen Zustand kann daher nicht ausgegangen werden, auch wenn die Klägerin dort mitunter auf Lenkerhöhe in den Luftraum des Radwegs einwachsende Brennesseln und (teils feuchtes) Laub am Boden bemerkt hatte, bzw zweimal Reifenplatzer wegen Glassplitter erleiden musste.

Sowohl feuchtes Laub als auch Glassplitter sind keine Spezifika von Radwegen und können genauso gut auf sonstigen Fahrbahnen zu finden sein. Die Gefahr solcher Verunreinigungen bzw Gegenstände auf dem Radweg besteht immer und würde ‑ insb in Zusammenhalt mit der referierten Judikatur über die mangelnde Beobachtungs- und Wechselpflicht der Radfahrer ‑ daher die Verpflichtung zur Benützung des Radwegs regelmäßig aufheben.

5. Was die Blendwirkung der bei Dunkelheit der Klägerin entgegenkommenden Fahrzeuge betrifft, ist der Revisionswerberin zuzugestehen, dass diese im Hinblick auf den teils geringen Abstand des Radwegs zur Straße und der asymmetrischen Ausgestaltung des Abblendlichts der Fahrzeuge zu einer stärkeren Blendung der in der konkreten Situation den Radweg benutzenden Radfahrer führt, als dies bei der Benützung der Fahrbahn der Fall wäre.

Allerdings kann auch eine Blendung der den rechten Fahrstreifen der Fahrbahn benutzenden Radfahrer durch entgegenkommende Fahrzeuge keineswegs ausgeschlossen werden. Überdies erlegt der Gesetzgeber den Radfahrern die im § 68 StVO angeführten Verpflichtungen nicht nur zum Schutz der übrigen Straßenbenützer, sondern auch im Interesse ihrer eigenen Sicherheit auf (RIS‑Justiz RS0027587).

Wägt man daher hier die Vorteile der Benützung des Radwegs im Hinblick auf die Sicherheit sowohl der Radfahrer als auch der übrigen die B 66 benutzenden Verkehrsteilnehmer und die Tatsache, dass die Radfahrer auch bei Benützung der Fahrbahn von einer Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge nicht völlig verschont werden, gegen den Nachteil der verstärkten Blendung, der die Radfahrer bei Benützung des Radwegs in der konkreten Situation ausgesetzt sind, gegeneinander ab, schlägt dies zugunsten einer Verpflichtung zur Benützung des Radwegs aus.

Allein die verstärkte Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge ist daher nicht geeignet, die Verpflichtung zur Benützung eines nur auf einer Seite einer Straße in beide Richtungen befahrbaren Radwegs aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.

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