OGH 9ObA79/14d

OGH9ObA79/14d25.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR. Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei M***** B*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung gemäß § 4 Abs 4 UrlG, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2014, GZ 8 Ra 5/14k‑17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00079.14D.0925.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagte ist bei der klagenden Fluggesellschaft als Flugbegleiterin tätig. Die Klägerin bewilligte am 7. 12. 2011 den von der Beklagten für den Zeitraum 22. 12. 2012 bis 9. 1. 2013 beantragten Urlaub nur für den Zeitraum 26. 12. 2012 bis 8. 1. 2013. Auch unter Beiziehung des Betriebsrats der Klägerin kam zwischen den Parteien keine andere Urlaubsvereinbarung zustande. Die Beklagte nahm dennoch eigenmächtig vom 23. 12. bis 25. 12. 2012 Urlaub.

2. Das Berufungsgericht stellte aufgrund der Feststellungsklage der Arbeitgeberin fest, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, Urlaub im Zeitraum 23. 12. 2012 bis 8. 1. 2013 mit Ausnahme des bereits bewilligten Zeitraums 26. 12. 2012 bis 8. 1. 2013 zu konsumieren.

3. Durch die vom Arbeitgeber erhobene Feststellungsklage gemäß § 4 Abs 4 UrlG soll deklarativ die Feststellung des Nichtbestehens des vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen Rechts, den Urlaub zu dem von ihm vorgeschlagenen Zeitpunkt (oder auf die von ihm gewünschte Dauer) anzutreten, erzielt werden (4 Ob 66/79 = Arb 9815).

Bei der Sachentscheidung über die Feststellungsklage hat das Gericht die vom beklagten Arbeitnehmer behauptete Berechtigung zum Urlaubsantritt zum gewünschten Termin zu prüfen. Die Berechtigung des Arbeitnehmers ergibt sich aus der durch die betrieblichen Erfordernisse einerseits und die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers andererseits vom Gesetzgeber umrissenen materiellrechtlichen Interessenlage, die auch die Grundlage für eine Vereinbarung im Sinne des § 4 Abs 1 UrlG ist (Reissner in ZellKomm² § 4 UrlG Rz 47; Kuderna, Das Verfahren bei Nichtzustandekommen einer Einigung über den Urlaubsantritt, ZAS 1977, 83 [89]; derselbe, UrlG² § 4 Rz 46). Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen von Betriebserfordernissen trifft den Arbeitgeber, jene über die Erholungsmöglichkeiten den Arbeitnehmer (4 Ob 66/79; Cerny, UrlR10 § 4 Erl 25). Liegen widerstreitende Interessen vor, sind diese gegeneinander abzuwägen (vgl 9 ObA 72/89 = SZ 62/63; Reissner aaO;Kuderna aaO). Da die Interessenabwägung naturgemäß nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen kann, stellt sie regelmäßig auch keine erhebliche Rechtsfrage dar, der zur Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO Bedeutung zukommen würde. Eine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste (RIS‑Justiz RS0044088), zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten nicht auf. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Interessenabwägung im Einzelfall ist jedenfalls vertretbar.

4. Die von der Beklagten in ihrer Zulassungsbegründung aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Arbeitgeber bereits vor der Interessenabwägung nachweisen müsse, dass betriebliche Erfordernisse für die Verweigerung des Urlaubsansuchens vorliegen müssten, stellt sich in dieser Form nicht. Wie schon erwähnt, ist der Zeitpunkt des Urlaubsantritts zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebs und die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers zu vereinbaren (§ 4 Abs 1 UrlG). Dass die Koordination der Urlaube vieler Mitarbeiter ‑ wie auch im Anlassfall jener der rund 1300 bei der Klägerin beschäftigten Flugbegleiter – ein grundsätzlich zu berücksichtigendes betriebliches Erfordernis darstellt (vgl Reissner in ZellKomm² § 4 UrlG Rz 12; Kuderna aaO), wird von der Beklagten nämlich gar nicht bestritten. Sie stellt auch nicht in Frage, dass diese Koordinationsnotwendigkeit die Einführung eines konkreten Systems zur Urlaubsvergabe (hier bestehend aus einer Mischung zwischen einer Reihung nach Seniorität und der Berücksichtigung, ob jemand schulpflichtige Kinder hat) rechtfertigt, dass diese Koordination verlässlich bewerkstelligt. Dass die Klägerin trotz Abwesenheit der Beklagten im Zeitraum 23. 12. bis 25. 12. 2012 ihren Betrieb aufrechterhalten konnte, weil sie auf eine für unvorhergesehene Ausfälle (zB wegen Erkrankung eines Mitarbeiters) vorhandene Personalreserve zurückgreifen konnte, kann dem betrieblichen Erfordernis einer koordinierten Urlaubsvergabe schon deshalb nicht erfolgreich entgegengehalten werden, weil die Prüfung des betrieblichen Erfordernisses nur ex ante erfolgen kann. Bei der Beurteilung der Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers sind zweifellos auch familiäre Gründe zu berücksichtigen (vgl RIS‑Justiz RS0077250; 9 ObA 138/93; Reissner in ZellKomm² § 4 UrlG Rz 13). Das von der Beklagten in diesem Zusammenhang ausschließlich vorgebrachte Argument der fehlenden Kinderbetreuung war aber nicht erweislich. Die vorzunehmende Interessenabwägung setzt ‑ wie die Revision insoweit auch richtig ausführt ‑ jedenfalls eine Gewichtung der betrieblichen Erfordernisse des Arbeitgebers einerseits und der Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers andererseits voraus. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht bei dieser Interessenabwägung aber nicht unterlaufen. Soweit die Beklagte eine Urlaubsgewährung für „insbesondere christliche“ Feiertage speziell für sie aus einer „verstärkten Fürsorgepflicht“ der Klägerin ableiten will, übergeht sie, dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers alle Arbeitnehmer umfasst. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, gerade das Urlaubsvergabesystem der Klägerin entspreche den betrieblichen Erfordernissen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unter Berücksichtigung auch der starken Auftragslage zu Weihnachten und der zu verrichtenden Arbeit sowie hinsichtlich der Urlaubsabstimmung auch der anderen Arbeitnehmer (ua beschäftigt die Klägerin auch 650 Piloten) und damit den Interessen aller Beschäftigten, ist keinesfalls unvertretbar. Dass dabei nicht allen Urlaubswünschen sämtlicher Arbeitnehmer nachgekommen werden kann, bezweifelt auch die Beklagte nicht. Ob von der Klägerin in begründeten Einzelfällen bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Gründe (zB Betreuungspflichten) Ausnahmen vom historisch gewachsenen Urlaubsvergabesystem gemacht werden müssten, bedarf hier keiner näheren Erörterung. Ein derartiger Ausnahmefall liegt nämlich hier schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte ihrer Beweispflicht der im Zeitraum 23. 12. 2012 bis 25. 12. 2012 fehlenden Kinderbetreuung nicht nachgekommen ist. Die Anzahl der im Zeitpunkt Dezember 2012 offenen Urlaubstage der Beklagten kann ihr jedenfalls im Anlassfall schon deshalb nicht zum Vorteil bei der gebotenen Interessenabwägung gereichen, weil die Beklagte gar nicht behauptet hat, die Klägerin hätte ihr einen Urlaubsverbrauch im gesamten Urlaubsjahr unmöglich gemacht.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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