OGH 15Os33/14p

OGH15Os33/14p23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Helmut V***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 3. Dezember 2013, GZ 36 Hv 50/13t‑38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./1./), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./2./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./), der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (III./) und der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (IV./) schuldig erkannt.

Danach hat er in T***** in jeweils wiederholten Angriffen

I./ seine am 28. November 1998 geborene, somit unmündige Tochter Katharina V*****

1./ ab Jänner 2004 bis 28. November 2012 an den Brüsten und ihrem Geschlechtsteil betastet und sie dazu veranlasst, ihn an seinem Geschlechtsteil zu betasten und an ihm Handonanie durchzuführen, mithin geschlechtliche Handlungen an ihr durchgeführt oder von ihr an sich durchführen lassen;

2./ ab 2008 bis zum 28. November 2012 zur Duldung des Geschlechtsverkehrs, Vornahme des Oralverkehrs und Dulden des Einführens von Fingern in die Scheide veranlasst und dadurch den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen mit ihr unternommen;

II./ durch die unter I./1./ und I./2./ angeführten Handlungen und deren Fortsetzung bis Februar 2013 mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von einer solchen Person an sich vornehmen lassen;

III./ in der Zeit von 2010 bis Anfang Februar 2013 mit seiner Tochter Katharina V*****, somit mit einer mit ihm in gerader Linie verwandten Person den Beischlaf vollzogen;

IV./ zumindest zwei Mal zwischen 2004 und Anfang Februar 2013 durch die Ankündigung, er werde sie umbringen, sollte sie „etwas sagen“ und insbesondere ihrer Mutter von den sexuellen Übergriffen erzählen, somit durch Drohungen mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme, von der Verständigung der Mutter oder der Anzeigeerstattung genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden Beweisanträge des Beschwerdeführers ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen.

Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung (ON 38 S 12) einen Lokalaugenschein in der Wohnung der Familie V***** zum Beweis seiner Unschuld, weil sowohl die Mutter als auch die Schwester des Mädchens aufgrund der Hellhörigkeit der Wohnung und der Lage des Kinderzimmers und des elterlichen Schlafzimmers allfällige Missbrauchshandlungen bemerkt hätten.

Dieser Antrag legt nicht dar, weshalb ein solcher Beweis das behauptete Ergebnis erwarten ließe, obwohl die vom Schöffengericht für glaubwürdig gehaltene Katharina V***** in der Hauptverhandlung angegeben hatte, sowohl sie als auch der Angeklagte wären während der Übergriffe „immer ganz leise“ gewesen, das Bett habe weder gewackelt noch geknarrt (US 6 f). Damit fehlt es im Beweisantrag aber an der geforderten Erheblichkeit, weil diese die entgegengesetzte Würdigung der diesbezüglichen Angaben der genannten Zeugin zur Voraussetzung hätte (RIS‑Justiz RS0099721).

Weiters wendet sich die Verfahrensrüge (Z 4) gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung zum Beweis dafür gestellten Antrags auf Einholung eines weiteren aussagepsychiatrischen oder aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens, dass die Angaben der Katharina V***** nicht erlebnisfundiert und nicht glaubwürdig seien. Zur Antragsbegründung brachte der Angeklagte vor, das Gutachten der vom Gericht beigezogenen Sachverständigen Dr. Adelheid K***** wäre ungenügend, weil „deren Ergebnis sich in der Angabe einer nicht näher quantifizierbaren Form von überwiegenden Gründen erschöpft“, damit das Sachverständigengutachten in seiner Schlussfolgerung mehrdeutig geblieben wäre und die Expertin nur ein einziges, überdies umstrittenes und nicht geeignetes Testverfahren, nämlich einen Rorschachtest, durchgeführt habe (ON 37 S 13).

Warum die Schlussfolgerung der Sachverständigen, wonach „überwiegende Gründe“ für eine Erlebnisfundiertheit der Angaben der untersuchten Zeugin sprechen, mehrdeutig sein sollte, bleibt offen.

Eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen, etwa zur Glaubwürdigkeit von Zeugen ist grundsätzlich nicht unzulässig, jedoch kommt die Hilfestellung durch einen Sachverständigen nur ausnahmsweise, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, in Betracht. Die nachträgliche Beiziehung eines zweiten Sachverständigen kommt (im gegebenen Zusammenhang: nur dann) in Frage, wenn der aufgenommene Befund unbestimmt oder das Gutachten widersprüchlich oder mangelhaft ist (§ 127 Abs 3 StPO) und ein Verbesserungsversuch durch nochmalige Befragung des Sachverständigen erfolglos geblieben ist. Die Prüfungsbefugnis des Richters ist auf die dargestellten Formalmängel beschränkt, während die Auswahl der Untersuchungsmethoden dem Sachverständigen obliegt (Hinterhofer, WK‑StPO § 125 Rz 2). Ein durch Z 4 garantiertes Überprüfungsrecht hat der Beschwerdeführer nur dann, wenn er in der Lage ist, einen der in § 127 StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen (Kirchbacher, WK‑StPO § 246 Rz 38). Zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Antrags auf Beiziehung eines anderen Sachverständigen dient dem Angeklagten dabei sein Fragerecht (§ 249 StPO). Ist der Sachverständige im Sinn des in § 127 Abs 3 StPO beschriebenen Verbesserungsverfahrens noch einmal befragt worden, so hat der Antragsteller fundiert darzulegen, weshalb die behaupteten Bedenken gegen das Gutachten nicht geklärt wurden, es also weiterhin Mängel aufweist. Im konkreten Fall hat der Verteidiger in seinem Antrag keine der in § 127 StPO beschriebenen Mängel von Befund und Gutachten dargetan, sondern ‑ ohne weitere Begründung ‑ eine von der Sachverständigen angewandte Untersuchungsmethode als unzureichend kritisiert. Damit hat er keinen gesetzlichen Grund für die Beiziehung eines anderen Sachverständigen angesprochen. Im Übrigen hat der Antragsteller vernachlässigt, dass die Expertin in der Hauptverhandlung erklärte, den Rorschachtest als einziges Testverfahren durchgeführt zu haben, weil keine Hinweise auf eine Störung der Persönlichkeitsstruktur bei Katharina V***** vorlagen und das genannte Testverfahren im Übrigen nur einen Hilfsbefund darstellte und sich der eigentliche Befund auf die Exploration als psychiatrische Methodik gründe (US 10).

Mit seinem aus Z 5 erstatteten Vorbringen unternimmt der Beschwerdeführer insgesamt bloß den Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung zu bekämpfen. Insbesondere verkennt er, dass der aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks zur Überzeugung des Erstgerichts von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS‑Justiz RS0106588).

Ein Widerspruch auf der Begründungsebene (Z 5 dritter Fall), wie ihn der Beschwerdeführer behauptet, ist gegeben, wenn die Erwägungen des Gerichts für die Feststellung einer entscheidenden, mithin schuld‑ oder subsumtionsrelevanten Tatsache einander ausschließen, also eines von zwei Argumenten aus logischen Gründen notwendig falsch sein muss. Sind die Argumente nach den Kriterien logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen nicht unvereinbar, liegt ein Widerspruch im Sinn der Z 5 dritter Fall nicht vor. Vorliegend erblickt der Beschwerdeführer einen Widerspruch darin, dass das Gericht einerseits angeführt habe, der Angeklagte hätte nicht erklären können, warum ihn seine Tochter derart schwer belastet (US 5), sie aber andererseits nach seiner Verantwortung eine „gute Phantasie“ habe, „von der Polizei irgendwo hineingetrieben wurde“, er ihr Vieles verboten und nicht gekauft habe, weshalb er vermute, sie habe ihn „gezielt weghaben wollen“ (US 22 f). Damit verkennt er, dass von einem aus Z 5 beachtlichen Widerspruch keine Rede sein kann, wenn Beweisergebnisse gegen eine getroffene Feststellung sprechen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 438 f). Im Übrigen haben sich die Tatrichter mit der diesbezüglichen Verantwortung des Angeklagten auseinandergesetzt (US 23 ff, Z 5 zweiter Fall).

Warum die Aussage des Angeklagten, das Opfer habe ihm gegenüber geäußert, es würde ihn irgendwann „verklagen“, erörterungsbedürftig sein sollte (Z 5 zweiter Fall), bleibt offen.

Mit dem Umstand, dass das Opfer einmal im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Fotos auf Facebook die Unwahrheit gesagt hat, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt, sie kamen jedoch zu dem Schluss, dass daraus nicht auf eine notorische Lügenhaftigkeit der Genannten geschlossen werden könne (US 23). Inwiefern diese Begründung offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) sein sollte, bleibt unklar. Die Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen neuerlich die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung. Auch den Umstand, dass Katharina V***** ohne Wissen ihrer Eltern raucht, haben die Tatrichter bei der Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit ins Kalkül gezogen (US 30).

Das Gericht ist nicht verpflichtet, im Urteil den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen von Angeklagten und Zeugen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit jede einzelne Angabe für oder gegen diese oder jene Darstellung spricht (RIS‑Justiz RS0098778). Dies verkennt der Beschwerdeführer, indem er darauf hinweist, die Zeugin hätte zu Details, wie er sie geschlagen habe, zur Frage, ob die sexuellen Übergriffe ausschließlich im Kinderzimmer stattgefunden hatten, und zur Frage, in welcher Schulstufe sie Aufklärungsunterricht erhalten hatte, widersprüchlich ausgesagt.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) greift ihrem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ‑ wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt ‑ wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583).

Der Rechtsmittelwerber will ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial bloß aus den Erwägungen des Erstgerichts Bedenken ableiten; dies ermöglicht der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund jedoch nicht (RIS‑Justiz RS0119424).

Indem der Angeklagte ausführt, es wäre äußerst unwahrscheinlich, dass während all der Jahre niemand der in der Wohnung Anwesenden die Missbrauchshandlungen bemerkt hätte, und darauf hinweist, dass die Ehefrau des Angeklagten und Mutter des Opfers nicht wisse, ob sie ihrem Ehemann oder ihrer Tochter glauben solle, gelingt es ‑ insbesondere mit Blick auf die im Ermittlungsverfahren teilweise geständige Verantwortung des Angeklagten ‑ nicht, erhebliche Bedenken im angesprochenen Sinn beim Obersten Gerichtshof zu wecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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