OGH 2Ob50/14p

OGH2Ob50/14p25.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****krankenkasse, *****, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei B***** K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Schmautzer und Mag. Stefan Lichtenegger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 37.003,36 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.500 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2014, GZ 3 R 212/13s‑44, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. April 2013, GZ 4 Cg 71/11i-40, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00050.14P.0625.000

 

Spruch:

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang des Teilurteils des Berufungsgerichts aufgehoben und die Rechtssache wird auch insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Begründung

Am 30. 10. 2007 führte die Beklagte in Zeltweg aufgrund eines Vertrags mit einem Verein Fesselballonstarts für Gewinner eines Gewinnspiels des Vereins durch. Der bei der Klägerin krankenversicherte (minderjährige) V***** B***** wurde anlässlich einer solchen Ballonfahrt dadurch verletzt, dass sich eines der Seile des unkontrolliert und ungewollt aufsteigenden Ballons um seinen linken Unterschenkel wickelte und ihn etwa 15 m in die Höhe zog. Der klagende Krankenversicherer erbrachte Leistungen an den Minderjährigen in Höhe des Klagsbetrags.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten gemäß § 332 ASVG die Zahlung von 37.003,36 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten zugunsten der Klägerin für den Ersatz ihrer künftigen Pflichtleistungen aus dem Unfall vom 30. 10. 2007. Der Klagsanspruch wurde auf den Vertrag zwischen dem Verein und der Beklagten gestützt. Der Verletzte sei aufgrund dieses Vertrags im Schutzpflichtenkreis der Beklagten, welche diese Schutzpflichten gröblich missachtet habe. Die schweren Verletzungen des Minderjährigen würden Spät- und/oder Dauerfolgen und damit künftige Pflichtleistungen der Klägerin nicht ausschließen. Die Klägerin habe daher ein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren.

Die Beklagte bestritt die Verletzung von Schutzpflichten durch ihre Leute, zumal zwei Passagiere anweisungswidrig aus dem Ballonkorb gesprungen seien und der Ballon dadurch nicht mehr zu halten gewesen sei. Passagiere der Fesselballonfahrten sollten nur die Gewinner des Gewinnspiels des Vereins sein. Der Minderjährige habe keine Berechtigung zum Ballonfahren gehabt und kein Ticket erhalten. Er sei vor dem Unfall von Verantwortlichen des veranstaltenden Vereins zweimal zurückgewiesen worden, weil er immer wieder zum Ballon gelaufen sei und mitfahren habe wollen. Der Minderjährige habe sich allenfalls als „Schwarzfahrer“ im Ballon befunden, sodass schon aus diesem Grund keine Haftung bestehe.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab, weil zu den von der Beklagten zu verantwortenden Organisations- und Durchführungsmängeln ganz außergewöhnliche und unwahrscheinliche Umstände hinzugetreten seien, die zur Verletzung geführt hätten. Diese könne daher der Beklagten mangels adäquater Verursachung nicht zugerechnet werden.

Das Berufungsgericht gab der Zahlungsklage mittels Teilurteils statt, erklärte die Revision für nicht zulässig, hob das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich des Feststellungsbegehrens auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Verletzung sei durch das rechtswidrige und schuldhafte Fehlverhalten der Leute der Beklagten adäquat verursacht worden. Die Gehilfen der Beklagten hätten das geordnete Aus- und Einsteigen der Passagiere weder ausreichend organisiert noch sichergestellt. Der Minderjährige sei nach der Landung selbstständig ausgestiegen und außerhalb des sicheren Korridors weggegangen, von wo er ‑ entgegen der sonstigen Übung ‑ nicht verwiesen worden sei. Die dem Verein geschuldete Schadenersatzhaftung werde auf Dritte erstreckt, die ‑ wie hier der Minderjährige ‑ der vertraglichen Hauptleistung nahestünden. Es komme daher die Gehilfenhaftung nach § 1313a ABGB und die Beweislastverteilung nach § 1298 ABGB zum Tragen. Im Übrigen hätte die Beklagte für das vom Erstgericht festgestellte Fehlverhalten der ihr als Repräsentanten zuzurechnenden Personen auch deliktisch einzustehen. Das ‑ der Höhe nach unstrittige ‑ Zahlungsbegehren bestehe daher zu Recht. Zur Beurteilung des Feststellungsbegehrens fehlten Feststellungen über Spät- und/oder Dauerfolgen.

Die Beklagte macht mit ihrer ‑ erkennbar gegen das Teilurteil gerichteten ‑ außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe ohne Beweiswiederholung die (bekämpfte) „Feststellung“ des Erstgerichts über das Verschulden von Pilot und Haltemannschaft übernommen. Der Minderjährige sei (mangels Fahrkarte) nicht berechtigt gewesen, im Ballon mitzufahren. Es bestünden daher keine Schutz- und Sorgfaltspflichten der Beklagten ihm gegenüber. Auch bestehe keine deliktische Haftung der Beklagten, weil der Pilot nicht ihr Repräsentant sei. Schließlich habe das Berufungsgericht auch die Adäquanz zu Unrecht bejaht.

Die Klägerin beantragt in der ‑ vom Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des in eventu gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Die Ausführungen des Erstgerichts zum Verschulden der Leute der Beklagten sind seiner rechtlichen Beurteilung zuzuordnen. Wenn sich das Berufungsgericht dem anschließt, bedarf es dazu keiner Beweiswiederholung.

2. Wenn einem Vertragspartner als vertragliche Nebenpflicht eine Schutzpflicht dritten Personen gegenüber, die der Vertragsleistung nahestehen, obliegt, wird dritten Personen die Geltendmachung eines eigenen Schadens aus dem fremden Vertrag zuerkannt (RIS-Justiz RS0037785). Eine Sorgfaltspflicht und Schutzpflicht zugunsten dritter am Vertrag nicht beteiligter Personen wird von Lehre und Rechtsprechung dann bejaht, wenn bei objektiver Auslegung des Vertrags anzunehmen ist, dass eine Sorgfaltspflicht auch in Bezug auf die dritte Person, wenn auch nur der vertragschließenden Partei gegenüber, übernommen wurde (RIS-Justiz RS0017195). Als derart Begünstigte kommen jene in Betracht, deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluss voraussehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen und an denen der Vertragspartner ein sichtbares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukommt (vgl RIS-Justiz RS0034594).

3. Das Berufungsgericht leitet die Schutz- und Sorgfaltspflichten der Beklagten gegenüber dem Minderjährigen aus deren Vertrag mit dem die Fesselballonflüge veranstaltenden Verein ab. Es steht aber bloß fest, dass der Minderjährige „im Ballon“ mitgefahren ist und sich anschließend im Bereich des am Boden liegenden Seiles befand. Zu der strittigen Frage, ob der Minderjährige zu den berechtigten Ballonfahrern (Inhabern von Fahrkarten ‑ sei es durch eigenen Spielgewinn, sei es durch Weitergabe, sofern eine solche zulässig war) gehörte, wurden keine Feststellungen getroffen. Die Beantwortung dieser Frage ist aber für die Beurteilung entscheidend, ob die Schutzpflicht der Beklagten aus dem Vertrag mit dem veranstaltenden Verein auch den Minderjährigen umfasst. Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung bedarf es dazu eines besonderen Naheverhältnisses zur Vertragsleistung der Beklagten bzw eines erkennbaren Interesses des Vereins am Schutz des geschädigten Dritten. Dieses ist nur gegenüber berechtigten Ballonfahrern, nicht aber gegenüber unberechtigten gegeben.

4. Auf die Frage der Repräsentantenhaftung ist nicht einzugehen, zumal sich die Klägerin nicht auf eine deliktische Schadenshaftung der Beklagten stützt.

5. Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu getreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt. Es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RIS-Justiz RS0022918).

6. Im vorliegenden Fall liegt es nicht außerhalb der menschlichen Erwartung, dass sich eine Schlinge etwa durch Stolpern beim Darübersteigen selbst umdreht, sodass es zur schadensauslösenden Verwicklung um das Bein des Minderjährigen gekommen ist. Das Berufungsgericht hat daher den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten der Leute der Beklagten und den Verletzungen des Minderjährigen zutreffend bejaht.

7. Ob eine Vertragshaftung der Beklagten besteht, kann erst nach Klärung der Frage, ob der Minderjährige zu den berechtigten Ballonfahrern gehörte, beantwortet werden. Das Erstgericht wird im zweiten Rechtsgang auch dazu entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

8. Der Revision der Beklagten ist daher im Sinne ihres Aufhebungsantrags Folge zu geben, das angefochtene Teilurteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache auch insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Entfall der Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs 3 ZPO.

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