European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00123.14P.0917.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten im Verfahren über die Berufung der klagenden Partei.
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 2666 GB Gaweinstal mit dem Grundstück 1871/1. Der Beklagte ist Eigentümer der süd-östlich davon gelegenen Liegenschaft EZ 2990 GB Gaweinstal mit dem Grundstück 177/1; er hat diese mit Kaufvertrag vom 2. 10. 2012 von R***** und J***** E***** erworben hat. Seine Liegenschaft grenzt an die Grundstücke .167 und .176 der EZ 2571 GB Gaweinstal, die dem Ehemann der Klägerin gehören. R***** und J***** E***** sind Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ 2696 GB Gaweinstal mit dem Grundstück 1871/2, auf der sich ein Presshaus mit Keller befindet.
An der Grenze des Grundstücks 1871/2 (R***** und J***** E*****) zum Grundstück 1871/1 (Klägerin) beginnt ein in der Natur erkennbarer, seit Jahrzehnten bestehender Weg, der über das Grundstück 177/1 (Beklagter) parallel zu den Grundstücken .167 und .176 (Ehemann der Klägerin) zu einer öffentlichen Straße führt.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr und ihren Rechtsnachfolgern im Eigentum des Grundstücks 1871/1 gegenüber dem Beklagten und dessen Rechtsnachfolgern im Eigentum des Grundstücks 177/1 die Dienstbarkeit des Gehens und Befahrens zustehe, und zwar beginnend am nordöstlichen Ende des Grundstücks 177/1 und südöstlich weiterführend auf dem Grundstück 177/1, angrenzend zu den Grundstücken .167 und .176 mit einer Breite von drei Metern bis zur öffentlichen Straße. Weiters begehrt sie die Zustimmung zur Einverleibung dieser Dienstbarkeit. Sie und ihre Rechtsvorgänger hätten den Weg „seit Generationen“, jedenfalls in den vergangenen 31 Jahren, im guten Glauben benutzt, dass dafür ein Recht bestehe, und zwar täglich zumindest einmal. Den Eigentümern der Grundstücke 1871/2 und 177/1 sei diese Nutzung bekannt gewesen und sie hätten sie nie untersagt. Damit sei die Dienstbarkeit ersessen. Der Weg diene der vorteilhafteren Benützung des Grundstücks 1871/1, nämlich um rasch von der öffentlichen Straße dorthin zu gelangen. Diese Zugangs- und Zufahrtsmöglichkeit sei insofern besser als eine Zufahrt auf der anderen Seite des Hauses der Klägerin. Die Dienstbarkeit sei daher nicht zwecklos.
Der Beklagte wendet ein, der Weg werde ausschließlich von den Eigentümern des Grundstücks 1871/2 (R***** und J***** E*****) genutzt. Eine andere Nutzung habe er nie wahrgenommen, sonst hätte er sie unterbunden. Im Jahre 2002 hätten die damaligen Eigentümer den Weg mit einer Kette abgesperrt, diese Absperrung sei zumindest drei Jahre vorhanden gewesen, ohne dass sich die Klägerin dagegen gewendet habe. Ein Grund für die Nutzung des Wegs durch die Klägerin sei auch nicht nachvollziehbar, da sie zu ihrem Haus ohnehin von der anderen Seite zufahren könne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass der Ehemann der Klägerin den Weg für das Wegbringen von Grünschnitt und etwa dreimal in der Woche für den „Zu- und Abtransport von Gütern und Einkäufen“ benutze, wobei offen blieb, seit wann das so ist. Gäste der Klägerin seien von 1994 bis 2001 über den Weg gegangen; „früher“ seien auch Familienmitglieder der Klägerin mit Hunden auf dem Weg spaziert. Auch andere Anrainer hätten den Weg genutzt, den Wegeigentümer aber jeweils gefragt und auch Gegenleistungen erbracht (Mähen, Erdäpfel, Textilien). Von der Berufung der Klägerin bekämpft stellte das Erstgericht weiters fest, dass
- eine Nutzung durch andere Dorfbewohner nicht festgestellt werden könne,
- der Beklagte und seine Rechtsvorgänger keine Kenntnis von der Nutzung durch die Klägerin und ihren Gatten gehabt hätten,
- die Rechtsvorgänger des Beklagten den Weg von 2002 bis 2008 mit einer Kette abgesperrt hätten.
Konkrete Feststellungen zur Frage, seit wann die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger vor der Sperre den Weg genutzt hatten, traf das Erstgericht (abgesehen von der erwähnten Feststellung über die Nutzung durch Gäste) nur in Form der dislozierten Formulierung, das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass im Zeitpunkt des Absperrens die Ersitzungszeit bereits vollendet gewesen wäre. Rechtlich folgerte das Erstgericht, die Klägerin habe den Weg im Glauben benützt, dazu berechtigt zu sein. Daraus könne sie aber nicht auf die „Einräumung einer Berechtigung“ schließen, weil „die Ersitzung“ voraussetze, dass der Eigentümer der dienenden Sache die Ausübung eines Rechts erkennen könne und sie gestatte. Hier hätten der Beklagte und seine Rechtsvorgänger nicht einmal Kenntnis von der Benutzung des Wegs gehabt. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Absperrung sei die Klägerin zudem nicht mehr redlich gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Voraussetzung der Ersitzung einer Dienstbarkeit sei der Besitz eines Rechts, wobei dem Grundeigentümer die Ausübung des Rechts erkennbar sein müsse. Dabei genüge nicht die Erkennbarkeit einzelner Ersitzungshandlungen; vielmehr müsse aus der Art der Benützungshandlungen folgen, dass damit ein Recht ausgeübt werde. Darüber hinaus müsse die Besitzausübung so beschaffen sein, dass der Ersitzungsgegner erkennen könne, dass ein individuelles Recht ausgeübt und nicht bloß eine sich aus dem gutnachbarlichen Verhältnis ergebende Gestattung in Anspruch genommen werde. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hätten nicht nur die Klägerin, sondern auch andere Nachbarn den Weg genutzt. Der Beklagte habe annehmen können, dass auch die Klägerin den Weg nur aufgrund einer aus dem gutnachbarlichen Verhältnis ergebende Gestattung nutze, was nicht für einen Rechtsbesitz ausreiche (1 Ob 506/82). Da die Klage schon deswegen abzuweisen sei, müsse die Beweisrüge der Klägerin nicht erledigt werden.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtsprechung zur Notwendigkeit der Erkennbarkeit der Rechtsausübung missverstanden hat; sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Ersitzung eines Wegerechts an sich richtig wiedergegeben. Der dafür erforderliche Besitzwille muss sich aus dem äußeren Verhalten des Ersitzenden ergeben (RIS-Justiz RS0034138 [T1]). Die Besitzausübung muss so beschaffen sein, dass derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, die Ausübung eines bestimmten individuellen Rechts erkennen kann (RIS-Justiz RS0010135, RS0033018). Das trifft bei Inanspruchnahme des Gemeingebrauchs oder einer jedermann unter bestimmten Voraussetzungen möglichen örtlichen Übung nicht zu (RIS‑Justiz RS0009762 [T17], RS0010140 [T4]). Auf positive Kenntnis des Ersitzungsgegners kommt es hingegen nicht an (RIS-Justiz RS0033018 [T1]).
2. Im vorliegenden Fall steht weder Gemeingebrauch noch eine örtliche Übung fest; vielmehr haben andere Nutzer um Erlaubnis gefragt, wenn sie den Weg benutzen wollten, und sie haben dafür (wenngleich teilweise symbolische) Gegenleistungen erbracht. Haben die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger ohne solches Nachfragen die von ihr behaupteten (regelmäßigen) Nutzungshandlungen vorgenommen, so konnte der Eigentümer des belasteten Gutes das nur als Ausübung eines Rechts verstehen. Denn ein anderer Rechtstitel für dieses Verhalten wäre dann nicht erkennbar.
3. In diesem Zusammenhang missversteht das Berufungsgericht die von ihm zitierte Rechtsprechung zur Erkennbarkeit der Rechtsausübung (RIS-Justiz
RS0033018). Denn die Erkennbarkeit wurde in den zu diesem Rechtssatz indizierten Entscheidungen nur dann verneint, wenn es für die (regelmäßigen) Nutzungshandlungen aus Sicht des Ersitzungsgegners auch einen anderen Rechtsgrund geben konnte, etwa Gemeingebrauch (7 Ob 637/94, 7 Ob 2433/96m, 5 Ob 106/97t und 7 Ob 20/13m) oder Leihe (7 Ob 637/94). Das war hier in Bezug auf die Klägerin nicht der Fall. Die Entscheidung 1 Ob 506/82, die das Berufungsgericht zur weiteren Begründung seiner Auffassung heranzieht, trägt die Annahme einer fehlenden Erkennbarkeit der Rechtsausübung ebenfalls nicht. Denn Grund für deren Verneinung war dort der Umstand, dass der Kläger die über ein bestehendes Recht hinausgehenden Nutzungshandlungen nur sehr selten gesetzt hatte. Im vorliegenden Fall bestand kein (anderes) Recht, und die Klägerin hat regelmäßige Nutzung behauptet. Trifft das zu, dann besteht kein Zweifel an der Erkennbarkeit der Ausübung eines Rechts.
4. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
4.1. Im fortgesetzten Verfahren wird das Berufungsgericht zunächst die Beweisrüge zur Absperrung des Wegs zu erledigen haben. Übernimmt es die diesbezügliche Feststellung des Erstgerichts, so wäre eine allenfalls zuvor ersessene Dienstbarkeit nach § 1488 ABGB erloschen, und eine begonnene Ersitzung wäre nicht weitergelaufen. Denn selbst wenn die Klägerin trotz der Absperrung Nutzungshandlungen gesetzt hätte, wäre ihr Rechtsbesitz nicht mehr redlich gewesen. Der gute Glaube geht nämlich nicht nur dann verloren, wenn der Besitzer positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, sondern schon dann, wenn er auch nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes hegen musste, er also solche Umstände erfährt, die zu solchen Zweifeln Anlass geben (RIS-Justiz RS0010137; RS0034103). Dafür genügt bei Besitz eines Wegerechts schon das Aufstellen einer Tafel „Privatbesitz ‑ Durchgang bis auf Widerruf gestattet“ durch den Ersitzungsgegner (1 Ob 41/08y), umso mehr das Absperren eines Wegs. Bleibt es daher bei dieser Feststellung, wäre die Entscheidung des Erstgerichts zu bestätigen.
4.2. Folgt das Berufungsgericht hingegen dem Standpunkt der Klägerin, dass es keine (ernsthafte) Absperrung gegeben habe, könnte eine Ersitzung in Betracht kommen. Insofern fehlen jedoch konkrete Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten Nutzungshandlungen. Die bloße Schilderung eines (anscheinend) in der Gegenwart gesetzten Verhaltens reicht dafür nicht aus; es fehlen Feststellungen (oder Negativfeststellungen) zur Nutzung durch die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger während der gesamten Frist des § 1468 ABGB. Dieser sekundäre Feststellungsmangel wäre im fortgesetzten Verfahren zu beheben, und zwar entweder vom Erstgericht nach einer Aufhebung gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO oder vom Berufungsgericht nach § 496 Abs 3 ZPO.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)