OGH 9ObA138/93

OGH9ObA138/9323.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Edith Söllner und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der Klägerin Ingeborg M*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Gerlinde Dellhorn, Rechtsanwältin in Wien, wider die Beklagte prot Fa.V***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Marcella Prunbauer und Dr.Martin Prunbauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen restliche S 54.158,46 brutto s.A., infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.März 1993, GZ 32 Ra 20/93-28, womit infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5.August 1992, GZ 14 Cga 1110/90-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin einen weiteren Betrag von S 13.539,61 brutto samt 4 % Zinsen seit 1.7.1990 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von S 40.618,85 brutto sA wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 3.281,12 (darin enthalten S 543,42 Umsatzsteuer und S 20,- Barauslagen) bestimmten weiteren Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Klägerin ist ferner schuldig, der Beklagten die mit S 1.811,52 (darin enthalten S 301,92 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die S 2.174,40 (darin enthalten S 362,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte kündigte das Dienstverhältnis der Klägerin am 28.2.1990 zum 30.6.1990 auf. Die Klägerin wurde sofort vom Dienst freigestellt. Eine Urlaubsvereinbarung wurde nicht getroffen. Für das Urlaubsjahr 1.3.1990 bis 28.2.1991 hätte der Urlaubsanspruch der Klägerin 5 Wochen, d.s. 30 Werktage betragen. Die Klägerin verbringt ihre Urlaube üblicherweise gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn. Sie fahren jährlich in der Energiewoche und im Sommer auf Urlaub. Im Unternehmen ihres Gatten ist ein Urlaubsverbrauch in der Dauer von einer Woche im Juli vorgeschrieben. Im übrigen ist es für ihrem Mann nicht schwierig, Urlaubsvereinbarungen zu treffen. Der Sohn der Klägerin hatte um den 20.Juni 1990 die mündliche Matura und vier Wochen vorher durch drei Tage die schriftliche Matura.

Deshalb erschien der Klägerin ihre Anwesenheit zu Hause zwecks moralischer und physischer Unterstützung des Sohnes erforderlich.

Die Klägerin war während der Kündigungszeit zunächst auf Postensuche und erfuhr Mitte Mai 1990, daß sie am 1.7.1990 bei einem neuen Dienstgeber beginnen kann. Vom 10. bis 23.9.1990 konsumierte die Klägerin einen bereits gebuchten Urlaub.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten Urlaubsentschädigung im Gesamtbetrag von S 81.237,69 brutto. Eine Urlaubskonsumation während der Zeit der Dienstfreistellung sei ihr nicht zumutbar gewesen, da sie immer mit ihrer Familie in der Energiewoche und im Sommer Urlaub mache und außerdem ihr Sohn im Mai und Juni 1990 maturiert habe, so daß ihre Anwesenheit zu Hause unbedingt erforderlich war.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Zwischen den Streitteilen sei eine Urlaubsvereinbarung zustandegekommen; außerdem sei der Klägerin der Urlaubsverbrauch in der Kündigungsfrist zumutbar gewesen.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte im ersten Rechtsgang schuldig, der Klägerin eine Urlaubsentschädigung in der Höhe 27.079,23 brutto zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von S 54.158,46 brutto ab. Der Zuspruch wurde rechtskräftig.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das restliche Klagebegehren von S 54.158,46 brutto neuerlich ab. Bei einer drei Monate übersteigenden Kündigungsfrist sei der Verbrauch des Urlaubes nur dann unzumutbar, wenn besondere Gründe vorlägen. Die Gewohnheit, den Urlaub gemeinsam mit der Familie zu verbringen und der Wunsch, dem Sohn vor der Matura psychisch beizustehen, sei ein besonderer Grund, der den Verbrauch des Urlaubs höchstens im Ausmaß einer Woche verhindert habe. Die Klägerin hätte zwei Urlaubswochen auch ohne Familien und während der Vorbereitungszeit für die Matura verbrauchen können. Den vom neuen Dienstgeber im selben Urlaubsjahr gewährten Naturalurlaub müsse sich die Klägern auf ihren Urlaubsentschädigungsanspruch anrechnen lassen. Daraus würde sich die Abweisung eines Teilbetrages von S 10.831,69 ergeben, die aber infolge des rechtskräftigen Zuspruches von S 27.079,23 brutto im ersten Rechtsgang nicht mehr möglich sei, so daß es bei der Abweisung von S 54.158,46 brutto zu bleiben habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Klägerin wäre es zumutbar gewesen, zwei der restlichen vier allenfalls abzugeltenden Urlaubswochen ohne Familie und während der Vorbereitungszeit ihres Sohnes auf die Matura zu verbrauchen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung oder hilfsweise durch Zuspruch weiterer S 5.415,84 brutto s.A. abzuändern.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Entscheidendes Kriterium für die von der Klägerin zu beweisende (Arb 10.695) Unzumutbarkeit des Urlaubsverbrauches während der ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Kündigungsfrist (Arb 10.409) von (mehr als) drei Monaten bildet die Erholungsmöglichkeit der Arbeitnehmerin während dieser Zeit. In erster Linie ist der Erholungszweck des Urlaubes zu berücksichtigen. Ansatzpunkte für die Beurteilung der Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers sind vor allem dessen Urlaubspläne (Reisetermine, Buchungen), die Ferienzeit der Kinder und die Situation des berufstätigen Ehegatten sowie sonstige Familienangelegenheiten (SZ 61/196 = Ind 1990 H 1, 18; Arb 10.909 = RdW 1991, 186 mwH). Fällt daher die Kündigungsfrist in einen Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer auf Grund seiner persönlichen und familiären Verhältnisse keine entsprechende Erholungsmöglichkeit hat, ist ihm der Urlaubsverbrauch während der Kündigungsfrist nicht zumutbar (Arb 10.334; Arb 10.909 = RdW 1991,186 mwH; SZ 61/196 = Ind 1990, H 1, 18; auch Arb 10.695). Die Zumutbarkeitsprüfung ist auch auf einen erst während der Kündigungsfrist neu entstandenen Urlaubsanspruch zu erstrecken (9 Ob A 17/93).

Den Vorinstanzen ist beizupflichten, daß auch der psychische Beistand und die Unterstützung des Sohnes in der Vorbereitungszeit zur Matura durch die Klägerin eine wichtige Familienangelegenheit ist, die eine entsprechende Erholungsmöglichkeit und damit die Zumutbarkeit eines Urlaubsverbrauches einschränken kann. Ohne Behauptung und Nachweis besonderer Umstände, hat aber dieser familiäre Grund nicht für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist von vier Monaten die Unzumutbarkeit des Urlaubsverbrauches zur Folge. Die Notwendigkeit wegen der Matura des Sohnes von einem Urlaubsantritt abzusehen, ist nur für die unmittelbar vor den Prüfungen gelegene Zeit anzuerkennen. Trotz Berücksichtigung des Umstandes, daß die Klägerin mit ihrer Familie regelmäßig im Sommer auf Urlaub ging - und unmittelbar vor der Matura ihren Sohn unterstützen mußte, wäre ihr angesichts der im allgemeinen guten Erholungsmöglichkeiten im Frühjahr immerhin ein Urlaubsverbrauch im Ausmaß der Hälfte des Urlaubs zumutbar gewesen.

Eine Anrechnung des vom neuen Dienstgeber ohne Berücksichtigung der Wartefrist des § 2 Abs 2 UrlG gewährten Naturalurlaubes auf den Urlaubsentschädigungsanspruch gegen die Beklagten kommt mangels Vorliegens eines gesetzlichen Anrechnungsgrundes nicht in Frage. Der Oberste Gerichtshof hat zwar ausgesprochen, daß sich der Dienstnehmer auf seinen Urlaubsentschädigungsanspruch einen für dieselbe Zeit bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses gegen den neuen Dienstgeber gebührenden Naturalurlaub anrechnen lassen muß, weil er sonst für diesselbe Zeit (volle) Urlaubsansprüche und Geldersatzansprüche hätte und dadurch bereichert wäre, was durch § 1162 b ABGB und § 29 AngG gerade verhindert werden sollte (DRdA 1992/6 [Pfeil]).

Im vorliegenden Fall begann aber das neue Dienstverhältnis der Klägerin erst nach dem Ablauf der Kündigungsfrist.

Der Klägerin steht daher eine Urlaubsentschädigung von S 40.618,84 brutto zu, sodaß ihr abzüglich der bereits rechtskräftig zuerkannte Urlaubsteilentschädigung von S 27.079,23 ein Restbetrag von S 13.539,61 brutto zuzuerkennen ist. Die Abänderung der angefochtenen Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof erfordert auch die Neuberechnung der Urlaubsentschädigung. Daher braucht auf die Frage der Berechnung des im ersten Rechtsgang für zwei Wochen rechtskräftig zuerkannten Betrages von S 27.079,23 und den hiebei unterlaufenen Rechenfehler von S 5.415,84 nicht eingegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz bis einschließlich der Tagsatzung vom 2.12.1991 waren gegenseitig aufzuheben.

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