OGH 2Ob2429/96m

OGH2Ob2429/96m13.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert U*****, vertreten durch Dr.Paul Sutterlüty und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagten Parteien 1. Birgit R*****, 2. ***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Walter Geißelmann und Dr.Günther Tarabochia, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen S 176.841,20 und Feststellung (Streitwert S 50.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8.Oktober 1996, GZ 1 R 207/96t-13, womit das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 14.Mai 1996, GZ 6 Cg 37/96w-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 11.731,50 (darin S 1.955,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 29.7.1994 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Fahrradlenker und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin des damals bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Opel Kadett beteiligt waren. Zur Verdeutlichung der Situation wird auf folgende Skizze verwiesen:

Unfallsort war der Kreuzungsbereich zwischen der Ulmerstraße und jener Verkehrsfläche, die parallel und westlich zur B 190 im Stadtgebiet von Dornbirn im Ortsteil Schwefel verläuft. Die B 190 verläuft über mehrere 100 m gerade. Die erwähnte Verkehrsfläche westlich der B 190 ist von dieser zunächst durch einen 1,5 m breiten Grünstreifen abgegrenzt. Dieser Grünsteifen ist im Einmündungsbereich der Ulmerstraße unterbrochen. Die Verkehrsfläche weist eine Breite von 2,5 m auf. Aus Richtung Dornbirn Nord gesehen ist sie ca. 300 m vor der Unfallstelle als Geh- und Radweg (§ 52 Z 17 a StVO) gekennzeichnet; in Richtung Stadtmitte geht die Verkehrsfläche sodann in einen Radfahrstreifen über (ca. 80 m jenseits der Unfallstelle); dieser Radfahrstreifen ist gegenüber den Fahrstreifen der B 190 durch eine Sperrlinie abgegrenzt. Die B 190 weist zwei Fahrstreifen auf. Auf der der Unfallskreuzung gegenüberliegenden Fahrbahnseite verläuft wiederum parallel der B 190 eine Verkehrsfläche, die durch Sperrlinien von den Fahrstreifen auf der B 190 abgegrenzt ist. Diese Verkehrsfläche auf der gegenüberliegenden Seite endet in dieser Ausgestaltung ca. 50 m nach der Unfallstelle wiederum in Richtung Dornbirn Nord gesehen; dort setzt sich diese Verkehrsfläche weiter fort, wobei sie als Geh- und Radweg durch die entsprechende blaue Gebotstafel gekennzeichnet ist. Der Übergang zwischen jenen beiden Verkehrsflächen, die der Kläger bei seiner Fahrt aus Richtung Stadtmitte benützte, weist keine Beschilderung nach der StVO auf. Irgendwelche weiteren Bodenmarkierungen waren nicht vorhanden. An der erwähnten Einfahrt zu der vom Kläger benützten Verkehrsfläche war die Ulmerstraße nicht asphaltiert; sie stellt die Einfahrt zu einer Siedlung dar. Die von der Erstbeklagten benützte Ulmerstraße mündet mit einer Breite von ca. 8 m in die vom Kläger benützte Verkehrsfläche ein, wobei im unmittelbaren Einmündungsbereich aufgrund einer rechts (in Fahrtrichtung der Erstbeklagten gesehen) befindlichen Hecke keinerlei Sicht nach rechts bestand, bevor sich ein auf dieser Verkehrsfläche sich von rechts nähernder Verkehrsteilnehmer nicht bereits an der wegseitigen Heckenbegrenzung befand. Gekennzeichnet war diese Einfahrt zur dort befindlichen Siedlung für einen aus Richtung Dornbirn Stadtmitte (Ankunftsrichtung der Klägers) sich nähernden Fahrbahnbenützer nicht. Wenn auch die vom Kläger benützte Verkehrsfläche entlang der B 190 geradeaus verläuft, läßt sich nicht mehr feststellen, auf welche Entfernung für einen auf dieser Verkehrsfläche aus Richtung Dornbirn Stadtmitte herannahenden Verkehrsteilnehmer die Einmündung der nicht asphaltierten Ulmerstraße erkennbar war. Witterungsbedingte Sichtbehinderungen bestanden zum Unfallszeitpunkt nicht. Es war taghell und die Fahrbahn war trocken.

Die Erstbeklagte lenkte ihren PKW von der Ulmerstraße kommend in Richtung B 190 und beabsichtigte, nach rechts über die vom Kläger benützte Verkehrsfläche in Richtung Stadtmitte auf die B 190 einzufahren. Sie überzeugte sich durch Blicke nach links, daß von dort über die Verkehrsfläche sich kein Verkehr näherte, und lenkte schließlich ihren PKW mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 6 km/h in die Verkehrsfläche ein. Ob und wo exakt vor dieser Verkehrsfläche bzw der die Sicht nach rechts behindernden Hecke die Erstbeklagte vor dem Einfahren den PKW zum Stillstand brachte, läßt sich nicht mehr feststellen. Dahingestellt bleiben muß auch, ob allenfalls der PKW der Erstbeklagten in stehender Position für den von rechts kommenden Kläger erkennbar gewesen wäre, ehe der PKW in die vom Kläger benützte Verkehrsfläche eingelenkt wurde. Bei ihrer Einfahrt in leichter Schrägstellung nach rechts mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 6 km/h hatte die Erstbeklagte ca. 1 m vor der gedachten Einmündungslinie und eine Sekunde vor der späteren Kollision so weit Sicht nach rechts, daß für sie der von dort kommende Radfahrer erkennbar gewesen wäre. Wahrgenommen hat die Erstbeklagte den Radfahrer jedoch erst durch die Kollision selbst, wobei sie ihr Fahrzeug mit einer durchschnittlichen Bremsverzögerung von 3,5 m/sec2 und einer Reaktionszeit von einer Sekunde auf den Anprall ca. 2,2 m nach der Kollisionsstelle zum Stillstand brachte. Volle Sicht nach rechts hatte die Erstbeklagte erst, als sie sich in Sitzposition am Fahrbahnrand der vom Kläger benützten Verkehrsfläche bezogen auf die Ulmerstraße befand und damit die Vorderfront des PKW ca. 2 m in den Radweg hineinragte.

Der Kläger näherte sich der Kollisionsstelle aus Richtung Dornbirn Stadtmitte auf der erwähnten Verkehrsfläche mit einem Abstand von ca. 1 m von dem für ihn gesehen rechten Fahrbahnrand und daher 1,5 m von der Hecke entfernt mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h, als ca. zwei Sekunden vor der späteren Kollisionsstelle das Einfahren der Erstbeklagten für ihn erkennbar war. Er bremste mit einer Reaktionszeit von einer Sekunde sein Rad noch voll ab, konnte jedoch nicht verhindern, daß er mit seinem Fahrrad im Bereich des vorderen Kotflügels zwischen Radausschnitt und Fahrertüre gegen die rechte Seite des PKW stieß. Durch den Anprall wurde er hochgehoben und über den Vorbau des PKW geschleudert. Dabei kam er mit der Windschutzscheibe noch in Berührung. Bei einer Bremsverzögerung von 4,5 m/sec2 und einer Bremszeit von ca. einer Sekunde betrug die Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers ca. 17 bis 18 km/h. Wird davon ausgegangen, daß er gegenüber der Erstbeklagten sich im Vorrang befunden hat, hätte diese den Unfall nur dann verhindern können, wenn sie intermittierend in den Weg eingefahren wäre. In diesem Fall hätte der Kläger die Kollisionsstelle bereits passiert gehabt, als die Erstbeklagte diese erreicht hätte. Wenn sich der Kläger im Vorrang befand, konnte er die Kollision nicht verhindern, weil er prompt innerhalb einer Sekunde auf das Auftauchen des PKW reagierte.

Der Kläger erlitt durch den Unfall Personen- und Sachschäden, deren Ersatz er von den Beklagten begehrte (S 176.841,20 sA). Ferner begehrte er die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aufgrund dieses Unfalls. Er sei mit dem Fahrrad auf dem westseitigen Radweg der B 190 gefahren. Infolge des starken Verkehrsaufkommens auf der B 190 sei einem Radfahrer die Benützung des östlichen Fahrradstreifens nicht zumutbar. Vielmehr sei ein Radfahrer berechtigt, den westseitigen Radweg zu benützen. Als der Kläger den Einmündungsbereich der Ulmerstraße durchfahren habe, sei die Erstbeklagte von dieser sich als untergeordnete Verkehrsfläche darstellenden Straße in einem Zug über den Radweg gefahren. Der Kläger habe keine Reaktion mehr setzen können. Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Erstbeklagte wegen Mißachtung des Vorranges des Klägers.

Dem hielten die Beklagten entgegen, daß der Kläger vorschriftswidrig den westseitigen Radweg benützt habe, obwohl an der Unfallstelle neben dem durch einen Grünstreifen abgegrenzten westseitigen Radweg auf der östlichen Straßenseite ein Fahrradstreifen vorhanden gewesen wäre. Dieser sei für die Fahrtrichtung Lauterach (das ist jene des Klägers) bestimmt gewesen. Der vom Kläger benützte Radweg weise an der Stelle, wo der Kläger gefahren sei, und überhaupt in Richtung Dornbirn (Nord) keine Beschilderung gemäß § 52 Z 16 bzw 17 a StVO auf. Eine solche Beschilderung sei lediglich am Beginn des Radweges aus Lauterach vorhanden. Der westseitige Radweg hätte daher nicht in beiden Richtungen, sondern lediglich in Richtung Dornbirn, befahren werden dürfen. Der Kläger hätte den ostseitigen Fahrradstreifen benützen müssen. Die Erstbeklagte habe daher nicht damit rechnen müssen, daß von rechts ein Radfahrer (aus der falschen Richtung) komme. Sie sei demnach auch nicht verpflichtet gewesen, mit äußerster Vorsicht oder intermittierend in die Kreuzung einzufahren. Ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 19 Abs 7 StVO sowie auch ein sonstiges sorgfaltswidriges Verhalten könne ihr nicht angelastet werden. Vielmehr sei der Unfall für sie unabwendbar gewesen und das Alleinverschulden treffe den Kläger. Demgemäß sei die Erstbeklagte auch in einem gegen sie eingeleiteten Strafverfahren freigesprochen worden. Als Gegenforderung werde ein Schaden von S 26.147 geltend gemacht.

Dagegen replizierte der Kläger, daß die Ulmerstraße keinen Asphaltbelag aufweise, geschottert sei und als Zufahrtstraße zur Ulmersiedlung diene. Daher sei sie eine untergeordnete Verkehrsfläche gemäß § 19 Abs 6 StVO gewesen. Ein Radweg gemäß § 2 Abs 1 Z 8 StVO sei zwar ein Teil der Straße, nicht jedoch der Fahrbahn, dies im Gegensatz zu einem Radfahrstreifen, welcher Teil der Fahrbahn sei. Radwege zählten nicht zu jener Fahrbahnhälfte, auf deren Seite sie verliefen. Daher dürfe ein Radweg auch in beiden Richtungen befahren werden, dies vor allem dann, wenn nur ein einziger Radweg vorhanden sei. Am Beginn des Radfahrstreifens habe sich keine Gebotstafel befunden, die dessen Benutzung geboten hätte. Er hätte darauf vertrauen dürfen, daß er den linksseitigen Radweg, der größere Sicherheit gewährleiste, benützen dürfe. Auf dem Radweg sei ihm im übrigen auch der Vorrang als Rechtskommender und im Sinne des § 19 Abs 6 StVO zugekommen. Die Erstbeklagte hätte nicht darauf vertrauen dürfen, daß von rechts kein Radfahrer komme, weil sie gar nicht gewußt habe, ob nicht der Radweg von rechts auch so gekennzeichnet gewesen wäre, daß er vom Kläger hätte benützt werden dürfen. Die Erstbeklagte hätte die Verpflichtung getroffen, vortastend in den Radweg einzufahren, um prompt reagieren zu können. Auf jeden Fall treffe die Erstbeklagte die Haftung nach dem EKHG, weil sie den Entlastungsbeweis im Sinne der Einhaltung jeder erdenklichen Sorgfalt nicht erbracht habe.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit S 159.060 als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und erkannte die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger den Betrag von S 159.060 sA zu bezahlen; ferner stellte das Erstgericht die Haftung der Beklagten für alle weiteren und zukünftigen Schäden aus dem genannten Unfall fest, hinsichtlich der Zweitbeklagten jedoch begrenzt mit der Versicherungssumme bezogen auf das von der Erstbeklagten gehaltene Fahrzeug. Ein Mehrbegehren von S 17.781,20 sA wies das Erstgericht unbekämpft ab. Es ging dabei von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen aus und vertrat rechtlich unter Hinweis auf die Entscheidung ZVR 1992/142 die Meinung, daß der Radweg in beiden Fahrtrichtungen hätte befahren werden dürfen, weil sich am Unfallsort nicht an beiden Seiten der B 190 unmittelbar anschließend Radwege befunden hätten, sondern nur westseitig der durch einen Grünstreifen abgetrennte Radweg und ostseitig ein Radfahrstreifen. Wenn auch der Radweg in der vom Kläger befahrenen Richtung nicht im Sinne des § 52 Z 16 StVO beschildert sei, hebe dies die Qualität als Radweg nicht auf. Aus keiner Bestimmung der StVO ergebe sich das Gebot, daß ein Radweg nur in einer Richtung benützt werden dürfe. Der Kläger habe daher den Radweg erlaubterweise in seiner Richtung benützt, wie ihm auch die Nichtbenützung des westseitigen Radfahrstreifens nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Die Benützung des Radweges sei wesentlich gefahrloser als jene eine Radfahrstreifens entlang einer verkehrsreichen Straße. Da der Radweg einen Teil der Straße bilde, habe sich der Kläger gegenüber der Erstbeklagten im Vorrang befunden, wobei dahingestellt bleiben könne, ob dies im Sinne des § 19 Abs 1 und/oder Abs 7 StVO der Fall gewesen sei. Die Erstbeklagte wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, sich tastend in den Radweg vorzubewegen, um die erforderliche Übersicht über den gesamten Radweg zu erlangen. Hätte sie dies getan, wäre der Unfall verhindert worden. Ein Verschulden des Klägers sei nicht festzustellen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde, und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte im wesentlichen folgendes aus:

Der Unfall habe sich am 29.7.1994 ereignet, was bedeute, daß die StVO in ihrer Fassung vor der 19. Novelle anzuwenden sei, die mit 1.10.1994 in Kraft getreten sei. Wesentlich seien § 2 Abs 1 Z 1, 3, 4, 7 und 8, § 8 Abs 1, § 55 Abs 3, § 68 Abs 1 StVO sowie § 14 Abs 1 Bodenmarkierungsverordnung. Gehe man davon aus, daß ostseitig auf der B 190 ein Radfahrstreifen ordnungsgemäß durch die entsprechende Bodenmarkierung (Sperrlinie) angelegt gewesen sei, wäre es Pflicht des Klägers gewesen, auf dieser Verkehrsfläche zu fahren. Diese Verpflichtung bestünde nur dann nicht, wenn sich der Radweg oder Radfahrstreifen in einem Zustand befinde, der eine gefahrlose Benützung nicht gewährleiste (vgl für Radwege ZVR 1994/113 mwN). Daß aufgrund des vom Kläger benützten Fahrrades ihm die Benützung nicht zumutbar gewesen wäre, werde nicht behauptet und sei auch nicht aktenkundig. Eben dies gelte auch für den Zustand des Radfahrstreifens an sich, der nicht etwa durch Straßendefekte oder ähnliche Beeinträchtigungen nicht oder nur eingeschränkt benützbar gewesen sei. Die vom Kläger in diesem Sinne ins Treffen geführte Entscheidung ZVR 1965/107 komme nicht zum Tragen, weil von einer Vereisung des Radfahrstreifens keine Rede sein könne. Das für die Unzumutbarkeit der Benützung ins Treffen geführte starke Verkehrsaufkommen auf der B 190 stelle kein Hindernis für die Benützung des Radfahrstreifens dar, weil ein solches Verkehrsaufkommen wohl nur als spezifische Gefahr des Straßenverkehrs zu betrachten und kein zusätzliches Gefahrenmoment sei, welches die Unzumutbarkeit der Benützung des Radfahrstreifens begründen würde. Die Kennzeichnung des Radfahrstreifens sei in der damals vom Gesetz vorgesehenen Form erfolgt. Der Kläger habe sich an diese ordnungsgemäß kundgemachgte Verkehrsleiteinrichtung zu halten gehabt.

Den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes in SZ 65/47 = EvBl

1992/178 = ZVR 1992/142 (wonach ein Radfahrer den von ihm ausgesehen

rechts gelegenen Radweg zu benützen hat, wenn sich auf beiden Seiten der Straße Radwege befinden) sei auch zu folgen, wenn auf einer Seite der Fahrbahn ein wie hier durch einen Grünstreifen abgetrennter, jedoch eindeutig einer Fahrbahnhälfte zuordenbarer Radweg vorhanden sei und auf der gegenüberliegenden Seite der Fahrbahn (zunächst) ein einen Teil der Fahrbahn bildender Radfahrstreifen. Gerade die vom Höchstgericht angestellten Überlegungen zur Verkehrssicherheit seien wohl nicht anders zu verstehen, wenn nur eine anders gestaltete, nichtsdestoweniger aber auch vorrangig dem Radfahrverkehr gewidmete Anlage vorhanden sei. Selbst wenn man die Ansicht verträte, daß es sich bei jenem Teil der Verkehrsfläche, die der Kläger benützt habe, nicht um einen Radweg handle, könnte nach der Gestaltung im unmittelbaren Unfallsbereich, insbesondere bezogen auf jene Richtung, aus der sich der Kläger genähert habe, von einer Nebenfahrbahn ausgegangen werden. Denn bei der Frage, ob es sich bei einer Verkehrsfläche um eine Nebenfahrbahn oder um einen Geh- und Radweg handle, komme es darauf an, ob und welche Kennzeichnungen vorhanden seien, wie sich die Verkehrsfläche darstelle und ob schon nach der Zweckbestimmung eine Nebenfahrbahn vorliege. Ginge man davon aus, daß die jenseits der Unfallstelle (gesehen in Richtung Dornbirn-Nord) vorhandene Gebotstafel (Rad- und Fußgängerweg) nicht mehr über die Kreuzung hinweg wirkte, müßte im Hinblick auf die Gestaltung dieser Verkehrsfläche von der Unfallskreuzung bis zum Übergang in den Radfahrstreifen von einer Nebenfahrbahn ausgegangen werden, zumal eine andere entsprechend aussagekräftige Widmung durch Verkehrszeichen oder Verkehrsleiteinrichtungen nicht gegeben gewesen sei. Radweg und Nebenfahrbahn seien im übrigen nicht ident zu betrachten. Für Nebenfahrbahnen sei aber die bereits oben erwähnte vorgeschriebene Fahrtrichtung zu beachten, die der Kläger nicht eingehalten habe. Andere Anordnungen durch Verkehrszeichen oder Verkehrsleiteinrichtungen seien weder behauptet worden noch aktenkundig. Damit habe aber der Kläger in verbotener Weise die erwähnte Verkehrsfläche - sei es Radweg, sei es Nebenfahrbahn - befahren. Es treffe ihn das Alleinverschulden am Unfall. Denn der Lenker eines Fahrzeuges, das aus einer Straße mit allgemeinem Fahrverbot komme, könne für sich nicht einen Vorrang in Anspruch nehmen, sondern müsse damit rechnen, daß die Lenker anderer Fahrzeuge darauf vertrauten, daß aus dieser Straße kein Fahrzeug kommt. Für ein Befahren der hier in Frage stehenden Verkehrsfläche entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung müßten dieselben Grundsätze gelten wie wenn jemand in einer Einbahnstraße entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung fahre; auch ein solcher Verkehsteilnehmer könne keinen Vorrang für sich in Anspruch nehmen.

Zu prüfen sei noch, ob die Erstbeklagte ein Mitverschulden treffe bzw ob ihr der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG gelungen sei. Maßstab für dies Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs 2 EKHG sei die Sorgfalt eines sachkundigen, erfahrenen Kraftfahrers; es sei die äußerste, nach den Umständen zumutbare Verkehrssorgfalt zu beobachten. Auf alle nur erdenklichen Unfallsmöglichkeiten brauche sich aber auch dieser sachkundige und erfahrene, die äußerste Sorgfalt beobachtende Kraftfahrer nicht einzustellen. Er müsse nur argwöhnischer sein als der Durchschnittskraftfahrer und sorgfältiger auf Anzeichen achten, die sein Vertrauen erschüttern könnten. Ohne besonderen Anlaß, also ohne tatsächliche Anhaltspunkte, brauche er somit etwa auch bei Annäherung eines Wartepflichtigen nicht mit dessen Fehlverhalten rechnen. Auch die erhöhte Sorgfaltspflicht dürfe nicht überspannt werden, solle eine vom Gesetzgeber nicht gewollte, reine Erfolgshaftung vermieden werden. Die Beurteilung der Unabwendbarkeit habe ferne ex ante und nicht ex post zu erfolgen. Es genüge eben nicht, daß der Unfall rückblickend vermeidbar gewesen wäre, sondern es müsse vor dem Unfall ein bestimmtes Verhalten nach den Umständen des Falles geboten gewesen sein, welches den Unfall vermieden hätte. Sei ein solches Verhalten vorausschauend nicht geboten gewesen, so liege ein unabwendbares Ereignis vor, obwohl der Unfall unter Umständen rückblickend hätte vermieden werden können. Wie bereits dargestellt, habe die Klägerin in dem für sie nachteiligsten Fall davon ausgehen müssen, daß im Sinne des § 8 Abs 1 StVO auf der Verkehrsfläche rechts und links von ihr Verkehrsteilnehmer vorhanden seien. Allerdings habe sie in der vom Kläger gewählten Richtung allerhöchstens mit Fußgängerverkehr rechnen müssen, wobei sich ein Fußgänger gleichfalls an die Sorgfaltsregeln des § 76 Abs 1 StVO, bzw im Hinblick auf das Überqueren der Einmündung der Ulmerstraße, des § 76 Abs 4 lit b StVO zu halten gehabt hätte. Auf ein solches Verhalten hätte die Erstbeklagte im Sinne des § 3 StVO grundsätzlich auch vertrauen dürfen. Wegen der schlechten Sichtverhältnisse habe sie damit rechnen dürfen, daß nicht plötzlich und unvermittelt ein Fußgänger aus dem Sichtschatten der Hecke in die Kreuzung trete bzw wäre ein vorsichtiger Fußgänger in der Fahrtrichtung der Klägerin eher wohl auf der anderen Seite der "Nebenfahrbahn" zu gehen verpflichtet gewesen. Mit Fahrzeugverkehr habe die Erstbeklagte in der vom Kläger gewählten Richtung nicht zu rechnen brauchen. Bei der von ihr eingehaltenen Geschwindigkeit von 5 bis 6 km/h hätte sie im übrigen der Gefahr eines Fußgängers problemlos begegnen können. Somit sei davon auszugehen, daß der Erstbeklagten der Entlastungsbeweis gelungen sei bzw wäre jedenfalls die Gefährdungshaftung des EKHG gegenüber dem doch grob verkehrswidrigen Verhalten des Klägers bei einem Schadensausgleich zu vernachlässigen (vgl in diesem Sinne auch SZ 65/47).

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO liege vor, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung, die sich auf die in Frage stehende Fahrbahngestaltung bezöge, nicht ersichtlich sei, die abzuklärende Rechtsfrage jedoch nicht nur für den hier vorliegenden Einzelfall bedeutsam scheine.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht zusammengefaßt geltend, der von ihm befahrene Radweg habe in beiden Fahrtrichtung benützt werden dürfen. Der konkrete Sachverhalt unterscheide sich von dem in ZVR 1992/142 beurteilten, weil hier der Radweg durch einen Grünstreifen von der Fahrbahn getrennt sei, weil nur ein Radweg vorhanden sei und sich auf der gegenüberliegenden Seite lediglich ein Radfahrstreifen befinde, dessen Benützung eine größere Gefährdung bedeutet hätte als die Benützung des Radweges, weil die Ulmerstraße deutlich erkennbar in den asphaltierten Radweg münde und weil es sich bei der Ulmerstraße als nicht asphaltierte Zufahrtstraße zu einer Siedlung um eine untergeordnete Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO handle. Die Erstbeklagte sei daher gegenüber dem Kläger benachrangt gewesen. Zumindest sei ihr der Entlastungsbeweis gemäß § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen, weil sie jedenfalls die Verpflichtung getroffen habe, intermittierend in den Radweg einzufahren.

Der erkennende Senat hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO). Dem Rechtsmittelwerber ist noch kurz folgendes entgegenzuhalten (wobei im Sinne seiner Argumentation unterstellt wird, daß er einen Radweg befuhr, und deshalb auf das Vorliegen einer Nebenfahrbahn nicht weiter eingegangen wird):

In SZ 65/47 = EvBl 1992/178 = ZVR 1992/142 hat der erkennende Senat ausgesprochen, daß ein Radfahrer den von ihm aus gesehenen rechts gelegenen Radweg zu benützen hat, wenn sich auf beiden Seiten der Straße Radwege (§ 2 Abs 1 Z 8 StVO) befinden. Sinngemäß gleiches muß gelten, wenn es sich beiderseits um Radfahrstreifen (§ 2 Abs 1 Z 7 StVO) handelt. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nun darin, daß die B 190 in Fahrtrichtung des Klägers gesehen bis ca. 80 m vor der Unfallstelle beiderseits über Radfahrstreifen verfügt, ab ca. 50 m nach der Unfallstelle beiderseits über Radwege. Der Kläger hatte daher in diesen Bereichen die in seiner Fahrtrichtung rechte Radfahranlage zu benützen. Fraglich ist lediglich, ob es ihm gestattet war, im dazwischenliegenden Straßenstück von ca. 130 m Länge den links gelegenen Radweg, der nicht in seiner Fahrtrichtung, sondern in der entgegengesetzten als solcher gekennzeichnet war, zu befahren, weil sich rechts nicht auch schon ein Radweg, sondern noch immer ein Radfahrstreifen befunden hat. Die in ZVR 1992/142 angeführten Gründe (Rechtsfahrgebot, Verkehrssicherheit, Art der Anbringung der Verkehrszeichen) sprechen dafür, auch im vorliegenden Fall keine unterschiedliche Beurteilung vorzunehmen. Befindet sich somit auf einer Seite der Straße ein Radfahrstreifen, auf der anderen ein Radweg, so hat ein Radfahrer grundsätzlich die jeweils rechts gelegene Anlage zu benützen.

Soweit der Rechtsmittelwerber meint, bei Benützung des Radweges wäre eine weit größere Verkehrssicherheit gewährleistet als bei Benützung des Radfahrstreifens, ist zu bemerken, daß das Fahren auf einem Radfahrstreifen nicht schon deshalb unzumutbar ist, weil auf der anderen Straßenseite ein Radweg vorhanden ist. Vielmehr wären die zweimaligen Fahrbahnüberquerungen, die mit der vom Rechtsmittelwerber offenbar für richtig gehaltenen Fahrweise verbunden wären, der Verkehrssicherheit abträglich. Was die vom Rechtsmittelwerber im Hinblick auf ZVR 1992/142 betonten Sachverhaltsunterschiede anlangt, so war der Radweg damals allerdings nicht durch einen Grünstreifen, sondern nur durch ein Rigol von der Fahrbahn getrennt. Bei der hier gegebenen baulichen Ausgestaltung besteht aber kein Zweifel, daß es sich bei der vom Kläger befahrenen Verkehrsfläche um eine Anlage im Zuge der B 190 und damit um einen Teil dieser Straße handelt (vgl § 2 Abs 1 Z 1 StVO). Eine Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO ist nicht schon allein deshalb anzunehmen, weil die Ulmerstraße eine nicht asphaltierte Zufahrtstraße zu einer Siedlung ist; abgesehen davon verpflichtete auch eine Benachrangung der Ulmerstraße gegenüber der B 190 die Erstbeklagte nicht, einem auf dem Radweg unzulässigerweise von rechts herannahenden Radfahrer den Vorrang einzuräumen. Im übrigen kann, was die Frage eines Mitverschuldens der Erstbeklagten und die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs 2 EKHG betrifft, wegen der großen Ähnlichkeit der Sachverhalte auf die Ausführungen in ZVR 1992/142 verwiesen werden.

Der Revision des Klägers war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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