Spruch:
In der Strafsache gegen Sasa G***** wegen § 198 Abs 1 StGB, AZ 31 U 5/12m des Bezirksgerichts Döbling, verletzen
1./ der Beschluss dieses Gerichts vom 28. November 2013 (ON 34) § 259 Z 3 StPO, § 268 StPO sowie § 270 Abs 3 StPO;
2./ der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 16. April 2014, AZ 132 Bl 8/14a (ON 40 der bezirksgerichtlichen Akten), § 470 Z 1 StPO iVm § 84 Abs 1 Z 5 StPO und § 1 Abs 1 Feiertagsruhegesetz 1957.
Der zuletzt bezeichnete Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und es wird die Sache zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht verwiesen.
Gründe:
Im Verfahren AZ 31 U 5/12m des Bezirksgerichts Döbling legte die Staatsanwaltschaft Wien Sasa G***** mit Strafantrag vom 27. Dezember 2011, AZ 132 BAZ 2094/11v, als Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB qualifiziertes Verhalten, und zwar seit 14. Juli 2011 gegenüber Cvetko G*****, geboren am 11. Juli 1994, und gegenüber Natascha G*****, geboren am 6. September 1997, zur Last (ON 3).
Nachdem der öffentliche Ankläger in der Hauptverhandlung vom 16. Mai 2013 den Strafantrag hinsichtlich eines Tatzeitraums bis 15. Mai 2013 „ausgedehnt“ hatte (siehe aber RIS‑Justiz RS0128941 [T1]), verkündete die Bezirksrichterin das ausschließlich einen Schuldspruch wegen des Vergehens (richtig: der Vergehen; vgl Markel in WK2 StGB § 198 Rz 82) der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB enthaltende Urteil (I./) und den Beschluss (II./), vom Widerruf der zu AZ 39 U 72/08i und AZ 39 U 26/10b jeweils des Bezirksgerichts Leopoldstadt gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, jedoch zu AZ 39 U 26/10b des Bezirksgerichts Leopoldstadt die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern (ON 31 S 7).
Der Angeklagte erklärte anschließend, drei Tage Bedenkzeit in Anspruch zu nehmen (ON 31 S 9).
Inhaltlich des Schuldspruchs (I./) hat Sasa G***** in Wien dadurch, dass er in der Zeit von 14. Juli 2011 bis 15. Mai 2013 für seine Tochter Natascha G***** und in der Zeit von 14. Juli 2011 bis 31. Dezember 2012 für seinen Sohn Cvetko G***** keinerlei oder nur unzureichende Unterhaltsleistungen geleistet hat, seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gröblich verletzt und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt oder die Erziehung der Unterhaltsberechtigten gefährdet wurde oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre (ON 31 S 7 und ON 33).
Der schriftlichen Urteilsausfertigung (ON 33) ist zu entnehmen, dass Cvetko G***** seit 1. Jänner 2013 selbsterhaltungsfähig ist (US 4 letzter Absatz).
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 28. November 2013 (ON 34) wurde das Urteil vom 16. Mai 2013 dahingehend „ergänzt“, dass es unter I./ des Spruchs weiter zu lauten habe:
„Hingegen wird der Angeklagte Sasa G***** von dem wider ihn erhobenen Strafantrag, er habe in der Zeit von 1. Jänner 2013 bis 15. Mai 2013 in Wien dadurch, dass er für seinen Sohn Cvetko G***** keinerlei oder nur unzureichende Unterhaltszahlungen geleistet habe, seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht verletzt und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt oder die Erziehung des Unterhaltsberechtigten gefährdet wurde oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.“
Nach der Begründung dieses Beschlusses sei der Freispruch irrtümlich bei Verkündung des Urteils unterblieben, weshalb dieses gemäß § 270 Abs 3 StPO zu ergänzen wäre.
Am 21. Mai 2013 überreichte der Angeklagte dem Bezirksgericht Döbling die am selben Tag handschriftlich verfasste Berufung, derzufolge er zahlungswillig und bloß durch Arbeitslosigkeit an der Erfüllung seiner Unterhaltspflichten gehindert gewesen sei (ON 32).
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 16. April 2014, AZ 132 Bl 8/14a (ON 40), wurde die Berufung gemäß § 470 Z 1 StPO mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass die Frist zu ihrer Anmeldung am 17. Mai 2013 zu laufen begonnen und am 20. Mai 2013 geendet hätte, sodass die am 21. Mai 2013 überreichte Berufung verspätet wäre (BS 3 letzter Absatz).
Das Landesgericht für Strafsachen Wien übermittelte den Akt mit Note vom 26. Mai 2014 gemäß § 23 StPO der Generalprokuratur „zwecks allfälliger Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes“, weil seiner Ansicht nach „vom Erstgericht die Tatbestandsvoraussetzungen nur unzureichend geprüft worden sind, insbesondere was die subjektive Tatseite anlangt (Umstände des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Pflichtigen ..., der Gröblichkeit der Unterhaltsverletzung sowie der Unzumutbarkeit)“.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschlüsse des Bezirksgerichts Döbling vom 28. November 2013 (ON 34) und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. April 2014 (ON 40) stehen ‑ wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Der bezeichnete, unter Bezug auf § 270 Abs 3 StPO gefasste Beschluss des Bezirksgerichts Döbling, der einen Freispruch „gemäß § 259 Z 3 StPO“ vom Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht betreffend den Unterhaltsberechtigten Cvetko G***** hinsichtlich des an den Tatzeitraum des Schuldspruchs unmittelbar anschließenden, von 1. Jänner bis 15. Mai 2013 reichenden Zeitraums enthält, erfolgte zum Zweck der Ergänzung des Urteils, weil die Verkündung des Freispruchs irrtümlich unterblieben wäre (ON 34 S 1).
Ein Freispruch kann sich stets nur auf eine Tat (im materiellen Sinn), also auf ein unter Anklage gestelltes historisches Geschehen beziehen (Lendl,WK‑StPO § 259 Rz 1).
Unmittelbar aufeinanderfolgende Zeiträume derselben Unterhaltsverletzung betreffen jedoch ein‑ und dieselbe Tat im materiellen Sinn (vgl Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 513 letzter Absatz), sodass der Freispruch von einem zeitlichen Teil dieser Tat verfehlt war (RIS-Justiz RS0128941, RS0117261 [T7]).
Zufolge der gemäß § 458 zweiter Satz StPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Bestimmung des § 259 StPO hat ein Freispruch durch Urteil zu erfolgen, welches gemäß § 268 StPO („Im Namen der Republik“; Art 82 Abs 2 B-VG) öffentlich zu verkünden ist (vgl Lendl,WK-StPO § 259 Rz 11).
Entgegen der Ansicht des Bezirksgerichts Döbling (ON 34 S 1 letzter Absatz) stellt die gemäß § 447 StPO auch Bezirksgerichten zustehende Möglichkeit der Urteilsberichtigung gemäß § 270 Abs 3 StPO keine Rechtsgrundlage für eine nachträgliche Urteilsergänzung dar, weil Gegenstand der die Berichtigung regelnden Vorschriften des § 270 Abs 3 StPO nur die mit dem mündlich verkündeten Urteil in seinen unbedingt zu verkündenden Teilen (§ 260 Abs 1 Z 1 bis 5 und Abs 2 StPO oder § 259 StPO) sachlich übereinstimmende Ausfertigung ist (RIS-Justiz RS0107039, RS0098942), vorliegend aber der Freispruch gerade nicht verkündet wurde.
2./ Gemäß § 466 Abs 1 StPO ist die Berufung binnen drei Tagen nach Verkündung des Urteils beim Bezirksgericht anzumelden. Bei der Berechnung dieser Frist ist gemäß § 84 Abs 1 Z 3 StPO der Tag, von dem ab die Frist zu laufen hat, nicht mitzuzählen. Fällt das Fristende ‑ wie hier ‑ auf einen Sonntag, so gilt gemäß § 84 Abs 1 Z 5 StPO der nächste Werktag als letzter Tag der Frist.
Vorliegend begann demnach die Frist zur Berufungsanmeldung an dem auf die Urteilsverkündung folgenden Tag, somit am Freitag, dem 17. Mai 2013, zu laufen. Ihr Ende fiel auf Pfingstsonntag, den 19. Mai 2013. Der nächste Tag war Pfingstmontag, der gemäß § 1 Abs 1 Feiertagsruhegesetz 1957, BGBl 1957/153, zu den gesetzlichen Feiertagen zählt (vgl Fabrizy, StPO11 § 84 Rz 5). Die Frist wurde daher bis zum nächsten Werktag, also bis Dienstag, den 21. Mai 2013 prolongiert, an welchem Tag der Angeklagte das Rechtsmittel der Berufung anmeldete.
Das Berufungsgericht hätte somit zufolge rechtzeitiger Anmeldung die Berufung nicht gemäß § 470 Z 1 StPO zurückweisen dürfen. Vielmehr wäre über die Berufung und (vgl § 498 Abs 3 StPO iVm § 467 Abs 3 letzter Halbsatz StPO) die (implizite) Beschwerde gegen den Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit meritorisch zu entscheiden gewesen.
Diese Gesetzesverletzung hat sich zum Nachteil für den Angeklagten ausgewirkt; der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
Bleibt zu der gemäß § 23 Abs 2 StPO an die Generalprokuratur gerichteten Anregung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. Mai 2014 anzumerken, dass das Berufungsgericht gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 471 StPO verpflichtet gewesen wäre, aus Anlass der ‑ seiner (irrigen) Ansicht nach ‑ verspäteten Berufung dem Ersturteil aus seiner Sicht allenfalls anhaftende materielle Nichtigkeitsgründe (§ 281 Abs 1 Z 9 bis 11 StPO) von Amts wegen selbst wahrzunehmen (Fabrizy,StPO11 § 290 Rz 5 mwN).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)